Johann Georg I.
Johann Georg I. trat weder als kühler Machtpolitiker noch als bedeutender Feldherr in Erscheinung, sondern als ein den Ausgleich suchender, an der hergebrachten Reichsverfassung orientierter Reichsfürst, der auf eine eigenständige Rolle auf dem europäischen politischen Parkett weitgehend verzichtete. Den gewaltigen Herausforderungen einer kriegerischen Epoche hatte der wenig entschlussfreudige Kurfürst als Repräsentant einer nachgeordneten Macht zwischen den Fronten wenig entgegenzusetzen. Bemerkenswert ist jedoch, dass Johann Georg I., dessen außergewöhnlich lange Regierungszeit den gesamten Dreißigjährigen Krieg umschloss, mit den beiden Lausitzen einen wichtigen und dauerhaften Zugewinn für Kursachsen erreichen konnte, die Oberlausitz blieb auch über 1815 hinaus ein Teil Sachsens. Bei allen Schwierigkeiten, die Herrscherpersönlichkeit des Kurfürsten und seinen direkten politischen Einfluss auf die kursächsische Politik zu erfassen, zeigen neuere Studien, dass sich Johann Georg I. für die aktuellen politischen Fragen interessierte und im administrativen Alltag des Hofs eine aktive Rolle spielte. – Johann Georgs I. überlieferter Wahlspruch „Ich fürchte Gott und ehre meinen Kaiser“ (Gumprecht) steht sinnbildlich für die Persönlichkeit und Politik Johann Georgs I. Im Rückblick auf den Dreißigjährigen Krieg wurde der traditionellen lutherischen und patriarchalischen Vorstellungen verhaftete Kurfürst von vielen Zeitgenossen als Symbol gesellschaftlicher Stabilität und als Garant des ständischen Wertesystems glorifiziert. Besonders von der borussisch beeinflussten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hingegen wurde dieser Wettiner im Blick auf seine Außen-, Reichs- und Konfessionspolitik, aber auch hinsichtlich der von ihm erdachten Nachfolgeregelung (1652) oft ungünstig beurteilt. Anstatt sich als lutherischer Fürst an die Spitze der protestantischen Partei im Reich zu setzen, wie dies vielfach erwartet wurde, sah er als Kurfürst seine Aufgabe an der Seite des katholischen Kaisers als der rechten Obrigkeit im Reich. Geblieben ist bis heute der immer wieder zitierte Spottname „Bierjörg“ für den trinkfesten und leidenschaftlichen Jäger, der stets Martin Luthers Siegelring zu tragen pflegte. Ausgewogener und realitätsnäher äußerten sich hingegen zeitgenössische Beobachter. Ein toskanischer Gesandtenbericht (1609) beschrieb Charakter und Lebensstil des künftigen sächsischen Kurfürsten so: Johann Georg „ist ein galanter und hartnäckiger Prinz, aber ziemlich cholerisch, auch er erfreut sich an den Jagden und er macht nie etwas anderes als aufs Land zu fahren“ (Jürjens/Syndram). Der Augsburger Kunsthändler Philipp Hainhofer hielt nach einer persönlichen Begegnung in Dresden (1629) fest, der Kurfürst sei „gar ein fraindlicher, demütiger vnd leütseliger potentat … in dem kaine hoffahrt ist“ (Jürjens/Syndram). Mit den jetzt als Itinerar erschlossenen, aber bislang nur punktuell ausgewerteten kurfürstlichen Schreibkalendern (1611-1650) steht eine weitere Quelle für die Alltagsgeschichte der Regierung dieses Wettiners zur Verfügung. – Der zweitgeborene Sohn Kurfürst Christians I. verlor den Vater bereits im Alter von sechs Jahren (1591). Seine sorgfältige Erziehung in Dresden, gemeinsam mit seinem älteren Bruder Christian II., ist außergewöhnlich gut dokumentiert. Unter dem Namen Hans von Nismitz absolvierte Johann Georg I. eine ausgedehnte Kavaliersreise nach Italien, die ihn bis nach
Rom und
Neapel führte (1601/1602). 1603 volljährig geworden, übernahm er die Administration des Hochstifts Merseburg (Postulation 1592) und wurde von seinem ihm freundschaftlich verbundenen regierenden Bruder mit einer Apanage ausgestattet. Nach seiner zweiten Eheschließung 1607 wurde Johann Georg I. auch an den Staatsgeschäften beteiligt. 1609 vereinbarten die beiden Brüder zur Sanierung der Rentkammer, die von Christian II. überaus großzügig vergebenen Gnadengeschenke in Form von finanziellen Zuwendungen oder überlassenen Gütern an Amtsträger und Privatleute für acht Jahre auszusetzen. Nachdem kurz zuvor noch seine Apanage erhöht worden war, trat Johann Georg I. im Juli 1611 die Nachfolge seines plötzlich verstorbenen Bruders an. – Der junge Kurfürst und sein Mentor, der Geheime Ratsdirektor Caspar von Schönberg, hielten außen- und reichspolitisch an der bisherigen, traditionell kaisertreuen Politik Sachsens fest, verkannten dabei aber die sich verändernden äußeren Rahmenbedingungen innerhalb eines konfessionell polarisierten Reichssystems. Im Oktober 1611 nahm Johann Georg I. am Kurfürstentag in
Nürnberg teil, übte 1612 (wie später auch 1619) während der Vakanz im Kaisertum das sächsische Reichsvikariat aus und vermittelte zwischen den konfessionellen Blöcken die Kaiserwahl des Habsburgers Matthias, dessen Krönung er persönlich beiwohnte. Im Kampf um das Jülicher Erbe vertraute Johann Georg I. auf sein Recht und den Kaiser, während die (konfessions-)politisch flexibleren Konkurrenten Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg 1614 diesen bedeutenden niederrheinisch-westfälischen Besitz unter sich aufteilten. Gleichwohl wurde 1614 auf dem Fürstentag in
Naumburg in Johann Georgs I. Gegenwart die Erbeinigung mit Brandenburg und Hessen erneuert. 1616 konnte Johann Georg die Nachfolge seines jüngeren Bruders August in Naumburg-Zeitz antreten und vereinigte nunmehr, unter Einschluss von Meißen und
Merseburg, das Kurfürstentum mit den drei sächsischen Hochstiften in seiner Hand. Der glanzvolle Kaiserbesuch 1617 in Dresden steht ebenso wie die Feier des Reformationsjubiläums für die Vereinbarkeit von Kaiser- und Konfessionstreue nach Dresdner Lesart. – Die böhmische Ständeerhebung 1618 sahen der Kurfürst und seine Räte nach vergeblichen Ausgleichsbemühungen (Tag von Eger 1619) ausschließlich als politische und keineswegs konfessionelle Angelegenheit. Unter Hinweis auf seine Rechtsverpflichtungen aufgrund von nördlich des Erzgebirges bzw. im Vogtland liegenden Lehen des Königreichs Böhmen, mit dem eine gegenseitige Erbeinigung bestand, lehnte der Wettiner die von den Aufständischen angebotene Wenzelskrone ab. Nachdem er auf dem Fürstentag von
Mühlhausen/Thüringen 1620 konfessionelle Besitzstandsgarantien von Kaiser und katholischer Liga erhalten hatte, unterdrückte Johann Georg I. im Auftrag Ferdinands II. die protestantischen Aufstandsbewegungen in Schlesien und den beiden Lausitzen, den Nebenländern der böhmischen Krone. Die Eroberung Bautzens in Anwesenheit des Kurfürsten nach vierwöchiger Belagerung im Herbst 1620 zählte zu den größeren Operationen dieser Kriegshandlungen und führten zu erheblichen Zerstörungen in der Stadt. Als Ersatz für seine Kriegskosten erhielt der Kurfürst die beiden Lausitzer Markgrafschaften im Dresdner Akkord von 1621 zunächst als Pfandbesitz sowie weitere Exspektanzen auf Reichslehen, so u.a. auf die Grafschaft Hanau-Lichtenberg (1621, 1625). Seit Beginn des Kriegs konnte er als Kreisausschreibender Fürst sowie Kreisobrist mit Erfolg auf die finanziellen und militärischen Ressourcen des Obersächsischen Reichskreises zum Aufbau seiner eigenen Truppen zurückgreifen. Im Zuge der späteren Verlagerung des Reichskriegs gegen Schweden nach Mittel- und Ostdeutschland gingen jedoch nach 1635 Barzahlungen in die von Kursachsen kontrollierten Kreiskassen bzw. in die Leipziger Reichskasse so stark zurück, dass die sächsische Armee trotz Reduzierungen ab etwa 1639 damit nicht mehr zu finanzieren war. – In dem von Böhmen ins Reich verlagerten Krieg zwischen den Konfessionsparteien blieb Johann Georg I. neutral und begünstigte so die kaiserlich-katholische Partei. Erst nach der Annullierung der Magdeburger Wahl seines Sohns August (1628/1629) und dem Erlass des für seine drei ehemaligen Bistümer bedrohlichen Restitutionsedikts (1629) ging Johann Georg I. auf Distanz zum Kaiser und weigerte sich auch, 1630 in Person zum Kurfürstentag nach
Regensburg zu kommen. Nach der von ihm abgelehnten Intervention Schwedens (1630) versuchte er mit dem Leipziger Konvent im Frühjahr 1631 vergeblich, eine bewaffnete dritte Partei protestantischer Reichsstände zu bilden, um die verfassungsmäßigen Verhältnisse der Vorkriegszeit wiederherzustellen. Die verweigerte Rücknahme des Restitutionsedikts führte dazu, dass sich Johann Georg I. mit dem Torgauer Bündnis (1631) notgedrungen dem Schwedenkönig Gustav II. Adolf anschloss. Nach dessen Schlachtentod (1632) löste sich der Kurfürst schrittweise aus dieser Allianz und näherte sich wieder dem Kaiser an. Der Vorfriede von Pirna (1634) führte 1635 zum Prager Frieden, einem Kompromiss in Religions- und Verfassungsfragen zwischen dem katholischen Reichsoberhaupt und dem evangelischen Kursachsen mit dem Ziel einer Beendigung des Kriegs im Reich und der Vertreibung fremder Truppen unter kaiserlicher Führung. Die Kriegsgewinne des Kurfürsten bestanden in der Erbbelehnung mit dem Lausitzer Pfandbesitz, in der Abtretung von vier magdeburgischen Ämtern sowie in der Restitution seines zweitältesten Sohns August als Administrator von
Magdeburg. – Mit seinen Truppen kämpfte Johann Georg I. nun mit wechselndem Erfolg auf kaiserlicher Seite gegen die Schweden und Sachsen wurde dabei zu einem der Hauptkriegsschauplätze. Nach dem erneuten Verlust der Stadt Leipzig 1642 befürchteten die Geheimen Räte, dass die Schweden den Kurfürsten und seinen Hof in Dresden einschließen würden, sodass er von allen Ressourcen abgeschnitten werden würde. Angesichts der mittlerweile hoffnungslos gewordenen militärischen Lage schloss Johann Georg I. 1645 trotz harter Bedingungen einen befristeten Waffenstillstand von Kötzschenbroda mit Schweden und schied 1646 im Vertrag von Eilenburg endgültig aus den Kriegshandlungen aus. – Bei den westfälischen Friedensverhandlungen hielt der Kurfürst starr an seinem Verständnis einer Einheit von Kaiser und Reich sowie an dem von ihm ausgehandelten Prager Frieden als Grundlage für die Beendigung des Kriegs fest. Dadurch wurden die Verhandlungsoptionen und die Bewegungsfreiheit der sächsischen Bevollmächtigten stark eingeschränkt, was letztlich eine politische Isolation Kursachsens auf dem Friedenskongress zur Folge hatte. Deutlich wird das bei dem geforderten Ausschluss der verhassten „Calvinisten“ aus dem „neuen“ Religionsfrieden, einem vehement verfochtenen Hauptziel Johann Georgs I. Dessen Scheitern steht sinnbildlich für ein veraltetes Politikverständnis und einen nicht mehr zeitgemäßen Konfessionsstandpunkt des Wettiners. Die durchaus beachtlichen sächsischen Territorialgewinne wurden im Westfälischen Frieden von 1648 zwar bestätigt, gleichzeitig aber konnte ausgerechnet der reformierte Brandenburger Kurfürst Friedrich Wilhelm nicht nur die Umwandlung der Hochstifte
Halberstadt und
Cammin zu Erbfürstentümern durchsetzen, was Johann Georg I. selbst im Fall der Stifte Merseburg, Naumburg und
Zeitz verwehrt bleiben sollte. Vielmehr konnte der Brandenburger auch eine Vereinbarung über den Anfall Magdeburgs nach dem künftigen Tod des amtierenden wettinischen Administrators August erreichen. Nach dem Friedensfest von 1648 ordnete der Kurfürst anlässlich des Abzugs der schwedischen Besatzungen aus Sachsen ein weiteres landesweites Friedens- und Dankfest für den 22.7.1650 an. Auf dem Regensburger Reichstag von 1653/1654 übernahm Johann Georg I. schließlich widerwillig das Direktorium des Corpus Evangelicorum, der inoffiziellen Interessenvertretung der evangelischen Reichsstände. – Als neuer sächsischer Landesherr erließ der militärisch interessierte Johann Georg I. bereits 1611 eine Defensionsordnung für die Landesverteidigung, die aber aufgrund ständischer Proteste erst 1613 in neuer Form in Kraft treten konnte. Dieses Defensionswerk, eine Miliz aus angesessenen und militärdienstpflichtigen Männern, hatte jedoch nur begrenzten militärischen Wert. Nach Kriegsausbruch 1618 zeigte sich das Problem der von seinem Bruder Christian II. übernommenen hohen Staatsverschuldung (1612 ca. 5 bis 6 Mio. Gulden) bei der kostenintensiven Anwerbung schlagkräftiger Söldnertruppen. Dies konnte zwar zunächst mit der erfolgreichen Instrumentalisierung der Kreisverfassung kompensiert werden, aber die Kriegsdienstverweigerung der sächsischen Ritterschaft beim Einmarsch in die Oberlausitz 1620 sollte am Beginn grundsätzlicher Veränderungen im Verhältnis zwischen dem Landesherrn und seinen Ständen stehen. Nachdem das Defizit der Rentkammer bis 1628 auf über 7 Mio. Gulden gestiegen war, musste der Kurfürst auf dem Landtag ein eigenständiges Steuer- und Kreditwerk der Landstände neben seiner Kammer anerkennen. Auch dadurch löste sich während der Regierungszeit Johann Georgs I. die bisher enge Bindung der Stände an den Fürsten und seinen Hof und die Landtage gewannen an Eigenständigkeit. – Die angesichts der kritischen Finanzlage intensivierte Münzverschlechterung mündete auch in Kursachsen in eine wirtschaftlich bedrohliche Inflation, die sogenannte Kipper- und Wipperzeit (1620/1621). Dadurch wurde die Kreditaufnahme auf dem Kapitalmarkt enorm erschwert und der Kurfürst sah sich zu drastischen Steuererhöhungen gezwungen. Auch die glanzvoll begangene Hochzeit seiner ältesten Tochter Sophie Eleonore (Torgau 1627) erhöhte den Schuldenberg beträchtlich (1628 geschätzte 13 Mio. Gulden). Die allgemeine Notlage führte andererseits mit der Anlage von flächendeckenden „Fundamentalkatastern“ zur systematischen Erfassung aller nicht privilegierten Grundbesitzer (ab 1628) zu einer zukunftsweisenden fiskalischen Innovation, die bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts Bestand haben sollte. Dagegen kam die von Balthasar Zimmermann fortgesetzte und von Johann Georg I. geförderte erste kursächsische Landesaufnahme durch den Krieg und den Tod des Bearbeiters 1634 zum Erliegen. Die starken Bevölkerungsverluste, mitverursacht durch mehrere Pestwellen zwischen 1625 und 1644, hatten einen massiven Einnahmerückgang zur Folge. Auch die Hofversorgung war unmittelbar davon betroffen, was nur durch die Geld- und Naturallieferungen von den eigenbewirtschafteten Gütern der Kurfürstin einigermaßen kompensiert werden konnte. Die ab 1627 verstärkte Zuwanderung von böhmischen Glaubensflüchtlingen (Exulanten), darunter viele Fachkräfte (Textilproduktion, Bergbau), in die Oberlausitz und das Erzgebirge konnte die Bevölkerungsverluste nur in verhältnismäßig geringem Maße ausgleichen. Ab 1654 errichteten böhmische Bergleute eine Stadtanlage, die zu Ehren des Landesherrn den Namen Johanngeorgenstadt erhielt. Es sind aber auch mehrere Fälle belegt, wo der Kurfürst deponierte Vermögenswerte protestantischer böhmischer Adelsfamilien beschlagnahmen und seiner eigenen Verwendung zuführen ließ. Nach 1648 bis1650 standen die Bemühungen um den Wiederaufbau im Mittelpunkt der kurfürstlichen Landespolitik. Mit dem Moderationspatent von 1649 sollten landesweit steuerliche Anreize für die Neubesiedlung verödeter Häuser und Grundstücke geschaffen werden, um die kriegsbedingten Bevölkerungsverluste auszugleichen. Wie das Beispiel der westsächsischen Stadt Zwickau zeigt, fehlte es der hochverschuldeten Landesherrschaft jedoch an Durchsetzungskraft, um im Sinne von lokalen Investoren und unter Niederschlagung der Forderungen von Gläubigern einen zügigen und effektiven Wiederaufbau zu unterstützen. Die 1651 erlassene Gesindedienstordnung mobilisierte zusätzliche Arbeitskräfte für die Landwirtschaft, während das weiterbestehende Verbot des Erwerbs von Bauerngütern ein Bauernlegen größeren Umfangs verhinderte. – In der Forschung ist mit Recht nach dem nur schwer greifbaren Regierungsstil des langjährigen sächsischen Landesherrn gefragt worden. Die nur teilweise überlieferte Korrespondenz mit dem Geheimen Ratsdirektor Caspar von Schönberg († 1629) zeigt Johann Georg I. als gut orientierten und keinesfalls untätigen Landesherrn, der v.a. den zahlreichen Suppliken seine besondere Aufmerksamkeit widmete. Nach Schönberg erlangte mit dem Berg- und Kammerrat Dr. David (von) Döring bis zu seinem Tod 1638 ein bürgerlicher Aufsteiger beträchtlichen Einfluss auf Johann Georg I. und die Politik des Kurstaats. V.a. dessen Rolle als kurfürstlicher Schuldenkommissar führte zeitweilig zu heftigen Konflikten zwischen dem Landesherrn und seinen Ständen. 1637 erreichte die Krise des personell unterbesetzten Geheimen Rats, der obersten Zentralbehörde, ihren Höhepunkt - Spiegelbild der finanziell und militärisch schwierigen Lage des Kurfürstentums. Nachdem das Kollegium nur unter großen Schwierigkeiten wieder besetzt werden konnte, entwickelte sich in der Folgezeit jedoch eine tragfähige und geordnete Zusammenarbeit, bei der Johann Georg I. nun häufiger als früher an den Sitzungen teilnahm. Auch die neue Hofordnung von 1637 lässt das Bestreben des Herrschers nach Ordnung und Einhaltung des Geschäftsgangs der Verwaltung erkennen. Die ab etwa 1640 inhaltlich aussagefähigeren Schreibkalender belegen eine regelmäßige Regierungsarbeit des Kurfürsten, der in Dresden fast täglich die Geheimen Räte sowie recht häufig die Spitzen der Finanzverwaltung empfing. Regelmäßig bearbeitete Johann Georg I. im kurfürstlichen Gemach mit den Sekretären bestimmte Vorgänge, die er sich gegenüber dem Geheimen Rat selbst vorbehielt. In eingeschränktem Umfang wurde diese Praxis auch während seiner längeren Aufenthalte in den bevorzugten Jagdgebieten um
Lichtenburg, Düben, Colditz oder Freiberg sowie dem residenznahen Moritzburg beibehalten. Gleichwohl steht Johann Georg I. sicherlich nicht für ein ausgeprägtes Fürstenregiment, aber er war in jedem Fall ein Fürst, der sich für die aktuellen Konflikte interessierte und sich aktiv im politischen Alltagsgeschäft engagierte. Der gelehrten Geistlichkeit brachte der persönlich fromme Kurfürst zwar große Hochachtung entgegen, die ältere Forschung hat aber insbesondere den politischen Einfluss des als Calvinisten-Gegner bekannten Oberhofpredigers Matthias Hoë von Hoënegg deutlich überschätzt. – Das Itinerar des Kurfürsten belegt, dass sich Johann Georg I. bis etwa 1630 nur selten länger in seiner (Haupt-)Residenz Dresden aufgehalten hat. Seine landesweiten Reisen und (Jagd-)Aufenthalte stehen für eine immer noch dezentrale Herrschaftsausübung, die an eine spätmittelalterliche Reiseherrschaft erinnert. Der Landesherr zeigte in den verschiedenen Landesteilen persönlich Präsenz und bekam gleichzeitig einen unmittelbaren Eindruck von Land und Leuten. Beispielsweise initiierte Johann Georg I. vor Ort Baumaßnahmen an Schlössern und Kammergütern, nahm Amtsrechnungen ab oder besuchte Hochzeiten und Taufen des Landadels. Trotz seiner Beteiligung an zahlreichen Belagerungen und Feldzügen (seit 1620) weder Feldherr noch Truppenführer, zeigte sich der Kurfürst dem Militär doch sehr verbunden und ließ sich gerne in Feldherrenpose und Rüstung porträtieren. Nach 1620 und noch in den 1650er-Jahren ließ sich Johann Georg I. als Sieger von Bautzen darstellen und verlieh damit einer ganz eigenen Ikonografie und Erinnerungspolitik künstlerischen Ausdruck. Sichtbarer Ausweis seines Interesses für das Militär sind der häufige Besuch von Zeughäusern, die Inspektion von Festungsbauten, die Musterung von Truppen oder die Teilnahme am Probeschießen neuer Geschütze. Zeitlebens als Jäger und Angler aktiv, interessierte sich Johann Georg I. besonders für den entsprechenden Jagdbedarf (Pferde, Hunde, Waffen). Die ererbte Kunstkammer, die er mit bedeutenden Ankäufen vermehrte, neu inventarisieren und aufstellen ließ, hat diesem Wettiner viel zu verdanken. Die kriegerischen Ereignisse ab 1631 stellten zwar einen tiefen Einschnitt auch für den Ausbau der Kunstkammer dar, doch hatte die Dresdner Sammlung das Glück, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen nicht geplündert wurde. – Johann Georgs I. persönlicher Lebensstil ist geprägt von einer Vorliebe für das Landleben, für körperliche Bewegung sowie einer Abneigung gegen die räumliche Enge der Städte. Die Leipziger Messen, eine Attraktion für viele benachbarte Fürsten, hat er so gut wie gar nicht besucht. Seine wenigen Leipzigaufenthalte stehen mit militärischen oder politischen Ereignissen, mit der Begleitung von durchreisenden Fürsten oder mit Fürstentreffen in Zusammenhang. Daher ist es auch kein Zufall, dass Johann Georg I. unmittelbar nach dem großen Krieg mit dem Bau eines ländlichen Lusthauses in der Hoflößnitz bei Radebeul begann. – Am Dresdner Hof Johann Georgs I. fanden Musik- und Theateraufführungen meist nur aus besonderen Anlässen statt. Die alltägliche Unterhaltung bestand in der Regel aus Gottesdiensten, Jagdausflügen und Tafelfreuden. Die reiche Tradition der Dresdner Festkultur zeigte sich jedoch bei der prachtvoll begangenen Doppelhochzeit der jüngeren Söhne Christian und Moritz (1650), dem Besuch des Kurfürsten von Brandenburg (1652) oder dem Jubiläum des Augsburger Religionsfriedens (1655). Auf Reisen häufig von seiner Gemahlin und den Kindern begleitet, pflegte Johann Georg I. ein ausgeprägtes Familienleben. Der intensive Briefwechsel mit der pragmatischen Magdalena Sybilla steht für eine gute und harmonische Ehe des sächsischen Kurfürstenpaars, auch wenn die streng lutherische Kurfürstin ihrem Gemahl immer wieder Vorhaltungen wegen seiner kaiserfreundlichen und letztlich prokatholischen Politik machte. Mit seiner Schwägerin, der Kurfürstinwitwe Hedwig, war Johann Georg I. freundschaftlich verbunden. Neben dem Briefwechsel und dem Austausch von Geschenken belegen das v.a. seine regelmäßigen Besuche auf deren Witwensitz in Lichtenburg bzw. die Reisen Hedwigs nach Colditz, Dresden oder Torgau. – Nachdem er bereits 1622 die Eventualpostulation seiner drei jüngeren Söhne in den drei sächsischen Hochstiften erreicht hatte, übergab Johann Georg I. als amtierender Administrator Merseburg (1650) und Naumburg-Zeitz (1653) an seine Söhne Christian und Moritz. Das in der Forschung bis heute kontrovers diskutierte, folgenreiche Testament des Kurfürsten (1652) steht für eine tiefgreifende Zäsur der sächsisch-mitteldeutschen Geschichte. Mit dieser letztwilligen Zuweisung eigener Herrschaftskomplexe an die drei jüngeren Söhne sollten 1657 nach Johann Georgs I. Tod die zeitweiligen albertinischen Nebenlinien in Merseburg, Weißenfels und Zeitz als halbautonome politische Gebilde (Sekundogeniturfürstentümer) entstehen. Nachdem die auf Drängen seiner jüngeren Söhne unternommenen Vorstöße zu einer Umwandlung der Hochstifte in weltliche Erbfürstentümer (ab 1654) gescheitert waren, ermahnte der Vater seine Söhne in seinem zweiten Kodizill (1656) nachdrücklich, sich gemeinsam um die dauerhafte Behauptung dieser geistlichen Wahlfürstentümer für die männlichen Nachkommen des albertinischen Fürstenhauses zu bemühen.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10001 Ältere Urkunden, 10006 Oberhofmarschallamt, 10024 Geheimer Rat, 10036 Finanzarchiv, 11237 Geheimes Kriegsratskollegium, 12881 Genealogica; Martin Gumprecht, Chur Sächs. Leid und Freud, Klag und Trost, Abgebildet ... bey ... Herrn Johann Georgens des I. ... Trauer-Process ..., Dresden 1657; Johann Christian Lünig, Das Teutsche Reichs=Archiv, Bd. 1-24, Leipzig 1710-1722; Adam Friedrich Glafey, Kern der Geschichte des Hohen Chur- und Fürstlichen Hauses zu Sachsen, Nürnberg 1753; Gottfried August Arndt (Hg.), Des Kurfürsten Johann George I. Rescripte, an seine bey den Westphälischen Friedenstraktaten befindliche Gesandten, Zweyte Abtheilung, in: ders., Archiv der Sächsischen Geschichte, Teil 3, Leipzig 1786, S. 42-180; Julius Oppel, Eine politische Denkschrift des kurfürstlich sächsischen Geheimen Rathes Abraham von Sebottendorf für Johann Georg I. vom Jahre 1639, in: NASG 8/1887, S. 177-242; Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, NF: Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651, 2. Teil, Bd. 10: Der Prager Frieden von 1635, hrsg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Historische Kommission, bearb. von Kathrin Bierther, 4 Teilbde., München/Wien 1997; Jochen Vötsch (Hg.), Sächsische Fürstentestamente 1652-1831, Leipzig 2018.
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Porträt Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (1585-1656) (Detail), Frans Luyckx, um 1652, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Inventar-Nr. H 0200.01, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut (Bildquelle); Johann Georg I., Churfürst zu Sachsen, Kupferstich, Radierung, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Kupferstichkabinett, Inventar-Nr. A 25195; Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (1585-1656) mit seiner (zweiten) Gemahlin Magdalene Sibylle von Sachsen (1586-1659), nach 1617, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Inventar-Nr. 99/46; Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen, 1620-1625, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Rüstkammer, Inventar-Nr. H 0167.01; Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen, um 1625, Öl auf Leinwand, auf Holz, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Inventar-Nr. H 0182.
Jochen Vötsch
2.10.2024
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Johann Georg I.,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2334 [Zugriff 20.12.2024].
Johann Georg I.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10001 Ältere Urkunden, 10006 Oberhofmarschallamt, 10024 Geheimer Rat, 10036 Finanzarchiv, 11237 Geheimes Kriegsratskollegium, 12881 Genealogica; Martin Gumprecht, Chur Sächs. Leid und Freud, Klag und Trost, Abgebildet ... bey ... Herrn Johann Georgens des I. ... Trauer-Process ..., Dresden 1657; Johann Christian Lünig, Das Teutsche Reichs=Archiv, Bd. 1-24, Leipzig 1710-1722; Adam Friedrich Glafey, Kern der Geschichte des Hohen Chur- und Fürstlichen Hauses zu Sachsen, Nürnberg 1753; Gottfried August Arndt (Hg.), Des Kurfürsten Johann George I. Rescripte, an seine bey den Westphälischen Friedenstraktaten befindliche Gesandten, Zweyte Abtheilung, in: ders., Archiv der Sächsischen Geschichte, Teil 3, Leipzig 1786, S. 42-180; Julius Oppel, Eine politische Denkschrift des kurfürstlich sächsischen Geheimen Rathes Abraham von Sebottendorf für Johann Georg I. vom Jahre 1639, in: NASG 8/1887, S. 177-242; Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, NF: Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618-1651, 2. Teil, Bd. 10: Der Prager Frieden von 1635, hrsg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Historische Kommission, bearb. von Kathrin Bierther, 4 Teilbde., München/Wien 1997; Jochen Vötsch (Hg.), Sächsische Fürstentestamente 1652-1831, Leipzig 2018.
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Porträt Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (1585-1656) (Detail), Frans Luyckx, um 1652, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Inventar-Nr. H 0200.01, Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut (Bildquelle); Johann Georg I., Churfürst zu Sachsen, Kupferstich, Radierung, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Kupferstichkabinett, Inventar-Nr. A 25195; Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (1585-1656) mit seiner (zweiten) Gemahlin Magdalene Sibylle von Sachsen (1586-1659), nach 1617, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Inventar-Nr. 99/46; Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen, 1620-1625, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Rüstkammer, Inventar-Nr. H 0167.01; Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen, um 1625, Öl auf Leinwand, auf Holz, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Inventar-Nr. H 0182.
Jochen Vötsch
2.10.2024
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Johann Georg I.,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2334 [Zugriff 20.12.2024].