Nikol von Gersdorf

G. trat sowohl in der gesamteuropäischen Politik als auch durch sein soziales und religiöses Engagement in Sachsen und der Oberlausitz hervor. Sein Wirken ist im Umfeld des Pietismus und vor dem Hintergrund der konfessionellen Auseinandersetzungen in Sachsen, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Entstehung der Herrnhuter Brüdergemeine zu sehen. In dritter Ehe war G. verheiratet mit der hoch gebildeten Henriette Katharina, geb. Freiin von Friesen, mit der er den Sinn für christlich orientiertes Handeln teilte und die maßgeblichen Einfluss auf die Erziehung ihres gemeinsamen Enkels Nikolaus Ludwig von Zinzendorf hatte. G. wuchs in wenig wohlhabenden Verhältnissen auf. Er sollte auf Wunsch der Mutter 14-jährig zum Studium an den dänischen Hof gehen, blieb aber auf dem Weg dorthin in Dresden als Kammerpage beim Kurprinzen Johann Georg II. Dort setzte G. seine schulische Ausbildung fort, lernte u.a. bei Rektoren der Kreuzschule Latein und Griechisch, bevor er 1647 nach Wittenberg ging, wo er bis 1651 Recht, Philosophie und Philologie studierte. Anschließend unternahm er eine Bildungsreise durch Frankreich, England, Holland und Italien. In den folgenden Jahrzehnten gelangte er zusehends in wichtige Ämter und Funktionen: 1655 wurde er unter Kurfürst Johann Georg I. Appellationsrat, 1656 Hof- und Justizrat. Ein Jahr darauf reiste er als kurfürstlicher Gesandter anlässlich des Tods Kaiser Ferdinands III. nach Wien und nahm 1658 am kaiserlichen Wahltag in Frankfurt/Main teil. Im selben Jahr hielt er sich in kurfürstlichem Auftrag am Hof Carl Gustavs von Schweden auf. 1660 wurde G. Wirklicher Geheimer Rat, 1662 bis 1664 war er als kursächsischer Prinzipalgesandter auf dem Reichstag zu Regensburg. 1664 leitete er den Obersächsischen Kreistag, wurde erneut an den kaiserlichen Hof nach Wien gesandt und beteiligte sich 1665/66 im Vorfeld des Friedens von Kleve an den Versuchen, die Münsterschen und Niederländischen Streitigkeiten beizulegen. 1668 trug er in St. Germain Vorschläge zur Beilegung des spanisch-französischen Devolutionskriegs vor, die ohne Änderung in den Aachener Frieden vom 2.5.1668 eingingen. 1672, im Jahr seiner Erhebung in den Freiherrenstand, übernahm G. wieder die Leitung des Obersächsischen Kreistags und wirkte mit an der Allianz zwischen Kursachsen und Habsburg. 1679 vermittelte er im Auftrag des Kurfürsten zwischen Schweden und Dänemark. Kurfürst Johann Georg III. ernannte ihn 1680 zum Oberkämmerer und 1686 zum Direktor des Geheimen Rats. An der Königskrönung Josephs I. 1690 in Augsburg nahm er als Prinzipalgesandter teil. Schließlich erhielt er 1692 die damals bereits elf Jahre vakante Landvogtei der Oberlausitz in Bautzen. – Gemeinsam mit seiner dritten Frau Henriette Katharina unterhielt G. seit 1686 persönlichen Kontakt zu Philipp Jacob Spener. Er korrespondierte mit August Hermann Francke, dem pietistischen Theologen Paul Anton sowie mit Carl Hildebrand von Canstein, dem Gründer der gleichnamigen Bibelanstalt. Angesichts des herausragenden Engagements seiner Ehefrau stehen die Aktivitäten G.s im Bereich der Bildung und Fürsorge bis heute eher im Schatten der Aufmerksamkeit. Indes schlug sich auch G.s religiöse Glaubenshaltung mannigfaltig in einer bewusst gemeinnützigen Praxis nieder, u.a. durch Spenden an die Kirche und an die notleidende Bevölkerung oder durch die Steuerung des Getreidepreises zugunsten benachteiligter Sozialgruppen in Bautzen. Gemeinsam mit seiner Frau Henriette Katharina setzte er sich für die Entwicklung des Kirchen- und Schulwesens weit über seine Wohnorte Dresden und Bautzen hinaus ein. Er engagierte sich für die allgemeine religiöse und schulische Bildung in der Oberlausitz und kümmerte sich speziell um die Integration der sorbischen Bevölkerung. 1670 veranlasste G. den ersten Druck eines ABC-Buchs, mit dem die wendische Sprache als Schriftsprache erfasst wurde. Er ließ weite Teile der Bibel ins Sorbische übersetzen und förderte den regelmäßigen Katechismus-Unterricht in Kursachsen und der Lausitz. Darüber hinaus gründete G. das Bautzener Waisenhaus und plante ein weiteres für Meißen. Mit Geldspenden unterstützte er soziale Aktivitäten der Stadt Leipzig, spendete besonders auch für sächsische Pfarrerwitwen. Die Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale bedachte er ebenfalls mit erheblichen Summen. G. scheint bis zum Lebensende die politische, diplomatische und administrative Verantwortung in seinen Ämtern auch als Ansporn für ein über das Maß des Üblichen hinausgehendes protestantisch-soziales Handeln begriffen zu haben. Als er starb, setzte seine Ehefrau Henriette Katharina die gemeinsamen Anliegen des praktischen christlichen Engagements und der Förderung von Bildung und Ausbildung in ihrem Umfeld fort.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Sammlung Nostitz; Archiv der Brüder-Unität, Herrnhut, Lebenslauf (24.XII.1699), in: Lebenslaufsammlung (NB I.R.4.291.c.2.63, S. 331-332); Archiv der Brüder-Unität, Herrnhut, Archivrubrik 20: Zinzendorfs Familie; Staatsfilialarchiv Bautzen, 50120 Gutsherrschaft Baruth (D), Bestand 50001 Landstände der sächsischen Oberlausitz, 50009 Oberamt.

Literatur F. W. E. Mende, Henriette Catharina Freifrau von Gersdorff, geb. Freiin von Friesen, Görlitz 1862; P. Köhler, Freifrau Katharina v. Gersdorf, die Großmutter des Grafen Zinzendorf, Zittau 1883; E. Beyreuther, Zinzendorf, 3 Bde., Marburg 1957-1961. – ADB 9, S. 53-55; DBA I, II, III; DBE, 2. CD-ROM-Edition, 2004; NDB 6, S. 318f.; J. H. Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Bd. 9, Halle/Leipzig 1735, Sp. 1177-1179; W. v. Boetticher, Geschichte des Oberlausitzer Adels und seiner Güter 1635-1815, Bd. 1, Görlitz 1912, S. 424-608; Gothaisches Genealogisches Taschenbuch, Deutscher Uradel, Gotha 1923, S. 240-243.

Porträt Nicol v. G., S. Bottschild (oder Schüler), Ölgemälde, o.J., Archiv der Brüderunität, Herrnhut (GS 038), Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Isabella von Treskow
15.5.2007


Empfohlene Zitierweise:
Isabella von Treskow, Artikel: Nikol von Gersdorf,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22656 [Zugriff 28.3.2024].

Nikol von Gersdorf



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Sammlung Nostitz; Archiv der Brüder-Unität, Herrnhut, Lebenslauf (24.XII.1699), in: Lebenslaufsammlung (NB I.R.4.291.c.2.63, S. 331-332); Archiv der Brüder-Unität, Herrnhut, Archivrubrik 20: Zinzendorfs Familie; Staatsfilialarchiv Bautzen, 50120 Gutsherrschaft Baruth (D), Bestand 50001 Landstände der sächsischen Oberlausitz, 50009 Oberamt.

Literatur F. W. E. Mende, Henriette Catharina Freifrau von Gersdorff, geb. Freiin von Friesen, Görlitz 1862; P. Köhler, Freifrau Katharina v. Gersdorf, die Großmutter des Grafen Zinzendorf, Zittau 1883; E. Beyreuther, Zinzendorf, 3 Bde., Marburg 1957-1961. – ADB 9, S. 53-55; DBA I, II, III; DBE, 2. CD-ROM-Edition, 2004; NDB 6, S. 318f.; J. H. Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Bd. 9, Halle/Leipzig 1735, Sp. 1177-1179; W. v. Boetticher, Geschichte des Oberlausitzer Adels und seiner Güter 1635-1815, Bd. 1, Görlitz 1912, S. 424-608; Gothaisches Genealogisches Taschenbuch, Deutscher Uradel, Gotha 1923, S. 240-243.

Porträt Nicol v. G., S. Bottschild (oder Schüler), Ölgemälde, o.J., Archiv der Brüderunität, Herrnhut (GS 038), Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Isabella von Treskow
15.5.2007


Empfohlene Zitierweise:
Isabella von Treskow, Artikel: Nikol von Gersdorf,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22656 [Zugriff 28.3.2024].