Moritz Meyer
Der ursprünglich aus dem anhaltinischen
Dessau stammende und mit dem Titel eines Kommerzienrats ausgezeichnete Bankier Moritz Meyer gehörte zu den reichsten Dresdner Bürgern im 19. Jahrhundert. Durch seine aktive Beteiligung und Förderung zahlreicher jüdischer und christlicher in Bildung und Wohlfahrt tätigen Stiftungen und Vereine erwarb er sich große Verdienste um das religionsübergreifende Zusammenwachsen der residenzstädtischen Bürgergesellschaft. – Über die Jugend und Erziehung Meyers in Dessau ist nur wenig bekannt. Nach einer mutmaßlich guten Schulbildung hatte er 1833 die jüngste Tochter des Bankiers und Mitvorstehers der jüdischen Gemeinde in Dresden Mendel Schie geehelicht. Mit Rücksicht auf seine offenbar depressive Ehefrau beantragte Meyer 1836 durch seinen zu einer Bürgschaft bereiten Schwiegervater die Niederlassung des kinderlosen Ehepaars in Dresden. Da es der Mittdreißiger als Bankier bereits zu einem der wohlhabendsten Einwohner der Residenzstadt Dessau gebracht hatte, wurde seine unbefristete Ansiedlung anstandslos genehmigt, wobei er sein Dessauer Geschäft nur vorläufig niederlegen wollte. – Obwohl sich Meyer ursprünglich als Privatier in Dresden niederlassen wollte, betätigte er sich auch hier im Bankgeschäft und führte dies nach dem Tod seines Schwiegervaters 1848 unter dem Namen der Firma Meyer Schie weiter. 1861 wurde ihm zusätzlich das lukrative Agenturgeschäft der Leipziger Bank in Dresden übertragen. Wie eine Reise nach
Gastein (Österreich) 1866 zeigt, unternahm Meyer selbst in Kriegszeiten erforderliche Auslandsreisen. 1845 wird Meyer als Mitglied der bereits 1803 gegründeten „Gesellschaft zu Rath und That“ genannt, einem wohltätigen Verein, der Almosen ablehnte und stattdessen Bedürftigen Unterstützung zur Selbsthilfe gewährte. – Mit dem Testament von 1866 (mit Nachträgen von 1868) liegt eine überaus aussagefähige Quelle zu den Geschäfts- und Vermögens-, aber auch Lebens- und Familienverhältnissen des Bankiers und Mäzens vor. Die Testamentseröffnung erfolgte noch am Todestag in seiner Wohnung, der Beletage des Wohnhauses Prager Straße 27, die er mit Ehefrau und mehreren Bediensteten (Diener, Gärtner, Köchin, Stubenmädchen) bewohnt hatte. Als Universalerbin erhielt seine Ehefrau
Johanna auch sämtliche Grundstücke, aber allein schon die Vermächtnisse zugunsten seines Bruders
Hermann, Bankier in Leipzig (30.000 Taler), seiner Lieblingsnichte
Pauline (40.000 Taler) und seines Neffen
Ferdinand, Bankier in
Berlin (30.000 Taler), belegen die gewaltige Dimension des Meyer’schen Vermögens. Der Prokurist und Geschäftsfreund Louis Lesser wurde mit 5.000 Talern bedacht, das übrige Verkaufs- und Hilfspersonal jeweils mit 100 bis 200 Talern. Als weitere Vermächtnisnehmer wurden zahlreiche jüdische und christliche Institutionen wie etwa der Erzgebirgische Frauenverein, die Diakonissenanstalt, das Taubstummeninstitut, die Gemeindeschule oder das Kranken-Unterstützungs-Institut benannt. Eine besonders bedeutsame Stiftung waren die 2.000 Taler für den Einbau einer Orgel in der Dresdner Synagoge, wozu später noch 1.000 Taler als Schenkung der Witwe hinzukamen. Der Gemeinde- und Schulhausfond sollte ebenfalls 2.000 Taler erhalten. Ein Betrag von 300 Talern wurde ausgesetzt, damit jährlich an seinem Todestag am Grab Gebete von jüdischen Armen gesprochen werden konnten, die dafür jeweils mit einem Taler entlohnt werden sollten. Nach dem Willen des Erblassers sollte die Firma Meyer Schie nach seinem Tod 1869 aufgelöst und das Agenturgeschäft abgewickelt werden. – Der zur sozialen Oberschicht der Residenzstadt Dresden gehörige Bankier Meyer engagierte sich in vielfältiger Weise und in verschiedenen Funktionen im Gemeindeleben, in unterschiedlichen Stiftungen sowie in Bildungs- und Wohltätigkeitsvereinen. Wie die Dresdner Nachrichten am 8.8.1861 meldeten, ist der dem liberalen Flügel zuzurechnende Meyer fast einstimmig in den dreiköpfigen Gemeindevorstand gewählt worden (bis 1869). In seine Amtszeit fallen einige wichtige Reformmaßnahmen, die Kultur und Ritus der jüdischen Gemeinde Dresdens dauerhaft verändern sollten. 1841/1842 gehörte Meyer dem fünfköpfigen Verwaltungsrat des fortschrittlichen, auf Bildungsförderung angelegten Mendelssohn-Vereins an und wird noch 1863 als dessen Rechnungsführer genannt. Im Auftrag von Stadtrat und Gemeinde verwaltete Meyer das ursprünglich von Philipp Aaron 1796 zum Unterhalt einer Privatsynagoge gestiftete Kapital in Höhe von 5.000 Talern. Nach dem Tod seines Schwagers Wilhelm Schie 1861 übernahm er die Stiftungsverwaltung des Henriettenstifts, eines jüdischen Altenheims in Dresden. Gemeinsam mit seiner Ehefrau gehörte Meyer zu den Mitgliedern und Spendern wohltätiger Institutionen wie des jüdischen Frauen-Vereins sowie der Kranken-Verpflegungsgesellschaft.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11045 Amtsgericht Dresden, Nr. 1178; Stadtarchiv Dresden, 2.1 Ratsarchiv, C.XLII.191; Dresdner Nachrichten 8.8.1861, S. 1.
Literatur Bernhard Beer, Geschichtliche Darstellung der fünfzigjährigen Wirksamkeit des Kranken-Unterstützungs-Instituts für Israeliten zu Dresden, Dresden 1857; Emil Lehmann, Aus alten Acten. Bilder aus der Entstehungsgeschichte der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden, Dresden 1886; ders., Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden, Dresden 1890; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Dresden, Darmstadt 1973; Dresdner Hefte 45/1996; Anke Kalkbrenner, Das Henriettenstift, Dresden 1999; Simone Lässig, Emanzipation und kulturelle Verbürgerlichung. Staat und Juden in Sachsen und in Anhalt-Dessau, in: James Retallack (Hg.), Sachsen in Deutschland. Politik, Kultur und Gesellschaft 1830-1918, Dresden 2000, S. 33-50; Einst & jetzt: zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und der Landeshauptstadt Dresden, Dresden 2001; Cornelia Wustmann, „Das Ideal will nicht gelobt, es will gelebt werden“. Jüdische Wohlfahrt am Beispiel der wohltätigen jüdischen Stiftungen in Dresden und Leipzig, St. Katharinen 2002; Kerstin Hagemeyer, Jüdisches Leben in Dresden, Dresden 2002; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - Jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Konstantin Hermann, Vereine in Dresden 1831 bis 1871, in: Dresdner Geschichtsbuch, Bd. 13, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Altenburg 2008, S. 76-96; Gunda Ulbricht/Olaf Klöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013; Daniela Wittig, Das Verzeichniß der Ruhenden auf dem israelitischen Friedhof zu Dresden aus dem Jahre 1852. Auswertung und Ergebnisse, in: Medaon 9/2015, H. 16, S. 1-67. – Steffen Held, Artikel: Hermann Aron Meyer, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, 2025.
Porträt Moritz Aaron Meyer, Kommerzienrat und Konsul, Vorsteher von 1861 bis 1869, Fotografie, in: Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde Dresden 2/1927, Nr. 10, S. 14, Universitätsbibliothek Frankfurt/Main, Digitale Sammlungen, Judaica (Bildquelle).
Jochen Vötsch
26.5.2025
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Moritz Meyer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27569 [Zugriff 21.8.2025].
Moritz Meyer
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11045 Amtsgericht Dresden, Nr. 1178; Stadtarchiv Dresden, 2.1 Ratsarchiv, C.XLII.191; Dresdner Nachrichten 8.8.1861, S. 1.
Literatur Bernhard Beer, Geschichtliche Darstellung der fünfzigjährigen Wirksamkeit des Kranken-Unterstützungs-Instituts für Israeliten zu Dresden, Dresden 1857; Emil Lehmann, Aus alten Acten. Bilder aus der Entstehungsgeschichte der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden, Dresden 1886; ders., Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden, Dresden 1890; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Dresden, Darmstadt 1973; Dresdner Hefte 45/1996; Anke Kalkbrenner, Das Henriettenstift, Dresden 1999; Simone Lässig, Emanzipation und kulturelle Verbürgerlichung. Staat und Juden in Sachsen und in Anhalt-Dessau, in: James Retallack (Hg.), Sachsen in Deutschland. Politik, Kultur und Gesellschaft 1830-1918, Dresden 2000, S. 33-50; Einst & jetzt: zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und der Landeshauptstadt Dresden, Dresden 2001; Cornelia Wustmann, „Das Ideal will nicht gelobt, es will gelebt werden“. Jüdische Wohlfahrt am Beispiel der wohltätigen jüdischen Stiftungen in Dresden und Leipzig, St. Katharinen 2002; Kerstin Hagemeyer, Jüdisches Leben in Dresden, Dresden 2002; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - Jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Konstantin Hermann, Vereine in Dresden 1831 bis 1871, in: Dresdner Geschichtsbuch, Bd. 13, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Altenburg 2008, S. 76-96; Gunda Ulbricht/Olaf Klöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013; Daniela Wittig, Das Verzeichniß der Ruhenden auf dem israelitischen Friedhof zu Dresden aus dem Jahre 1852. Auswertung und Ergebnisse, in: Medaon 9/2015, H. 16, S. 1-67. – Steffen Held, Artikel: Hermann Aron Meyer, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, 2025.
Porträt Moritz Aaron Meyer, Kommerzienrat und Konsul, Vorsteher von 1861 bis 1869, Fotografie, in: Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde Dresden 2/1927, Nr. 10, S. 14, Universitätsbibliothek Frankfurt/Main, Digitale Sammlungen, Judaica (Bildquelle).
Jochen Vötsch
26.5.2025
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Moritz Meyer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27569 [Zugriff 21.8.2025].