Meyer Leibowitz Ratzker

Nach wechselnden Aufenthaltsorten wurde Leipzig für Meyer Leibowitz Ratzker zum Lebensmittelpunkt, an welchem er über 30 Jahre verbrachte und für die jüdische Gemeinde der Stadt u.a. in seiner Funktion als Lehrer zu einer prägenden Figur wurde. – Bis zum 13. Lebensjahr besuchte Ratzker die israelitische Schule seines Heimatorts, ehe er seine wissenschaftliche Ausbildung für dreieinhalb Jahre am „Grauen Kloster“ in Berlin fortsetzte. Hier wurde Ratzker eine gründliche Unterweisung in den Fächern Religion und Sprachen zuteil. Anschließend widmete er sich in Meseritz (poln. Międzyrzecz) vertieften Studien des Talmuds. Weitere Stationen führten den jungen Mann als Religionslehrer und Leiter von Gottesdiensten nach Drossen (poln. Ośno Lubuskie), Neudamm (poln. Dębno), Stadtoldendorf, Braunschweig und Goslar, bevor er 1831 nach Leipzig kam. Seit dem 25.8.1831 war er hier in Nachfolge des 1827 verstorbenen Abraham Marcus offiziell als Schächter sowie Lehrer der Israelitischen Gemeinde angestellt. Arbeitszeugnisse bescheinigten Ratzker einen „sittlich guten Wandel“ und er wurde als „wissenschaftlicher, kenntnißreicher und sittlich guter Mann“ bezeichnet. Sein geprüftes Wissen bezog sich neben den Kenntnissen der hebräischen und französischen Sprache v.a. auf die gottesdienstliche Liturgie. Auch wenn die wenigen jüdischen Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren in Leipzig überwiegend christliche bzw. Privatschulen besuchten, kümmerte sich Ratzker in seiner Wohnung zumindest provisorisch um den jüdischen Religionsunterricht des Nachwuchses und bereitete diesen zum Ende der schulischen Ausbildung auf die anstehende „Konfirmation“ (so in einer behördlich festgehaltenen Selbstauskunft Ratzkers) vor. Im Frühjahr 1835 heiratete Ratzker und erhielt im gleichen Jahr nach einem entsprechenden Gesuch die Konzession zum weiteren Aufenthalt in Leipzig erteilt, solange er als Schächter und Lehrer tätig sei. Zu dieser Zeit hatte er sich finanziell durch sein Schächteramt und Aufträge als Privatlehrer sowie Abnehmer für Eidesleistungen offenbar ein nicht unbeträchtliches Vermögen aufgebaut. Allerdings häuften sich wohl auch die Probleme, da Ratzker durch andere Tätigkeiten immer häufiger vom Religionsunterricht abgehalten wurde, wie der Oberrabbiner Zacharias Frankel 1836 in einem Schreiben an das sächsische Kultusministerium beklagte. Letztlich mündeten diese Komplikationen in Ratzkers Aufgabe des Lehreramts. Seit Anfang 1836 gehörte Ratzker dem Religionsvorstand der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig an. Während dieser Zeit dürfte er bereits ein potenzieller Kandidat für die Nachfolge des betagten Gemeindekantors Wolff Seeligman Ulmann gewesen sein, mit dem er im engen Austausch stand und der auch seine Trauung vorgenommen hatte. Weniger als drei Wochen nach Ulmanns Tod am 31.12.1838 übernahm Ratzker dessen Amt auf Geheiß des Leipziger Stadtrats. Spätestens mit dem Beginn der 1840er-Jahre war Ratzker nicht zuletzt dank der eigenen Familiengründung fest in Leipzig verankert und stellte 1847 einen Antrag auf Erteilung des Bürgerrechts, der jedoch zunächst abgewiesen wurde. In seiner Privatwohnung in der Leipziger Katharinenstraße fand im Juni des gleichen Jahrs die Wahlversammlung der Gemeinde statt, deren Formation nach jahrelangen internen Reibereien sowie Konflikten mit den Behörden zu einem Abschluss gelangte. Gemäß Paragraf 24 der Statuten erhielt Ratzker, zusätzlich zum Kantorenamt, den Posten des Gemeindedieners und Schächters zuerkannt. – Ende November 1852 setzte Ratzker gegenüber dem sächsischen Ministerium des Innern nach einem zunächst erfolglosen Anlauf schließlich eine Änderung seines Namens durch, da die Bezeichnung „Meyer“ scheinbar häufig mit dem Familiennamen verwechselt worden war. Fortan durfte sich der Petent offiziell „Meyer Leibowitz Meyer“ nennen. In diesem Zuge gab er auch preis, sich mit dem Namen „Ratzker“ nicht zu identifizieren. Diesen habe sein Vater nach der eigenen Übersiedlung nach Rehsau (poln. Rydzówka) angenommen, als er russischer Untertan wurde. Er selbst habe jedoch nie die Neigung verspürt, seinem Vater zu folgen, führte Ratzker in seinem Schreiben aus. – Während der Messen in Leipzig engagierte sich Ratzker auch bei der Sammlung von Geldern, die dem Unterhalt des Israelitischen Friedhofs im Johannistal und der Abdeckung von Begräbniskosten von Glaubensgenossen dienten. In diesem Zusammenhang trat Ratzker vermutlich ab Ende der 1830er-Jahre als Verantwortlicher einer bereits zuvor entstandenen Kasse in Erscheinung, in die mehrere jüdische Gemeinden aus Deutschland und Osteuropa einzahlten. Dem Leipziger Rat gegenüber beklagte sich Ratzker 1850 allerdings, dass sich die jüdische Gemeinde Leipzigs nicht um die Verwaltung des Bestattungsorts kümmere und diese Tätigkeit allein ihm überlasse. 1864 verstarb der ehemals Ratzker genannte Meyer während eines Aufenthalts in Bautzen und wurde zur Beerdigung auf den damals neu angelegten Israelitischen Friedhof im Norden von Leipzig überführt.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv, 11125 Ministerium des Kultus und des öffentlichen Unterrichts, Nr. 11131 Angelegenheiten des jüdischen Kultus und der jüdischen Schulen; Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, II. Sektion R 912, R 1138, Tit. XLIV Nr. 13a, Tit. LI Nr. 235, 0056 Wahl- und Listenamt, Fallakten/Aufnahme- und Bürgerakten Nr. 9635; Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) Jerusalem, D/Le1/9-11; Historische Adressbücher Leipzig 1845-1846.

Literatur Jacob Jacobson, Die Entstehung der Israelitischen Religionsgemeinde, in: Aus Geschichte und Leben der Juden in Leipzig. Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Leipziger Gemeinde-Synagoge, hrsg. vom Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde, Leipzig 1930, S. 27-43; Arno Kapp, Der alte Leipziger Judenfriedhof, in: Leipziger jüdische Wochenschau 4/1931, Nr. 2, S. 3, Nr. 4, S. 4, Nr. 5, S. 4; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Leipzig. Vernichtung, Aufstieg und Neuanfang, Chemnitz/Leipzig 1993; Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
10.4.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Meyer Leibowitz Ratzker,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27919 [Zugriff 25.5.2025].

Meyer Leibowitz Ratzker



Quellen Sächsisches Staatsarchiv, 11125 Ministerium des Kultus und des öffentlichen Unterrichts, Nr. 11131 Angelegenheiten des jüdischen Kultus und der jüdischen Schulen; Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, II. Sektion R 912, R 1138, Tit. XLIV Nr. 13a, Tit. LI Nr. 235, 0056 Wahl- und Listenamt, Fallakten/Aufnahme- und Bürgerakten Nr. 9635; Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) Jerusalem, D/Le1/9-11; Historische Adressbücher Leipzig 1845-1846.

Literatur Jacob Jacobson, Die Entstehung der Israelitischen Religionsgemeinde, in: Aus Geschichte und Leben der Juden in Leipzig. Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Leipziger Gemeinde-Synagoge, hrsg. vom Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde, Leipzig 1930, S. 27-43; Arno Kapp, Der alte Leipziger Judenfriedhof, in: Leipziger jüdische Wochenschau 4/1931, Nr. 2, S. 3, Nr. 4, S. 4, Nr. 5, S. 4; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Leipzig. Vernichtung, Aufstieg und Neuanfang, Chemnitz/Leipzig 1993; Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
10.4.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Meyer Leibowitz Ratzker,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27919 [Zugriff 25.5.2025].