Wolff Ulmann

Wolff Ulmann kann aufgrund seines intensiven Engagements für die in Leipzig ansässigen Juden über annähernd drei Jahrzehnte sowie seiner Brückenfunktion in Richtung der Behörden als zentraler Wegbereiter für die Herausbildung der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig gelten. – In seiner Heimatstadt Fürth sowie in Frankfurt/Main wurde Ulmann zum Lehrer für israelitische Schulen ausgebildet. 1782 zog er weiter zu seiner Familie nach Straßburg (frz. Strasbourg)und drei Jahre später nach Paderborn, wo er die folgenden zwölf Jahre als Lehrer tätig war. Nach einer weiteren Station in Ballenstedt folgte Ulmann 1810 einem Ruf des jüdischen Kaufmanns David Hirsch nach Leipzig, dessen Kinder er unterrichtete und bei dem er etwa bis 1815 verblieb. Da bis dato ein Lehrer in der formal noch nicht konstituierten jüdischen Gemeinde von Leipzig fehlte, kümmerte er sich seit seiner Ankunft in der Stadt auch um die religiöse Unterweisung der Kinder und Jugendlichen. Nach dem Tod des bisherigen Kantors Samson Ephraim trat Ulmann dessen Nachfolge an und trug damit die Verantwortung für den Gottesdienst. Dieser fand mangels einer Synagoge lange Zeit provisorisch im Raum eines Hinterhofgebäudes des Herzʼschen Hauses in der Leipziger Reichsstraße statt, welcher an sich den Berliner Messejuden gehörte. Die Rituale bestanden aus Gebet, Vortrag und Auslegung alttestamentarischer Gesetze auf Hebräisch. Auch engagierte sich Ulmann als Krankenpfleger und Almosensammler und wurde 1820 gerichtlich als Betreuer für seinen späteren Schwiegersohn Eduard Boas bestellt, nachdem dieser bereits mit 15 Jahren zum Vollwaisen geworden war. Nach außen kooperierte Ulmann mit der Stadt Leipzig bei der Anfertigung von Verzeichnissen der jüdischen Bevölkerung und zählte, vermittelt durch den Rat von Leipzig, auch zu den Ansprechpartnern des sächsischen Kultusministeriums, das Auskunft über die schulischen und religiösen Verhältnisse der Leipziger Juden einforderte. Mitunter wurde Ulmann ferner durch das Leipziger Stadtgericht zur Abnahme von Eidesleistungen herangezogen. Nach dem Ableben seiner Ehefrau 1830 verbrachte Ulmann den Rest seines Lebens als Witwer. Die Eheschließung seines einzigen Kinds Eleonore mit Eduard Boas bedeutete für den betagten Ulmann einen nicht unwesentlichen Vorteil, da er von seinem ehemaligen Schützling nun selbst finanzielle Unterstützung erfuhr, während ihm ansonsten nur sporadische Einnahmequellen, u.a. durch die Berliner Juden während der Leipziger Messe, zur Verfügung standen. Seine wirtschaftliche Situation blieb zeitlebens bescheiden, die Behörden selbst schätzten Ulmanns Vermögensumstände 1835 als mittelmäßig ein. Folglich entrichtete er auch nur eine vergleichsweise geringe Personensteuer, die 1818 lediglich einen Taler im Jahr betrug. Seit seiner Niederlassung in Leipzig lebte er hier ohne offizielle Konzession, deren Einreichung die zuständigen Stellen erst 1835 verlangten. Per Bittschreiben an das Ministerium des Innern und den Magistrat von Leipzig verwies Ulmann daraufhin im Juli 1835 u.a. auf seine Unbescholtenheit und auf den Umstand, seit 50 Jahren fern von seinem Geburtsort und nun schon seit 25 Jahren in seiner Wahlheimat Leipzig zu leben. Eine Verweigerung seines weiteren Aufenthalts müsse ihn „in die größte Verlegenheit versetzen.“ Im September 1835 ordnete die königliche Kreisdirektion an, Ulmann solle nicht daran gehindert werden, weiterhin in Leipzig zu leben. – In den jahrelangen Prozess der Herausbildung einer anerkannten jüdischen Gemeinde in der Stadt war Ulmann ebenfalls involviert - er gehörte dem am 30.1.1836 durch eine Versammlung gewählten Religionsvorstand als Kantor an. Allerdings stand inzwischen sein fortgeschrittenes Lebensalter einer Ausübung der Lehrerfunktion entgegen, wie der Dresdener Oberrabbiner Zacharias Frankel in einem Schriftsatz an das Dresdener Kultusministerium vom 26.10.1836 feststellte. In den Memoiren des Arzts Bernhard Hirschel, der ihn während seiner Leipziger Studentenzeit in den 1830er-Jahren kennenlernte, galt Ulmann als „ein frommer und würdiger Mann“, der ihm manche Geldunterstützung verschafft habe. Zugleich habe Ulmann, der „mit allen Großen vertraut“ war, eine „hohe Meinung von sich“ gehabt. Diese Erinnerungen deuten darauf hin, dass sich der Kantor über seinen Status und seine Vernetzung innerhalb der zu Leipzig ansässigen Judenschaft im Klaren war und entsprechend selbstbewusst auftreten konnte. Ende 1838 verstarb er noch mehrere Jahre vor dem endgültigen Abschluss der Leipziger Gemeindegründung im Alter von knapp 76 Jahren. Wegen seiner vielseitigen Aktivitäten für die hier lebenden Juden blieb der Name Ulmanns über seinen Tod hinaus im Gedächtnis, wie beispielsweise Bernhard Hirschels Erinnerungen belegen.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium des Kultus und des öffentlichen Unterrichts, Nr. 11131; Stadtarchiv Leipzig, 0006 Leichenschreiberei, Ratsleichenbücher Reg.-Nr. 483 (1839), 0008 Ratsstube, II. Sektion U 274b, J 246, J 290, B 1629, Kap. 42 F Nr. 1 Bd. 1; Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte [Ms.], Leo Baeck Institute Archives, LBI Memoir Collection, ME 316a.

Literatur Paul Benndorf, Der Alte Israelitische Friedhof in Leipzig, in: Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 10/1911, S. 127-132; Jacob Jacobson, Die Entstehung der Israelitischen Religionsgemeinde, in: Aus Geschichte und Leben der Juden in Leipzig. Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Leipziger Gemeindesynagoge, hrsg. vom Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde, Leipzig 1930, S. 27-42; Arno Kapp, Miszellen. Elkan Herz, der Freund und Verwandte Josef Mendelssohns, der Vater der ersten Leipziger liberalen Judengemeinde, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 4/1932, H. 4, S. 198-202; Thomas Schinköth, Jüdische Musiker in Leipzig 1855-1945, Altenburg 1994; Josef Reinhold, Jüdischer Messebesuch und Wiederansiedlung von Juden in Leipzig im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. von der Ephraim-Carlebach-Stiftung, Leipzig 1994, S. 12-27; ders., Die Entstehung einer jüdischen Großgemeinde. Vor 150 Jahren konstituierte sich die israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig, in: Sächsische Heimatblätter 43/1997, H. 3, S. 117-141; ders., Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
10.4.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Wolff Ulmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27930 [Zugriff 25.5.2025].

Wolff Ulmann



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium des Kultus und des öffentlichen Unterrichts, Nr. 11131; Stadtarchiv Leipzig, 0006 Leichenschreiberei, Ratsleichenbücher Reg.-Nr. 483 (1839), 0008 Ratsstube, II. Sektion U 274b, J 246, J 290, B 1629, Kap. 42 F Nr. 1 Bd. 1; Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte [Ms.], Leo Baeck Institute Archives, LBI Memoir Collection, ME 316a.

Literatur Paul Benndorf, Der Alte Israelitische Friedhof in Leipzig, in: Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 10/1911, S. 127-132; Jacob Jacobson, Die Entstehung der Israelitischen Religionsgemeinde, in: Aus Geschichte und Leben der Juden in Leipzig. Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Leipziger Gemeindesynagoge, hrsg. vom Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde, Leipzig 1930, S. 27-42; Arno Kapp, Miszellen. Elkan Herz, der Freund und Verwandte Josef Mendelssohns, der Vater der ersten Leipziger liberalen Judengemeinde, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 4/1932, H. 4, S. 198-202; Thomas Schinköth, Jüdische Musiker in Leipzig 1855-1945, Altenburg 1994; Josef Reinhold, Jüdischer Messebesuch und Wiederansiedlung von Juden in Leipzig im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. von der Ephraim-Carlebach-Stiftung, Leipzig 1994, S. 12-27; ders., Die Entstehung einer jüdischen Großgemeinde. Vor 150 Jahren konstituierte sich die israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig, in: Sächsische Heimatblätter 43/1997, H. 3, S. 117-141; ders., Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
10.4.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Wolff Ulmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27930 [Zugriff 25.5.2025].