Joseph Philipp Aaron
Der Lebensweg Joseph Philipp Aarons, Sohn des Hoffaktors, Juwelenhändlers und Gemeindeältesten Philipp Aaron, steht exemplarisch für die zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzende gesellschaftliche Etablierung einer zuvor noch weitgehend rechtlosen gesellschaftlichen Randgruppe in der sächsischen Residenzstadt Dresden. Als treuer Sachwalter der väterlichen Privatsynagogenstiftung, aber auch als Gegenpart zu den Zentralisierungsbestrebungen des machtbewussten Oberrabbiners Dr. Zacharias Frankel hat der stets energisch für sein Recht kämpfende Aaron eine eigene Rolle in der frühen Entwicklung der Dresdner Gemeinde gespielt. – Joseph Philipp Aarons Vater wurde von dem Dresdner Stadtrichter Christian Gottfried Heyme als eingebildeter, keinen Widerspruch vertragender Despot sowie Gegner einer jüdischen Schule geschildert . Bereits vor dem Tod des Vaters hat Joseph Philipp dessen sehr einträgliche Geschäfte besorgt. 1797 ist er als „Handelsjude“, wohnhaft auf der Wilsdruffer Gasse 201, aufgeführt, in einem Personensteuerverzeichnis (1799-1801) wird er mit seinem Hauspersonal (Magd, Kinderfrau) ebenso wie seine verwitwete Mutter (Zahnsgasse 75) in der höchsten Steuerklasse aufgeführt. – Als Bekleidungs- und Stoffhändler sah sich Aaron naturgemäß mit säumigen Zahlern konfrontiert; z.B. klagte er 1795 wegen nicht bezahlter Warenlieferungen in Höhe von rund 166 Reichstalern gegen die Erben der
Hedwig Elisabeth Auguste von Schönberg. Anfang 1818 wurde der zu diesem Zeitpunkt auf der Schloßgasse Nr. 328 II wohnhafte Aaron wegen einer bereits gerichtlich anerkannten Forderung aus einem Wechselgeschäft von 1791 durch den sächsischen Major
Carl August von Leonhardi, später Stadtkommandant zu Dresden, und dessen Bedienten
Johann Paul Daege bedroht und mit Schlägen verletzt. Aus seiner Klage entwickelte sich ein aufwändiges und langwieriges Gerichtsverfahren, das erst 1823 mit der Erstattung der Gerichtskosten, einem geringfügigen Schmerzensgeld sowie einem dreimonatigen Festungsarrest für den Haupttäter zum Abschluss kam. – Bereits seit 1800 hatte der unter gesundheitlichen Problemen leidende Aaron immer wieder die Sommermonate bei dem Linkeschen Bad vor den Dresdner Stadttoren verbracht. Aus dem genehmigten Gesuch um ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in der bisherigen Sommerwohnung Antonsplatz 57A (Seevorstadt) geht 1825 hervor, dass er seine Geschäftstätigkeit beendet hatte und dort mit seinen Töchtern als Mieter von jährlichen Zinserträgen in Höhe von 240 Talern lebte. 1830 bezeichnete ihn die Dresdner Stadtpolizeibehörde als ordentlichen und nicht unbemittelten Mann. – Nach dessen Tod führte Aaron die von seinem Vater gegründete Privatsynagoge (Betsaal) mit einem Fassungsvermögen von 51 Besuchern und täglichem Gottesdienst auf der Zahnsgasse (heute: Seegasse 8) weiter und fungierte als Vorsteher der dazugehörigen Schule. Mehrfach trat er als Autor von Gelegenheitsschriften wie Fürbittgebeten in Erscheinung, die auf Hebräisch von der dortigen Gemeinde gesprochen wurden. Bei der väterlichen Stiftung handelt es sich um die erste Dresdner Stiftung zur Unterstützung des jüdischen Kultus; an seinem Sterbe- sowie am Jom Kippur-Tag sollte des Stifters gedacht werden. 1801 unterzeichnete Aaron als Vorsteher einer der damals bestehenden sechs Privatschulen das Protokoll bei der Wahl von David Wolff Landau zum Dresdner Oberrabbiner, 1813 wird er als gewählter Gemeindedeputierter genannt. – Nachdem Aaron von den Plänen für einen Synagogenneubau in der Gemeinde und dem in diesem Zusammenhang beabsichtigten Zugriff der Ältesten auf das beim Stadtgericht Dresden hinterlegte Stiftungsvermögen seines Vaters (5.000 Taler) erfahren hatte, protestierte er 1836 energisch beim zuständigen Ministerium des Kultus und Öffentlichen Unterrichts. Als 1838 die Errichtung einer öffentlichen Synagoge in Dresden gestattet und die Weiterführung von Privatsynagogen nur bis zu deren Eröffnung erlaubt wurde, eskalierte der Konflikt zwischen der bauwilligen Gemeinde und den Erben des Stifters. Dennoch konnten einige Ausstattungsgegenstände wie Gesetzesrollen und Leuchter für den künftigen Gottesdienst in der neuen Synagoge übernommen werden (1838), während sich Aaron gegenüber dem Ministerium bereit erklärte, seine Betstube bis zur Fertigstellung der neuen Synagoge weiterzuführen. 1840 wurde das restliche Inventar der verlassenen Privatsynagoge in gerichtliche Verwahrung genommen und schließlich 1846 den Gemeindevorstehern übergeben. In der Hauptsache wehrten sich Aaron sowie die übrigen Erbberechtigten gegen die verfügte Verwendung der Zinserträge für den Unterhalt der neuen Synagoge und klagten letztlich erfolglos auf Herausgabe des Stiftungskapitals (1838-1845). – Das genaue Todesdatum des mittlerweile hochbetagten Aaron konnte bisher nicht ermittelt werden. Während er im Dresdner Adressbuch von 1841 letztmalig genannt wird, deuten die Prozessakten auf ein Ableben nach 1845 hin.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10036 Finanzarchiv, Loc. 41503, Rep. 59, Lit. D, Nr. 1722a, 10079 Landesregierung, Loc. 30954/5, 31019/1-2, 10684 Stadtgericht Dresden, Nr. 1335, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 11131, 11132, 11321 Generalkriegsgericht, Nr. 11678, 11679; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20392 Rittergut Gnandstein, Nr. 957; Stadtarchiv Dresden, 2.1 Ratsarchiv, C.XLII.215, C.XLII.238k. – Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner 1/1797, S. 41; Dresdner Adress-Handbuch 1841, S. 1; Daniela Wittig, Das Verzeichniß der Ruhenden auf dem israelitischen Friedhof zu Dresden aus dem Jahre 1852: Auswertung und Ergebnisse, in: Medaon 9/2015, H. 16, S. 1-67.
Werke Tefilah she - mitpalelim be ad geviratenu …, Dresden 1796; Danklied bey der Rückkehr unsers geliebtesten Königs Friedrich August … aus Warschau nach Dresden, Dresden 1808; Gebet für Prinzessin Amalia Augusta wegen Entbindung von einem Prinzen am 23. April 1828, Dresden 1828.
Literatur Emil Lehmann, Aus alten Acten. Bilder aus der Entstehungsgeschichte der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden, Dresden 1886; ders., Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden, Dresden 1890; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Dresden. Von den ersten Juden bis zur Blüte der Gemeinde und deren Ausrottung, Darmstadt 1973; Dresdner Hefte 45/1996; Einst & jetzt: zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und der Landeshauptstadt Dresden, Dresden 2001; Cornelia Wustmann, „Das Ideal will nicht gelobt, es will gelebt werden“. Jüdische Wohlfahrt am Beispiel der wohltätigen jüdischen Stiftungen in Dresden und Leipzig, St. Katharinen 2002; Kerstin Hagemeyer, Jüdisches Leben in Dresden, Dresden 2002; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - Jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Konstantin Hermann, Vereine in Dresden 1831 bis 1871, in: Dresdner Geschichtsbuch, Bd. 13, Altenburg 2008, S. 76-96; Gunda Ulbricht/Olaf Klöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013.
Jochen Vötsch
21.7.2025
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Joseph Philipp Aaron,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27852 [Zugriff 13.9.2025].
Joseph Philipp Aaron
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10036 Finanzarchiv, Loc. 41503, Rep. 59, Lit. D, Nr. 1722a, 10079 Landesregierung, Loc. 30954/5, 31019/1-2, 10684 Stadtgericht Dresden, Nr. 1335, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 11131, 11132, 11321 Generalkriegsgericht, Nr. 11678, 11679; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20392 Rittergut Gnandstein, Nr. 957; Stadtarchiv Dresden, 2.1 Ratsarchiv, C.XLII.215, C.XLII.238k. – Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner 1/1797, S. 41; Dresdner Adress-Handbuch 1841, S. 1; Daniela Wittig, Das Verzeichniß der Ruhenden auf dem israelitischen Friedhof zu Dresden aus dem Jahre 1852: Auswertung und Ergebnisse, in: Medaon 9/2015, H. 16, S. 1-67.
Werke Tefilah she - mitpalelim be ad geviratenu …, Dresden 1796; Danklied bey der Rückkehr unsers geliebtesten Königs Friedrich August … aus Warschau nach Dresden, Dresden 1808; Gebet für Prinzessin Amalia Augusta wegen Entbindung von einem Prinzen am 23. April 1828, Dresden 1828.
Literatur Emil Lehmann, Aus alten Acten. Bilder aus der Entstehungsgeschichte der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden, Dresden 1886; ders., Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden, Dresden 1890; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Dresden. Von den ersten Juden bis zur Blüte der Gemeinde und deren Ausrottung, Darmstadt 1973; Dresdner Hefte 45/1996; Einst & jetzt: zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und der Landeshauptstadt Dresden, Dresden 2001; Cornelia Wustmann, „Das Ideal will nicht gelobt, es will gelebt werden“. Jüdische Wohlfahrt am Beispiel der wohltätigen jüdischen Stiftungen in Dresden und Leipzig, St. Katharinen 2002; Kerstin Hagemeyer, Jüdisches Leben in Dresden, Dresden 2002; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - Jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Konstantin Hermann, Vereine in Dresden 1831 bis 1871, in: Dresdner Geschichtsbuch, Bd. 13, Altenburg 2008, S. 76-96; Gunda Ulbricht/Olaf Klöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013.
Jochen Vötsch
21.7.2025
Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Joseph Philipp Aaron,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27852 [Zugriff 13.9.2025].