Isidor Kaim

Isidor Kaim war der erste jüdische Rechtsanwalt in Sachsen und erlangte v.a. als unermüdlicher Streiter für die Emanzipation der Juden in Sachsen Bedeutung. – Mit 15 Geschwistern wuchs Kaim in einem wohlhabenden Elternhaus auf. Der Vater, Kaim Samuel, war Juwelenhändler, und stand als einer von drei Ältesten (neben Hirsch Beer und Mendel Schie) der Jüdischen Gemeinde in Dresden vor. Kaim besuchte in seiner Heimatstadt ein Gymnasium und schloss die höhere Schulbildung mit dem Abitur ab. Im Oktober 1838 begann er an der Universität Leipzig das Medizinstudium, wechselte nach drei Monaten jedoch zur Juristischen Fakultät und studierte hier als erster sächsischer Jude die Rechtswissenschaften. Als Student in Leipzig begann sein Engagement für die rechtliche Gleichstellung der Juden in Sachsen. Kaim orientierte sich am Hamburger jüdischen Juristen und Vorkämpfer der Emanzipation der Juden Gabriel Riesser, der ihm in seinem Streben zum Vorbild wurde. – Anfang 1840 gehörte Kaim u.a. gemeinsam mit Joseph Bondi zu den Gründern des jüdischen Vereins Jeschuat-Achim (Bruderhilfe) in Leipzig. Der Verein unterstützte jüdische Studierende, die sich in einer finanziellen Notlage befanden. In Leipzig schloss Kaim nähere Bekanntschaft zu dem Bibliografen und Orientalisten Moritz Steinschneider, der 1840 an der Universität studierte, sowie zu dem Orientalisten Julius Fürst und dem Theologen Franz Julius Delitzsch. Nach seiner Rückkehr nach Berlin gründete Steinschneider dort einen jüdischen Studentenverein, dem auch Kaim und Fürst beitraten. – Unter dem Pseudonym K. Sidori erschien 1840 die erste Monografie Kaims, eine rechtsgeschichtliche Studie über Juden in Sachsen. Er nutzte dieses Pseudonym in Veröffentlichungen bis zum Ende seines Studiums. Durch argumentative Beharrlichkeit und Befürwortung der Universität erreichte Kaim 1841 seine Zulassung zum Examen an der Juristenfakultät. Das sächsische Ministerium des Kultus und Unterrichts hatte zuvor versucht, den jüdischen Rechtsstudenten zu übergehen, da man der Auffassung war, dass nur Männer christlicher Konfession einen staatsnahen Beruf ausüben sollten. 1842 übernahm das Stadtgericht Leipzig Kaim als ersten Juden in Sachsen in den juristischen Vorbereitungsdienst und musste sich deshalb gegenüber dem Sächsischen Gesamtministerium rechtfertigen. In der Folge setzte sich Kaim mit Eingaben an das Gesamtministerium für die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden ein. Er wurde auf diese Weise zu einem unermüdlichen Kämpfer für die Emanzipation der Juden in Sachsen. – 1844 beantragte Kaim die Ernennung zum Notar. Sein Gesuch wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der Paragraf 2 der Notariatsordnung Kaiser Maximilians I. vom 8.10.1512 Nichtchristen von diesem Amt ausschloss. 1845 reichte Kaim ein Gesuch um Zulassung als Advokat ein, dem am 22.11.1845 aus „Billigkeitsgründen“, nachdem Kaim bei König Friedrich August II. vorgesprochen hatte, stattgegeben wurde. Im Gegenzug legte das Gesamtministerium fest, dass zukünftig für jüdische Studierende eine Aussicht auf eine Zulassung zur Advokatur auszuschließen sei. Wie alle Kandidaten musste Kaim eine vorgeschriebene Wartezeit überbrücken. Im Oktober 1847 stellte Kaim einen Antrag auf Niederlassung in Leipzig und konnte dort schließlich im Februar 1848 als Advokat tätig werden. Seinen Arbeitsraum bezog er in „Schwabes Hof“ auf dem Brühl. Damit übte erstmals ein Jude die Advokatur in Sachsen aus. Erst 1862 erhielt wieder ein Jude die Zulassung als Advokat. Im Juli 1848 beantragte Kaim das Bürgerrecht der Stadt Leipzig, das er ein Jahr später erhielt. – Während der Revolution von 1848/1849 engagierte sich Kaim im 1848 in Leipzig von Heinrich Wuttke, Julius Fürst und Gustav Kühne gegründeten Verein zur Wahrung der deutschen Interessen an den östlichen Grenzen und war ein engagiertes Mitglied im Vaterlandsverein. Darüber hinaus publizierte er u.a. in der von Fürst herausgegebenen Zeitschrift „Der Orient“ und wirkte als Redner z.B. bei Vereinsversammlungen. Dabei warb er für einen deutschen Nationalstaat mit einem erblichen Kaisertum. – Nach der Niederschlagung der Revolution konzentrierte sich Kaim auf seine anwaltliche Tätigkeit und vertrat vorwiegend Handelssachen vor dem Leipziger Handelsgericht. Als er 1851 die Mandantschaft in der Ehesache eines christlichen Ehepaars übernahm, führte dies zu einem Konflikt mit dem Gericht, das ihn als Anwalt zurückwies. Die Beschwerde von Kaim entschied das Justizministerium dahingehend, dass er von den Gerichten in Ehesachen christlicher Mandanten generell nicht zugelassen werden sollte. – Im März 1854 wurde Kaim unter dem Vorwurf angeklagt, Wertpapiere eines Mandanten veruntreut zu haben. Das Appellationsgericht Leipzig verurteilte ihn wegen Veruntreuung, versuchten Betrugs und Begünstigung zu sechs Jahren Arbeitshaus. Auf das Urteil folgte der Ausschluss aus der Advokatur. Ein Gnadenakt König Johanns auf ein Bittschreiben Kaims führte zu einer Strafminderung von sechs Monaten. Kaim kam zunächst ins Georgenhaus am Leipziger Brühl, dann in das Landesarbeitshaus Zwickau. Nach der Entlassung 1859 kehrte Kaim kurzzeitig nach Leipzig zurück. Im April 1859 zog Kaim nach Dresden und 1863 nach Berlin, wo die Familie seines Bruders Salomon Kaim lebte. Auch in Berlin war Kaim publizistisch tätig: So veröffentlichte er den zweiten Teil zum Kirchenpatronatsrecht, dessen erster Teil 1845 erschienen war. Im zweiten Teil ordnete er das Kirchenpatronat dem Privatrecht zu und sah keine grundsätzlichen Hinderungsgründe, dass auch Juden als Kirchenpatrone fungieren konnten. Kaim war damit der erste Jurist jüdischen Glaubens, der zum Kirchenrecht publizierte.

Quellen Universitätsarchiv Leipzig, Rektor M: M 20-M 28 (Film 601/95-604/95)/ Rep. M 21_15757 (Matrikelabschrift); Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, Tit. LI (K), Nr. 103 Die vom Rechtskandidaten Kaim gesuchte Übersiedlung von Dresden nach Leipzig, 1842, Nr. 109 Des Israeliten Kaim Gesuch um das hiesige Notariat, 1844, ebd., II. Sekt. K/2205 Kaim, Isidor, Advokat. Heimatschein für das Ausland betr., 0050 Vereinigtes Kriminalamt, Rep. I, Nr. 14329 b, Bd. 1; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20057 Appellationsgericht Leipzig, Nr. 0050 Immatrikulation der Advokaten an den Untergerichten, 20080 Königliches Bezirksgericht Leipzig, Nr. 26 Untersuchung gegen Isidor Kaim aus Dresden wegen Diebstahls.

Werke Geschichte der Juden in Sachsen mit besonderer Rücksicht auf ihre Rechtsverhältnisse, Leipzig 1840; Gabriel Riesser, in: Carl Maien/Siegmund Frankenberg (Hg.), Jeschurun. Taschenbuch für Schilderungen und Anklänge aus dem Leben der Juden auf das Jahr 5601 israelischer Zeitrechnung, Leipzig 1841, S. 1-20; Die Bedeutsamkeit der Juden in Leipzig, Leipzig 1842; Ein Wort über die rechtlichen Zustände der Juden im Preussischen Staate, Leipzig 1842; Die Beschränkung der Juden in den Zollvereinsbestimmungen auf dem Gebiete des Handels und der Gewerbe, gegenüber den Zollvereinsverträgen und ihrem Geist, in: Zur Judenfrage in Deutschland. Monatsschrift für Besprechung der politischen, religiösen und socialen Zustände der deutschen Israeliten 1843, Heft Januar, S. 42-53, Heft März, S. 183-198, Heft April, S. 259-279; Juden, in: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten, Bd. 5, Leipzig 1844, S. 813-863; Das Kirchenpatronatsrecht nach seiner Entstehung, Entwickelung und heutigen Stellung im Staate mit steter Rücksicht auf die ordentliche Collatur, Erster Teil: Die Rechtsgeschichte, Leipzig 1845; Zur Beantwortung der Frage: ob und auf welche Weise im Königreich Sachsen Juden zur Advocatur, zum Notariat und dem Staatsdienst zugelassen werden können?, in: Archiv für sächsische Juristen 1/1845/1846, S. 127-154; Die Beschränkungen auswärtiger Juden im Königreiche Sachsen, auf Messen und Märkten und durch die Verordnung vom 6. Mai 1839, Leipzig 1848; Zur kritischen Beleuchtung des Kirchenstreites im Großherzogthum Baden. Rückblicke. Consequenzen, Leipzig 1854; Die Reform des Handelsgerichts zu Leipzig, Leipzig 1860; Revision der Sächsischen Rezesse von 1740 und 1835 mit dem Hause Schönburg, Leipzig 1860; Der sächsische Entwurf einer evangelisch-lutherischen Kirchenordnung im Lichte des Protestantismus, Leipzig 1861; Das Kirchenpatronat nach den Grundsätzen der katholischen und protestantischen Kirche und dem Partikularrecht in und außer Deutschland, Leipzig 1866; Das Kirchenpatronat nach den Grundsätzen der katholischen und protestantischen Kirche und dem Partikularrecht in und außer Deutschland, Zweiter Teil: Das Recht, Leipzig 1866; Ein Jahrhundert der Judenemancipation und deren christliche Vertheidiger. Rückblick auf Literatur und Geschichte, Leipzig 1869.

Literatur Hubert Lang, Isidor Kaim - Der erste jüdische Advocat in Sachsen, in: BRAK-Mitteilungen 31/2000, H. 4, S. 173-176; ders., „Denn die große Frage läuft am Ende nur darauf hinaus, zu wissen, ob die Juden Menschen sind.“ Isidor Kaim - der erste jüdische Advokat in Sachsen, in: Leipziger Blätter 37/2000, S. 80-82; Steffen Held, Isidor Kaim, in: Einst & Jetzt. Zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, Dresden 2001, S. 138; Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848-1953), Leipzig 2014, S. 407-410. – DBA II; Isidor Kaim, in: Jüdische Gelehrte an der Universität Leipzig, Leipzig 2022.

Steffen Held
30.1.2025


Empfohlene Zitierweise:
Steffen Held, Artikel: Isidor Kaim,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27565 [Zugriff 12.3.2025].

Isidor Kaim



Quellen Universitätsarchiv Leipzig, Rektor M: M 20-M 28 (Film 601/95-604/95)/ Rep. M 21_15757 (Matrikelabschrift); Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, Tit. LI (K), Nr. 103 Die vom Rechtskandidaten Kaim gesuchte Übersiedlung von Dresden nach Leipzig, 1842, Nr. 109 Des Israeliten Kaim Gesuch um das hiesige Notariat, 1844, ebd., II. Sekt. K/2205 Kaim, Isidor, Advokat. Heimatschein für das Ausland betr., 0050 Vereinigtes Kriminalamt, Rep. I, Nr. 14329 b, Bd. 1; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20057 Appellationsgericht Leipzig, Nr. 0050 Immatrikulation der Advokaten an den Untergerichten, 20080 Königliches Bezirksgericht Leipzig, Nr. 26 Untersuchung gegen Isidor Kaim aus Dresden wegen Diebstahls.

Werke Geschichte der Juden in Sachsen mit besonderer Rücksicht auf ihre Rechtsverhältnisse, Leipzig 1840; Gabriel Riesser, in: Carl Maien/Siegmund Frankenberg (Hg.), Jeschurun. Taschenbuch für Schilderungen und Anklänge aus dem Leben der Juden auf das Jahr 5601 israelischer Zeitrechnung, Leipzig 1841, S. 1-20; Die Bedeutsamkeit der Juden in Leipzig, Leipzig 1842; Ein Wort über die rechtlichen Zustände der Juden im Preussischen Staate, Leipzig 1842; Die Beschränkung der Juden in den Zollvereinsbestimmungen auf dem Gebiete des Handels und der Gewerbe, gegenüber den Zollvereinsverträgen und ihrem Geist, in: Zur Judenfrage in Deutschland. Monatsschrift für Besprechung der politischen, religiösen und socialen Zustände der deutschen Israeliten 1843, Heft Januar, S. 42-53, Heft März, S. 183-198, Heft April, S. 259-279; Juden, in: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten, Bd. 5, Leipzig 1844, S. 813-863; Das Kirchenpatronatsrecht nach seiner Entstehung, Entwickelung und heutigen Stellung im Staate mit steter Rücksicht auf die ordentliche Collatur, Erster Teil: Die Rechtsgeschichte, Leipzig 1845; Zur Beantwortung der Frage: ob und auf welche Weise im Königreich Sachsen Juden zur Advocatur, zum Notariat und dem Staatsdienst zugelassen werden können?, in: Archiv für sächsische Juristen 1/1845/1846, S. 127-154; Die Beschränkungen auswärtiger Juden im Königreiche Sachsen, auf Messen und Märkten und durch die Verordnung vom 6. Mai 1839, Leipzig 1848; Zur kritischen Beleuchtung des Kirchenstreites im Großherzogthum Baden. Rückblicke. Consequenzen, Leipzig 1854; Die Reform des Handelsgerichts zu Leipzig, Leipzig 1860; Revision der Sächsischen Rezesse von 1740 und 1835 mit dem Hause Schönburg, Leipzig 1860; Der sächsische Entwurf einer evangelisch-lutherischen Kirchenordnung im Lichte des Protestantismus, Leipzig 1861; Das Kirchenpatronat nach den Grundsätzen der katholischen und protestantischen Kirche und dem Partikularrecht in und außer Deutschland, Leipzig 1866; Das Kirchenpatronat nach den Grundsätzen der katholischen und protestantischen Kirche und dem Partikularrecht in und außer Deutschland, Zweiter Teil: Das Recht, Leipzig 1866; Ein Jahrhundert der Judenemancipation und deren christliche Vertheidiger. Rückblick auf Literatur und Geschichte, Leipzig 1869.

Literatur Hubert Lang, Isidor Kaim - Der erste jüdische Advocat in Sachsen, in: BRAK-Mitteilungen 31/2000, H. 4, S. 173-176; ders., „Denn die große Frage läuft am Ende nur darauf hinaus, zu wissen, ob die Juden Menschen sind.“ Isidor Kaim - der erste jüdische Advokat in Sachsen, in: Leipziger Blätter 37/2000, S. 80-82; Steffen Held, Isidor Kaim, in: Einst & Jetzt. Zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, Dresden 2001, S. 138; Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848-1953), Leipzig 2014, S. 407-410. – DBA II; Isidor Kaim, in: Jüdische Gelehrte an der Universität Leipzig, Leipzig 2022.

Steffen Held
30.1.2025


Empfohlene Zitierweise:
Steffen Held, Artikel: Isidor Kaim,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27565 [Zugriff 12.3.2025].