Georg Hermann von Broizem

Während des Ersten Weltkriegs war B. einer der beiden Militärbefehlshaber im Königreich Sachsen. In dieser mit beinahe diktatorischen Machtbefugnissen ausgestatteten Funktion wurde er zusammen mit Innenminister Christoph Johann Friedrich Graf Vitzthum von Eckstädt und dem Leipziger Militärbefehlshaber General Georg Hermann von Schweinitz zum wichtigsten staatlichen „Gestalter“ der sächsischen Innenpolitik. Bereits 1904 bis 1910 hatte B. mit dem Amt des Kommandierenden Generals des XII. (1. Königlich Sächsischen) Armeekorps die in Friedenszeiten - nach dem sächsischen Kriegsminister - stärkste Position im sächsischen Kontingent des deutschen Reichsheers inne. – Nach dem Abitur am Vitzthumschen Gymnasium in Dresden trat der aus einem ursprünglich braunschweigischen Adelsgeschlecht stammende B. 1868 als Offiziersanwärter in das sächsische Gardereiterregiment ein und wurde noch im selben Jahr zum Portepeefähnrich ernannt. 1869 zum Leutnant befördert, nahm er 1870/71 am Deutsch-Französischen Krieg teil. Von November 1871 bis November 1872 fungierte er als Regimentsadjutant. Im Anschluss an seine Teilnahme am Kriegsakademielehrgang in Berlin (1872-1875) leistete der 1874 zum Oberleutnant beförderte B. Dienst beim 1. Reiterregiment, das 1876 in 1. Husarenregiment Nr. 18 umbenannt wurde. Zweimal - 1877/78 und 1881/82 - wurde B. für je ein Jahr beim Preußischen Großen Generalstab eingesetzt. Mit Ausnahme dieser beiden Kommandierungen nach Berlin diente er ausschließlich in sächsischen Truppenteilen und Kommandobehörden. Zwischen 1879 und 1881 gehörte er dem Stab der 23. Infanteriedivision an. Er wurde 1879 zum Hauptmann, 1886 zum Major und 1890 zum Oberstleutnant befördert. Nach Verwendungen im Generalkommando des XII. Armeekorps und der 12. Kavalleriedivision (1882-1892) sowie einem rund einjährigen Intermezzo als Führer der 4. Eskadron des 1. Ulanenregiments 17 (1885/86) übernahm er 1892 das Gardereiterregiment. Bereits 1893 wurde B. zum Oberst befördert. 1895 erfolgte die Ernennung zum Chef des Generalstabs des XII. Armeekorps; Prinz Georg von Sachsen war nun sein direkter Vorgesetzter. 1898 wurden B. das Kommando über die Kavalleriebrigade 23 und zugleich die Führung der Geschäfte des Inspekteurs der Dresdner Militärreitanstalt übertragen. 1899 wechselte er als Kommandeur zur Kavalleriebrigade 32, 1902 zur 23. Infanteriedivision. Ab 1904 stand der 1897 zum Generalmajor, 1901 zum Generalleutnant und 1904 zum General der Kavallerie beförderte B. als Nachfolger von Prinz Friedrich August an der Spitze des Generalkommandos des XII. Armeekorps in Dresden. Aus Altersgründen und wegen einer Herzkrankheit nahm B. 1910 seinen Abschied aus dem aktiven Dienst. – Den ausgezeichneten Ruf, den B. beim sächsischen Hof und Militär genoss, dokumentieren zahlreiche Auszeichnungen. König Albert ernannte ihn 1900 zum „Diensttuenden General à la suite Seiner Majestät“ und ein Jahr später zu seinem diensttuenden Generaladjutanten. König Friedrich August III. stellte ihn 1909 à la suite des Gardereiterregiments und verlieh ihm 1910 den Hausorden der Rautenkrone. – Die eigentliche Bewährungsprobe erfolgte für B. indes erst nach Kriegsausbruch 1914. Anfang August 1914 im Alter von 63 Jahren als stellvertretender Kommandierender General des XII. (1. Königlich Sächsischen) Armeekorps reaktiviert, übernahm er auf der Grundlage des Kriegszustandsrechts die vollziehende Gewalt in den Kreishauptmannschaften Dresden und Bautzen sowie den Amtshauptmannschaften Flöha und Marienberg. Seine Zuständigkeit beschränkte sich nicht allein auf im engeren Sinn militärische Aufgaben, wie die im Kriegsverlauf zunehmend problematisch werdende Sicherstellung des Personalersatzes für die aktiven sächsischen Truppenteile. Als Militärbefehlshaber verfügten B. und der für Westsachsen verantwortliche stellvertretende Kommandierende General des XIX. (2. Königlich Sächsischen) Armeekorps Schweinitz vielmehr auch über außerordentliche Kompetenzen auf zivilem Gebiet: Zum einen waren B. die Gemeinde- und Zivilverwaltungsbehörden formal unterstellt, zum anderen nahm er auf ein weites Feld innenpolitischer, sozialer und wirtschaftlicher Fragen Einfluss. Dazu gehörten u.a. das Erhalten von Ruhe und Ordnung, die Pressezensur und die Kommunikationskontrolle, die Propaganda, das Bewirtschaften bedeutender Teile des Arbeits- und Gütermarkts, das Schlichten von Streiks, das Zusammen- oder Stilllegen von Betrieben und die Ernährung der sog. kriegswirtschaftlich tätigen Bevölkerung. Im Rahmen dieser „Nebenregierung“ agierte B. um einiges konzessionsbereiter, reformfreundlicher und letztlich moderner als die sächsische Regierung unter der Führung des wenig flexiblen Innenministers Graf Vitzthum von Eckstädt. B. starb während der Ausübung seiner Tätigkeit als Militärbefehlshaber 1918 an einem Herzinfarkt. – B. war Mitglied und zeitweise zweiter Vorsitzender im Verein für Erdkunde Dresden sowie seit 1911 Mitarbeiter im „Landesausschuß für die Jugend zwischen Schul- und Wehrpflicht“. Der Schriftsteller Ludwig Renn beschrieb den hoch gebildeten und in politischen und militärischen Fragen weitsichtigen B. in seinem 1944 erschienenen autobiografischen Roman „Adel im Untergang“ als den „witzigsten aller sächsischen Offiziere, von dem es Dutzende von Anekdoten gab“. Einerseits unbedingt dem deutschen Kaiser und dem sächsischen König verpflichtet und antisozialdemokratisch eingestellt, realisierte B. früh, dass die Monarchie und mit ihr die Stellung der Herrscherhäuser nur durch eine langfristige Verbesserung der Lebensbedingungen der Unterschichten zu bewahren gewesen wären.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Personalakten, Familiennachlass von Broizem.

Werke Eine Schlacht der Zukunft, Dresden 1890.

Literatur Kalender für den sächsischen Staatsbeamten auf das Jahr 1916, Dresden 1916, S. 9 f. (Bildquelle); P. Mertens, Militärisch-zivile Zusammenarbeit während des Ersten Weltkriegs, Leipzig 2004, S. 183-186. – DBA II, III; DBE 2, S. 144.

Porträt W. Höffert, um 1898, Foto, Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden, Va 44715.

Peter Mertens
30.1.2006


Empfohlene Zitierweise:
Peter Mertens, Artikel: Georg Hermann von Broizem,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/805 [Zugriff 2.11.2024].

Georg Hermann von Broizem



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Personalakten, Familiennachlass von Broizem.

Werke Eine Schlacht der Zukunft, Dresden 1890.

Literatur Kalender für den sächsischen Staatsbeamten auf das Jahr 1916, Dresden 1916, S. 9 f. (Bildquelle); P. Mertens, Militärisch-zivile Zusammenarbeit während des Ersten Weltkriegs, Leipzig 2004, S. 183-186. – DBA II, III; DBE 2, S. 144.

Porträt W. Höffert, um 1898, Foto, Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden, Va 44715.

Peter Mertens
30.1.2006


Empfohlene Zitierweise:
Peter Mertens, Artikel: Georg Hermann von Broizem,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/805 [Zugriff 2.11.2024].