Andreas Schubert

S., als Sohn verarmter Bauern geboren, führten glückliche Umstände in die Familie des Leipziger Polizeipräsidenten Ludwig Ehrenfried von Rackel, dessen Pflegesohn er wurde. An der dortigen Thomasschule erhielt er eine fundierte Ausbildung. Nach dem Umzug der indessen verwitweten Pflegemutter zu ihrem Bruder, dem Kommandanten der Festung Königstein, besuchte er dort die Garnisonsschule und nahm privaten Unterricht beim Pfarrer von Königstein. 1821 bis 1824 war S. Internatszögling des Freimaurerinstituts zu Dresden-Friedrichstadt. Diese Zeit war prägend für den jungen S., zeitlebens blieb er der Loge „Zu den drei Schwertern” verbunden. – Die hervorragende musische und humanistische Bildung prädestinierte S. für ein Studium an der Königlichen Kunstakademie. Da die dortigen Ausbildungsplätze 1824 bereits vergeben waren, wählte er das Architekturfach in der angeschlossenen Bauschule. Während des Studiums trat seine außergewöhnliche mathematische und technische Begabung zu Tage. In der Werkstatt des Dresdner Hofmechanikers Rudolf Sigismund Blochmann lernte er als Volontär die handwerkliche Seite des Maschinenbaus kennen und wurde zugleich in die Problematik der Maschinenkonstruktion eingeführt. Der den Künsten zugeneigte S. wandte sich nunmehr dem Ingenieurwesen zu, das sich, noch zwischen Kunst und Wissenschaft stehend, im Zuge der Industrialisierung rasch zu einem weit gefächerten Ausbildungsbereich entfaltete. – 1828 trat er folgerichtig als Lehrkraft für Buchhaltung und zweiter Lehrer für Mathematik in die neu gegründete Technische Bildungsanstalt Dresden ein und wurde bereits 1832 als Professor bestallt. S. verkörperte in der Frühzeit polytechnischer Schulen einen Lehrertypus mit breiter disziplinärer Orientierung und vielgestaltigem Berufsbild, der es verstand, Lehre, wissenschaftliche Tätigkeit und praktische Berufsausübung miteinander zu verknüpfen. Dies entsprach ganz den Erfordernissen seiner Zeit, in der man versuchte, Gewerbeförderung und industrielle Entwicklung über eine solide Ausbildung von praktischen Mechanikern voranzubringen. – Gerade auf dem Gebiet des Maschinenbaus schickte sich Sachsen in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts an, mit England, der „Werkstatt der Welt“, zu konkurrieren. So wurden insbesondere S.s Lehrfächer, der Maschinenbau und der Eisenbahnbau, zum Motor der sächsischen Industrialisierung. Seine Englandreise 1834 sowie der anschließende Besuch großer sächsischer Industrie- und Gewerbebetriebe dienten dem notwendigen Wissens- und Technologietransfer. Auf dieser Basis bildete S. schon bald einen Stamm von Maschinenbauern heran, denen es gelang, englische Maschinen durch originelle Neuentwicklungen zu verbessern und zu übertreffen. – Darüber hinaus nahm S. wesentlichen Einfluss auf die Art und Weise der Ausbildung von Technikern und Ingenieuren. 1835 erhielt die Dresdner Bildungsanstalt ein neues Organisationsstatut, in dem eine Verbreiterung der wissenschaftlichen Basis der Lehre verankert war. Den Weg der expandierenden Schule von praktisch-mechanischen Kursen in den beengten Räumen eines Pavillons auf der Brühlschen Terrasse zu einer großzügig ausgestatteten Polytechnischen Schule, welche mit dem Neubau am Antonsplatz 1846 ein repräsentatives Domizil beziehen konnte, hat keiner so geprägt wie ihr technischer Hauptlehrer S. Die wissenschaftliche Qualität und Ausstrahlung der Bildungsanstalt erfuhr damit einen deutlichen Impuls. S.s Hauptlehrgebiete, die Technische Mechanik, Baulehre und Maschinenkunde, avancierten zu den zentralen Fächern der Schule. Die 1830er-Jahre stellten die schöpferischste Periode in seiner Lehrtätigkeit dar. Bei den Schülern war S. überaus beliebt, er verstand sie mit seinem anschaulichen und lebendigen Unterricht zu fesseln. Auch die ersten Sammlungen von Modellen und Vorlagen für den Unterricht gingen auf seine Initiative zurück. Zugleich war S. damals zuversichtlich, der eindrucksvollen Technikentwicklung in Großbritannien eigene Wege entgegensetzen zu können. Als Mitglied der Kommission zur Gründung der „Sächsischen Elbe-Dampfschiffahrts-Gesellschaft“ war er maßgeblich an der Vorbereitung dieses zukunftsweisenden Unternehmens beteiligt. Für die ersten Elbdampfschiffe konstruierte S. die eisernen Schiffskörper, fertigte in Übigau bei Dresden die Kessel und montierte die aus Berlin gelieferten Dampfmaschinen. Zu Unrecht wurden ihm die Schwierigkeiten beim Probebetrieb der Schiffe angelastet. 1836 nahm S. zudem das unternehmerische Risiko auf sich, in Übigau eine Maschinenbau-Aktiengesellschaft zu gründen. Auch in diesem Unternehmen hatte er jedoch keine glückliche Hand. Obgleich die unter seiner Leitung konstruierte und gefertigte „Saxonia“, die 1839 als erste deutsche Dampflokomotive anlässlich der Einweihung der Eisenbahnstrecke Leipzig-Dresden in Dienst gestellt wurde, eine Pionierleistung darstellte, gelang ihm damit nicht der wirtschaftliche Durchbruch. Als Unternehmer war der exzellente Techniker S. weniger erfolgreich. Im Frühjahr 1839 zog er sich - nicht zuletzt aus finanziellen Gründen - als technischer Direktor der Übigauer Maschinenbauanstalt zurück und nahm nach mehr als zweijähriger Beurlaubung von seinem Lehramt den Unterricht an der Technischen Bildungsanstalt wieder auf. 1841 erfolgte schließlich die Liquidation des Übigauer Unternehmens, mit dem er nach seinem Ausscheiden noch durch eine Beraterfunktion verbunden war. Zwar brachten diese Erfahrungen einerseits einen erheblichen Gewinn an Praxisbezogenheit und technischer Vielseitigkeit für die künftige Technikerausbildung, andererseits zog sein Engagement als Unternehmer zusätzliche Schwierigkeiten nach sich. Dazu zählten Qualitätseinbrüche in der von ihm geführten oberen Klasse, Missstimmungen im Lehrerkollegium sowie Querelen angesichts der wirtschaftlichen Misere der Übigauer Aktiengesellschaft. In dieser für S. äußerst angespannten Zeit kam hinzu, dass er bei der Besetzung der vakant gewordenen Stelle des Schulvorstehers umgangen und stattdessen der aus Berlin kommende Friedrich August Seebeck berücksichtigt wurde. Der einst von einem großen Optimismus gegenüber dem technischen Fortschritt besessene S. war nun von Verbitterung und Gereiztheit gezeichnet. Allein seine Schüler sowie die Lehrerschaft, v.a. der mit minimalen Mitbestimmungsrechten ausgestattete Lehrerverein, standen mehrheitlich hinter ihm. – Während der Zeit der 1848er-Revolution war diese besondere Autorität von S. gefragt, um Eskalationen abzuwenden. Insbesondere in den unruhigen Maitagen von 1849 übte S. als Zugführer der technischen Kompanie mäßigenden Einfluss auf die Studenten aus. Daraufhin wurde ihm nach dem frühen Ableben von Direktor Seebeck zeitweise die kommissarische Direktorenstelle übertragen. Als hauptamtlicher Schulvorsteher passte S. freilich nicht in das Bild einer restaurativen Gesellschaft, die sich sehr schnell ihrer fortschrittlichen Kräfte entledigt hatte. Dass schließlich nicht er, sondern der aus Chemnitz kommende Julius Ambrosius Hülsse 1850 mit dem Direktorat der Bildungsanstalt (seit 1851 Polytechnische Schule) betraut wurde, muss S. wohl als Herabwürdigung seiner Leistungen und seines Einsatzes empfunden haben. – S.s Engagement in öffentlichen Angelegenheiten zeigte sich u.a. in seiner maßgeblichen Beteiligung an der Gründung des Sächsischen Ingenieur-Vereins (1846), in seiner Tätigkeit als Dampfkesselinspektor für die Kreishauptmannschaft Dresden-Bautzen sowie als Mitglied der Technischen Deputation des Sächsischen Ministeriums des Innern. Von 1850 bis zu seinem Austritt aus dem Lehramt 1869 vollzog S. einen Lehrgebietswechsel hin zum Bauingenieurwesen, namentlich zum Straßen-, Eisenbahn- und Brückenbau. Damals hatte er den Zenit seines wissenschaftlichen und ingenieurpraktischen Schaffens jedoch bereits überschritten. Die Zeit des universellen Polytechnikers ging zu Ende, an den technischen Bildungsstätten erfolgte eine zunehmende Aufspaltung in ingenieurtechnische Spezialdisziplinen. 1851 wurde S. Vorstand der Bauingenieurabteilung der Polytechnischen Schule. Hervorzuheben ist darüber hinaus seine Gutachtertätigkeit beim Bau des Elstertal- und Göltzschtalviadukts. S.s Bemühungen um die Anwendung wissenschaftlicher Methoden in der Baupraxis waren damals allerdings noch Grenzen gesetzt, sodass seine Leistung im Zusammenhang mit diesen beiden großen Eisenbahnbrücken oft etwas überbewertet worden ist. – Als S. 1869 hoch geehrt aus dem Schuldienst ausschied, stand das Dresdner Polytechnikum an der Schwelle zu einer Ausbildungsstätte mit Hochschulcharakter. Viele seiner Schüler hatten als wissenschaftlich vorgebildete Ingenieure Anteil an der Industrialisierung des Lands. Darunter befinden sich klangvolle Namen, wie der des Eisenbahningenieurs Max Maria von Weber, des Maschinenbauprofessors Christian Moritz Rühlmann, des Geodäten August Nagel sowie des Architekten Rudolf Heyn. Späte Ehrungen wurden S. 1859 mit der Verleihung des Ritterkreuzes des Sächsischen Verdienstordens sowie 1869 mit der Ernennung zum Regierungsrat zuteil. – Wie bei kaum einem anderen Dresdner Hochschullehrer rankten sich um das Schaffen von S. zahlreiche Mythen und Legenden. Sein sozialer Aufstieg aus einfachen Verhältnissen sowie seine liberale Haltung wurden unter ganz unterschiedlichen ideologischen Prämissen instrumentalisiert. Noch heute findet S.s Lebenswerk in Dresden und darüber hinaus höchste Anerkennung.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden, Nachlass S.

Werke Handbuch der Mechanik für Praktiker, Dresden/Leipzig 1832; Elemente der Maschinenlehre, Dresden/Leipzig 1842-1844; Theorie der Konstruktion steinerner Bogenbrücken, Dresden/Leipzig 1847-1848; Beitrag zur Berichtigung der Theorie der Turbinen, Dessau 1850.

Literatur A. Weichold, Johann Andreas S. Lebensbild eines bedeutenden Hochschullehrers und Ingenieurs aus der Zeit der industriellen Revolution, Leipzig 1968; Johann Andreas S. Ein sächsischer Lehrer und Ingenieur, Ausstellungskatalog, Dresden 1995. – DBA II, III; DBE 9, S. 160; D. Petschel (Bearb.), Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 874f.

Porträt Porträt Johann Andreas S., L. Kriebel, um 1840, Ölgemälde, Deutsches Museum München; Altersbildnis Johann Andreas S., H. Krone, um 1865, Foto im Visitformat, Technische Universität Dresden, Hermann-Krone-Sammlung, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Klaus Mauersberger
22.5.2006


Empfohlene Zitierweise:
Klaus Mauersberger, Artikel: Andreas Schubert,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3593 [Zugriff 22.12.2024].

Andreas Schubert



Quellen Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden, Nachlass S.

Werke Handbuch der Mechanik für Praktiker, Dresden/Leipzig 1832; Elemente der Maschinenlehre, Dresden/Leipzig 1842-1844; Theorie der Konstruktion steinerner Bogenbrücken, Dresden/Leipzig 1847-1848; Beitrag zur Berichtigung der Theorie der Turbinen, Dessau 1850.

Literatur A. Weichold, Johann Andreas S. Lebensbild eines bedeutenden Hochschullehrers und Ingenieurs aus der Zeit der industriellen Revolution, Leipzig 1968; Johann Andreas S. Ein sächsischer Lehrer und Ingenieur, Ausstellungskatalog, Dresden 1995. – DBA II, III; DBE 9, S. 160; D. Petschel (Bearb.), Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 874f.

Porträt Porträt Johann Andreas S., L. Kriebel, um 1840, Ölgemälde, Deutsches Museum München; Altersbildnis Johann Andreas S., H. Krone, um 1865, Foto im Visitformat, Technische Universität Dresden, Hermann-Krone-Sammlung, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Klaus Mauersberger
22.5.2006


Empfohlene Zitierweise:
Klaus Mauersberger, Artikel: Andreas Schubert,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3593 [Zugriff 22.12.2024].