Detlev Graf von Einsiedel
Als Leitender Kabinettsminister und engster Vertrauter der Könige Friedrich August I. und Anton bestimmte E. unter zunehmender Monopolisierung der Entscheidungsgewalt die sächsische Politik von der Zeit der Befreiungskriege bis ins Revolutionsjahr 1830. Dem streng konservativen, letztlich zur politischen Erstarrung führenden Kurs der „Ära Einsiedel“ steht E.s innovatives und erfolgreiches Handeln als Eisenhütten-Unternehmer und sein umfangreiches, einer tiefen Frömmigkeit entspringendes sozial-karitatives Engagement gegenüber. E.s Persönlichkeit wird damit zum Sinnbild einer der widersprüchlichsten Epochen sächsischer Geschichte schlechthin. – E. entstammte einer der namhaftesten und einflussreichsten Adelsfamilien Sachsens, deren Vertreter immer wieder ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Haus Wettin pflegten und - wie zuletzt E.s Vater - häufig hohe Staatsämter innehatten. Nach dem Besuch der Kreuzschule in Dresden studierte E. seit 1790 Rechtswissenschaften an der Universität Wittenberg. Hier verband ihn eine enge Freundschaft mit Novalis. Nach dem Studium absolvierte E. eine Bildungsreise zu den oberschlesischen Eisenwerken und trat 1794 in den sächsischen Staatsdienst. Als „überzähliger“ Beamter (Supernumerar) begann seine Karriere als Akzessist beim Kreisamt Schwarzenberg und setzte sich über die Ernennung zum Amtshauptmann des Meißnischen Kreises (12.11.1794) und zum Obersteuer-Einnehmer (8.1.1795) fort. 1797 trat E. als Kammerherr in eine gewisse Nähe zum Dresdner Hof, doch dauerte es bis 1801, ehe er als Geheimer Finanzrat im Geheimen Finanzkollegium die erste besoldete Stelle erhielt. Hier bereits, und noch stärker als Kreishauptmann des Meißnischen Kreises (1806-1813), zeichnete sich E. durch exzellente Kenntnisse der Verwaltung und Finanzwirtschaft sowie durchdachte Vorschläge zur Verbesserung des Gendarmeriewesens (1810) aus. Auf dem Landtag 1811 arbeitete E. federführend an einer Reform des Grundsteuer- und Abgabesystems mit. Seine Ernennung zum Kabinettsminister und Staatssekretär des Inneren in Nachfolge
Georg Wilhelm von Hopfgartens (14.5.1813) und des Äußeren anstelle des zurückgetretenen Grafen Friedrich Christian Ludwig Senfft von Pilsach (18.5.1813) erfolgten in einer Krisenstunde des sächsischen Staats, als das Land trotz gegenteiliger diplomatischer Versuche an die Seite
Napoleons zurückkehren musste. Die Übertragung des Außenministeriums auf E. wird dabei in der Literatur übereinstimmend als Verlegenheitslösung interpretiert, da er weder Neigung noch Erfahrung für dieses Amt mitbrachte. Dennoch akzeptierte E. beide Funktionen und fand sich damit unversehens in einer einzigartigen Machtstellung wieder, die er gegenüber den übrigen engen Beratern des Königs nun sukzessive ausbaute. Nach der Völkerschlacht von Leipzig begleitete er seinen Monarchen Friedrich August I. in die Gefangenschaft nach Berlin und Friedrichsfelde. Von hier aus bemühte er sich, den sächsischen Interessen auf dem Wiener Kongress Gehör zu verschaffen. Auch wenn der Fortbestand Sachsens letztlich vom Willen der Großmächte abhing, kommt E.s Diplomatie doch insofern Bedeutung zu, als es ihr gelang, in der europäischen Öffentlichkeit unter Betonung des Legitimitätsprinzips heftige Widerstände gegen die preußischen Annexionspläne zu erzeugen. Nach der Teilung Sachsens 1815 stabilisierte E. das geschwächte Land durch eine nachhaltige Sanierung der Staatsfinanzen und die Verkleinerung des Verwaltungsapparats. Auch brachte er die Ausgleichsverhandlungen mit Preußen 1819 zum korrekten Abschluss. Jedoch wurde von E. weder eine komplette Reorganisation der Verwaltung vorgenommen noch die 1811 begonnene Reform fortgesetzt. Sachsen galt daher in der „Ära Einsiedel“ als besonders rückständiger Staat. 1817 entmachtete E. das im adligen Ständetum verwurzelte Geheime Konsilium und baute seine Machtstellung damit noch einmal entscheidend aus. Als Vertreter des Hochstifts Meißen in der Kurie der Prälaten, Grafen und Herren nahm er darüber hinaus Einfluss auf den Verlauf der Landtage bis 1830. Außenpolitisch folgte E. im Wesentlichen dem von seinem Schwager Friedrich Albert von der Schulenburg-Klosterroda und Friedrich Ludwig Breuer getragenen diplomatischen Kurs der engen Anlehnung an Österreich, ohne eigene Ideen zu entwickeln. Die nach dem Wiener Kongress weiter gefährdete Souveränität Sachsens versuchte E. durch die Vermittlung neuer dynastischer Verbindungen zwischen den Wettinern und anderen europäischen Herrscherhäusern zu stärken. Große Aufmerksamkeit widmete er auch dem Zustandekommen des Mitteldeutschen Handelsvereins 1828. Unter den parallel zu seinem Ministeramt bekleideten Funktionen kam v.a. dem Direktorium der Ökonomischen Gesellschaft in Dresden (seit 1817) Bedeutung zu. In diesem Amt trat E. für zahlreiche Gewerbeförderungsmaßnahmen und für die Gründung einer Technischen Bildungsanstalt, der späteren Technischen Universität, in Dresden ein. Als Direktor der Königlichen Sammlungen (1824-1829) förderte E. begabte Künstler. – Mit zunehmender Dauer seiner Amtszeit formierte sich gegen E. eine Opposition, die sich u.a. für zeitgemäße Reformen, Öffentlichmachung der Landtagssitzungen und Vorlage eines Staatshaushalts engagierte. Diese Forderungen wies E. strikt zurück. Der Gegensatz zu den Ständen und fortschrittlich gesinnten Beamtenkreisen verschärfte sich, als der von E. selbst angekündigte Rücktritt nach dem Tod König Friedrich Augusts I. 1827 ausblieb und er stattdessen auch unter dem völlig unerfahrenen Nachfolger König Anton weiter als Leitender Kabinettsminister fungierte. Noch im Frühjahr 1830 glaubte er den Fortschrittswillen der Bevölkerung dämpfen zu können, indem er die Ernennung des beliebten Prinzen Friedrich August zum Mitregenten schroff ablehnte. Damit wurde er vollends zum Symbol der Stagnation. Unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse in Dresden musste E., mittlerweile als der „bestgehaßte Mann Sachsens“ geltend, am 13.9.1830 von allen Staatsämtern zurücktreten. – Als Unternehmer verfügte E. mit den Rittergütern Mückenberg, Ehrenberg, Frauendorf, Kaufungen mit Bräunsdorf, Niederfrohna und Wolkenburg sowie den Eisenwerken in Lauchhammer (sorb. Łuchow), Burghammer (sorb. Bórkhamor) und Gröditz, die er teils selbst besaß und teils als väterliches Erbe im Auftrag seiner Geschwister verwaltete, über ein beträchtliches ökonomisches Potenzial. Seinem patriarchalischen Leitungsstil stehen bedeutende und zukunftsweisende technische Innovationen auf dem Gebiet der Eisenverhüttung gegenüber. Neben dem Ausbau von Lauchhammer und Gröditz errichtete E. ein neues Werk in Berggießhübel (1833/36). 1849 gelangte zudem das Eisenwerk Riesa in seinen Besitz. E.s Eisenwerke gehörten zu der 1840 von ihm gegründeten „Gewerkschaft der Gräflich Einsiedelschen Eisenhütten“. Dieser Familienverband trug in entscheidendem Maß zur Entwicklung der mitteldeutschen Stahlindustrie bei. Seine Hauptproduktionsstätte Lauchhammer machte sich darüber hinaus als bedeutender Standort des (Eisen-)Kunstgusses einen Namen. Der von E. geförderte Ernst Rietschel ließ hier u.a. Teile des Friedrich-August-Denkmals in Dresden und des Lutherdenkmals in Worms sowie das Standbild Carl Maria von Webers in Dresden anfertigen. Zeitlebens blieb E. federführend bei der Leitung der Hüttengewerkschaft. Nach seinem Tod trat durch Misswirtschaft und Überschuldung ihr rascher Verfall ein. – E.s. Frömmigkeit wurde aus den pietistischen Prägungen seines Elternhauses heraus begründet und machte ihn zu einer Führungsgestalt der sächsischen Erweckungsbewegung. Jahrelang unter dem Einfluss des Dresdner Geistlichen Martin Stephan stehend, wandte sich E. gegen rationalistische Tendenzen in der lutherischen Landeskirche und beförderte Einrichtungen der kirchlichen Erneuerung, wie die Sächsische Bibelgesellschaft, deren Präsident er 1825 wurde. Viele Jahre gehörte E. dem Komitee des Dresdner Missionsvereins an. 1836 war er an der Gründung der Evangelisch-lutherischen Missionsgesellschaft beteiligt. Mittels umfangreicher finanzieller Stiftungen förderte E. zudem das Fletchersche Schullehrerseminar und die Diakonissenanstalt in Dresden. – Die in der Literatur häufig allein aus der Perspektive seines politischen Sturzes von 1830 vorgenommene, durchweg negative Bewertung E.s. ist im Hinblick auf sein Gesamtwirken als einseitig zu verwerfen.
Literatur Der Pilger aus Sachsen 27/1861, Nr. 29-33; K. von Weber, Detlev Graf von E., Königl. Sächsischer Cabinets-Minister, in: Archiv für die Sächsische Geschichte 1/1863, S. 58-116, 129-193; W. Henkel, 200 Jahre Lauchhammer 1725-1925, [Breslau] 1925, S. 17-38 (P); K. Hennig, Die sächsische Erweckungsbewegung im Anfang des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1929, S. 150-162; A. von Welck, Dem Gedächtnis des Conferenzministers Detlev Carl von E. und seiner Kinder, Ratibor 1940; K. Blaschke, Detlev von E., in: Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648-1945, hrsg. von K. G. A. Jeserich/H. Neuhaus, Stuttgart u.a. 1991, S. 107-111 (P); G.-H. Vogel, Kunst und Kultur um 1800 im Zwickauer Muldenland, Zwickau 1996, S. 68f., 73 (P); B. Richter, Die Familie von Einsiedel. Stand, Aufgaben und Perspektiven der Adelsforschung in Sachsen, Leipzig 2007 (P). – ADB 5, S. 760f.; BBKL 1, Sp. 1480f.; DBA I, II, III; DBE 3, S. 64; NDB 4, S. 400f.
Porträt Bildnis Graf von E., C. Vogel von Vogelstein, 1833, Zeichnung, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek, Foto: R. Kramer, 1961.03 (Bildquelle).
Michael Wetzel
25.2.2014
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Detlev Graf von Einsiedel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1302 [Zugriff 21.11.2024].
Detlev Graf von Einsiedel
Literatur Der Pilger aus Sachsen 27/1861, Nr. 29-33; K. von Weber, Detlev Graf von E., Königl. Sächsischer Cabinets-Minister, in: Archiv für die Sächsische Geschichte 1/1863, S. 58-116, 129-193; W. Henkel, 200 Jahre Lauchhammer 1725-1925, [Breslau] 1925, S. 17-38 (P); K. Hennig, Die sächsische Erweckungsbewegung im Anfang des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1929, S. 150-162; A. von Welck, Dem Gedächtnis des Conferenzministers Detlev Carl von E. und seiner Kinder, Ratibor 1940; K. Blaschke, Detlev von E., in: Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648-1945, hrsg. von K. G. A. Jeserich/H. Neuhaus, Stuttgart u.a. 1991, S. 107-111 (P); G.-H. Vogel, Kunst und Kultur um 1800 im Zwickauer Muldenland, Zwickau 1996, S. 68f., 73 (P); B. Richter, Die Familie von Einsiedel. Stand, Aufgaben und Perspektiven der Adelsforschung in Sachsen, Leipzig 2007 (P). – ADB 5, S. 760f.; BBKL 1, Sp. 1480f.; DBA I, II, III; DBE 3, S. 64; NDB 4, S. 400f.
Porträt Bildnis Graf von E., C. Vogel von Vogelstein, 1833, Zeichnung, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek, Foto: R. Kramer, 1961.03 (Bildquelle).
Michael Wetzel
25.2.2014
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Detlev Graf von Einsiedel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1302 [Zugriff 21.11.2024].