Bernhard von Lindenau

L. war einer der bedeutendsten sächsischen Staatsmänner des 19. Jahrhunderts, dessen politische Wirkung weit über das Königreich Sachsen hinausreichte. Er führte das Land in den von Preußen angestrebten Deutschen Zollverein und gestaltete die sächsische Verfassung von 1831 wesentlich mit. Wie kein zweiter sächsischer Politiker in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verkörperte L. zudem die enge Verbindung der thüringischen Herzogtümer mit dem Königreich Sachsen. – Nach Privatunterricht und dem sich anschließenden Studium der Rechte, der Kameralistik und der Mathematik an der Universität Leipzig wurde L. im März 1798 Assessor im Kammerkollegium in Altenburg. Parallel zu seiner Laufbahn im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg betrieb L. astronomische Studien und wurde mit dem Leiter der Seeberg-Sternwarte in Gotha, Franz Xaver von Zach, bekannt. Nach dessen Weggang übernahm L. im Oktober 1804 die Leitung der Einrichtung, geriet aufgrund dieser Tätigkeit aber immer wieder in Konflikt mit seinen Altenburger Dienstverpflichtungen. – In den folgenden Jahren beschäftigte sich L. weiterhin hauptsächlich mit Politik und Wissenschaft. Als Landschaftsdeputierter für Altenburg wurde er im Juli 1807 Mitglied der Direktion zur Aufbringung der Staatsschuld des Herzogtums. Zugleich begann er mit kartografischen Landvermessungen im Thüringer Raum und freundete sich mit dem Mathematiker Johann Carl Friedrich Gauß an. – Die Befreiungskriege zwangen L. dazu, sich stärker der Diplomatie zuzuwenden. Nach aussichtslosen Verhandlungen mit dem französischen Hauptquartier im Frühjahr und der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 wurde L. in das alliierte Hauptquartier gesandt und reiste als Generaladjutant des Großherzogs Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach im Frühjahr 1814 nach Paris. Dort wurde er im Mai bei einem Duell schwer verletzt und musste den Sommer über in der Stadt bleiben. Auf diese Weise der Möglichkeit politischer Mitwirkung beraubt, wandte er sich wieder astronomischen Studien zu. In den folgenden Jahren belebte er seinen wissenschaftlichen Austausch u.a. mit Gauß sowie dem Bremer Astronomen Wilhelm Olbers. Nach mehreren Reisen kehrte L. erst 1817 wieder dauerhaft nach Altenburg zurück und wurde Vizepräsident der Ständekammer. – L.s politischer Aufstieg im Herzogtum verschaffte ihm neue Gestaltungsmöglichkeiten. So leitete er Finanzreformen ein, reorganisierte das Armenwesen und konnte im Mai 1820, inzwischen Minister, die Gegenzeichnung herzoglicher Anweisungen durch das Geheimratskollegium durchsetzen. Die Einschränkung herzoglicher Macht und die Beteiligung nichtadliger Gruppen an politischen Entscheidungen prägten auch einen Verfassungsentwurf für Sachsen-Gotha-Altenburg, den L. im Februar 1821 vorlegte. Die Stände akzeptierten den Entwurf, aber der Tod des Herzogs im Mai 1822 und die unklare Zukunft des Herzogtums verhinderten seine Umsetzung. – Nachdem L. einige Jahre faktisch die Regierungsgeschäfte in Sachsen-Gotha-Altenburg übernommen hatte, wurde er mit der Auflösung des Herzogtums im November 1826 aus seinen Funktionen entlassen. Er lehnte ein Amt im neu geschaffenen Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha ab und wurde stattdessen Landtagsdirektor bzw. -präsident in Altenburg. Diese Funktion behielt er bis zur Revolution von 1848 und wirkte in den Folgejahren wesentlich an den dort beschlossenen Finanz- und Verfassungsreformen mit. – L.s politische Haupttätigkeit verlagerte sich ab 1827 in das Königreich Sachsen. Seit Februar im königlich sächsischen Staatsdienst, übernahm er im Oktober 1827 die Vertretung des Königreichs auf dem Deutschen Bundestag in Frankfurt/Main. Zugleich auch Gesandter am niederländischen Hof in Den Haag, behielt er beide Funktionen bis zum Herbst 1829. – Während L. noch Ende Februar 1828 dem Großherzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach schrieb, es gebe für ihn „auf dieser Welt keine Projecte und Pläne mehr“ (Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, Familienarchiv Lindenau, Nr. 18), konnte er bereits einen Monat später erneut seine diplomatischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Mit der Gründung zweier konkurrierender Zollvereine in Deutschland - Preußen und Hessen-Darmstadt im Norden sowie Bayern und Württemberg im Süden - gerieten die übrigen deutschen Staaten unter Druck. Unter maßgeblicher Initiative von L. vereinbarte Sachsen mit einigen thüringischen Herzogtümern am 26.3.1828 auf dem Gut der Familie von Carlowitz in Oberschöna die Bildung eines dritten „Handelsvereins“, dessen Mitglieder sich verpflichteten, keinem der beiden bereits bestehenden Zollvereine beizutreten. Dabei verfolgte L. keineswegs eine antipreußische Politik, wie von den Zeitgenossen unterstellt wurde, sondern sah den neuen Verein stattdessen v.a. als Druckmittel, um die sächsische Verhandlungsposition gegenüber beiden Zollvereinen zu verbessern. Um das Projekt zu einem auch territorial geschlossenen Verband auszubauen, war der Beitritt des zentral gelegenen Hessen-Kassel unverzichtbar. Den diplomatischen Wettlauf um die Gunst des hessischen Kurfürsten gewann L. im April 1828 mit der stillschweigenden Unterstützung Österreichs. Nach dem Beitritt Kurhessens schlossen sich in der Folge noch weitere norddeutsche Staaten dem Projekt an. Damit wurde der dann im September 1828 in Kassel gegründete „Mitteldeutsche Handelsverein“ überhaupt erst lebensfähig, wenn auch nur auf der Grundlage eines überwiegend gegen Preußen gerichteten Minimalkonsenses. – Am Ende seiner Gesandtentätigkeit in Frankfurt/Main begann L. eine ausgedehnte Reise durch Mittel- und Nordeuropa, die ihn im September 1829 schließlich nach Berlin brachte, wo er erste Gespräche mit der preußischen Regierung über den Beitritt des Handelsvereins zum preußischen Zollsystem führte. Allerdings scheiterte L.s Absicht vorerst durch eine von Dresden betriebene Verlängerung der Eigenständigkeit, die im Oktober 1829 zwischen den Mitgliedstaaten vereinbart wurde. – Als L. einen Monat später nach Sachsen zurückkehrte, erhielt er eine Vielzahl neuer Aufgaben. Er wurde Direktor der „Landesökonomie-, Manufaktur- und Kommerziendeputation“ und bekam die Oberaufsicht über die Kunst- und wissenschaftlichen Sammlungen sowie über die Straf- und Versorgungsanstalten Sachsens. L. erhielt zudem Sitz und Stimme im Geheimen Rat, der Regierung des Königreichs. – Das Jahr 1830 brachte für L. neue Gestaltungsmöglichkeiten und den Höhepunkt seiner politischen Karriere. Als infolge der Pariser Julirevolution Anfang September 1830 die Bürger in Leipzig und Dresden revoltierten und die Unruhen rasch auf große Teile Sachsens übergriffen, wurde L. Mitglied einer Kommission zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung. Als die Tumulte trotz der Bildung von Kommunalgarden nicht abklangen, erreichten die Geheimen Räte am 13.9.1830 eine Mitregentschaft des Prinzen Friedrich August und die Absetzung Detlev von Einsiedels. L. wurde leitender Kabinettsminister und vereinigte in dieser Funktion bis Jahresende 1831 faktisch die gesamte Machtfülle seines Vorgängers. Er nutzte diese Ausnahmestellung verantwortungsvoll und ebnete für Sachsen den Weg zu einer konstitutionellen Monarchie. Er legte einen umfassenden Verfassungsentwurf vor, der - an L.s Erfahrungen in Weimar und Altenburg anknüpfend - eine Ständeversammlung mit zwei gleichberechtigten Kammern vorsah. – Noch im Dezember 1830 gab L. der Zoll- und Handelspolitik einen neuen Impuls, der Sachsen schließlich in den Deutschen Zollverein führte. Auf seine Anregung hin verhandelte die „Landesökonomie-, Manufaktur- und Kommerziendeputation“ mit sächsischen Handels- und Gewerbevertretern über eine zollpolitische Annäherung an Preußen und schuf so einen breiten Rückhalt für die gemeinhin als Kurswechsel empfundene Initiative. Nach einem erzielten Konsens reiste L. im Januar 1831 nach Berlin, um die Verhandlungen über einen Beitritt Sachsens zum preußischen Zollverein vorzubereiten, die schließlich im März 1833 in einen Vertrag zwischen Sachsen und Preußen mündeten. Bundespolitisch erwies sich L. dabei als fähiger Diplomat, der die österreichischen Pläne, in Sachsen angesichts der Unruhen militärisch zu intervenieren, und das preußische Interesse an einem Beitritt Sachsens zum Zollverein geschickt ausbalancierte. – In den politischen Auseinandersetzungen der Jahre 1830 und 1831 musste L. zwar immer wieder zurückstecken - so konnte er sich mit einer deutlich abgeschwächten Form einer Pressezensur nicht durchsetzen -, aber die sächsische Verfassung, die am 4.9.1831 in Kraft trat, trug mit der Aufhebung der Standesunterschiede und einer Ausweitung der politischen Partizipation wesentlich seine Handschrift. Mit der Umbildung der Dresdner Regierung im Dezember 1831 wurde L. Vorsitzender des Gesamtministeriums und sächsischer Innenminister. Er setzte sofort ein Reformwerk in Gang, das von Historikern zu Recht mit den preußischen Reformen von Karl Freiherr vom und zum Stein und Karl August Freiherr von Hardenberg auf eine Stufe gestellt wird. Bereits im Frühjahr 1832 wurde eine an der preußischen Kommunalverfassung von 1808 orientierte sächsische Städteordnung erlassen und mit dem Gesetz über die Ablösungen und Gemeinheitsteilungen sowie der Einrichtung einer Landesrentenbank die sog. Bauernbefreiung in Sachsen eingeleitet. – In den neuen sächsischen Landtagen konnte L. seiner Politik in den ersten Jahren einen breiten Rückhalt verschaffen, so etwa während seiner ersten Sitzungsperiode von Januar 1833 bis Oktober 1834, als u.a. der Beitritt Sachsens zum Deutschen Zollverein beschlossen wurde. Indes sollte sich der Konsens, auf dem L.s Reformpolitik beruhte, rasch verbrauchen, nicht zuletzt deshalb, weil einer wachsenden bürgerlich-demokratischen Opposition, die durch die Verfassung deutlich gestärkt worden war, L.s Absichten nicht weit genug gingen, während die Rittergutsbesitzer sich grundsätzlich jeder weiteren Reformbestrebung verweigerten. Schon der zweite Landtag von November 1836 bis Dezember 1837 zeigte deutlich das grundsätzliche Dilemma der sächsischen Reformpolitik, die nur noch schleppend weitergeführt werden konnte. Hinzu kamen gesundheitliche Probleme, die L. schließlich im Mai 1834 zwangen, das Innenministerium an Hans Georg von Carlowitz abzugeben. Auch wenn er den Vorsitz des Gesamtministeriums behielt, fehlte ihm doch jetzt ein wesentlicher Hebel zur Durchsetzung seiner politischen Absichten, zumal er sich in den folgenden Jahren mit von Carlowitz sowie dem Finanz- und Außenminister Heinrich Anton von Zeschau persönlich überwarf und mehrfach seinen Rücktritt anbot. Damit schwand zunehmend der personelle und ideelle Zusammenhalt der sächsischen Reformer. – Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass L. nun seinem ausgeprägten Interesse an bildender Kunst mehr Raum gab. Bereits ab 1834 wurde unter seinem Vorsitz die Königlich Sächsische Akademie der bildenden Künste neu organisiert. 1837 übernahm er als Kurator die Leitung der Einrichtung und stellte ihre Finanzen auf eine neue Grundlage. Mehrfach leitete L. übergangsweise das Kultusministerium, wurde aber immer wieder in politische Kontroversen verwickelt, denen er persönlich nicht immer gewachsen war. Schließlich stand er mit seiner Befürwortung einer moderaten Politik gegenüber der Opposition weitgehend allein, während frühere Mitkämpfer wie von Zeschau und Justizminister Julius Traugott von Könneritz eine repressivere Politik befürworteten. Derart isoliert und durch wiederholte Rücktrittsankündigungen in seiner Glaubwürdigkeit erschüttert, trat L. schließlich im August 1843 von seinen Ämtern zurück und schied einen Monat später aus dem sächsischen Staatsdienst aus. – In der letzten Phase seines Lebens widmete sich L. fast ausschließlich seinen Kunstinteressen. Nach einer längeren Reise an die französische und italienische Mittelmeerküste, auf der er Gemälde und Gipsabgüsse antiker Statuen erwarb, plante er den Ausbau seiner Kunstsammlung zu einem Museum. Als Abgeordneter für Altenburg wurde L. im April 1848 in die Nationalversammlung in Frankfurt/Main gewählt; seine schwache Gesundheit verhinderte indes eine vertiefte Beteiligung an der Politik, aus der er sich 1849 endgültig zurückzog. – L. starb in Altenburg. Unmittelbar nach seinem Tod wurden zwei testamentarische Verfügungen ausgeführt: die Verbrennung seines gesamten schriftlichen Nachlasses sowie der Aufbau eines Kunstmuseums in Altenburg, des heutigen Lindenau-Museums.

Quellen Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, Familienarchiv von Lindenau.

Werke Abhandlung über die Dimensionen des Erdphäroids, Altenburg 1801; (Hg.), Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelkunde, 28 Bde., 1807-1814; J. Emig/I. Titz-Matuszak (Bearb.), Bernhard August von L. (1779-1854). Reden, Schriften, Briefe, Weimar 2001.

Literatur G. Schmidt, Die Staatsreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Weimar 1966 (P); D. Gleisberg/K.-R. Biermann, Bernhard August von L. als Naturwissenschaftler, Staatsmann und Kunstsammler, Altenburg 1979; I. Titz-Matuszak, Bernhard August von L., Weimar 2000; R. Gleisberg, Bernhard August von L., Altenburg 2004 (P). – ADB 18, S. 681-686; NDB 14, S. 592f.; DBA I, II, III; DBE 6, S. 403; Sächsische Lebensbilder, Bd. 2, Leipzig 1938 (Bildquelle).

Porträt Bernhard August v. L., C. C. Vogel v. Vogelstein, 1780, Kupferstich, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.

Oliver Werner
9.11.2009


Empfohlene Zitierweise:
Oliver Werner, Artikel: Bernhard von Lindenau,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2687 [Zugriff 17.11.2024].

Bernhard von Lindenau



Quellen Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, Familienarchiv von Lindenau.

Werke Abhandlung über die Dimensionen des Erdphäroids, Altenburg 1801; (Hg.), Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelkunde, 28 Bde., 1807-1814; J. Emig/I. Titz-Matuszak (Bearb.), Bernhard August von L. (1779-1854). Reden, Schriften, Briefe, Weimar 2001.

Literatur G. Schmidt, Die Staatsreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Weimar 1966 (P); D. Gleisberg/K.-R. Biermann, Bernhard August von L. als Naturwissenschaftler, Staatsmann und Kunstsammler, Altenburg 1979; I. Titz-Matuszak, Bernhard August von L., Weimar 2000; R. Gleisberg, Bernhard August von L., Altenburg 2004 (P). – ADB 18, S. 681-686; NDB 14, S. 592f.; DBA I, II, III; DBE 6, S. 403; Sächsische Lebensbilder, Bd. 2, Leipzig 1938 (Bildquelle).

Porträt Bernhard August v. L., C. C. Vogel v. Vogelstein, 1780, Kupferstich, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett.

Oliver Werner
9.11.2009


Empfohlene Zitierweise:
Oliver Werner, Artikel: Bernhard von Lindenau,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2687 [Zugriff 17.11.2024].