Wilhelm Maurenbrecher
M. zählt zu den bedeutendsten Reformationshistorikern des 19. Jahrhunderts. Nach dem Schulbesuch in Bonn und Düsseldorf nahm er 1857 an der Universität Bonn das Studium der Geschichte auf. Er hörte u.a. Vorlesungen bei
Friedrich Christoph Dahlmann, belegte aber auch Lehrveranstaltungen in Klassischer Philologie, Germanistik und Kunstgeschichte. Das zweite Studienjahr absolvierte er in Berlin, u.a. bei
Leopold von Ranke. Während seiner letzten Studienphase in München wurde M. wesentlich durch
Heinrich von Sybel beeinflusst. Diesem folgte er 1861 nach Bonn, wo er auf von Sybels Anregung mit einer Arbeit über die Kaiserpolitik
Ottos I. (der Große) promoviert wurde. Im selben Jahr trat M. eine Stelle als Mitarbeiter der Redaktion der „Historischen Zeitschrift“ an und bearbeitete im Auftrag der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die wittelsbachischen Korrespondenzen des 16./17. Jahrhunderts. 1862 habilitierte er sich ebenfalls in Bonn mit einer Arbeit über Kaiser
Maximilian II. und die Reformation. Unmittelbar danach ließ sich M. vom Lehrbetrieb beurlauben, um mithilfe eines Stipendiums des preußischen Kultusministeriums Archivstudien in London, aber v.a. im Staatsarchiv Simancas (Spanien) zu betreiben. Sein Interesse galt der sog. Gegenreformation, wobei er erkannte, dass katholische Reformbestrebungen bis in die eigentliche Reformationszeit zurückreichten. Durch den Vergleich der Reformansätze beider Konfessionen wandte er sich zwangsläufig auch der Reformation selbst zu. – An die Universität Bonn kehrte M. 1863 als Dozent zurück. 1867 nahm er ein Extraordinariat an der Universität Dorpat (estn. Tartu) an und erhielt ein Jahr später eine ordentliche Professur. Anfang 1869 wechselte er auf den Lehrstuhl in Königsberg (russ. Kaliningrad) und wurde u.a. durch die Fürsprache des mit ihm befreundeten Historikers Carl von Noorden 1877 schließlich nach Bonn berufen. In den Wintersemestern 1877/78 und 1878/79 besuchte dort Prinz Wilhelm von Preußen, der spätere Kaiser
Wilhelm II., seine Vorlesungen und war von M. nachweislich beeindruckt. Im Sommersemester 1884 folgte M. dem Ruf an die Universität Leipzig als Nachfolger des verstorbenen von Noorden, der von Bonn nach Leipzig gewechselt war und dort das Historische Seminar gegründet hatte. M. übernahm die Leitung des Seminars und übte diese ab 1890 gemeinsam mit Karl Lamprecht aus. Bleibende Leistung dabei war der strukturelle und inhaltliche Ausbau des Instituts. Neben der Reformationszeit rückten zunehmend auch zeitgeschichtliche und politische Fragen in M.s Blickfeld, insbesondere die Geschichte der
Bismarckschen Reichsgründung. Im „Grenzboten“ und in dem von ihm seit 1882 herausgegebenem „Historischen Taschenbuch“ veröffentlichte er historisch-politische Beiträge, obwohl er früher strikt gegen politische Stellungnahmen von Historikern gewesen war. Seine Vorlesungen zogen auch zahlreiche Leipziger Bürger in den Hörsaal, weshalb er außerhalb der Universität regelmäßig Vorträge hielt, z.B. im „Kaufmännischen Verein“ der Stadt. – Nach einem sich seit 1890 verstärkendem Herzleiden verstarb M. im November 1892. Eine geplante Gesamtdarstellung der deutschen Geschichte konnte er nicht mehr in Angriff nehmen. – 1879 wurde ihm von Prinz Wilhelm der preußische Rote-Adler-Orden Vierte Klasse verliehen.
Quellen G. v. Below/M. Schulz (Hg.), Briefe von Karl Wilhelm Nitzsch an Wilhelm M. (1861-1880), in: Archiv für Kulturgeschichte 8/1910, S. 305-366, 437-468; Universitätsarchiv Leipzig, Personalakte 723 M.; Universitätsbibliothek München, Nachlass Karl Peter M.
W De historicis decimi seculi scriptoribus, qui res ab Ottone Magno gestas memoriae tradiderunt, Diss. Bonn 1861; Die Kaiserpolitik Otto I., in: Historische Zeitschrift 5/1861, S. 111-154; Kaiser Maximilian II. und die deutsche Reformation, in: Historische Zeitschrift 7/1862, S. 351-380 (Habil.); Karl V. und die deutschen Protestanten, Düsseldorf 1865; England im Reformationszeitalter, Düsseldorf 1866; Ueber Methode und Aufgabe der Historischen Forschung, Bonn 1868; Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit, Leipzig 1874; Königthum und Verfassung in Preußen, Bonn 1878; Geschichte der katholischen Reformation, Bd. 1, Nördlingen 1880; Die preußische Kirchenpolitik und der Kölner Kirchenstreit, Stuttgart 1881; (Hg.), C. v. Noorden, Historische Vorträge, Leipzig 1884; Staat und Kirche im protestantischen Deutschland, Leipzig 1886; Geschichte der deutschen Königswahlen vom zehnten bis dreizehnten Jahrhundert, Leipzig 1889; Gründung des Deutschen Reiches 1859-1871, Leipzig 1892, 41910.
Literatur G. Wolf, Wilhelm M. - Ein Lebens- und Schaffensbild, Berlin 1893; O. Redlich, Actenstücke zur Geschichte des niederrheinischen Postwesens und der Düsseldorfer Posthalterfamilie Maurenbrecher, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 7/1893, S. 261-300; Kaiser Wilhelm II., Aus meinem Leben, Berlin/Leipzig 1927; H. Schönebaum, Carl v. Noorden und Wilhelm M. im Austausch über die geistige Entwicklung des jungen Karl Lamprecht, in: Archiv für Kulturgeschichte 44/1962, S. 379-387; W. Hubatsch, Wilhelm M. 1838-1892, in: Bonner Gelehrte: Geschichtswissenschaft, Bonn 1968, S. 155-161 (P); W. Flaschendräger, Der Historiker Wilhelm M., in: Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte 2/1988, S. 49-56; M. Todte, Wilhelm Maurenbrecher und die lutherische Reformation, Leipzig 2001; ders., Maurenbrecher als Reformationshistoriker, Leipzig 2002; M. Middell, Weltgeschichtsschreibung im Zeitalter der Verfachlichung und Professionalisierung, Bd. 1, Leipzig 2005, M. Todte, Wilhelm M. - Neue Forschungsergebnisse und Einsichten, München 2006. – ADB 52, S. 244-248; DBA I, II, III; DBE 6, S. 669; NDB 16, S. 433f.; LThK 4, Sp. 187f.; W. Weber, Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Frankfurt/Main u.a. 1884, S. 368f.; C. Krollmann (Hg.), Altpreußische Biographie, Bd. II, Königsberg 1942-1944.
Porträt Illustrirte Zeitung, Leipzig, 19.6.1866, S. 614 (Bildquelle).
Reinhardt Eigenwill
10.2.2014
Empfohlene Zitierweise:
Reinhardt Eigenwill, Artikel: Wilhelm Maurenbrecher,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2821 [Zugriff 21.11.2024].
Wilhelm Maurenbrecher
Quellen G. v. Below/M. Schulz (Hg.), Briefe von Karl Wilhelm Nitzsch an Wilhelm M. (1861-1880), in: Archiv für Kulturgeschichte 8/1910, S. 305-366, 437-468; Universitätsarchiv Leipzig, Personalakte 723 M.; Universitätsbibliothek München, Nachlass Karl Peter M.
W De historicis decimi seculi scriptoribus, qui res ab Ottone Magno gestas memoriae tradiderunt, Diss. Bonn 1861; Die Kaiserpolitik Otto I., in: Historische Zeitschrift 5/1861, S. 111-154; Kaiser Maximilian II. und die deutsche Reformation, in: Historische Zeitschrift 7/1862, S. 351-380 (Habil.); Karl V. und die deutschen Protestanten, Düsseldorf 1865; England im Reformationszeitalter, Düsseldorf 1866; Ueber Methode und Aufgabe der Historischen Forschung, Bonn 1868; Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit, Leipzig 1874; Königthum und Verfassung in Preußen, Bonn 1878; Geschichte der katholischen Reformation, Bd. 1, Nördlingen 1880; Die preußische Kirchenpolitik und der Kölner Kirchenstreit, Stuttgart 1881; (Hg.), C. v. Noorden, Historische Vorträge, Leipzig 1884; Staat und Kirche im protestantischen Deutschland, Leipzig 1886; Geschichte der deutschen Königswahlen vom zehnten bis dreizehnten Jahrhundert, Leipzig 1889; Gründung des Deutschen Reiches 1859-1871, Leipzig 1892, 41910.
Literatur G. Wolf, Wilhelm M. - Ein Lebens- und Schaffensbild, Berlin 1893; O. Redlich, Actenstücke zur Geschichte des niederrheinischen Postwesens und der Düsseldorfer Posthalterfamilie Maurenbrecher, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 7/1893, S. 261-300; Kaiser Wilhelm II., Aus meinem Leben, Berlin/Leipzig 1927; H. Schönebaum, Carl v. Noorden und Wilhelm M. im Austausch über die geistige Entwicklung des jungen Karl Lamprecht, in: Archiv für Kulturgeschichte 44/1962, S. 379-387; W. Hubatsch, Wilhelm M. 1838-1892, in: Bonner Gelehrte: Geschichtswissenschaft, Bonn 1968, S. 155-161 (P); W. Flaschendräger, Der Historiker Wilhelm M., in: Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte 2/1988, S. 49-56; M. Todte, Wilhelm Maurenbrecher und die lutherische Reformation, Leipzig 2001; ders., Maurenbrecher als Reformationshistoriker, Leipzig 2002; M. Middell, Weltgeschichtsschreibung im Zeitalter der Verfachlichung und Professionalisierung, Bd. 1, Leipzig 2005, M. Todte, Wilhelm M. - Neue Forschungsergebnisse und Einsichten, München 2006. – ADB 52, S. 244-248; DBA I, II, III; DBE 6, S. 669; NDB 16, S. 433f.; LThK 4, Sp. 187f.; W. Weber, Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Frankfurt/Main u.a. 1884, S. 368f.; C. Krollmann (Hg.), Altpreußische Biographie, Bd. II, Königsberg 1942-1944.
Porträt Illustrirte Zeitung, Leipzig, 19.6.1866, S. 614 (Bildquelle).
Reinhardt Eigenwill
10.2.2014
Empfohlene Zitierweise:
Reinhardt Eigenwill, Artikel: Wilhelm Maurenbrecher,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2821 [Zugriff 21.11.2024].