Siegfried Freund

Siegfried Freund nahm als Rabbiner eine zentrale Funktion in der neu gegründeten jüdischen Gemeinde von Görlitz ein, deren Wachsen er maßgeblich förderte. Höhepunkt seines Wirkens war die Eröffnung der neuen Görlitzer Synagoge 1911. – Freund wurde 1829 in Schmiegel (poln. Śmigiel) in der preußischen Provinz Posen geboren. Zum Zeitpunkt seiner Geburt hatte Schmiegel den höchsten Anteil an jüdischen Einwohnern in ganz Preußen. Freunds Mutter Sophie stammte aus der Familie der Gründer der streng orthodoxen „Sklower Schul“ in Breslau (poln. Wrocław). 1842 besuchte Freund das Gymnasium in Lissa (poln. Leszno), wo er auch Talmudstudien bei Dajan Jacob Hamburger betrieb. Er studierte anschließend an der Universität in Breslau, wo er dem studentischen Kreis um den renommierten Reformrabbiner Abraham Geiger angehörte. Freund schloss sein Studium am 30.4.1849 in Breslau ab, setzte seine Bildungsbemühungen jedoch in der Hoffnung auf eine Promotion in Philosophie fort. Nach erfolgreicher Verteidigung seiner Dissertation über ein arabisches Manuskript wurde Freund am 11.11.1853 der Doktortitel verliehen. Er blieb in Breslau, wo er als Religionslehrer an den Gymnasien der Stadt arbeitete. – 1856 wurde Freund, damals 27-jährig, von Moritz Wieruszowski, dem Vorsitzenden der neu gegründeten jüdischen Gemeinde in Görlitz, eingeladen, der Gemeinde als ihr allererster Rabbiner zu dienen. Bis 1847, als das Königreich Preußen die Niederlassungsbeschränkungen für Menschen jüdischen Glaubens - entgegen des Widerstands des Görlitzer Magistrats - aufhob, hatten sich keine Juden in Görlitz niederlassen dürfen. Freund trat sein Amt als Rabbiner dieser neuen Gemeinde offiziell am 1.1.1857 an. Im Jahr darauf heiratete Freund in Görlitz die 26-jährige Doris Lachmann. Der Ehe entsprangen sechs Kinder, von denen fünf das Erwachsenenalter erreichten. Die Familie lebte hauptsächlich in der Krölstraße 7, zog jedoch in späteren Jahren in die Jakobstraße 26 um. – Während seiner Amtszeit half Freund der Gemeinde durch bewegte Zeiten. Hierunter fällt z.B. die Erweiterung eines Synagogengebäudes 1869 in der Langenstraße sowie die Unterstützung bei der Planung und Durchführung des Baus einer völlig neuen Synagoge 1909 bis 1911 in der Otto-Müller-Straße. Freunds Tätigkeiten und seine aktive Fürsorge galten v.a. dem Dienst an seiner Gemeinde. Zudem legte er großen Wert auf Volksbildung und Gemeinwohl, auch über die jüdische Gemeinde hinaus. So unterrichtete Freund jüdische Religion an mehreren Schulen in Görlitz, half bei der Gründung und Unterstützung des Jüdischen Frauenhilfsvereins und in Wohnungsausschüssen. Darüber hinaus war er Mitveranstalter des Schlesischen Musikfests, Mitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften und beteiligte sich an der Gestaltung der Görlitzer Stadtbibliothek. 1864 bis 1884 wirkte Freund schließlich auch als Mitglied der Görlitzer Stadtverordnetenversammlung. – Freund wurde von der jüdischen Gemeinde in Görlitz sowie von der Stadt Görlitz in öffentlichen Gedenkfeiern für sein Engagement anlässlich seines 25-, 40- und 50-jährigen Jubiläums als Rabbiner geehrt. Dies verdeutlicht die ihm entgegengebrachte Wertschätzung, die über die Görlitzer jüdische Gemeinde hinausging. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Ehrung Freunds, als er am 21.1.1900 von Kaiser Wilhelm II. den Verdienstorden des Roten Adlers 4. Klasse verliehen bekam. Der krönende Abschluss seiner Arbeit in Görlitz war jedoch der Bau der neuen Synagoge in der Otto-Müller-Straße, die Freund im März 1911 weihen konnte. Freund gehörte im Vorfeld u.a. gemeinsam mit Paul Wallot, Hermann Muthesius, Hans Erlwein und Martin Ephraim der Jury an, die über die Architektenentwürfe entschied. Den Zuschlag erhielt das Dresdner Büro von William Lossow und Max Hans Kühne. – Am 4.4.1914 trat Freund nach 57 Jahren als Rabbiner der jüdischen Gemeinde Görlitz in den Ruhestand. Anlässlich der Verabschiedung aus seinem Amt überreichte ihm der damalige Oberbürgermeister von Görlitz, Georg Snay, in einer Zeremonie in der neuen Synagoge den Roten-Adler-Orden 3. Klasse mit Band. Bei dieser Feier betonte Freund, dass es sein Streben war, die Toleranz zwischen den Religionen zu fördern. Aus den erhaltenen Aufzeichnungen der jüdischen Gemeinde Görlitz geht hervor, dass bei Freund zu dieser Zeit erste Anzeichen einer Erkrankung auftraten. Am 14.11.1915 erkrankte Freund schwer und verstarb zwei Tage später mit 86 Jahren. Sein Sarg wurde am frühen Morgen des 19.11.1915 in die Synagoge gebracht und dort aufgebahrt, damit die Menschen ihm die letzte Ehre erweisen konnten. Neben dem gesamten Vorstand und dem Kollegium der Repräsentanten hatte sich fast die gesamte jüdische Gemeinde versammelt, um ihrem verstorbenen Oberhaupt die letzte Ehre zu erweisen. An seiner Trauerfeier nahmen auch Oberbürgermeister Snay, Vertreter des Staats, der Stadtverwaltung und des Magistrats, Schulleiter aus der Umgebung sowie Vertreter anderer religiöser Institutionen der Region teil. In seiner Rede beschrieb Freunds Nachfolger, der Rabbiner Emil Berger, die wohltätige Arbeit von Freund und seinen Charakter, den er als repräsentativ für das Judentum, das Deutschtum und die wahre Menschlichkeit bezeichnete. Zu den weiteren Rednern bei Freunds Beerdigung gehörten Rabbiner Salomon Posner aus Cottbus, der im Namen der Deutschen Rabbiner-Vereinigung sprach, sowie der langjährige Kantor der Görlitzer jüdischen Gemeinde, Max Gerling, der das „El Malei Rachamim“ sang. – Freund wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Görlitz an der Biesnitzer Straße beigesetzt. Seine Ehefrau Doris Freund starb nur fünf Wochen später am 19.12.1915. Das Paar war 57 Jahre verheiratet.

Quellen Chronik und Personenstandsregister der Synagogen-Gemeinde Görlitz 1864-1932, hrsg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Görlitz e.V., 2008.

Werke De rebus die resurrectionis eventuris. Fragmentum ex libro cosmographico „Margarita Mirabilium“. Sein Ed-Dini Ibn al-Vardi. E codd. mss. bibl. Vratislav. et Lugd. Batav. praemissis de auctoris vita, scribendi ingenio ..., Diss. Breslau 1853; Wie steht es mit eurem alten Vater? Antrittsrede zu Sabbat Chanukka 5617, Görlitz 1857; Predigt gehalten am allgemeinen Bettage in der Synagoge zu Görlitz am 27. Juni 1866, Görlitz 1866; Rede am Sarge des Kaufmanns Herrn Julius Lamm in Görlitz am 25. Mai 1896, Görlitz 1896; Rede bei der Totenfeier für M. Wieruszowski, ersten Vorsteher der Synagogengemeinde in Görlitz am 25. September 1884, Görlitz 1884.

Literatur Emil Berger, Rede an der Bahre unseres Rabbiner Dr. Siegfried Freund bei der Trauerfeier in der Synagoge zu Görlitz am 19. November 1915, Görlitz 1915; Görlitz, in: Der Gemeindebote. Beilage zur Allgemeinen Zeitung des Judentums 26.11.1915, S. 2; Rabbiner Dr. Freund in Görlitz, in: Israelitisches Familienblatt 25.11.1915, S. 6; Görlitz, in: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judentum 56/1915, Nr. 49, S. 6; Ralph Schermann, Deutscher Kaiser ehrte einen Görlitzer Rabbiner, in: Sächsische Zeitung 21.11.2015; Ilse Macek, Clara Hepner, geborene Freund, Kinderbuchautorin. – Michael Brocke/Julius Carlebach/Carsten Wilke, Biographisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 1: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781-1871, S. 339, München 2004.

Lauren Leiderman
5.9.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lauren Leiderman, Artikel: Siegfried Freund,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27875 [Zugriff 6.10.2025].

Siegfried Freund



Quellen Chronik und Personenstandsregister der Synagogen-Gemeinde Görlitz 1864-1932, hrsg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Görlitz e.V., 2008.

Werke De rebus die resurrectionis eventuris. Fragmentum ex libro cosmographico „Margarita Mirabilium“. Sein Ed-Dini Ibn al-Vardi. E codd. mss. bibl. Vratislav. et Lugd. Batav. praemissis de auctoris vita, scribendi ingenio ..., Diss. Breslau 1853; Wie steht es mit eurem alten Vater? Antrittsrede zu Sabbat Chanukka 5617, Görlitz 1857; Predigt gehalten am allgemeinen Bettage in der Synagoge zu Görlitz am 27. Juni 1866, Görlitz 1866; Rede am Sarge des Kaufmanns Herrn Julius Lamm in Görlitz am 25. Mai 1896, Görlitz 1896; Rede bei der Totenfeier für M. Wieruszowski, ersten Vorsteher der Synagogengemeinde in Görlitz am 25. September 1884, Görlitz 1884.

Literatur Emil Berger, Rede an der Bahre unseres Rabbiner Dr. Siegfried Freund bei der Trauerfeier in der Synagoge zu Görlitz am 19. November 1915, Görlitz 1915; Görlitz, in: Der Gemeindebote. Beilage zur Allgemeinen Zeitung des Judentums 26.11.1915, S. 2; Rabbiner Dr. Freund in Görlitz, in: Israelitisches Familienblatt 25.11.1915, S. 6; Görlitz, in: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judentum 56/1915, Nr. 49, S. 6; Ralph Schermann, Deutscher Kaiser ehrte einen Görlitzer Rabbiner, in: Sächsische Zeitung 21.11.2015; Ilse Macek, Clara Hepner, geborene Freund, Kinderbuchautorin. – Michael Brocke/Julius Carlebach/Carsten Wilke, Biographisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 1: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781-1871, S. 339, München 2004.

Lauren Leiderman
5.9.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lauren Leiderman, Artikel: Siegfried Freund,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27875 [Zugriff 6.10.2025].