Matthäus Ratzenberger

Ratzenberger stand als medizinischer Berater Martin Luthers und Leibarzt des Kurfürsten Johann Friedrich I. (des Großmütigen) von Sachsen in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu den führenden Vertretern der Wittenberger Reformation und wirkte als theologischer Laie aktiv an der kursächsischen Religionspolitik bis 1546 mit. – Über die ersten Lebensjahre Ratzenbergers ist nichts bekannt. Dem Vorbild vieler süddeutscher Bürgersöhne folgend, die es zur Ausbildung an die aufblühenden mitteldeutschen Universitäten zog, immatrikulierte sich Ratzenberger 1516 mit drei weiteren Studenten aus seiner Heimatstadt Wangen/Allgäu in Wittenberg. An der dortigen Philosophischen Fakultät erwarb er am 13.10.1517 das Bakkalaureat. Danach wandte er sich dem Studium der Medizin zu, beschäftigte sich parallel dazu unter dem Einfluss Luthers, Philipp Melanchthons und Johann Agricolas aber auch mit der reformatorischen Theologie. Von den Zeitgenossen seiner Frömmigkeit und Belesenheit halber gerühmt, verfügte Ratzenberger über ein profundes theologisches Wissen und trat frühzeitig als Anhänger der lutherischen Rechtfertigungslehre in Erscheinung. – 1525 wurde Ratzenberger Stadtphysikus in Brandenburg/Havel. Die Hinwendung der brandenburgischen Kurfürstin Elisabeth zum reformatorischen Glauben unterstützte Ratzenberger als ihr Leibarzt und Ratgeber in Religionssachen u.a. dadurch, dass er seiner Dienstherrin die Lektüre von Lutherschriften empfahl. Als es darüber zum Konflikt mit Elisabeths Ehemann Joachim I. von Brandenburg kam, in dessen Folge die Kurfürstin 1528 nach Torgau floh, verließ auch Ratzenberger umgehend den brandenburgischen Hof. In Wittenberg setzte er bei seinem renommierten akademischen Lehrer Augustin Schurff das Medizinstudium fort und wurde im Oktober 1528 zum Lizentiaten promoviert. Wahrscheinlich auf Empfehlung Agricolas ging Ratzenberger anschließend als Leibarzt des Grafen Albrecht VII. von Mansfeld nach Eisleben, nicht ohne seinen praktischen Dienst mit der Weiterqualifikation zum Doktor der Medizin (1536) zu verbinden. Die Freundschaft mit Agricola zerbrach über den von diesem mit Luther geführten Antinomistischen Streit. Ratzenberger verließ 1538 Eisleben und wurde Leibarzt des Kurfürsten Johann Friedrich. Über sein eigentliches Aufgabengebiet hinaus profilierte er sich am kurfürstlichen Hof als religionspolitischer Berater. Eingebunden in die Religionsverhandlungen im Reich, nahm er an der Versammlung der protestantischen Stände in Frankfurt/Main (1543) und am Reichstag in Speyer (1544) teil und machte sich als Gutachter in religiösen Streitfragen einen Namen. Seit Mitte der 1530er-Jahre wurde Ratzenberger zudem eine wichtige Stütze für den alternden Luther, der mit immer gravierenderen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Als Luther von Krankheit und Enttäuschung über die Verhältnisse in Wittenberg zermürbt 1545 der Stadt für immer den Rücken kehren wollte, gelang es Ratzenberger im kurfürstlichen Auftrag, den Reformator umzustimmen. In Anerkennung der freundschaftlichen Gesinnung seines Arztes widmete Luther seine Spätschrift „Wider das Papsttum zu Rom vom Teufel gestiftet“ (1545) Ratzenberger und bestellte ihn zum Mitvormund seiner Kinder. Nach dem Tod Luthers besorgte Ratzenberger außerdem die Inventur von dessen Bibliothek. – In dem Bestreben, das theologische Erbe Luthers möglichst unverändert zu bewahren, entfernte sich Ratzenberger seit 1546 zunehmend von Melanchthon und den Wittenberger Theologen und schloss sich stattdessen den Gnesiolutheranern um Matthias Flacius und Nikolaus von Amsdorf an. Vergeblich warnte er vor einer gewaltsamen Auseinandersetzung des Schmalkaldischen Bundes mit Kaiser Karl V. Durch den Schmalkaldischen Krieg verlor Ratzenberger am kurfürstlichen Hof an Einfluss und gab seinen Dienst letztlich auf. Nach der Gefangennahme Johann Friedrichs I. blieb er dessen Familie gleichwohl weiterhin persönlich verbunden. Eine Erkrankung der Kurfürstin Sibylle führte Ratzenberger auf die räumliche Trennung von ihrem inhaftierten Ehemann zurück, was Johann Friedrich dazu veranlasste, 1550 Verhandlungen über eine gemeinsame Internierung des Fürstenpaares in einem albertinischen Schloss zu beginnen. Als Johann Friedrich 1552 durch den Passauer Vertrag freikam, kehrte Ratzenberger nicht wieder in seine alte Stellung zurück, sondern betätigte sich als Arzt in Nordhausen und später als Stadtphysikus in Erfurt. Auf Bitten der Söhne Johann Friedrichs wirkte Ratzenberger, bereits von körperlichen Gebrechen behindert, in seinen letzten Lebensjahren noch beratend am Aufbau der Universität Jena mit. Zusammen mit Amsdorf, Johannes Aurifaber und Georg Rörer arbeitete er 1555 bis 1558 außerdem an der Jenaer Lutherausgabe. – Ratzenberger hinterließ umfangreiche handschriftliche Aufzeichnungen über das Leben Luthers und die Religionspolitik seiner Zeit. Obgleich subjektiv gefärbt und nicht ohne Lücken, kommt dem Material doch ein nicht unerheblicher Quellenwert zu, da der Verfasser u.a. Luthers Krankheiten und die Umstände seines Tods aus nächster Nähe beschreibt. Die historiografischen Arbeiten Ratzenbergers blieben lange unbeachtet und wurden erst 1774 bzw. 1850 publiziert.

Quellen Andreas Poach, Vom Christlichen Abschied aus diesem sterblichen Leben des lieben thewren Mannes Matthei Ratzenbergers der Artzney Doctors, Jena 1559.

Werke Warnung Vor den unrechten Wegen die Sache der Offenbahrung des Antichrists zu führen Sambt gruendlichem Beweiß und Ausführung daß D. Martin Luther nie gebilliget viel weniger gerathen sich in Glaubens-Sachen wider der Hohen Obrigkeit Gewalt zu wehren, 1665; Geheime Geschichte von den Chur- und Sächsischen Höfen und den Religions-Streitigkeiten seiner Zeit, hrsg. von Georg Theodor Strobel, Altdorf 1774 (ND Norderstedt 2017); Die handschriftliche Geschichte Ratzeberger´s über Luther und seine Zeit, hrsg. von Christian Gotthold Neudecker, Jena 1850.

Literatur Adolf Brecher, Neue Beiträge zum Briefwechsel der Reformatoren und ihnen nahestehender Männer, in: Zeitschrift für historische Theologie 42/1872, H. 3, S. 323-331; Georg Mentz (Bearb.), Johann Friedrich der Großmütige 1503-1554, 3 Teile, Jena 1903-1908. – ADB 27, S. 372-374; BBKL 7, Sp. 1394f.; DBA II; DBE 8, S. 198, Albert Hanck (Hg.), Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 16, Leipzig 1905, S. 471f.

Michael Wetzel
7.8.2023


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Matthäus Ratzenberger,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27743 [Zugriff 21.12.2024].

Matthäus Ratzenberger



Quellen Andreas Poach, Vom Christlichen Abschied aus diesem sterblichen Leben des lieben thewren Mannes Matthei Ratzenbergers der Artzney Doctors, Jena 1559.

Werke Warnung Vor den unrechten Wegen die Sache der Offenbahrung des Antichrists zu führen Sambt gruendlichem Beweiß und Ausführung daß D. Martin Luther nie gebilliget viel weniger gerathen sich in Glaubens-Sachen wider der Hohen Obrigkeit Gewalt zu wehren, 1665; Geheime Geschichte von den Chur- und Sächsischen Höfen und den Religions-Streitigkeiten seiner Zeit, hrsg. von Georg Theodor Strobel, Altdorf 1774 (ND Norderstedt 2017); Die handschriftliche Geschichte Ratzeberger´s über Luther und seine Zeit, hrsg. von Christian Gotthold Neudecker, Jena 1850.

Literatur Adolf Brecher, Neue Beiträge zum Briefwechsel der Reformatoren und ihnen nahestehender Männer, in: Zeitschrift für historische Theologie 42/1872, H. 3, S. 323-331; Georg Mentz (Bearb.), Johann Friedrich der Großmütige 1503-1554, 3 Teile, Jena 1903-1908. – ADB 27, S. 372-374; BBKL 7, Sp. 1394f.; DBA II; DBE 8, S. 198, Albert Hanck (Hg.), Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 16, Leipzig 1905, S. 471f.

Michael Wetzel
7.8.2023


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Matthäus Ratzenberger,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27743 [Zugriff 21.12.2024].