Karl Buchheim
B. war der zweite Nachkriegsdirektor der Universitätsbibliothek Leipzig. Er zählte zu den Gründern der DPD wie auch der CDU in Leipzig und vertrat die Christdemokraten zwischen 1946 und 1950 als Abgeordneter im Sächsischen Landtag. – Bis zum Frühjahr 1908 besuchte B. das Staatsgymnasium in Dresden-Neustadt, das er mit dem Abitur verließ. Im Anschluss studierte er an den Universitäten Jena, Leipzig und Bonn Geschichte, Germanistik, Philosophie, Klassische Philologie und Volkswirtschaftslehre. Mit einer Arbeit zur Kölnischen Zeitung im rheinischen Liberalismus wurde er im Dezember 1913 in Leipzig zum Dr. phil. promoviert. Ende Januar 1914 bestand er mit Auszeichnung das Staatsexamen für das Höhere Lehramt und erhielt die Lehrbefähigung für Deutsch, Geschichte, Latein sowie Philosophische Propädeutik. Das Studienreferendariat erfolgte am Gymnasium der Stadt Zwickau. – Im Januar 1915 wurde B. zum Kriegsdienst an der Westfront eingezogen. Mitte November desselben Jahres wurde er in Frankreich schwer verletzt, sodass er Ende September 1916 als dienstuntauglich aus dem Militär entlassen wurde. Nach dem Krieg erfolgte die Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit in Freiberg, wo er am 16.4.1919 zum Studienrat am örtlichen Gymnasium ernannt wurde. – Parteipolitisch trat B. erstmals 1920 in Erscheinung: Er wurde Mitglied der Deutschen Zentrumspartei und des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“. Da er die Politik der Nationalsozialisten entschieden ablehnte, beantragte er im November 1933 unter Berufung auf Paragraph 6 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 die selbst gewählte Versetzung in den Ruhestand, der im Frühjahr 1934 bei Gewährung des vollen Ruhegehalts entsprochen wurde. Seinen Unterhalt bestritt er von da an zusätzlich als freier Schriftsteller und Verlagslektor sowie zwischen 1943 und 1945 als Leiter des katholischen Leipziger „Thomas-Verlags Jakob Hegner“. – Ebenfalls aus politischen Gründen sah B. in der Zeit des Dritten Reichs von der Habilitation ab. Erst im Sommer 1945 beantragte er die Zulassung zur Habilitierung im Fach Geschichte mit dem Schwerpunkt „Geschichte der politischen Parteien, ihrer Ideologien und ihrer Publizistik“ an der Universität Leipzig. Eine Besonderheit an B.s Verfahren war dabei, dass er von Anfang an keine eigenständige Habilitationsschrift zur Begutachtung einreichte, sondern sich darauf beschränkte, den Gutachtern seine in den 1930er-Jahren verfassten und teilweise publizierten Beiträge vorzulegen, wobei das Kernstück dieser Schriftensammlung der bis dahin unveröffentlichte zweite Band von B.s „Geschichte der Kölnischen Zeitung“ ausmachte. Folglich taten sich auch B.s Gutachter - die Leipziger Professoren Hans Freyer,
Hermann Wendorf und Gerhard Menz - äußerst schwer damit, diese Texte als Äquivalent anzuerkennen, v.a. weil der zentrale Text thematisch zu eng an der Dissertation entlang führte. Aus den Gutachten geht allerdings hervor, dass die akademische wie auch multiperspektivische Qualität der Schriften durchaus überzeugte, weswegen letztlich B.s Schriftensammlung als Habilitationsschrift zur Annahme empfohlen wurde. Das gesamte Habilitationsverfahren wurde am 10.4.1946 befriedigend bestanden, wobei v.a. Menz B. vorwarf, dass dessen allgemeine politische Forschung zu sehr hinter dessen persönlichen Standpunkt zurücktrete. Die Venia Legendi für „Geschichte der politischen Parteien“ wurde B. nach der öffentlichen Lehrprobe am 8.5.1946 erteilt. Eine Dozentur erhielt er in Leipzig jedoch nicht. – Parallel zum Habilitationsverfahren war B. auf Empfehlung des Volksbildungsamts der Stadt Leipzig Anfang 1946 in den Dienst der Universitätsbibliothek Leipzig eingetreten. Zum 1.1. des Jahres bildete er als Abteilungsleiter Geisteswissenschaften gemeinsam mit Otto Kielmeyer, der als kommissarischer Bibliotheksleiter vorgesehen war, und Helmut Mogk, der als Abteilungsleiter Naturwissenschaften fungierte, das sog. Triumvirat, mit dem die seit 1945 formal vakante Bibliotheksleitung wieder besetzt werden sollte. Im Herbst 1946 kam schließlich noch die politische Mandatierung hinzu. B. war am 20.9. des Jahres für die CDU in den Leipziger Stadtrat gewählt worden und zog nach den Landtagswahlen vom 20.10. für die CDU-Fraktion in den Sächsischen Landtag ein. Als Mitglied des Landtags stand B. spätestens ab diesem Zeitpunkt unter besonderer Beobachtung des sowjetischen Geheimdiensts NKWD, der ihn zwischenzeitlich auch für eine informelle Mitarbeit gewinnen wollte. Er lehnte ab, wurde aber nachweislich noch bis Jahresende 1948 regelmäßig verhört und observiert. Die nunmehr durch die politische Funktion hinzutretende Mehrbeanspruchung war - wenngleich auch bei den einzelnen Akteuren aus sehr unterschiedlichen Beweggründen - entscheidender Grund, weshalb B. trotz seines dienstlichen Engagements als Abteilungsleiter nach dem Weggang Kielmeyers nicht die Wunschbesetzung für den frei gewordenen Direktorenposten darstellte. Wissenschaftler wie Theodor Frings, der der universitären Bibliothekskommission vorsaß, kritisierten nicht nur, dass B., wie ehedem Kielmeyer, die bibliothekarischen Examina fehlten, sondern hatten v.a. Sorge, dass er die Bibliothek zugunsten des politischen Geschäfts vernachlässigen könnte. SED-Politiker wie der Referent für Bibliotheken im Sächsischen Ministerium für Volksbildung
Heinz-Otto Rocholl fürchteten schlichtweg das politische Hindernis, das ein „bürgerlicher“ Bibliotheksdirektor, der zugleich Abgeordnetenimmunität genoss, im Prozess des Umbaus der Universität zur sozialistischen Bildungsanstalt mittelfristig darstellen würde. Mangels geeigneter Alternativen aus Wissenschaft und Politik wurde B. dennoch mit Wirkung vom 1.1.1948 zum kommissarischen Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig berufen. – Als Bibliotheksdirektor knüpfte B. im Wesentlichen an die bisherige Arbeit seines Vorgängers an, wobei er allerdings das dienstliche Gewicht zugunsten einer Neuausrichtung der Bestandssekretion verlagern musste. Denn die sowjetischen Weisungen, die spätestens seit 1947/48 vorsahen, dass Buchbestände nicht nur entnazifiziert werden müssen, sondern gänzlich von sowjet- und kommunismuskritischer Literatur zu befreien seien, brachten auch die Universitätsbibliothek Leipzig in Bedrängnis, da diese nunmehr einen erheblichen Verlust älterer, zumeist geisteswissenschaftlicher Literatur befürchten musste. B. spielte deshalb auf Zeit und nutzte den nachkriegsbedingten personellen Engpass an der Bibliothek u.a. auch, um die Sekretionsmaßnahmen merklich zu entschleunigen oder weniger gewissenhaft durchführen zu lassen, als von den sowjetischen Dienststellen gefordert war. Nach eigenen Angaben wusste er allerdings schon bei Dienstantritt, dass solche Manöver nicht von Dauer sein konnten und seine bibliothekarische Handlungsfreiheit eng mit dem politischen Mandat des Landtagsabgeordneten verknüpft war. – Beim Besuch des 20. Historikertags 1949 in München traf B. auf den CSU-Abgeordneten
Gerhard Kroll, der beabsichtigte, ein „Deutsches Institut für die Geschichte der nationalsozialistischen Zeit“, das heutige Institut für Zeitgeschichte in München, zu gründen. B. sollte nach Krolls Vorstellung in diesem Institut die wissenschaftliche Geschäftsführung übernehmen. Nicht zuletzt auch, da ihm in Leipzig eine Dozentur verwehrt blieb, sagte B. im Dezember 1949 Kroll für das geplante Vorhaben zu. Zugleich fiel für ihn der berufliche Rückzug aus Sachsen mit dem aktiv politischen zusammen: Die sozialistische Gleichschaltung der CDU Ostdeutschlands, die bereits 1947 mit der Enthebung des letzten demokratisch gewählten Parteivorstands begonnen hatte, trat mit der Verdrängung der wenigen noch verbliebenen Demokraten wie Hugo Hickmann oder Carl Günther Ruland aus entscheidenden Parteifunktionen in die letzte Phase ein. Als Ruland Anfang Februar 1950 sein Amt als CDU-Kreisvorsitzender Leipzigs niederlegte, trat B. mit ihm gemeinsam aus dem Kreisvorstand aus. Etwa zur gleichen Zeit beantragte er beim Sächsischen Ministerium für Volksbildung seine Entbindung vom Amt des Direktors der Universitätsbibliothek Leipzig zum 31.3.1950. Dieser Bitte wurde ohne Widerstand oder Verzögerung entsprochen. Neuer kommissarischer Direktor wurde B.s bisheriger Stellvertreter Mogk. – B. siedelte Mitte April 1950 legal in die Bundesrepublik über, trat die mit Kroll vereinbarte wissenschaftliche Geschäftsführung des Instituts für Zeitgeschichte jedoch nicht an. Noch im selben Jahr erhielt er eine außerordentliche Professur für Neuere Geschichte an der Technischen Hochschule München. Hier lehrte er bis zu seiner Emeritierung 1958, blieb aber bis ins hohe Alter wissenschaftlich-publizistisch aktiv.
Quellen Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Personalakten; Universitätsbibliothek Leipzig, Altregistratur.
Werke Die Stellung der Kölnischen Zeitung im vormärzlichen rheinischen Liberalismus, Leipzig 1914; Heinrich von Sybel und der Staatsgedanke, in: Historische Vierteljahresschrift 26/1930, H. 1, S. 96-116; Geschichte der Kölnischen Zeitung, Köln 1931; Wahrheit und Geschichte, Leipzig 1935; Logik der Tatsachen. Vom geschichtlichen Wesen der Schöpfung, Leipzig 1937; Glaubensverwandte Wissenschaft, in: E. L. Hauswedell/K. Ihlenfeld (Hg.), Werke und Tage, Berlin 1938, S. 36-44; Das messianische Reich, München 1948; Suleika, München 1948; Ultramontanismus und Geschichte, München 1950; Leidensgeschichte des zivilen Geistes oder die Demokratie in Deutschland, München 1951; Geschichte der christlichen Parteien in Deutschland, München 1953; Die Pflicht zur Politik, Rottenburg 1957; Die Weimarer Republik, München 1960; Das deutsche Kaiserreich, München 1969; Der historische Christus, München 1974; Eine sächsische Lebensgeschichte. Erinnerungen 1889-1972, München 1996.
Literatur K. Buchheim, Eine sächsische Lebensgeschichte. Erinnerungen 1889-1972, München 1996. – DBA II, III; DBE 2, S. 183.
Hassan Soilihi Mzé
5.3.2015
Empfohlene Zitierweise:
Hassan Soilihi Mzé, Artikel: Karl Buchheim,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/855 [Zugriff 24.11.2024].
Karl Buchheim
Quellen Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Personalakten; Universitätsbibliothek Leipzig, Altregistratur.
Werke Die Stellung der Kölnischen Zeitung im vormärzlichen rheinischen Liberalismus, Leipzig 1914; Heinrich von Sybel und der Staatsgedanke, in: Historische Vierteljahresschrift 26/1930, H. 1, S. 96-116; Geschichte der Kölnischen Zeitung, Köln 1931; Wahrheit und Geschichte, Leipzig 1935; Logik der Tatsachen. Vom geschichtlichen Wesen der Schöpfung, Leipzig 1937; Glaubensverwandte Wissenschaft, in: E. L. Hauswedell/K. Ihlenfeld (Hg.), Werke und Tage, Berlin 1938, S. 36-44; Das messianische Reich, München 1948; Suleika, München 1948; Ultramontanismus und Geschichte, München 1950; Leidensgeschichte des zivilen Geistes oder die Demokratie in Deutschland, München 1951; Geschichte der christlichen Parteien in Deutschland, München 1953; Die Pflicht zur Politik, Rottenburg 1957; Die Weimarer Republik, München 1960; Das deutsche Kaiserreich, München 1969; Der historische Christus, München 1974; Eine sächsische Lebensgeschichte. Erinnerungen 1889-1972, München 1996.
Literatur K. Buchheim, Eine sächsische Lebensgeschichte. Erinnerungen 1889-1972, München 1996. – DBA II, III; DBE 2, S. 183.
Hassan Soilihi Mzé
5.3.2015
Empfohlene Zitierweise:
Hassan Soilihi Mzé, Artikel: Karl Buchheim,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/855 [Zugriff 24.11.2024].