Julius Ambrosius Hülße
H. zählt zu den führenden Vertretern des höheren technischen Bildungswesens in Sachsen im 19. Jahrhundert. Als Professor für Mechanische Technologie hat er sich über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht. V.a. aber bereitete er als Reorganisator der Polytechnischen Schule zu Dresden den Weg dieser Bildungsanstalt zu einer Technischen Hochschule. – Zunächst besuchte H. in seiner Heimatstadt die Thomasschule, wo er den gleichaltrigen Albert Christian Weinlig kennenlernte, mit welchem ihn zeitlebens eine enge Freundschaft verband. 1829 nahm er das Studium der Theologie an der Universität Leipzig auf, wechselte aber bereits nach einem Jahr zur Bergakademie Freiberg. Dort studierte er Mathematik, Physik und Maschinenbau. Prägende Lehrergestalt war dort der angesehene Maschinenwissenschaftler Julius Ludwig Weisbach, der dem wissenschaftlichen Maschinenwesen in Deutschland wesentliche Impulse gab. – H., wie auch sein Freund Weinlig, Sohn des Thomaskantors und nachmaliger Ministerialdirektor für technisches Schul- und Gewerbewesen im sächsischen Innenministerium, blieben nicht unbeeinflusst von den politischen Bewegungen des Vormärz und den 1848er Ereignissen, die ihre bürgerlich-konservative Grundhaltung prägten. Nach der Übernahme minder bedeutender Lehrerstellen und einigen Jahren der Mitarbeit am „Polytechnischen Centralblatt“, das er 1835 zusammen mit Weinlig gegründet hatte, wurde H. 1841 zum Direktor der Gewerbeschule in Chemnitz berufen. Als Professor lehrte er vornehmlich die mathematisch-mechanischen Fächer und erwarb sich Verdienste um die Profilierung der Ausbildung, die Modernisierung der Lehrpläne und die Errichtung des 1848 eingeweihten Schulneubaus. Durch diese Anstellungen finanziell unabhängig geworden, heiratete er 1837
Pauline Schiffner, die Tochter eines Staatsschuldenkassierers. Beruflich war H. in dieser Zeit ein herber Misserfolg beschieden. In der von ihm seit 1836 herausgegebenen vielbändig konzipierten „Maschinen-Encyclopädie“ suchte er unter Einbeziehung namhafter Polytechniker aus dem deutschsprachigen Raum den aktuellen Stand des maschinentechnischen Wissens zu dokumentieren. Das breit angelegte und kostspielige Unternehmen musste allerdings nach Erscheinen der ersten Bände mangels kaufkräftiger Nachfrage wieder aufgegeben werden. So hatte er es v.a. seiner Lehrbefähigung und seinem Organisationstalent zu verdanken, dass er 1850 zum Direktor der Technischen Bildungsanstalt in Dresden berufen wurde. Vermutlich zog man H. für dieses Amt wegen seiner besonderen Loyalität zum Königshaus dem angesehenen technischen Hauptlehrer dieser Einrichtung, Johann Andreas Schubert, vor. Während der politischen Kämpfe 1848 stand er fest an der Seite des „Beruhigungskommissars“ Weinlig. Im Herbst 1849 zog er als Abgeordneter der Stadt Chemnitz in die Zweite Kammer des Sächsischen Landtags ein und war zeitweise Referent für Industrie- und Gewerbesachen im Ministerium des Innern. Daneben wurde er zum Direktor der Dresdner Baugewerkeschule, der Schule für Modellieren, Ornamenten- und Musterzeichnen und der Sächsischen Schifferschule bestellt. Außerdem berief man ihn zum Observator des Mathematisch-Physikalischen Salons. Mit H. gewann in Dresden das technologische Ausbildungsprofil an Gewicht. V.a. die von ihm begründete Mechanisch-Technologische Sammlung unterstreicht den hohen Stellenwert des Lehrfachs Mechanische Technologie als Mittler für eine praxisnahe Ausbildung. H.s Direktorentätigkeit verdankt die 1851 zur Polytechnischen Schule aufgerückte Bildungsanstalt eine tief greifende Reorganisation im Hinblick auf eine moderne, den Anforderungen der sich rasch vollziehenden Industrialisierung in Sachsen genügende Ingenieurausbildung. Sein autokratischer Leitungsstil, gepaart mit Durchsetzungsvermögen, mag dabei zwar förderlich gewesen sein, ist aber gleichwohl bei Lehrerkollegen und in der Studentenschaft auf Ablehnung gestoßen. Namentlich sein Stellvertreter Schubert wurde wegen seines liberalen Auftretens als der populäre Antipode des gestrengen Direktors angesehen. Unter H. bekam der Technikerabschluss durch die sog. Maturitätsprüfungen ein festes Prüfungsreglement. 1855 wurde unter seiner Ägide ein Senat als erstes Selbstverwaltungsorgan eingeführt, der allerdings noch kein Beschlussrecht besaß. Auch die Errichtung einer selbstständigen Abteilung zur Ausbildung von Lehrern, der Vorgängerin der Allgemeinen und späteren Kulturwissenschaftlichen Abteilung, geht auf Betreiben H.s zurück. Zu seinen Verdiensten um die Schule zählt ferner die Einrichtung eines Reisestipendienfonds sowie mehrerer Stipendienstiftungen für leistungsstarke Schüler. Neben der Mechanischen Technologie, die er als eigenständiges Lehrfach aus der Maschinenlehre herauslöste, übernahm H. auch das Fachgebiet Volkswirtschaftslehre. Der von ihm angeregte Brückenschlag zwischen technischen und ökonomischen Fächern wie überhaupt sein wissenschaftliches und administratives Schaffen eröffneten seiner Bildungseinrichtung moderne Wege der Ingenieurausbildung, die bis heute Bestand haben. – Über Schulgrenzen hinaus zeichnete sich H. durch seine Tätigkeit als Sachverständiger und durch die Mitarbeit in verschiedenen Gremien, wissenschaftlichen Gesellschaften sowie nationalen und internationalen Kommissionen aus. So führte er den Vorsitz in dem 1863 vom Sächsischen Innenministerium eingerichteten Beratungsorgan, der Technischen Deputation. Hierzu zählen auch seine Mitgliedschaften in der Sächsischen Normaleichungskommission (seit 1858), in der Kommission von Sachverständigen zwecks Einigung im Maß- und Gewichtswesen beim Bundestag in Frankfurt (seit 1861), im Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes in Preußen (1864) sowie im Verein Deutscher Ingenieure (1866). Engagiert bemühte er sich um den Schulneubau der 1871 zum Polytechnikum aufgestiegenen Schule. Von der Einführung eines neuen Organisationsplans bis hin zur Erarbeitung einer Hochschulverfassung war H. maßgeblich an dieser Statuserhöhung beteiligt. Dies spricht für seinen wissenschaftsstrategischen und bildungspolitischen Weitblick. 1865 gab er, erst 53-jährig, einen Teil der Lehraufgaben an seinen Nachfolger Ernst Hartig ab. Dieser setzte sein Werk fort und führte die technologische Lehre und Forschung in Dresden zu großem wissenschaftlichen Ansehen. – Der gesundheitlich angeschlagene H., welcher noch 1873 das Ressort seines verstorbenen Freunds Weinlig im Innenministerium übernommen hatte, konnte zwar die Einweihung der „Alten Hochschule“, des Hauptgebäudes am damaligen Bismarckplatz, noch erleben, starb aber bald darauf nach langem schweren Leiden.
Werke Begründer und Herausgeber der Zeitschrift „Polytechnisches Centralblatt“, 1835ff.; (Hg.), Allgemeine Maschinen-Encyclopädie, 2 Bde, Leipzig 1841/44; Die Königlich Polytechnische Schule zu Dresden während der ersten 25 Jahre ihres Wirkens, Dresden 1853; Die Technik der Baumwollspinnerei, Stuttgart 1857; Die Kammgarnfabrikation, Stuttgart 1861.
Literatur S.-H. Richter, Julius Ambrosius H., in: Bedeutende Gelehrte der Technischen Universität Dresden, hrsg. von der Technischen Universität Dresden, Bd. 2, Dresden 1990, S. 21-42. – ADB 13, S. 336; DBA I, II, III; DBE 5, S. 211; NDB 9, S. 739; D. Petschel (Bearb.), Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, Köln 2003, S. 394f.
Porträt Porträtfotografie, H. Krone, um 1865, Krone-Sammlung der Technischen Universität Dresden; Bildnis des Julius Ambrosius H., H. Bürkner, Holzstich, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Klaus Mauersberger
3.9.2009
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Mauersberger, Artikel: Julius Ambrosius Hülße,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2262 [Zugriff 22.11.2024].
Julius Ambrosius Hülße
Werke Begründer und Herausgeber der Zeitschrift „Polytechnisches Centralblatt“, 1835ff.; (Hg.), Allgemeine Maschinen-Encyclopädie, 2 Bde, Leipzig 1841/44; Die Königlich Polytechnische Schule zu Dresden während der ersten 25 Jahre ihres Wirkens, Dresden 1853; Die Technik der Baumwollspinnerei, Stuttgart 1857; Die Kammgarnfabrikation, Stuttgart 1861.
Literatur S.-H. Richter, Julius Ambrosius H., in: Bedeutende Gelehrte der Technischen Universität Dresden, hrsg. von der Technischen Universität Dresden, Bd. 2, Dresden 1990, S. 21-42. – ADB 13, S. 336; DBA I, II, III; DBE 5, S. 211; NDB 9, S. 739; D. Petschel (Bearb.), Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, Köln 2003, S. 394f.
Porträt Porträtfotografie, H. Krone, um 1865, Krone-Sammlung der Technischen Universität Dresden; Bildnis des Julius Ambrosius H., H. Bürkner, Holzstich, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Klaus Mauersberger
3.9.2009
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Mauersberger, Artikel: Julius Ambrosius Hülße,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2262 [Zugriff 22.11.2024].