Jenny Bürde-Ney

Während ihrer Glanzzeit am Dresdner Hoftheater war B. die Primadonna. Persönlich bescheiden und uneitel, verdankte sie diese Position ihrer außergewöhnlich veranlagten und sorgfältig ausgebildeten Stimme, die ihr erlaubte, sowohl Koloraturpartien als auch lyrische bis hochdramatische Sopranpartien gleichermaßen überzeugend darzustellen. – B. erhielt ersten Unterricht bei ihrer Mutter, mit der sie 1836/1837 nach Ungarn zog. B. trat an kleinen ungarischen Theatern in Kinder- und Pagenrollen auf. Als die Fünfzehnjährige in Arad (Rumänien) als „Donauweibchen“ in Ferdinand Kauers gleichnamiger Posse auftrat, fiel erstmals ihre ungewöhnlich schöne Stimme auf. 1842 bis 1844 ist sie (zusammen mit ihrer Schwester Caroline) in Ofen (ungar. Buda) für Soubrettenpartien im Schau- und im Lustspiel nachzuweisen. Mit 17 Jahren durfte sie, von der Mutter ursprünglich als ungeeignet für die Oper angesehen, die Ausbildung zur Opernsängerin fortsetzen. Nach ersten Bühnenerfahrungen als Choristin sowie in ersten Solopartien in Temesvar (rumän. Timișoara) debütierte B. 1845 am Theater Olmütz (tschech. Olomouc) als „Norma“ von Vincenzo Bellini. Hier sang sie auch in einer Benefizvorstellung am 14.3.1846 beide Sopran-Hauptrollen der „Alice“ und „Isabell“ in „Robert le diable“ von Giacomo Meyerbeer und galt bald als überragende Sängerin des seit 1842 aufblühenden Olmützer Theaters. Nach einem Gastspiel 1846 in Prag als „Romeo“ in der Oper „I Capuleti e i Montecchi“ von Bellini wurde B. Ostern 1846 in Prag engagiert. Dort fand sie sich nicht genügend beschäftigt und vom Publikum nicht akzeptiert, sodass sie die Stadt noch im darauffolgenden März nach einer Abschiedsvorstellung als „Donna Elvira“ (in Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“) wieder verließ, um ein Engagement in Lemberg (ukrain. Lviv) in der Saison 1847/1848 anzutreten. Hier hatte die Oper seit den 1840er-Jahren einen deutlichen Aufschwung genommen und B. entwickelte sich von Rolle zu Rolle, sodass sie von Teilen der Kritik bereits als Primadonna und Stütze des Ensembles bezeichnet wurde. Folgerichtig verließ sie Lemberg nach der Saison 1849/1850 und trat ein Engagement bei der kaiserlichen Hofoper in Wien an. Trotz ihrer stupenden Stimmmittel und der Anerkennung bei der Kritik u.a. für „Lucretia Borgia“ und „Lucia di Lammermoor“ (beide von Gaetano Donizetti), als „Pamina“ (Mozart, „Die Zauberflöte“), „Indra“ (Titelpartie der gleichnamigen Oper von Friedrich von Flotow) und „Rezia“ (Carl Maria von Weber, „Oberon“) konnte sie sich in Wien nicht etablieren und gastierte am 3.6.1852 erstmals in Dresden. Hier wusste sie sowohl als Bellinis „Norma“, als „Donna Anna“ (Mozart, „Don Giovanni“), als „Agatha“ (Weber, „Der Freischütz“) als auch als „Valentine“ (Meyerbeer, „Le prophète“) zu überzeugen und bekam sofort ein Engagement angeboten. Sie wurde zum 1.4.1853 als Nachfolgerin von Wilhelmine Schröder-Devrient engagiert und begeisterte das Publikum durch ihre außerordentlichen Stimmqualitäten. Ihre in allen Registern durchgängig gleichmäßig gut ansprechende Sopranstimme hatte sie durch konsequente Ausbildung so vervollkommnet, dass sie - so Zeitgenossen - über einen besonderen Glanz und große Durchschlagskraft v.a. in der Höhe verfügte. Dazu entwickelte B. eine technisch perfekte Koloraturtechnik und bot überzeugende Charakterdarstellungen. Ihre mehr als drei Oktaven umfassende Stimme ergänzten eine „musterhafte Intonation und eine sehr deutliche und korrekte Aussprache“ (Prölss). Neben den v.a. in ihren Anfängen verkörperten lyrischen Partien („Pamina“ in Mozarts „Zauberflöte“) und den ihren Ruhm begründenden hochdramatischen Partien der Opernliteratur, etwa in den Grand Opéras von Meyerbeer und Jacques Fromental Halévy („La Juive“), brillierte sie auch in Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“, einer komischen Oper, deren Partie der „Frau Fluth“ zu ihren Paraderollen gehörte. – 1855 sang B. unter Meyerbeers Dirigat die „Bertha“ in seiner Oper „L’étoile du Nord“. Meyerbeer führte die von ihm hoch geschätzte B. anlässlich ihrer Heirat mit dem ebenfalls am Dresdner Hoftheater engagierten Schauspielerkollegen Emil Bürde zum Altar. Der König honorierte B.s Leistungen schon 1854 mit der Ernennung zur königlich sächsischen Kammersängerin und 1860 mit der Erhöhung ihres Salärs von 5.000 Taler auf 6.000 Taler, womit sie zeitweise die bestverdienende fest an ein Haus gebundene Bühnenkünstlerin in Deutschland war. B. gastierte an zahlreichen größeren und mittleren deutschen Theatern wie 1854 in Berlin, daneben in Hamburg, Braunschweig, Frankfurt/Main, Köln und Würzburg. 1855 und 1856 führte sie ein Gastspielaufenthalt nach London, wo sie an der königlichen Oper in Covent Garden die „Leonora“ in Guiseppe Verdis „Il Trovatore“ gab. Trotz einiger verlockender Angebote aus den europäischen Metropolen London, Mailand (Italien), Sankt Petersburg (russ. Sankt-Peterburg) und sogar aus New York blieb sie dem Dresdner Hoftheater treu. In ihrer „Villa Bürde-Ney“ in Oberlößnitz verkehrten viele Künstlerkollegen aus Oper und Schauspiel ebenso wie die Schriftsteller Karl Gutzkow, Gustav Kühne, Julius Mosen und Berthold Auerbach. 1860 forderte Richard Wagner sie zur Teilnahme an einer geplanten Aufführungsreihe seiner Opern, insbesondere des neuen „Tristan und Isolde“, auf, die Zusammenarbeit kam aber nicht zustande. B. kannte ihre physischen und physiologischen Möglichkeiten sehr genau. Als sie 1866 ein erstes Nachlassen ihres stimmlichen Potenzials feststellte, zog sie sich von der Bühne zurück und trat nur mehr gelegentlich als Kirchensängerin auf. Daneben wirkte sie als Gesangspädagogin. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem und Emmy Sonntag-Uhl zählten zu ihren Schülerinnen. Seit 1878 war sie Mitglied im ersten Dresdner Frauen-Erwerbsverein, den ihre Schauspielkollegin Anna Löhn-Siegel 1876 gegründet hatte.

Quellen Diözesanarchiv Graz-Seckau, Taufbuch der Dompfarrei, Bd. 3, S. 953; Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, hrsg. u. kommentiert von Sabine Henze-Döring, Bd. 8: 1860-1864, Berlin/New York 2006.

Literatur Robert Prölss, Geschichte des Dresdner Hoftheaters von den Anfängen bis zum Jahr 1862, Dresden 1878; Nekrolog Jenny B., in: Tage-Buch der Königlich-Sächsischen Hoftheater 70/1886, S. 123f.; Dresdner Anzeiger, Vierte Beilage Nr. 139 vom 19.5.1886, S. 19f.; Oscar Teuber, Geschichte des Prager Theaters von den Anfängen des Schauspielwesens bis auf die neueste Zeit, Bd. 3, Prag 1888; A. Ehrlich [d.i. Albert Payne], Berühmte Sängerinnen der Vergangenheit und Gegenwart, Leipzig 1895, S. 29f. (P); Friedrich Kummer, Dresden und seine Theaterwelt, Dresden 1938; Horst Seeger, Jenny B., in: Opernglas. Gestaltung und Gestalten. Theaterjournal der Staatsoper Dresden 1986/1987, Nr. 5, S. 6; Jerzy Got, Das österreichische Theater in Lemberg im 18. und 19. Jahrhundert, 2 Bde., Wien 1997; Michael Jahn, Die Wiener Hofoper von 1848 bis 1870. Personal - Aufführungen - Spielplan, Tutzing 2002; Jiří Kopecký/Lenka Křupková, Das Olmützer Stadttheater und seine Oper. „Wer in Olmütz gefällt, gefällt der ganzen Welt“, Regensburg 2017. – ADB 47, S. 391f.; DBA I, II, III; DBE 2, S. 208; Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart, Bd. 2, Supplement I: Frauen der Zeit, Leipzig 1862, Sp. 82-84; Constantin Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 20, Wien 1869, S. 310f.; Friedrich Johann von Reden-Esbeck, Deutsches Bühnen-Lexikon, Eichstätt/Stuttgart 1879, S. 81; Adolf Oppenheim/Ernst Gettke (Hg.), Deutsches Theater-Lexikon, Leipzig 1889; Ludwig Eisenberg, Großes biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im 19. Jahrhundert, Leipzig 1903; Adolph Kohut, Jenny B., in: ders. (Hg.), Die Gesangsköniginnen in den letzten drei Jahrhunderten, Bd. 2, Berlin 1906, S. 6-14 (P); Wilhelm Kosch, Deutsches Theater-Lexikon, Bd. 1, Klagenfurt/Wien 1953, S. 233; Ernst Bruckmüller (Hg.), Österreichisches biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 1, Wien/Graz/Köln 21954, S. 125; Karl Josef Kutsch/Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, Bd. 4, München 2003, S. 3339; Ilse Korotin (Hg.), BiografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Bd. 1, Wien/Köln/Weimar 2016, S. 460; Daniel O’Hara, Richard Tauber Chronology, 2019.

Porträt Jenny Bürde-Ney, Josef Kriehuber, 1852, Lithografie, danach Stahlstich von Johann Paul Singer, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inventar-Nr.: Sax B; Bildnis der Sängerin Jenny Bürde-Ney, August Weger, um 1850, Kupferstich, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inventar-Nr.: A 144630 in B 1482, 4 II. Singer 10800, Nr. A 144630; Porträt Jenny Bürde-Ney, Hanns Hanfstaengel, um 1865, Albuminabzug auf Karton (Papier, Carte de visite, schwarzweiß), Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz]; Jenny Bürde-Ney, unbekannter Fotograf, 1865/1875, Albuminabzug (Carte de visite auf zusätzlichem Untersetzkarton), Stadtmuseum Dresden, Porträtfotografien der fortgeführten Otto Richter-Sammlung, Tafel 258, Bild 1, Inventar-Nr.: SMD_PhP_00315.

Eva Chrambach
10.6.2020


Empfohlene Zitierweise:
Eva Chrambach, Artikel: Jenny Bürde-Ney,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/900 [Zugriff 24.11.2024].

Jenny Bürde-Ney



Quellen Diözesanarchiv Graz-Seckau, Taufbuch der Dompfarrei, Bd. 3, S. 953; Giacomo Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, hrsg. u. kommentiert von Sabine Henze-Döring, Bd. 8: 1860-1864, Berlin/New York 2006.

Literatur Robert Prölss, Geschichte des Dresdner Hoftheaters von den Anfängen bis zum Jahr 1862, Dresden 1878; Nekrolog Jenny B., in: Tage-Buch der Königlich-Sächsischen Hoftheater 70/1886, S. 123f.; Dresdner Anzeiger, Vierte Beilage Nr. 139 vom 19.5.1886, S. 19f.; Oscar Teuber, Geschichte des Prager Theaters von den Anfängen des Schauspielwesens bis auf die neueste Zeit, Bd. 3, Prag 1888; A. Ehrlich [d.i. Albert Payne], Berühmte Sängerinnen der Vergangenheit und Gegenwart, Leipzig 1895, S. 29f. (P); Friedrich Kummer, Dresden und seine Theaterwelt, Dresden 1938; Horst Seeger, Jenny B., in: Opernglas. Gestaltung und Gestalten. Theaterjournal der Staatsoper Dresden 1986/1987, Nr. 5, S. 6; Jerzy Got, Das österreichische Theater in Lemberg im 18. und 19. Jahrhundert, 2 Bde., Wien 1997; Michael Jahn, Die Wiener Hofoper von 1848 bis 1870. Personal - Aufführungen - Spielplan, Tutzing 2002; Jiří Kopecký/Lenka Křupková, Das Olmützer Stadttheater und seine Oper. „Wer in Olmütz gefällt, gefällt der ganzen Welt“, Regensburg 2017. – ADB 47, S. 391f.; DBA I, II, III; DBE 2, S. 208; Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart, Bd. 2, Supplement I: Frauen der Zeit, Leipzig 1862, Sp. 82-84; Constantin Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 20, Wien 1869, S. 310f.; Friedrich Johann von Reden-Esbeck, Deutsches Bühnen-Lexikon, Eichstätt/Stuttgart 1879, S. 81; Adolf Oppenheim/Ernst Gettke (Hg.), Deutsches Theater-Lexikon, Leipzig 1889; Ludwig Eisenberg, Großes biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im 19. Jahrhundert, Leipzig 1903; Adolph Kohut, Jenny B., in: ders. (Hg.), Die Gesangsköniginnen in den letzten drei Jahrhunderten, Bd. 2, Berlin 1906, S. 6-14 (P); Wilhelm Kosch, Deutsches Theater-Lexikon, Bd. 1, Klagenfurt/Wien 1953, S. 233; Ernst Bruckmüller (Hg.), Österreichisches biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 1, Wien/Graz/Köln 21954, S. 125; Karl Josef Kutsch/Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, Bd. 4, München 2003, S. 3339; Ilse Korotin (Hg.), BiografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Bd. 1, Wien/Köln/Weimar 2016, S. 460; Daniel O’Hara, Richard Tauber Chronology, 2019.

Porträt Jenny Bürde-Ney, Josef Kriehuber, 1852, Lithografie, danach Stahlstich von Johann Paul Singer, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inventar-Nr.: Sax B; Bildnis der Sängerin Jenny Bürde-Ney, August Weger, um 1850, Kupferstich, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inventar-Nr.: A 144630 in B 1482, 4 II. Singer 10800, Nr. A 144630; Porträt Jenny Bürde-Ney, Hanns Hanfstaengel, um 1865, Albuminabzug auf Karton (Papier, Carte de visite, schwarzweiß), Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz]; Jenny Bürde-Ney, unbekannter Fotograf, 1865/1875, Albuminabzug (Carte de visite auf zusätzlichem Untersetzkarton), Stadtmuseum Dresden, Porträtfotografien der fortgeführten Otto Richter-Sammlung, Tafel 258, Bild 1, Inventar-Nr.: SMD_PhP_00315.

Eva Chrambach
10.6.2020


Empfohlene Zitierweise:
Eva Chrambach, Artikel: Jenny Bürde-Ney,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/900 [Zugriff 24.11.2024].