Hubert Richter

R. besuchte 1889 bis 1892 die Vierte Bürgerschule in Dresden und anschließend bis zum Abitur 1901 das Königliche Gymnasium in Dresden-Neustadt. Nach seinem Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger beim sächsischen Grenadierregiment Nr. 101 „Kaiser Wilhelm II.“ immatrikulierte er sich Ostern 1902 an der Universität Leipzig und studierte dort bis November 1906 Geografie, Germanistik und Geschichte, u.a. bei Erich Brandenburg, der auch einer der Betreuer seiner Dissertation „Die Verhandlungen über die Aufnahme der Reformierten in den Religionsfrieden auf dem Friedenskongreß in Osnabrück 1645-48“ war. Bereits am 1.4.1906 war R., dessen Vater bis 1918 in der Königlich öffentlichen Bibliothek Dresden (KÖB) tätig war, als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in die KÖB eingetreten. Dort gehörte es zu seiner Aufgabe, den Hilfsbibliothekar Konrad Haebler bei der Inkunabelkatalogisierung zu unterstützen. Nach Haeblers Weggang nach Berlin wurde er 1907 ständiger Hilfsarbeiter, am 1.1.1909 Bibliotheksassistent und am 1.6.1914 Bibliothekar. Während des Ersten Weltkriegs wurde R. am 1.8.1914 zwar zum Militärdienst eingezogen, aufgrund seiner Diabeteserkrankung aber bereits am 16.8. wieder entlassen. – Die Staatskanzlei fragte 1921 bei der Sächsischen Landesbibliothek Dresden (SLB, Nachfolgerin der KÖB) bezüglich eines Bibliothekars an, der die Ministerialbücherei neu organisieren könne. Für diese Arbeit wurde R. vorgeschlagen, der in den Ministerien nach eigenen Worten „drei Bücherhaufen“ vorfand, die kaum benutzbar waren. Zum 1.10.1922 übernahm er abgeordnet die Leitung der Zentralbücherei der Landesverwaltung und der Gemeinschaftlichen Ministerialbücherei (1943-1945 umbenannt in Bücherei der Landesregierung). In dieser Funktion wurde er zum Regierungsrat ernannt. In der Ministerialbücherei erstellte er neue Kataloge als Grundlage für Erwerbung und Benutzung. Nach Ablauf der Abordnung kehrte R. zum 1.1.1926 auf Verlangen der SLB an diese zurück. Durch die Jahre in der Ministerialbücherei hatte er den beruflichen Anschluss in der SLB verloren, was in ihm ein Gefühl der Kränkung und Zurückweisung auslöste. Er beschwerte sich beim Bibliotheksdirektor und beim Volksbildungsministerium, da ihm schriftlich eine zukünftige Karriere als Oberbibliothekar und Stellvertreter des Direktors „für alle Zeit“ verwehrt worden war. Als Ersatz verlangte er neben dem Titel eines Professors auch den eines Titular-Oberbibliothekars. Beides wurde abgelehnt. Für R. war dies umso unverständlicher, da er in den 1930er-Jahren einer der wenigen wissenschaftlich tätigen Beamten der SLB war. – Wie sein Lehrer Brandenburg beschäftigte sich R. in seinen wissenschaftlichen Arbeiten v.a. mit der Bismarckzeit. Seine Aufsätze sind interessante Studien zur Person Ottos von Bismarck selbst, wie auch zu dessen Zeitgenossen. R.s Studie „Sachsen und Bismarcks Entlassung“ beruht auf preußischen und österreichischen Gesandtschaftsquellen. Sie enthält im Hinblick auf dessen Entlassung im reichspolitischen Rahmen zwar kaum neue Informationen, zeigt aber deutlich Sachsens geringes Mitspracherecht in dieser Angelegenheit. Von ganz besonderem Wert für die Dresdner Bibliotheksgeschichte ist sein Aufsatz „Aus der Geschichte der Sächsischen Landesbibliothek“, für den er zahlreiche Quellen nutzte und aus seinem reichen Wissen als langjähriger Mitarbeiter schöpfte, weshalb der Erkenntnisgewinn dieses Beitrags über den anderer Arbeiten hinausgeht. – Gauleiter Martin Mutschmann berief R. am 7.1.1939 zum fördernden Mitglied der Sächsischen Kommission für Geschichte, obwohl dieser nicht mit der NSDAP sympathisierte. R. vertrat darüber hinaus dienstlich mehrfach den Leiter des Sächsischen Armeemuseums in Dresden. Ab 1943 arbeitete er, schon vorher durch die Diabetes, Arterienverkalkung und Nervenleiden häufig krank, nur noch halbtags. Bei den Luftangriffen auf Dresden am 13. und 14.2.1945 wurde seine Wohnung komplett zerstört. Auf der Flucht in den Großen Garten wurde seine Frau durch Bombensplitter getötet. Der ohnehin geschwächte R. erlitt dadurch einen Nervenzusammenbruch. Er zog zu seiner Schwiegermutter nach Dresden-Plauen und stellte im März 1945 einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand. Der Direktor der SLB, Hermann Neubert, bescheinigte ihm daraufhin dauerhafte Dienstunfähigkeit. Offiziell arbeitete R. bis zum 30.4.1945 in der SLB, erklärte sich dann jedoch selbst wieder dienstfähig, wahrscheinlich wegen der Bezüge, die er für seinen Lebensunterhalt benötigte. Vom 1.11.1945 bis zu seinem Tod war er erneut Leiter der Zentralbücherei der Landesregierung (vorher: Bücherei der Landesregierung). Diese zählte vor dem Kriegsende 180.000 Bände, 1950 noch 135.000 und umfasste die vier Bibliotheken der einzelnen Ministerien, denen sie vorstand. Die Büchereien der Staatskanzlei und des Volksbildungsministeriums waren total zerstört worden, die der Landesregierung und des Finanzministeriums wiesen starke Verluste auf. R.s Hauptaufgabe bestand dementsprechend v.a. in der Nutzbarmachung der Bibliothek. – R., der kinderlos blieb, war vom 13.12.1933 bis zu dessen Auflösung 1934 Mitglied des Stahlhelmbunds. Er war nicht Mitglied nationalsozialistischer Vereine; auch der NSDAP verweigerte er sich, da er als „logisch denkender Historiker“ in diese Partei nicht eintreten könne und bezeichnete sich selbst als „Gegner der Naziregierung“. 1929 bis 1932 war R. Mitglied der Deutschen Staatspartei.

Quellen Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Bibliotheksarchiv, Personalakte R.

Werke Die Verhandlungen über die Aufnahme der Reformierten in den Religionsfrieden auf dem Friedenskongreß in Osnabrück 1645-48, Diss. Berlin 1906; Aus kritischen Tagen. Berichte des Königl. sächs. Gesandten in Berlin, Graf Hohenthal und Bergen, aus dem Jahre 1889-1890, in: Deutsche Rundschau 5/1922, S. 151-172; Sachsen und Bismarcks Entlassung, Dresden 1928; Aus der Geschichte der Sächsischen Landesbibliothek, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 63/1936, S. 519-531; Georg Friedrich Alfred von Fabrice, in: Sächsische Lebensbilder, Bd. 2, Leipzig 1938, S. 70-96.

Literatur Hubert R., in: Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken 34/1950, S. 249. – DBA III; A. Habermann/R. Klemmt/F. Siefkes, Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985.

Porträt Gruppenaufnahme der Mitarbeiter der Sächsischen Landesbibliothek, H. Bähr, 1932, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Konstantin Hermann
12.1.2011


Empfohlene Zitierweise:
Konstantin Hermann, Artikel: Hubert Richter,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25022 [Zugriff 29.3.2024].

Hubert Richter



Quellen Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Bibliotheksarchiv, Personalakte R.

Werke Die Verhandlungen über die Aufnahme der Reformierten in den Religionsfrieden auf dem Friedenskongreß in Osnabrück 1645-48, Diss. Berlin 1906; Aus kritischen Tagen. Berichte des Königl. sächs. Gesandten in Berlin, Graf Hohenthal und Bergen, aus dem Jahre 1889-1890, in: Deutsche Rundschau 5/1922, S. 151-172; Sachsen und Bismarcks Entlassung, Dresden 1928; Aus der Geschichte der Sächsischen Landesbibliothek, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 63/1936, S. 519-531; Georg Friedrich Alfred von Fabrice, in: Sächsische Lebensbilder, Bd. 2, Leipzig 1938, S. 70-96.

Literatur Hubert R., in: Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken 34/1950, S. 249. – DBA III; A. Habermann/R. Klemmt/F. Siefkes, Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985.

Porträt Gruppenaufnahme der Mitarbeiter der Sächsischen Landesbibliothek, H. Bähr, 1932, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Konstantin Hermann
12.1.2011


Empfohlene Zitierweise:
Konstantin Hermann, Artikel: Hubert Richter,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25022 [Zugriff 29.3.2024].