Hermann Reinmuth
R. studierte ab 1920 Jurisprudenz und Volkswirtschaft, anfangs in Tübingen, dann in Kiel, bis er nach Leipzig wechselte. Dort promovierte er 1926 zum Dr. jur. mit einer Untersuchung zu Mitbestimmungsrechten der Arbeiter im Betrieb, einem damals ungewöhnlichen Thema. Dem Referendariat und der Assessor-Prüfung folgten 1929 für den jungen Beamten Aufgaben am Landgericht Bautzen, dann auf der kommunalen Ebene, so im Landratsamt Düsseldorf. Abordnungen nach Königsberg (russ. Kaliningrad) und im September 1933 nach Lüneburg schlossen sich an. – R. war Mitglied des Sozialistischen Studentenbunds und seit 1926 der SPD. 1931 verließ er jedoch die Partei, um in die gerade gegründete SAPD einzutreten. – R.s Lebensweg hatte in einem evangelischen, dörflichen Pfarrhaus begonnen. Das verbreitete Krisenbewusstsein nach dem Ersten Weltkrieg, v.a. Ideen des religiösen Sozialismus, wie sie in den 1920er-Jahren an Aktualität gewannen, beeinflusste ihn. Vermutlich befasste er sich früh mit Gedanken des schweizerischen religiösen Sozialismus und dabei mit Werken des Theologen
Karl Barth, von dem später in R.s Briefen aus der Haft die Rede ist. In diesem Zusammenhang wird die Wahl des Dissertationsthemas des Erwin-Jacobi-Schülers R. erklärbar. – Auf mehreren Reisen, u.a. 1932 nach Großbritannien und in die Niederlande, suchte er die sozialen Verhältnisse im Ausland kennenzulernen. Schon während der Jahre des Studiums war er mit diesem Problemfeld konfrontiert worden, als er in den Semesterferien in den großstädtischen Industrievierteln sowie bei der Eisenbahn und im Bergbau südlich von Leipzig arbeitete. Die extremen sozialen Verwerfungen durch die Massenarbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise bestärkten ihn in seiner linkssozialdemokratischen Haltung. Er machte die Bekanntschaft von Maria Grollmuß, einer Lehrerin sorbisch-katholischer Herkunft, die in Leipzig mit einer Arbeit über
Josef von Görres und die Demokratie promoviert hatte. Zu dem Kreis von Gleichgesinnten zählten u.a. R.s Schwester
Clementine, damals Medizinstudentin, sowie Georg Sacke, ein habilitierter, Anfang 1933 von der Universität verstoßener Osteuropahistoriker, der mit R. seit der gemeinsamen Studentenzeit befreundet war. Die Gruppe pflegte den Gedankenaustausch, der sich schon früh gegen die drohende NS-Diktatur richtete. Wie sich R. vor 1933 z.B. um die Unterstützung des Albert-Schweizer-Werks bemüht hatte, so organisierte diese Gruppe nun Hilfe für inhaftierte Gegner des NS-Regimes, sorgte für Rechtsbeistand und half den betroffenen Familien, wobei sie sich auf Zuwendungen von Gruppierungen der großen Kirchen und der Quäker stützen konnte. Gleichzeitig mit den Hilfsaktionen trat R. u.a in Kontakt zu den in das Prager Exil geflüchteten Vorstandsmitgliedern der am 3.3.1933 durch eigenen Beschluss aufgelösten SAPD. Die Gruppe um R. übernahm riskante Kurierdienste, schmuggelte die in Prag gedruckten „Roten Blätter“ und andere Flugschriften über die Grenze ins Reich und sorgte für deren Verbreitung. – Als im Herbst 1934 allen Beamten der Eid auf
Adolf Hitler abverlangt wurde, sah sich R. vor eine schwierige Entscheidung gestellt und beschloss aus christlicher Verantwortung, diese Eidesleistung zu verweigern. Kurz darauf wurden R. und seine Freunde in Lüneburg verhaftet. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat unter erschwerenden Umständen“ wurde R. im November 1935 durch den Volksgerichtshof zu sieben Jahren Haft verurteilt. Hinzu kam außer dem Ehrverlust auch die gerichtliche Aberkennung des Doktorgrads. Zur Strafverbüßung verbrachte man ihn in die Haftanstalt Waldheim. Nach Ende der Haftzeit sollte R. vor der Entlassung von jeglichen Aktionen gegen den NS-Staat abschwören. Da er jedoch die Unterschrift verweigerte, wurde er Anfang 1942 in das KZ Sachsenhausen überführt. Die aus dieser Zeit erhalten gebliebenen Briefe R.s an die Eltern in Markkleeberg lassen sein Leiden wie sein Ringen um Selbstbehauptung erkennen. 1942 starb R. im Krankenbau des Konzentrationslagers, offenbar erschöpft von den nahezu acht Jahren Haft.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, Nachlass R., Nachlässe G. und R. Sacke.
Werke Betrieb und Unternehmen, besonders im Betriebsrätegesetz und in der Reichsversicherungsordnung, Diss. Leipzig 1926.
Literatur K. Nowak, Hermann R., in: K.-J. Hummel/C. Strohm (Hg.), Zeugen einer besseren Welt, Leipzig 2000, S. 119-136; P. Aerne, Religiöse Sozialisten, Zürich 2006; S. Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, Göttingen 2007; M. Unger, Dr. Hermann R. (1902-1942). Widerstand aus christlicher Motivation, in: T. Henne (Hg.), Die Aberkennung von Doktorgraden an der Juristenfakultät der Universität Leipzig 1933-1945, Leipzig 2007, S. 109-111, 123. – Sächsische Lebensbilder, Bd. 5, Leipzig 2009, S. 481-492 (Bildquelle).
Manfred Unger
21.10.2010
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Unger, Artikel: Hermann Reinmuth,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/16615 [Zugriff 22.12.2024].
Hermann Reinmuth
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, Nachlass R., Nachlässe G. und R. Sacke.
Werke Betrieb und Unternehmen, besonders im Betriebsrätegesetz und in der Reichsversicherungsordnung, Diss. Leipzig 1926.
Literatur K. Nowak, Hermann R., in: K.-J. Hummel/C. Strohm (Hg.), Zeugen einer besseren Welt, Leipzig 2000, S. 119-136; P. Aerne, Religiöse Sozialisten, Zürich 2006; S. Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, Göttingen 2007; M. Unger, Dr. Hermann R. (1902-1942). Widerstand aus christlicher Motivation, in: T. Henne (Hg.), Die Aberkennung von Doktorgraden an der Juristenfakultät der Universität Leipzig 1933-1945, Leipzig 2007, S. 109-111, 123. – Sächsische Lebensbilder, Bd. 5, Leipzig 2009, S. 481-492 (Bildquelle).
Manfred Unger
21.10.2010
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Unger, Artikel: Hermann Reinmuth,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/16615 [Zugriff 22.12.2024].