Hermann Köchly

K. bleibendes Verdienst war es, neben seinen zahlreichen Veröffentlichungen und Übersetzungen antiker Literatur, der Reformierung des höheren Schulsystems in Sachsen, der Schweiz und in Baden im 19. Jahrhundert nachhaltige Impulse verliehen zu haben. – Nach dem frühen Tod des Vaters zog K. mit seiner Mutter zu deren Eltern nach Berlin. Dort besuchte er ab dem neunten Lebensjahr die Bürgerschule. Nach dem Tod der Großeltern mütterlicherseits siedelte K. mit seiner Mutter nach Grimma über. Hier absolvierte er nach bestandener Aufnahmeprüfung 1827 bis 1832 die Fürstenschule, die ihm einen ausgezeichneten Unterricht bot und seine Begeisterung für das klassische Altertum weckte. Nach dem Tod seiner Mutter fand K. bei seinem Stiefvater in Leipzig Aufnahme und begann 1832 an der Universität ein Studium der Klassischen Philologie sowie der Älteren und Neueren Geschichte. Besonders in dem Altphilologen Gottfried Hermann sah K. ein großes Vorbild. Mit ihm stand er noch viele Jahre nach seiner Studienzeit in Kontakt und würdigte ihn 1874 mit einer umfangreichen Biografie zu dessen 100. Geburtstag. K. wurde bereits 1834 an der Universität Leipzig promoviert und setzte hier sein Studium bis 1837 fort. In diesen Jahren legte er erste Veröffentlichungen über griechische Epik und Tragödien vor und wurde in die griechische Gesellschaft in Leipzig aufgenommen. Im Herbst 1837 fand K. zunächst eine Anstellung als Lehrer für Geschichte, Deutsch, Latein und Französisch am Progymnasium in Saalfeld. Die provinzielle Enge dieser Kleinstadt veranlasste ihn, sich bald nach einem neuen Wirkungskreis umzusehen. Dieser fand sich, als K. 1839 eine frei gewordene Oberlehrerstelle an der Kreuzschule in Dresden angeboten wurde. Er siedelte nach Dresden über und nahm seine Lehrtätigkeit im Frühjahr 1840 an der Kreuzschule auf. Durch seine Ausstrahlung und Begeisterungsfähigkeit fand er bald Anschluss an die gebildeten Kreise in der Residenzstadt, sei es als Gast, Freund, Berater oder Redner. Besonders mit der Familie Devrient und mit Arnold Ruge war K. lange Jahre freundschaftlich verbunden. Als Lehrer erlangte K. sehr bald einen guten Ruf, weshalb Prinz Johann (1854 bis 1873 König von Sachsen) ihn ab 1842 seine beiden Söhne Ernst und Georg in Latein unterrichten ließ. Diese Verbindung zum Herrscherhaus hinderte K. nicht daran, seit Mitte der 1840er-Jahre Ideen für eine grundlegende Reform des erstarrten Gymnasialunterrichts in Sachsen zu entwickeln. Als sich die Rektoren der sächsischen Gymnasien 1845 gegen eine Neugestaltung des höheren Schulwesens aussprachen, trat K., inzwischen erster Oberlehrer an der Kreuzschule, mit seiner Schrift „Ueber das Princip des Gymnasialunterrichtes der Gegenwart und dessen Anwendung auf die Behandlung der griechischen und römischen Schriftsteller“ an die Öffentlichkeit. 1846 folgte „Zur Gymnasialreform. Theoretisches und Praktisches“, worin K. nicht nur seine Gedanken zur Verbesserung des Unterrichts darlegte, sondern auch zur Gründung eines Gymnasialvereins aufrief. Dieser Verein wurde am 20.9.1846 in Dresden gegründet und K. zum ersten Vorsitzenden gewählt. Im Oktober desselben Jahrs zählte er bereits über 100 Mitglieder, darunter bekannte Persönlichkeiten wie Franz Wigard und Hofrat Ludwig Reichenbach. Die Reformvorschläge K.s und das Wirken des Gymnasialvereins fanden in weiten Kreisen des Bürgertums Unterstützung, während viele sächsische Lehrer an höheren Schulen diesen reserviert oder ablehnend gegenüberstanden. Auch im Lehrkörper der Kreuzschule bildeten sich zwei Lager aus Befürwortern und Gegnern der Gymnasialreform. K. ging es v.a. um die Zurückdrängung der lateinischen zu Gunsten der deutschen Sprache im Unterricht, um die Erweiterung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer sowie des Turn- und Gesangsunterrichts. Weitere Vorschläge zielten auf eine Verbesserung des als autoritär geltenden Lehrer-Schüler-Verhältnisses und auf eine angemessene Bezahlung der Hilfslehrer (Kollaboratoren). K. versuchte, seine Ziele zur Umgestaltung der Gymnasien in zeitgemäße nationale höhere Bildungseinrichtungen auch auf politischer Ebene durchzusetzen, z.B. durch Petitionen und Denkschriften. Auch nutzte er enge Kontakte zur Opposition in der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags und seit 1847 die eigene Position als gewählter Stadtverordneter und Mitglied der gemischten Deputation zur Inspektion der Kirchen, für das Schulwesen und zur Revision des Städtewesens. Schließlich kam das Kultusministerium unter Eduard von Wietersheim nicht umhin, sich mit der immer drängenderen Frage der Gymnasialreform zu befassen. Die daraufhin eingesetzte Revisionskommission sprach sich 1847 weitgehend für die Vorschläge K.s aus und kritisierte die konservativen Kräfte an den Gymnasien. Dies führte u.a. im Februar 1848 zur vorzeitigen Pensionierung des Kreuzschulrektors Christian Ernst August Gröbel. Begünstigt durch die revolutionäre Stimmung und die Entlassung des konservativen Kabinetts Könneritz konnten die Reformkräfte ab März 1848 weiter an Boden gewinnen. Die Berufung zum neuen Rektor der Kreuzschule blieb K. zwar versagt, aber Ende 1848 wurde er vom neuen Kultusminister Ludwig Karl Heinrich von der Pfordten vom Schuldienst beurlaubt, um einen Gesetzentwurf für die Reorganisation des sächsischen Schulwesens zu erarbeiten. Im Frühjahr 1849 überstürzten sich in Sachsen die Ereignisse, weshalb es nicht mehr zur Einbringung des Gesetzentwurfs kam. Jedoch wurden besonders an der Kreuzschule unter dem neuen Rektor Julius Ludwig Klee 1849/50 die wichtigsten Reformideen K.s umgesetzt. – Bereits im März 1848 hatte K. als einer der führenden Vertreter des Dresdner Vaterlandsvereins als politische Organisation der Demokraten Anteil an den unblutigen Veränderungen im Land gehabt. Mitte 1848 beteiligte er sich maßgeblich an den großen Schulkonferenzen und der Gründung des Deutschen Lehrervereins. Ab März 1849 war K. zudem Abgeordneter der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags, und im Mai 1849 gehörte er dem Sicherheitsausschuss an, der bis zur Wahl der provisorischen Regierung am 4.5. im Dresdner Rathaus kurzzeitig die Macht ausübte. Er stellte noch am gleichen Tag als bekannter Demokrat und geschulter Redner der versammelten Menge vom Balkon des Rathauses die Mitglieder der Provisorischen Regierung Samuel Erdmann Tzschirner, Otto Heubner und Carl Gottlob Todt vor. An den folgenden blutigen Barrikadenkämpfen beteiligte sich K. als gemäßigter Demokrat zwar nicht aktiv, wurde aber nach der Niederschlagung des Maiaufstands wie andere bekannte Revolutionäre steckbrieflich gesucht. Von Freunden gewarnt, gelang K. die Flucht über Preußen und Holland nach Brüssel, wohin ihm auch seine Frau folgte. In Abwesenheit wurde K. im Juli 1849 aus dem sächsischen Schuldienst entlassen und ein Verfahren wegen Beteiligung an revolutionären Bewegungen gegen ihn eröffnet. Von Brüssel aus vollendete er seinen Entwurf des allgemeinen sächsischen Schulgesetzes, versah es mit einem einleitenden Vorwort und einem Anhang und organisierte dessen Veröffentlichung bei Otto Wigand in Leipzig. Ende 1849 bewarb sich K. erfolgreich um einen vakanten Lehrstuhl an der Universität Zürich (Schweiz). Im Frühjahr 1850 siedelte er mit seiner Frau von Brüssel nach Zürich über und trat sein Amt als ordentlicher Professor für Klassische Philologie an. Hier entfaltete K. eine erfolgreiche Lehrtätigkeit, veröffentlichte zahlreiche Aufsätze zur griechischen Literatur, arbeitete über griechische und römische Militärschriftsteller und übersetzte Werke von Cicero und Cäsar ins Deutsche. Allmählich gewöhnte K. sich an die neue Heimat, fand freundschaftlichen Anschluss bei Einheimischen oder bei ihm z.T. bereits aus Deutschland bekannten anderen Emigranten. Er unternahm Ausflüge und Wanderungen in der Schweizer Bergwelt und wurde zwischen 1852 und 1860 viermal Vater. – In der Schweiz verfolgte K. seine schulreformerischen Ideen weiter und konnte diese teilweise auch umsetzen. 1856 bis 1858 war er Rektor der Züricher Universität und in universitätsübergreifenden Gremien aktiv. Die Einrichtung von philologisch-pädagogischen Seminaren an den Schweizer Hochschulen ging auf K.s Initiative zurück. Für seine Verdienste wurde er 1859 zum Ehrenbürger von Zürich ernannt. Die 1864 in den meisten deutschen Staaten erlassenen Amnestien für verurteilte Revolutionäre veranlassten K. im gleichen Jahr zur Annahme einer Professur für Klassische Philologie an der Universität Heidelberg. Leicht fiel K. und seiner Familie der Abschied von Zürich nicht, aber letztlich sah er persönlich und beruflich in Deutschland seine eigentliche Heimat. Neben der Pflege von neuen und alten wissenschaftlichen Kontakten und Freundschaften, publizierte K. weiter und vollendete eine Hesiod-Ausgabe. Außerdem hielt er Vorträge und wirkte über die Universität Heidelberg hinaus mit Beharrlichkeit auf die Verbesserung von Studienorganisation und Lehre hin. Obwohl K. Kriege generell missbilligte, begrüßte er die preußische Einigungspolitik mit „Blut und Eisen“, bewunderte Otto von Bismarck und fand mit der Reichseinigung 1871 und dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht die wichtigsten Ziele der Revolution von 1848/49 erfüllt. In dieser Zeit engagierte sich K. auch wieder stärker politisch, kandidierte erfolgreich für den Reichstag und war 1871 bis 1874 Abgeordneter der Fortschrittspartei. Im September 1876 unternahm K. in Begleitung des Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen, seinem früheren Studenten und Privatschüler, dem er seit Jahren ein väterlicher Freund war, eine lange geplante Reise zu den antiken Stätten in Italien und Griechenland. Auf der vorzeitig angetretenen Rückreise starb K. an den Folgen eines Blasenleidens in Triest. – Der Nachlass von K. wird heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt.

Werke Ueber das Princip des Gymnasialunterrichtes der Gegenwart, Dresden/Leipzig 1845; Zur Gymnasialreform, Dresden 1846; (Hg.), Quintus Smyrnaeus, Leipzig 1850; Geschichte des griechischen Kriegswesens, Aarau 1852 (ND Osnabrück 1973); Griechische Kriegsschriftsteller, 2 Bde., Leipzig 1853-55 (ND Osnabrück 1969); Akademische Vorträge und Reden, 2 Bde., Zürich 1859 (ND Heidelberg 1882); Einleitung zu Cäsars Kommentarien über den Gallischen Krieg, Gotha 1857; mit G. Kinkel (Hg.), Hesiodea quae feruntur Carmina, Leipzig 1870; Gottfried Hermann. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage, Heidelberg 1874.

Literatur E. Böckel, Hermann K. Ein Bild seines Lebens und seiner Persönlichkeit, Heidelberg 1904 (Bildquelle); K. Blaschke u.a., Dresden: Kreuzkirche, Kreuzschule, Kreuzchor, Gütersloh/München 1991, S. 69-72; G. Kolditz, Reformbestrebungen und demokratische Bewegung an der Kreuzschule Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Dresdner Hefte 30/1992, S. 16-25 (P); J. Ludwig/A. Neemann, Revolution in Sachsen 1848/49, Dresden 1999, S. 118f. – ADB 16, S. 410-414; DBA I, II, III; DBE 5, S. 648; NDB 12, S. 294.

Gerald Kolditz
19.3.2012


Empfohlene Zitierweise:
Gerald Kolditz, Artikel: Hermann Köchly,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2478 [Zugriff 21.11.2024].

Hermann Köchly



Werke Ueber das Princip des Gymnasialunterrichtes der Gegenwart, Dresden/Leipzig 1845; Zur Gymnasialreform, Dresden 1846; (Hg.), Quintus Smyrnaeus, Leipzig 1850; Geschichte des griechischen Kriegswesens, Aarau 1852 (ND Osnabrück 1973); Griechische Kriegsschriftsteller, 2 Bde., Leipzig 1853-55 (ND Osnabrück 1969); Akademische Vorträge und Reden, 2 Bde., Zürich 1859 (ND Heidelberg 1882); Einleitung zu Cäsars Kommentarien über den Gallischen Krieg, Gotha 1857; mit G. Kinkel (Hg.), Hesiodea quae feruntur Carmina, Leipzig 1870; Gottfried Hermann. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage, Heidelberg 1874.

Literatur E. Böckel, Hermann K. Ein Bild seines Lebens und seiner Persönlichkeit, Heidelberg 1904 (Bildquelle); K. Blaschke u.a., Dresden: Kreuzkirche, Kreuzschule, Kreuzchor, Gütersloh/München 1991, S. 69-72; G. Kolditz, Reformbestrebungen und demokratische Bewegung an der Kreuzschule Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Dresdner Hefte 30/1992, S. 16-25 (P); J. Ludwig/A. Neemann, Revolution in Sachsen 1848/49, Dresden 1999, S. 118f. – ADB 16, S. 410-414; DBA I, II, III; DBE 5, S. 648; NDB 12, S. 294.

Gerald Kolditz
19.3.2012


Empfohlene Zitierweise:
Gerald Kolditz, Artikel: Hermann Köchly,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2478 [Zugriff 21.11.2024].