Hermann Gottlob Joseph
J. besuchte das Gymnasium in Altenburg und studierte 1829 bis 1832 Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig, an welcher er promovierte. Während seiner Studienzeit engagierte er sich für einen liberalen Nationalstaat durch die Neugründung der 1819 zerschlagenen Burschenschaften, die in der revolutionären Atmosphäre des Jahres 1830 einen Aufschwung erlebten. Als Folge dieser politischen Aktivitäten wurde 1835 ein gerichtliches Untersuchungsverfahren gegen ihn und 18 weitere Leipziger Burschenschafter eingeleitet, die in der ersten Instanz zuungunsten der Angeklagten ausgingen. J. wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die publizierten Eigentümlichkeiten des Prozesses und des ersten Urteilsspruchs sowie eine Intervention der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags gegen das Urteil verhinderten, dass die Burschenschafter ihre Strafe unmittelbar antreten mussten. Dass das Verfahren letztlich vor dem Dresdner Oberappellationsgericht mit einem Freispruch endete, war auch ein persönlicher Erfolg für J., da er und der spätere Landtagspräsident Wilhelm Schaffrath für die meisten der verurteilten Burschenschafter die Verteidigung übernommen hatten. – J. erwarb 1837 ein Landgut in Lindau bei Leipzig und ließ sich am 9.10.1838 in Leipzig als Rechtsanwalt nieder. 1845 gelang es ihm, in einer Nachwahl als „Abgeordneter des Bauernstands“ in die Zweite Kammer des Sächsischen Landtags einzuziehen. Er profilierte sich hier rasch als entschiedener Liberaler. Als am 7.4.1846 die Zweite Kammer darüber debattierte, ob die als radikal geltenden demokratischen „sächsischen Vaterlands-Blätter“ verboten werden sollten, bekannte sich J. klar zum Radikalismus. Als Konsequenz dieses Bekenntnisses wurde J. als einziger Parlamentarier von den Ministern nicht mehr zu gesellschaftlichen Anlässen geladen. Der liberale zeitgenössische Autor Bernhard Hirschel rechnete J. zu den fraglos liberalen Abgeordneten. Im Frühjahr 1848 wurde der bereits prominente Oppositionsabgeordnete Mitglied im Zentralausschuss der Vaterlandsvereine und seit Mai dieses Jahrs gehörte er für den Freiberger Wahlkreis dem Frankfurter Paulskirchenparlament an. Hier schloss er sich dem Donnersberg an, einer Gruppierung von Demokraten, die plebiszitär orientiert waren und zur Durchsetzung ihrer Ziele eine erneute Revolution nicht ausschlossen. Mitglied der Nationalversammlung blieb J. bis zum 11.1.1849. Zusätzlich hatte er sich im Dezember 1848, wie auch andere sächsische Demokraten, in den heimischen Landtag wählen lassen. Er legte aber sein Paulskirchenmandat nieder und ging als Präsident der Ersten Kammer nach Dresden. In beiden Häusern des sächsischen Landesparlaments stellten die Demokraten nach einem erdrutschartigen Wahlerfolg eine überwältigende Mehrheit von Mandaten. Im Landtag, der im Frühjahr 1849 den sächsischen König Friedrich August II. zur Anerkennung der Reichsverfassung und letztlich zu einer parlamentarischen Regierungsform zwingen wollte, rechnete man J. zu den gemäßigten Demokraten, die zu taktischen Kompromissen bereit waren. Am Dresdner Maiaufstand nahm J. nicht teil. Er konnte daher auf parlamentarischer Ebene die Auseinandersetzung mit den alten Mächten ab Sommer 1849 wieder aufnehmen. Allerdings wurde auch dieser Landtag, in dem die Demokraten erneut in beiden Häusern eine allerdings geschrumpfte Mehrheit besaßen, am 1.6.1850 vom König ohne feierliche Verabschiedung entlassen. Zwei Tage später hob die Regierung mit drei Verordnungen das Vereins- und Versammlungsrecht auf, stellte die Presse wieder unter Polizeiaufsicht und erklärte das Wahlrecht von 1831 für verbindlich. Mit der staatsstreichartigen Restitution des vormärzlichen Landtags Mitte Juli 1850 endete in Sachsen die Revolution auf der parlamentarischen Ebene. Da sich J. weigerte, sein Mandat aus dem noch vormärzlichen Landtag 1848 wieder anzutreten, entzog ihm die Regierung das passive Wahlrecht. Dennoch gehörte er 1859 bis zu seinem Tod der Leipziger Stadtverordnetenversammlung an. Seit 1862 war J. Vorstandsmitglied des linksliberalen Deutschen Nationalvereins, in dem sich nach 1849 die meisten oppositionellen Mitglieder der Nationalversammlung zusammenfanden. Diese Organisation plädierte für einen kleindeutschen Nationalstaat unter preußischer Führung.
Werke Vorstellung der Landtagsabgeordneten J. und Schaffrath an den König, Leipzig 1848.
Literatur B. Hirschel, Sachsens Regierung, Stände und Volk, Mannheim 1846, S. 74-88; J., in: A. Frey, Charaktere der Gegenwart, Bd. 1, Mannheim 1849, S. 303-319; A. Frey, J., in: Der Leuchtthurm, 4/1849, S. 141ff. (P); T. Tonndorf, Die Freiheit - kein Zustand des Genusses. J., in: Landtagskurier Freistaat Sachsen 1/1991, Nr. 6, S. 7; J. Matzerath, Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Präsidenten und Abgeordnete von 1833 bis 1952, Dresden 2001, S. 19f. (Bildquelle). – DBA I.; H. Best/W. Weege, Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf 1996, S. 195.
Josef Matzerath
26.8.2008
Empfohlene Zitierweise:
Josef Matzerath, Artikel: Hermann Gottlob Joseph,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2362 [Zugriff 2.11.2024].
Hermann Gottlob Joseph
Werke Vorstellung der Landtagsabgeordneten J. und Schaffrath an den König, Leipzig 1848.
Literatur B. Hirschel, Sachsens Regierung, Stände und Volk, Mannheim 1846, S. 74-88; J., in: A. Frey, Charaktere der Gegenwart, Bd. 1, Mannheim 1849, S. 303-319; A. Frey, J., in: Der Leuchtthurm, 4/1849, S. 141ff. (P); T. Tonndorf, Die Freiheit - kein Zustand des Genusses. J., in: Landtagskurier Freistaat Sachsen 1/1991, Nr. 6, S. 7; J. Matzerath, Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Präsidenten und Abgeordnete von 1833 bis 1952, Dresden 2001, S. 19f. (Bildquelle). – DBA I.; H. Best/W. Weege, Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf 1996, S. 195.
Josef Matzerath
26.8.2008
Empfohlene Zitierweise:
Josef Matzerath, Artikel: Hermann Gottlob Joseph,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2362 [Zugriff 2.11.2024].