Henriette Goldschmidt

Henriette Goldschmidt, die nicht mit der gleichnamigen Frauenrechtlerin und Gattin des Leipziger Rabbiners Abraham Meyer Goldschmidt zu verwechseln ist, stellt ein Beispiel dafür dar, wie sich jüdische Personen im Leipzig des 19. Jahrhunderts in einem teils schwierigen Umfeld ökonomisch behaupten und bei der Sicherung ihres Lebensunterhalts gegen allerlei Widerstände ankämpfen mussten. – Goldschmidt stammte aus Meseritz (poln. Międzyrzecz), der 1793 bei der Zweiten Polnischen Teilung Preußen zugesprochen worden war. Sie kam nach eigener Aussage 1820 nach Leipzig. Im gleichen Jahr heiratete sie den russischstämmigen Messmakler, Dolmetscher und Kommissionär Jacob Hirsch Goldschmidt, der zu diesem Zeitpunkt schon etwa zwölf Jahre lang im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und Handelskonzession für Leipzig war. Goldschmidts wesentlich älterer Ehemann hatte sich später beruflich auf ein Unternehmen für Krawatten- und Modewaren in Leipzig spezialisiert, das allerdings wenig erfolgreich war: Der Absatz war nach Angaben Goldschmidts unbedeutend. Vielmehr sei das Geschäft eine Erwerbsmöglichkeit zur Altersvorsorge und Sicherung eines bescheidenen Lebensstandards, beschrieb Goldschmidt die Umstände in einem Schreiben an das Leipziger Polizeiamt vom 29.2.1840. In dem Schriftsatz bat sie das Amt um Erteilung einer Bürgerkarte, da der Erwerb des Bürgerrechts vom Leipziger Magistrat für Goldschmidt als Bedingung gestellt worden war, die Firma des Gatten unter eigenem Namen weiterzuführen. Da ihr greiser Ehemann seinem Geschäft nicht länger nachgehen konnte und auch kein eigenes Vermögen des Paars vorhanden war, sei die Fortsetzung der Firma mit dem Namen der Frau die einzige Option zur Sicherung gegen Armut und Mangel, erklärte Goldschmidt weiter. Schon in einer Auflistung jüdischer Bewohner Leipzigs von 1835 waren die finanziellen Verhältnisse der Goldschmidts als „zerrüttet“ bezeichnet worden: Während der Mann beim Stadtgericht wiederholt aufgrund von Schulden angeklagt war, habe die Frau ihre eigenen Mittel in Anspruch genommen. Die Behörden ließen sich offenbar durch Goldschmidt, die wahrscheinlich Ende Februar 1840 den Bürgereid ableistete und die Firma ihres Ehemanns übernahm, problemlos überzeugen. Den Betrieb mit Kleidern und Krawatten sollte sie bis an ihr Lebensende weiterführen, stieß dabei aber alsbald auf Probleme: Im Juni 1842 wurde die seit dem Vorjahr verwitwete Goldschmidt durch die Schneiderinnung von Leipzig angezeigt, die ihr eine Rechtsverletzung vorwarf, indem sie Handel mit fertigen Frauen- und Kinderkleidern triebe. Goldschmidt sah sich während der jahrelangen und juristisch ausgetragenen Streitigkeit offenbar im Recht und verfocht gegenüber dem Leipziger Stadtrat, dem sie 1848 sogar ein Kleidungsstück vorlegte, vehement die eigene Position. Dieser nach sei ihre Tätigkeit nicht als Schneiderarbeit anzusehen, vielmehr ginge es wegen einer Nachbearbeitung der Sachen um die Produktion von Modewaren, was wiederum auch ohne Ausbildung leicht zu machen sei. Doch sollte es immer wieder zum Streit mit der Schneiderinnung kommen, wenn etwa noch Kleidungsstücke der letzten Messe vor dem Verkaufslokal von Goldschmidt hingen. Der Konflikt lässt sich bis 1853 verfolgen, als Goldschmidt zu einer Strafe von zehn Talern verurteilt wurde. Mehr Erfolg hatte sie dagegen bei der Konfrontation mit Leipziger Kramermeistern, die Goldschmidt im November 1842 denunzierten, weil sie Kramerware an ihren Laden aushängen habe, darunter seidene Herrenschals, wollene Langwaren und baumwollene Chenille-Tücher. Zumindest beim Verkauf von Herrenschals und Schlipsen nahm Goldschmidt aber mit Erfolg für sich in Anspruch, die Waren vor der Veräußerung umsäumt und mit Einlagen ausgestattet und somit ein eigenes Fabrikat geschaffen zu haben. Daher seien die Rechte der Kramerinnung nicht beschädigt. Das Argumentationsmuster, wonach aufgekaufte Ware mit geringfügiger Nachbearbeitung als eigenes Produkt legal weiterverkauft werden könne, griff Goldschmidt im Lauf der Jahre wiederholt auf. Diese Begründung stellte gerade bei Frauen, die oft ohne weitere Unterstützung Putz- und Modewaren herstellten, eine weit verbreitete Strategie zur Aufwertung des eigenen Handels dar. – Neben ihrer Tätigkeit im Kleiderhandel zählte Goldschmidt auch zur Gruppe von 33 Männern sowie vier Frauen, die sich 1847 am Gründungsprozess der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig beteiligten. 1877 verstarb sie im Alter von knapp 72 Jahren in ihrer langjährigen Wahlheimat und wurde auf dem Alten Israelitischen Friedhof im Norden Leipzigs bestattet.

Quellen Archiv der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem, D/Le1/10; Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, Tit. XXXIV, Nr. 27, Bd. II, II. Sektion, 1842, K 1530, S 4325 (K), Tit. J 290, 0056 Wahl- und Listenamt, Fallakten/Aufnahme- und Bürgerakten Nr. 3343 (1840).

Literatur Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Susanne Schötz, Handelsfrauen in Leipzig. Zur Geschichte von Arbeit und Geschlecht in der Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2004; Der Alte Israelitische Friedhof. Zeuge jüdischer Kultur und Tradition in Leipzig, hrsg. von der Ephraim-Carlebach-Stiftung, 2021; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
13.3.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Henriette Goldschmidt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27881 [Zugriff 17.5.2025].

Henriette Goldschmidt



Quellen Archiv der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem, D/Le1/10; Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, Tit. XXXIV, Nr. 27, Bd. II, II. Sektion, 1842, K 1530, S 4325 (K), Tit. J 290, 0056 Wahl- und Listenamt, Fallakten/Aufnahme- und Bürgerakten Nr. 3343 (1840).

Literatur Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Susanne Schötz, Handelsfrauen in Leipzig. Zur Geschichte von Arbeit und Geschlecht in der Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2004; Der Alte Israelitische Friedhof. Zeuge jüdischer Kultur und Tradition in Leipzig, hrsg. von der Ephraim-Carlebach-Stiftung, 2021; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
13.3.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Henriette Goldschmidt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27881 [Zugriff 17.5.2025].