Heinrich Cramer von Claußbruch
C. war der Prototyp sächsischer Kaufmannschaft und Leipziger Hochfinanz der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. – Es ist anzunehmen, dass C. im heimatlichen Herzogtum Cleve zumindest eine Lateinschule und eine Kaufmannslehre absolvierte, bevor er nach eigenem Bericht längere Zeit Geschäften in Antwerpen, dem damaligen Handels- und Finanzzentrum Europas nördlich der Alpen, nachging. Von der Brabanter Textilstadt Arras wanderte er nach Leipzig aus und erwarb dort 1556 das Bürgerrecht. Zwei Jahre später kaufte C. einen dem Rathaus gegenüber gelegenen Handelshof mit Kaufkammern und Speichern (Markt 11). Kredite an die Mansfelder Grafen erschlossen ihm um 1560 den Zugang zum dortigen - im Unterschied zum oberen Erzgebirge - aufstrebenden Montanwesen. Große Investitionen in den Bau von Saigerhütten - Bergfabriken modernsten Typs, u.a. in Sangerhausen und Wernigerode - begründeten bald C.s wirtschaftlichen Vorrang am Harz. – Das Kontor im Handelshof einschließlich der Faktoreien in Eisleben, Köln und Antwerpen kombinierte die unterschiedlichsten Geschäftszweige. Im Mittelpunkt stand die Einfuhr kostbarer niederländischer Tuche gegen Metalle, ein ausgedehnter Handel mit Kupfer und Nebenprodukten wie Silber sowie mit Goslarer Blei. Auch wenn sich C. und seine Gesellschafter mehr der Aufbereitung von Erzen und kaum direkt dem Bergbau widmeten, besaßen sie doch Kuxe ergiebiger Gruben am Harz, im Erzgebirge sowie im böhmischen und alpenländischen Bergwesen. Getätigt wurden Geschäfte mit osteuropäischen Rauchwaren, Kleinodien für den russischen Zarenhof sowie thüringischem Waid und Salz aus der Sole von Artern, an der C. beteiligt war. Hinzu kamen lukrative Kriegslieferungen. Der Handel lief europaweit und schloss Krakau (poln. Kraków), Posen (poln. Poznań), Danzig (poln. Gdańsk) und Prag ebenso ein wie Moskau, Skandinavien, Spanien und die Niederlande. Das Dach der Unternehmen bildete dabei C.s Position als einem „merchant banker“. Über seine herausragende Position heißt es bereits zu dessen Lebzeiten in einer Auseinandersetzung vor dem Stadtgericht: „Kein Handel (in Leipzig) jemalß so groß und klein gewesen, Heinrich Cramer hat dahinden oder darinnen gestecket“. – Noch bevor die Montangeschäfte großen Stils um 1580 den Zenit erreichten, hat C. den Fernhandel mit Tuchen als Tochterfirma ausgegliedert, diese jedoch wegen Verschuldung, und zwar bei C. selbst, bald erneut in den Handelshof integriert. – C. wandte sich in dieser Zeit einem neuen Unternehmen zu, das im Hinblick auf die Höhe der Investitionen der technischen Innovation in den Saigerhütten nicht nachstand: Gemeint ist die 1578 begonnene Errichtung einer (dezentralen) Tuchmanufaktur, um die bislang mit hohem Aufwand eingeführte Ware unweit von Leipzig selbst herzustellen. Die Basis dafür bildete der 1577/78 erworbene Rittergutsbesitz Meuselwitz, wo etwa 100 neue Weberhäuser entstanden. Hinzu kamen um die 50 in den Niederlanden angeworbene Fachkräfte. In der Verantwortung des Leipziger Kontors lagen die Rohstoffbeschaffung, der Produktionsprozess an den Webstühlen, Abläufe in der Walkerei, Färberei usw. sowie der Absatz. Dabei fielen den Bauern seiner Meuselwitzer Grundherrschhaft Transportleistungen zu, und die „nouvelle draperie“ wirkte sich auf die Woll- wie Leinenerzeugung bis in die weitere Umgebung aus. – Hatte C. im Unterschied zu Leipzig auf dem Land zunächst zünftige Bindungen der Handwerker umgehen können, muss es 1592 zweckmäßig erschienen sein, die Tuchmacher und Leineweber mit Innungsordnungen zu versehen. Formuliert im Handelshof, reflektieren sie die Qualitätsansprüche ebenso wie die Stellung der Meister, der Fachkräfte samt einer sozialen Komponente bis hin zum Mindestlohn für Gesellen. Wahrscheinlich handelt es sich auch um eine sonst nicht erkennbare neue Stufe von Arbeitsteilung und Kooperation innerhalb dieses Manufakturbetriebs, der wohl einer der größten in Kursachsen war. Dass C. gleichzeitig das Versorgungshandwerk des Städtchens mit Innungsordnungen versah, reflektiert die kleinstädtische Entwicklung von Meuselwitz einschließlich der Bildung eines Stadtbürgertums. – Der wirtschaftliche Höhepunkt von C.s Unternehmen lag um 1590. Schon zuvor (1587) trat C.s Schwiegersohn, der Jurist und Kaufmann Georg Winter, in die Geschäftsleitung ein und übernahm sie vollständig, als C. im Alter von 81 Jahren nach Anschuldigungen eines Leipziger Konkurrenten wegen der Geschäfte mit dem Zarenhof vor das kaiserliche Hofgericht in Prag zitiert wurde. Erst nach drei Jahren, wenige Monate vor seinem Tod, glückte C. die Heimkehr, ohne dass ein Urteil ergangen war. Wahrscheinlich steht diese Demütigung des Großkaufmanns im Zusammenhang mit dem politischen Einschnitt nach dem Tod Kurfürst Christians I. (1591) und dem Sturz von Kanzler Nikolaus Krell, dem C. nahe gestanden hatte. – C. ragt nicht allein durch wirtschaftliche und technische Erfolge heraus, sondern ebenso durch seine humanistische Bildung. Dies schlug sich nicht zuletzt in seiner etwa 350 Bände umfassenden Bibliothek und der Sammlung von ungefähr 100 Gemälden, Kupferstichen und Holzschnitten nieder, die zur Ausstattung der Beletage des Handelshofs gehörten. Deutlich zeichnet sich sein soziales Milieu ab, zu dem u.a. namhafte Theologen, Mediziner und Juristen sowie andere Gelehrte der Leipziger Universität zählten. – In den 1590er-Jahren gab es erste Anzeichen eines Niedergangs von C.s Handelshof, von dem schon vorher ähnlich strukturierte Handelshöfe, darunter die bekannten Oberdeutschlands, betroffen waren, als sich die allgemeinen Bedingungen in der Wirtschaft Mitteleuropas tief greifend veränderten.
Quellen Stadtarchiv Leipzig, Richterstube/Stadtgericht, Testamente; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Geheimer Rat, Juristenfakultät, Appellationsgericht; Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Hofgericht Jena, Abt. Weimar.
Literatur H. Helbig, Die wirtschaftlichen Führungsschichten in Leipzig bis 1750, in: F. Prinz/F.-J. Schmale/F. Seibt (Hg.), Geschichte in der Gesellschaft. Festschrift für Karl Bosl zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1974, S. 216-254; H. Kramm, Studien über die Oberschichten mitteldeutscher Städte im 16. Jahrhundert, Teilbd. 1, Köln/Wien 1981; M. Unger, Heinrich C. von Claußbruch. Wirtschaftsunternehmen, soziales und kulturelles Milieu eines Leipziger Handelshofes 1556-1599, in: R. Wißuwa/G. Viertel/N. Krüger (Hg.), Landesgeschichte und Archivwesen. Festschrift für Reiner Groß zum 65. Geburtstag, Dresden 2002, S. 199-240; ders., Lektüre des Prinzipals. Zu den Chroniken in der Bibliothek eines Handelshofes des 16. Jahrhunderts, in: Stadtgeschichte. Mitteilungen des Leipziger Geschichtsvereins 2/2004, S. 4-22. – DBA II, III; DBE 2, S. 390.
Manfred Unger
9.1.2008
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Unger, Artikel: Heinrich Cramer von Claußbruch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1063 [Zugriff 21.11.2024].
Heinrich Cramer von Claußbruch
Quellen Stadtarchiv Leipzig, Richterstube/Stadtgericht, Testamente; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Geheimer Rat, Juristenfakultät, Appellationsgericht; Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Hofgericht Jena, Abt. Weimar.
Literatur H. Helbig, Die wirtschaftlichen Führungsschichten in Leipzig bis 1750, in: F. Prinz/F.-J. Schmale/F. Seibt (Hg.), Geschichte in der Gesellschaft. Festschrift für Karl Bosl zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1974, S. 216-254; H. Kramm, Studien über die Oberschichten mitteldeutscher Städte im 16. Jahrhundert, Teilbd. 1, Köln/Wien 1981; M. Unger, Heinrich C. von Claußbruch. Wirtschaftsunternehmen, soziales und kulturelles Milieu eines Leipziger Handelshofes 1556-1599, in: R. Wißuwa/G. Viertel/N. Krüger (Hg.), Landesgeschichte und Archivwesen. Festschrift für Reiner Groß zum 65. Geburtstag, Dresden 2002, S. 199-240; ders., Lektüre des Prinzipals. Zu den Chroniken in der Bibliothek eines Handelshofes des 16. Jahrhunderts, in: Stadtgeschichte. Mitteilungen des Leipziger Geschichtsvereins 2/2004, S. 4-22. – DBA II, III; DBE 2, S. 390.
Manfred Unger
9.1.2008
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Unger, Artikel: Heinrich Cramer von Claußbruch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1063 [Zugriff 21.11.2024].