Hans Nieland
N. unterbrach den Besuch des städtischen Realgymnasiums in Hagen von Juni bis Dezember 1918 für den freiwilligen Kriegsdienst. Nach der Reifeprüfung im Dezember 1918 studierte er bis 1922 in Göttingen und Hamburg Rechts- und Staatswissenschaften und wurde 1925 promoviert. Nach Beschäftigungen in Hamburger Exporthandelsfirmen und in verschiedenen Kommunal- und Staatsämtern setzte er das Jurastudium fort und legte 1928 die Erste juristische Staatsprüfung ab. Seine starke Einbindung in die NSDAP verzögerte seine juristische Ausbildung, die er schließlich im Mai 1939 abbrach. – Der politische Weg N.s begann am 30.1.1926 mit dem Eintritt in die NSDAP (Mitgliedsnummer 33.333). Er wurde Leiter des Bezirks Lenne-Volme (Gau Ruhr), Sektionsleiter in Hamburg-Borgfelde und anschließend Organisationsleiter im Gau Hamburg. Als Abgeordneter des Wahlkreises 34 (Hamburg) war er seit 1930 Mitglied des Reichstags. 1931 gründete er die Auslandsabteilung der NSDAP (später Auslandsorganisation), die als Gau von N. bis 1933 geführt wurde. Im November 1933 wurde er Mitglied der Allgemeinen SS (Mitgliedsnummer 61.702), im Januar 1934 SS-Führer z.b.V. (SS-Sturmbannführer, 1935 SS-Oberführer, 1939 SS-Brigadeführer). Am 1.4.1940 wechselte er vom SS-Oberabschnitt Nord-West zum SS-Oberabschnitt Elbe. N. war Träger des Goldenen Ehrenzeichens der NSDAP, des SS-Rings und des SS-Ehrendegens. In der Wehrmacht hatte er ab 1939 den Dienstgrad Oberleutnant der Reserve. – In den öffentlichen Dienst wechselte N. am 5.3.1933 mit der nationalsozialistischen „Neuordnung“ des Hamburger Senats. Er wurde Polizeipräsident, dann Senator der Baubehörde, Senator der Verwaltung für Wirtschaft, Technik und Arbeit, ab 1934 Senator der Finanzen und zusätzlich ab 1938 Stadtkämmerer. – 1939 bewarb sich N. auf die seit dem 11.6.1937 vakante Stelle des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Dresden. Am 5.3.1940 trat er, zunächst für zwölf Jahre, sein neues Amt an. Er fand eine funktionierende, auf Kriegsbedingungen eingestellte Verwaltung vor, deren Entscheidungsfähigkeit jedoch eingeschränkt war, zumal der „Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung“ vom 28.8.1939 ausdrücklich Maßnahmen der Reichsverteidigung über jegliche Verwaltungsaufgaben stellte. Auch hatte die Macht von Gauleiter Martin Mutschmann durch seine Bestellung zum Reichsverteidigungskommissar im Wehrkreis IV (Sachsen) weitere Stärkung erfahren. Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung sahen sich sowohl durch erhöhten Arbeitsaufwand, längere Arbeitszeit und kriegsbedingten Arbeitskräftemangel unter Druck gesetzt und hatten überdies nach Aufforderung N.s auch bei der Abwehr von Verrat, Spionage und Sabotage mitzuwirken. – Als Oberbürgermeister stand N. an der Spitze einer Großstadt mit fast 630.000 Einwohnern, die durch die nationalsozialistische Expansionspolitik geografisch und verkehrspolitisch in den Mittelpunkt des Deutschen Reichs gerückt war und als „Gauhauptstadt“ (Gau Sachsen der NSDAP) bezeichnet wurde. N. sprach in „unerschütterlichem Vertrauen auf den Führer“ vom „Endsieg“ und von den künftigen Entwicklungsmöglichkeiten für Dresden. Als Kunstinteressierter wandte er sich, ausgehend von der Phrase „
Adolf Hitler hat die Kunst wieder in den Dienst der Gemeinschaft gestellt“, besonders diesem Gebiet zu. Doch mit zunehmender Kriegsdauer, spätestens nach der Verkündung des „Totalen Kriegs“ am 18.2.1943, wurde auch das kulturelle Leben merklich eingeschränkt. Museen und Theater schlossen, ebenso die Städtische Bibliothek sowie letztendlich auch die Lichtspielhäuser. – Als Oberbürgermeister war N. zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrats der Drewag (Dresdner Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke AG) und der Straßenbahn AG. Seine Amtsausübung wurde durch die Kriegsverhältnisse und durch anhaltende Differenzen mit Reichsstatthalter und Gauleiter Mutschmann geprägt. Die NSDAP in Dresden zeigte sich mit N. unzufrieden, beanstandete mangelnde Zusammenarbeit und zu geringe Kontakte zur Bevölkerung. Außerdem setzte sie Gerüchte über Verschwendung im privaten Bereich in Umlauf. – Ende 1942 versuchte N. ins Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda nach Berlin zu wechseln, von März bis Juni 1943 übernahm er vertretungsweise die Geschäfte des Reichsfilmintendanten. Auch Mutschmann wollte N. aus dem Amt drängen und bemühte sich seit 1942 mehrmals vergeblich um Aufhebung von N.s „Unabkömmlich-Stellung“. Doch das Reichsministerium des Innern legte Wert darauf, dass in Städten von der Größe und Bedeutung Dresdens aufgrund der Katastrophengefahr im Krieg (Luftangriffe usw.) die Stadtverwaltung in der Hand des ordnungsgemäß bestellten Oberbürgermeisters verblieb. – Seit Kriegsbeginn, verstärkt nach der Ernennung von
Joseph Goebbels zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz am 25.7.1944, hatte auch die Stadtverwaltung Dresden für den „Ernstfall“ Vorbereitungen zu treffen, die jedoch sehr ungenügend blieben. Goebbels befürchtete, N. könnte im Fall feindlicher Bombenangriffe versagen. Der „Ernstfall“ trat am 7.10.1944 und am 16.1.1945 ein, er gipfelte in den Angriffen englischer und amerikanischer Bomberverbände vom 13. bis 15.2.1945. Etwa 25.000 Menschen verloren ihr Leben, die Dresdner Innenstadt wurde völlig zerstört. Diese Katastrophe forderte alle noch verfügbaren Kräfte, insbesondere auch die der Stadtverwaltung. N.s Unfähigkeit, Hilfsmaßnahmen zur Rettung der Stadt und ihrer Einwohner zu organisieren, nahm Mutschmann zum Anlass, ihn am 19.2.1945 mit sofortiger Wirkung als Oberbürgermeister der Stadt Dresden zu beurlauben. Kurz darauf verließ N. überstürzt Dresden. Anfang März meldete er sich im Reichsministerium des Innern in Berlin, wurde zur Unterstützung des Reichsbevollmächtigten für Dänemark abgeordnet und diente Ende April 1945 als Oberleutnant im Stab des Wehrmachtbefehlshabers in Dänemark, Generaloberst
Georg Lindemann. – Bei Kriegsende geriet N. in Gefangenschaft und kam am 2.6.1945 in britische Internierung (Lager Neumünster, Eselheide und Staumühle). Am 21.2.1948 entlassen, zog er zu seiner Familie nach Hamburg. Im August 1948 verurteilte ihn die 9. Kammer des Spruchgerichts Bielefeld wegen seiner SS-Mitgliedschaft zu einer Geldstrafe, die durch Anrechnung der Internierung abgegolten war. Bei den Ermittlungen hatte N. zwar den Einsatz von Zwangsarbeitern in Dresden bestätigt, aber das Wissen um die Deportation von Juden aus Dresden in die Ostgebiete verneint. Die Entnazifizierungseinstufung N.s von 1949 in Kategorie 3 („Minderbelastete“) wurde bei der Überprüfung 1950 in Kategorie 5 („Entlastete“) geändert. Anfang der 1950er-Jahre arbeitete er als Beratender Volkswirt in Hamburg, später als Bankier. 1973 verzog N. nach Reinbek.
Quellen Der Freiheitskampf 1940-1944; Bundesarchiv Berlin, Partei-Kanzlei, SS-Organisation, Akte N.; Bundesarchiv Koblenz, Akte Spruchgericht Bielefeld, Ermittlungssache gegen N.; Staatsarchiv Hamburg, Staatskanzlei, Personalakte N.; Stadtarchiv Dresden, Handakte Oberbürgermeister N.
Werke Die Macht als Staatlicher Rechtsbegriff, Diss. Hamburg 1923.
Literatur M. Gryglewski, Zur Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Dresden 1933-1945, in: N. Haase/S. Jersch-Wenzel/H. Simon (Hg.), Die Erinnerung hat ein Gesicht, Leipzig 1998, S. 147-150; C. Hermann, Oberbürgermeister der Stadt Dresden Hans N. und Stellvertreter Rudolf Kluge, in: Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 7, Altenburg 2001, S. 181-200 (P); K.-D. Henke/C. Schmitt-Teichert, Die dramatische Dekade. Über Dresden in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in: Dresdner Geschichtsbuch 12, Altenburg 2007, S. 203-230. – Reichstagshandbuch, VIII. Wahlperiode 1933, Berlin 1933, S. 213; M. Schumacher (Hg.), M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus, Düsseldorf ³1994, S. 344; J. Lilla (Bearb.), Statisten in Uniform, Düsseldorf 2004, S. 439f.; E. Klee, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/Main 2009, S. 392.
Christel Hermann
9.12.2011
Empfohlene Zitierweise:
Christel Hermann, Artikel: Hans Nieland,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25795 [Zugriff 22.11.2024].
Hans Nieland
Quellen Der Freiheitskampf 1940-1944; Bundesarchiv Berlin, Partei-Kanzlei, SS-Organisation, Akte N.; Bundesarchiv Koblenz, Akte Spruchgericht Bielefeld, Ermittlungssache gegen N.; Staatsarchiv Hamburg, Staatskanzlei, Personalakte N.; Stadtarchiv Dresden, Handakte Oberbürgermeister N.
Werke Die Macht als Staatlicher Rechtsbegriff, Diss. Hamburg 1923.
Literatur M. Gryglewski, Zur Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Dresden 1933-1945, in: N. Haase/S. Jersch-Wenzel/H. Simon (Hg.), Die Erinnerung hat ein Gesicht, Leipzig 1998, S. 147-150; C. Hermann, Oberbürgermeister der Stadt Dresden Hans N. und Stellvertreter Rudolf Kluge, in: Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 7, Altenburg 2001, S. 181-200 (P); K.-D. Henke/C. Schmitt-Teichert, Die dramatische Dekade. Über Dresden in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in: Dresdner Geschichtsbuch 12, Altenburg 2007, S. 203-230. – Reichstagshandbuch, VIII. Wahlperiode 1933, Berlin 1933, S. 213; M. Schumacher (Hg.), M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus, Düsseldorf ³1994, S. 344; J. Lilla (Bearb.), Statisten in Uniform, Düsseldorf 2004, S. 439f.; E. Klee, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/Main 2009, S. 392.
Christel Hermann
9.12.2011
Empfohlene Zitierweise:
Christel Hermann, Artikel: Hans Nieland,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25795 [Zugriff 22.11.2024].