Gabriel Didymus
D. zählte zu den Hauptakteuren der Wittenberger Unruhen von 1521/22. Sein Wirken als Prediger und Superintendent in Eilenburg und Torgau trug zum Aufbau des evangelischen Kirchenwesens in Kursachsen bei. – Über D.s Abstammung und erste Lebensjahre liegen keine gesicherten Angaben vor. Spekulativ bleiben sowohl sein Geburtsjahr als auch die in der Literatur genannten Geburtsorte Annaberg und Joachimsthal (tschech. Jáchymov), zumal beide Gemeinwesen in den 1480er-Jahren noch gar nicht existierten. Dass D. zumindest eine Zeit lang in Annaberg gelebt hat, geht daraus hervor, dass er diese erzgebirgische Bergstadt bei seiner Immatrikulation an der Universität Wittenberg im Jahr 1512 als Herkunftsort angab. In Wittenberg wurde D. Mitglied des Augustinerkonvents. Nach der erfolgreichen Promotion zum Baccalaureus sandte ihn Martin Luther 1517 in das Augustinerkloster Erfurt zum Erlernen des Altgriechischen. Doch schon wenig später kehrte D. nach Wittenberg zurück, um dort im Wintersemester 1518/19 den Magistergrad zu erwerben. Anfangs ein unauffälliger Sympathisant der reformatorischen Bewegung, geriet D. 1521 während der Abwesenheit Luthers von Wittenberg unter den schwärmerischen Einfluss von Andreas Bodenstein (gen. Karlstadt). Gemeinsam mit diesem und unterstützt von Nikolaus von Amsdorf und Justus Jonas d.Ä. drängte er auf einen radikalen Bruch mit der bestehenden Form der katholischen Messe. Obwohl Zeitgenossen D. als unansehnlichen, schmächtigen und einäugigen Mann beschrieben, galt er doch als mitreißender Kanzelredner mit einem außergewöhnlichen rhetorischen Talent. Seine Predigten gegen die spätmittelalterliche Frömmigkeit und für die Reichung des Abendmahls in beiderlei Gestalt führten dazu, dass der Wittenberger Augustinerkonvent am 13.10.1521 das Lesen der Messen einstellte. Als D. wenige Wochen später demonstrativ aus dem Kloster austrat, folgten ihm mehrere Ordensbrüder. Zu Weihnachten 1521 reiste D., wahrscheinlich auf Einladung der dortigen kurfürstlichen Beamten, nach Eilenburg. Sein Auftreten als Prediger wurde dabei gegen den Willen des Stadtpfarrers
Heinrich Kranach von dem kurfürstlichen Rentmeister
Hans von Taubenheim erzwungen. Auch wenn D. Eilenburg bereits am 6.1.1522 wieder verließ, gab er den reformatorischen Bestrebungen in der Stadt doch wichtige Impulse. Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Wittenberg setzte D. am 10.1.1522 den ersten Bildersturm der Reformation in Gang, indem er die Ausstattung der Augustinerkapelle im Klosterhof verbrennen ließ. Anders als Karlstadt beugte sich D. später der Zurechtweisung Luthers und bekannte, im Irrtum gehandelt zu haben. Aufgrund dieses Gesinnungswandels empfahl Luther D. als evangelischen Pfarrer nach Altenburg, doch ließ sich die Berufung gegen starke altgläubige Kräfte nicht durchsetzen. Stattdessen wandte sich D. nach Torgau, wo er seit dem 13.12.1523 als Prediger und seit dem 17.5.1525 als Stadtpfarrer nachweisbar ist. An der Stürmung des Torgauer Franziskanerklosters am 1.5.1525 scheint er nicht direkt beteiligt gewesen zu sein, doch haben seine polarisierenden Predigten dieses Ereignis gewiss begünstigt. – In Torgau ging D. 1524 die Ehe mit der Witwe des kurfürstlichen Sekretärs
Hieronymus Rudlauf ein. Das Patenamt für den ersten Sohn aus dieser Eheverbindung übernahm 1526 Martin Luther, was als weiteres Indiz für die völlige Bereinigung des Verhältnisses zwischen D. und dem Reformator gelten darf. – Von 1529 an fungierte D. 20 Jahre als der erste Superintendent in Torgau. Seine Amtszeit wurde überschattet von schwierigen Wohnbedingungen für seine Familie, weswegen D. mehrfach bei Kurfürst Johann Friedrich I. vorstellig wurde. 1537 gehörte D. zu den Unterzeichnern der Schmalkaldischen Artikel, trat darüber hinaus aber nicht weiter kirchenpolitisch in Erscheinung. Erst mit dem Leipziger Interim von 1548 gab D. seine jahrelange Zurückhaltung auf und nahm öffentlich gegen die von Kurfürst Moritz in Auftrag gegebene neue Kirchenordnung Stellung, indem er diese als Gottesverleugnung und Teufelsdienst brandmarkte. Da er sich auch im persönlichen Gespräch mit Moritz dem Interim konsequent verweigerte, wurde D. 1549 seines Amts enthoben und kurzzeitig in Wittenberg inhaftiert. Nach seiner Freilassung lebte er von einer bescheidenen kurfürstlichen Pension in Torgau und stellte sich der Herzoginwitwe Katharina von Mecklenburg-Schwerin als Privatprediger zur Verfügung.
Quellen Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. 4: Briefwechsel, 18 Bde., Weimar 1930-1983; H. Scheible/C. Mundhenk (Hg.), Melanchthons Briefwechsel, Stuttgart 1977-2016.
Werke Herrn Gabriel Didymusʼ Buch wieder das Interim, daneben auch ein kurzer Bericht und Antwort auf die neue Kirchenordnung des 1549ten Jahres [Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10024 Geheimer Rat], 1549.
Literatur K. Pallas, Der Reformationsversuch des Gabriel Zwilling (D.) in Eilenburg und seine Folgen, in: Archiv für Reformationsgeschichte 9/1912, S. 347-362; J. E. Goodwin, Gabriel Zwilling and the Wittenberg Movement of 1521-1522, Washington 1975; U. Linkner, Die Reformation in Torgau, Torgau 1983; M. Treu, Gabriel Zwilling - Torgaus erster Superintendent, in: Orte der Reformation, Bd. 16: Torgau, hrsg. von der Stadtverwaltung Torgau, Leipzig 2014, S. 52f. – ADB 5, S. 117; BBKL 14, Sp. 672-674; DBA I, II, III; DBE 2, S. 513; A. Hauck (Hg.), Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 4, Leipzig 1898, S. 639-641; H. D. Betz u.a. (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 8, Tübingen 41998, Sp. 1943f.
Michael Wetzel
19.6.2019
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Gabriel Didymus,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1143 [Zugriff 21.11.2024].
Gabriel Didymus
Quellen Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. 4: Briefwechsel, 18 Bde., Weimar 1930-1983; H. Scheible/C. Mundhenk (Hg.), Melanchthons Briefwechsel, Stuttgart 1977-2016.
Werke Herrn Gabriel Didymusʼ Buch wieder das Interim, daneben auch ein kurzer Bericht und Antwort auf die neue Kirchenordnung des 1549ten Jahres [Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10024 Geheimer Rat], 1549.
Literatur K. Pallas, Der Reformationsversuch des Gabriel Zwilling (D.) in Eilenburg und seine Folgen, in: Archiv für Reformationsgeschichte 9/1912, S. 347-362; J. E. Goodwin, Gabriel Zwilling and the Wittenberg Movement of 1521-1522, Washington 1975; U. Linkner, Die Reformation in Torgau, Torgau 1983; M. Treu, Gabriel Zwilling - Torgaus erster Superintendent, in: Orte der Reformation, Bd. 16: Torgau, hrsg. von der Stadtverwaltung Torgau, Leipzig 2014, S. 52f. – ADB 5, S. 117; BBKL 14, Sp. 672-674; DBA I, II, III; DBE 2, S. 513; A. Hauck (Hg.), Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 4, Leipzig 1898, S. 639-641; H. D. Betz u.a. (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 8, Tübingen 41998, Sp. 1943f.
Michael Wetzel
19.6.2019
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Gabriel Didymus,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1143 [Zugriff 21.11.2024].