Justus Jonas der Ältere
J. zählte zu den engsten Weggefährten Martin Luthers und erwies sich als einer der energischsten Verfechter der Wittenberger Reformation. Als Jurist, Theologe, Übersetzer und Visitator war er maßgeblich an der Fundierung und Verteidigung der lutherischen Theologie beteiligt und trug in verschiedenen Territorien des Reichs zur Konsolidierung des protestantischen Kirchenwesens bei. – Als Spross einer angesehenen Patrizierfamilie wuchs J. in Nordhausen auf, wo er auch die erste Schulbildung erhielt. Seinen ursprünglichen Familiennamen Koch hatte er bereits abgelegt, als er sich im Sommersemester 1506 als Jodocus (Jobst) Jonas an der Universität Erfurt immatrikulierte. Dort fand der eifrige Student, der 1507 Baccalaureus und 1510 Magister der Artistenfakultät wurde, Eingang in einen für die Beseitigung des scholastischen Lehrsystems eintretenden Humanistenkreis um
Mutianus Rufus, dem sich neben J. u.a. auch
Eobanus Hessus und
Johann Lange angeschlossen hatten. 1511 nahm J. juristische Studien an der Universität Wittenberg auf und trat in freundschaftliche Verbindungen zu Georg Spalatin. 1515 kehrte er nach Erfurt zurück, empfing im folgenden Jahr die kirchlichen Weihen und wurde am 16.8.1518 zum Doktor beider Rechte promoviert. Wenig später erlangte er eine juristische Professur, die es ihm ermöglichte, die von Kurfürst Friedrich III. (der Weise) geförderte Erneuerungsbewegung an der Universität Erfurt weiter zu unterstützen. Mittlerweile zu einer Führungsgestalt der Erfurter Humanisten geworden, teilte J. die Begeisterung dieses Kreises für
Erasmus von Rotterdam, den er im Frühjahr 1519 im kurfürstlichen Auftrag in Löwen (Leuven) besuchte. Die Reise stellte den Versuch dar, eine Verständigung zwischen Erasmus und Luther im Vorfeld der Leipziger Disputation zu erzielen. Der persönliche Ertrag der Begegnung mit Erasmus lag für J. v.a. in seiner verstärkten Hinwendung zur Theologie. Außerdem forcierte J., der am 2.5.1519 in Abwesenheit zum Rektor der Universität Erfurt gewählt worden war, nach seiner Rückkehr die dortige Bildungsreform im Geiste des Erasmus, die aufgrund zahlreicher Widerstände gleichwohl Stückwerk blieb. – Das Auftreten
Johannes Ecks an der zum Schiedsrichter der Leipziger Disputation eingesetzten Universität Erfurt und briefliche Kontakte mit Luther ließen den Wandlungsprozess J.s vom Humanisten zum reformatorischen Theologen weiter fortschreiten. J. begann 1520 theologische Vorlesungen, wurde Prediger und löste sich allmählich von seinen humanistischen Freunden. Auf Empfehlung Spalatins und Mutians übernahm er am 6.6.1521 die Funktion des Propsts beim Allerheiligenstift in Wittenberg. Noch vor der Designation zu diesem Amt hatte J. Luther zum Reichstag nach Worms begleitet. – Am 14.10.1521 wurde J. zum Doktor der Theologie promoviert und fünf Tage später in die theologische Fakultät der Universität Wittenberg aufgenommen, als deren Dekan er 1523 bis 1533 fungierte. 1530 und 1536 amtierte er zudem als Rektor. Während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg trat J. zusammen mit Andreas Rudolf Bodenstein (gen. Karlstadt) in Wittenberg als rigoroser Kritiker der althergebrachten Gottesdienstformen und des Zölibats auf. Seine Eheschließung mit
Katharina Falk am 9.2.1522 verstieß zwar gegen geltendes Kirchenrecht, hatte aber keine disziplinarischen Konsequenzen. Dagegen untersagte Kurfürst Friedrich die von J. geplanten gottesdienstlichen Neuerungen im Allerheiligenstift. Eine zusammen mit Johannes Bugenhagen ausgearbeitete evangelische Kirchenordnung fand deshalb vorerst keine Anwendung. Erst am Neujahrstag 1525 konnte J. den ersten evangelischen Gottesdienst in der Schlosskirche halten. – Neben seinen exzellenten Qualitäten als Prediger profilierte sich J. auch als Publizist und Übersetzer. Zu seinen eigenen Werken zählen u.a. die Druckfassungen verschiedener Vorlesungen, Predigten und Bibelauslegungen sowie die zumeist in bissigen Worten abgefassten Streitschriften gegen theologische Gegner wie Georg Witzel. Mit anderen Kontrahenten, wie Johannes Eck oder Johannes Cochlaeus, ließ er sich dagegen nicht auf einen literarischen Schlagabtausch ein. Bekanntheit erlangte auch seine aus der Sicht des Augenzeugen verfasste Darstellung „Doctor Martin Luthers Christlicher abschid vnd sterben“ (1546). Als Kirchenlieddichter bearbeitete J. verschiedene Psalmen. Seine eigentliche literarische Bedeutung kommt dem sprachgewandten J. jedoch aufgrund seiner Übersetzungstätigkeit zu. Eine Vielzahl der zentralen reformatorischen Schriften Luthers und Philipp Melanchthons übersetzte er wahlweise ins Deutsche oder ins Lateinische und trug damit gleichermaßen zur Verbreitung der Wittenberger Theologie in deutschen Laienkreisen und unter europäischen Gelehrten bei. Außerdem nahm Luther J.s Beratung bei der Arbeit an seiner Bibelübersetzung in Anspruch. Zu einer Schlüsselfigur der Wittenberger Reformation wurde J. aber auch durch seine Beobachtung des Marburger Religionsgesprächs 1529, den Besuch des Augsburger Reichstags 1530 und die Mitarbeit an der Confessio Augustana. Hinzu kommen seine Vermittlungsbemühungen zwischen den Wittenberger und den oberdeutschen Reformatoren um
Martin Bucer, die in den Abschluss der Wittenberger Konkordie 1536 mündeten. – Parallel dazu nahm J. eine führende Stellung als Kirchenvisitator ein. Dabei assistierte er Luther, Melanchthon und Bugenhagen bei der Erarbeitung von Visitationsrichtlinien, gehörte aber auch selbst seit 1528 mehreren Visitationskommissionen an, u.a. für Meißen und den Kurkreis. Diese zeitintensive Tätigkeit qualifizierte ihn, seit 1537 an der Einführung der Reformation durch Herzog Heinrich (der Fromme) in den Ämtern Freiberg und Wolkenstein und seit 1539 im übrigen albertinischen Sachsen mitzuwirken und dort ebenfalls ein - freilich übereiltes - Visitationswerk zu beginnen. Die große Bedeutung J.s für die kirchliche Neuausrichtung des albertinischen Sachsen wird exemplarisch auch daran deutlich, dass J. 1536 für Herzog Heinrichs „Freiberger Ländchen“ eine evangelische Kirchenordnung verfasste und zu Pfingsten 1539 neben Luther zu den ersten evangelischen Predigern in Leipzig gehörte. Bereits drei Jahre zuvor war J. von April bis September 1536 zur Verwaltung des Pfarrdiensts nach Naumburg abgeordnet worden. Danach beteiligte er sich seit 1537 an der Einrichtung eines Konsistoriums in Wittenberg, dessen Mitglied er 1538 kurzzeitig wurde. – Nicht minder große Verdienste erwarb sich J. als Unterstützer der reformatorischen Bemühungen der Fürsten von Anhalt mit seiner Kirchenordnung für Zerbst, die er nach einer temporären Predigttätigkeit in dieser Stadt 1538 aufstellte und die erstmals in Mitteldeutschland die Prediger auf das Augsburger Bekenntnis verpflichtete. Für die angebotene Pfarrstelle in Zerbst erhielt J. von Kurfürst Johann Friedrich (der Großmütige) allerdings keine Freigabe. Stattdessen wandte sich J. nach Halle/Saale, wo er 1541 mit Rückendeckung des Kurfürsten gegen den zähen Widerstand Kardinal
Albrechts von Brandenburg die Reformation einführte, eine Kirchenordnung nach Wittenberger Muster erließ (1543) und Superintendent wurde. Allerdings überschattete die hartnäckige Weiterbeanspruchung seiner Wittenberger Einkünfte J.s Hallenser Tätigkeit und brachte ihm in der Umgebung des Kurfürsten den Vorwurf der Habsucht ein. – Als Zeuge und seelsorgerlicher Begleiter der letzten Stunden Luthers beugte sich J. auch nach dessen Tod am 18.2.1546 ungeteilt der Lehrautorität seines Vorbilds. Ohne mit Melanchthon zu brechen, lehnte er doch dessen Befürwortung des Leipziger Interims ab und vertrat auch in den theologischen Auseinandersetzungen der Folgezeit, vornehmlich im Streit um die Rechtfertigungslehre
Andreas Osianders und die synergistische Debatte um Georg Major, genuin lutherische Positionen. – Zunehmend überschatteten seit 1546 persönliche Schicksalsschläge und gesundheitliche Probleme J.s Wirken. Als Parteigänger Kurfürst Johann Friedrichs musste J. während des Schmalkaldischen Kriegs aus Halle fliehen und wurde auf Empfehlung Melanchthons Superintendent in Hildesheim. Bereits 1548 kehrte J. nach Halle zurück, ohne indes in sein dortiges geistliches Amt wieder eingesetzt zu werden. Von einem Gallensteinleiden geschwächt und anfällig für seelische Depressionen, übersiedelte J. 1550 nach Coburg, wo er Superintendent und Hofprediger des Herzogs
Johann Ernst I. wurde. Ein weiteres Engagement führte ihn im Oktober 1552 nach Regensburg, wo ihn der Rat mit der Ordnung des evangelischen Kirchenwesens betraute. Die Absicht, sich am Aufbau der in Jena entstehenden Universität zu beteiligen, gab J. 1553 zugunsten einer Berufung zum Pfarrer und Superintendenten in Eisfeld auf. Hier starb der Reformator zwei Wochen nach Abschluss des Augsburger Religionsfriedens.
Quellen G. Kawerau, Der Briefwechsel des Justus J., 2 Bde., Halle 1884/85 (ND Hildesheim 1964); Martin Luther, Briefwechsel, Weimarer Ausgabe, 18 Bde., 1930-1983.
Werke Praefatio in Epistolas divi Paulii ad Corynthios, Erfurt 1520; Adversus Ioannem Fabrum Constantiensem Vicarium scortationis patronum pro coniugio sacerdotali defensio, Straßburg 1523; Annotationes in Acta Apostolorum, Augsburg [1524]; Vom alten und newen Gott, glawben und lere, Wittenberg 1526; Das siebend Capitel Danielis von des Türcken Gotteslesterung und schrecklicher morderey, Wittenberg 1530; Wilch die rechte Kirche und dagegen wilch die falsche Kirch ist, christlich Antwort und troestliche unterricht widder das Pharisaisch gewesch Georgii Witzel, Wittenberg 1534; Kirchenordnung zum anfang für die Pfarher in Hertzog Heinrichs zu Sachsen Fürstenthumb, Dresden 1539; Christlicher und kurtzer Unterricht von vergebung der Sünden und seligkeit, Wittenberg 1542; Ein Sermon von der Historien Judae Ischarioth und des Judas Kusse, Wie es der Welt kunst und des Teuffels list ist, Halle 1543; Zwo Tröstliche Predigt uber der Leich D. Doct. Martini Luther zu Eissleben den XIX. und XX. Februari gethan, Wittenberg 1546; Eyn fast tröstliche Predigt und auslegung der Historien von den Wunderbaren XL tagen In Actis Aposto. Cap. I, Erfurt 1554.
Literatur T. Pressel, Justus J. Nach gleichzeitigen Quellen, Elberfeld 1862; O. Clemen, Georg Witzel und Justus J., in: Archiv für Reformationsgeschichte 17 (1920), S. 132-152; M. Schellbach, Justus J., Essen 1941; W. Delius, Justus J. 1493-1555, Berlin 1952 (WV, P); ders., Reformationsgeschichte der Stadt Halle, Berlin 1953; S. Bräuer (Hg.), Justus J. Beiträge zur 500. Wiederkehr seines Geburtstages, Nordhausen 1993; H. Junghans (Hg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 22005 (P); I. Dingel (Hg.), Justus J. (1493-1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation, Leipzig 2009 (P). – ADB 14, S. 492-494; BBKL 3, Sp. 636f.; DBA I; DBE 5, S. 389; LThK2 5, Sp. 1116; NDB 10, S. 593f.; RGG4 4, Sp. 569f.; TRE 17, S. 341-346; A. Hauck (Hg.), Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 9, Leipzig 31901, S. 341-346.
Porträt Bildnis des Justus J., L. Cranach d.J., um 1543, Aquarell auf Pergament, Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz; Bildnis des Justus J., L. Cranach d.J., um 1543, Holzstich, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Inventar-Nr. A 10663 (Bildquelle) [CC BY SA 3.0 DE; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons 3.0 Deutschland Lizenz].
Michael Wetzel
20.2.2018
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Justus Jonas der Ältere,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2358 [Zugriff 21.11.2024].
Justus Jonas der Ältere
Quellen G. Kawerau, Der Briefwechsel des Justus J., 2 Bde., Halle 1884/85 (ND Hildesheim 1964); Martin Luther, Briefwechsel, Weimarer Ausgabe, 18 Bde., 1930-1983.
Werke Praefatio in Epistolas divi Paulii ad Corynthios, Erfurt 1520; Adversus Ioannem Fabrum Constantiensem Vicarium scortationis patronum pro coniugio sacerdotali defensio, Straßburg 1523; Annotationes in Acta Apostolorum, Augsburg [1524]; Vom alten und newen Gott, glawben und lere, Wittenberg 1526; Das siebend Capitel Danielis von des Türcken Gotteslesterung und schrecklicher morderey, Wittenberg 1530; Wilch die rechte Kirche und dagegen wilch die falsche Kirch ist, christlich Antwort und troestliche unterricht widder das Pharisaisch gewesch Georgii Witzel, Wittenberg 1534; Kirchenordnung zum anfang für die Pfarher in Hertzog Heinrichs zu Sachsen Fürstenthumb, Dresden 1539; Christlicher und kurtzer Unterricht von vergebung der Sünden und seligkeit, Wittenberg 1542; Ein Sermon von der Historien Judae Ischarioth und des Judas Kusse, Wie es der Welt kunst und des Teuffels list ist, Halle 1543; Zwo Tröstliche Predigt uber der Leich D. Doct. Martini Luther zu Eissleben den XIX. und XX. Februari gethan, Wittenberg 1546; Eyn fast tröstliche Predigt und auslegung der Historien von den Wunderbaren XL tagen In Actis Aposto. Cap. I, Erfurt 1554.
Literatur T. Pressel, Justus J. Nach gleichzeitigen Quellen, Elberfeld 1862; O. Clemen, Georg Witzel und Justus J., in: Archiv für Reformationsgeschichte 17 (1920), S. 132-152; M. Schellbach, Justus J., Essen 1941; W. Delius, Justus J. 1493-1555, Berlin 1952 (WV, P); ders., Reformationsgeschichte der Stadt Halle, Berlin 1953; S. Bräuer (Hg.), Justus J. Beiträge zur 500. Wiederkehr seines Geburtstages, Nordhausen 1993; H. Junghans (Hg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 22005 (P); I. Dingel (Hg.), Justus J. (1493-1555) und seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation, Leipzig 2009 (P). – ADB 14, S. 492-494; BBKL 3, Sp. 636f.; DBA I; DBE 5, S. 389; LThK2 5, Sp. 1116; NDB 10, S. 593f.; RGG4 4, Sp. 569f.; TRE 17, S. 341-346; A. Hauck (Hg.), Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 9, Leipzig 31901, S. 341-346.
Porträt Bildnis des Justus J., L. Cranach d.J., um 1543, Aquarell auf Pergament, Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz; Bildnis des Justus J., L. Cranach d.J., um 1543, Holzstich, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Inventar-Nr. A 10663 (Bildquelle) [CC BY SA 3.0 DE; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons 3.0 Deutschland Lizenz].
Michael Wetzel
20.2.2018
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Justus Jonas der Ältere,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2358 [Zugriff 21.11.2024].