Friedrich Olbricht
O. war einer der führenden Köpfe des militärischen Widerstands des 20. Juli 1944. In seiner Funktion als Chef des Allgemeinen Heeresamts hatte er entscheidenden Anteil an der Umarbeitung des Walküre-Plans für den Staatsstreich. Zu seinem Verdienst zählt, unter größter Geheimhaltung den zivilen und militärischen Widerstand zusammengeführt zu haben. Außerdem entstand unter seiner Führung im Allgemeinen Heeresamt ein Sammelbecken für oppositionelle Offiziere, durch die der Staatsstreich vorbereitet und völlig überraschend ausgeführt werden konnte. – B. besuchte zunächst die Schule in Leisnig, wo auch sein Vater als Oberlehrer tätig war. Als dieser 1898 an das Gymnasium Albertinum in Freiberg versetzt wurde, wechselte auch O. dorthin. Bereits 1900 zog die Familie, bedingt durch eine erneute Versetzung des Vaters, nach Bautzen. Dort besuchte O. das königlich sächsische Staatsgymnasium, an dem er 1907 sein Abitur machte. – Entgegen der Familientradition des Lehrerberufs, entschloss sich O., als Fahnenjunker in das 7. Infanterieregiment „König Georg“ Nr. 106 in Leipzig einzutreten. Dorthin kehrte O. nach der Absolvierung der Kriegsschule in Danzig (poln. Gdańsk) als Leutnant zurück. – Als Regimentsadjutant diente O. während des Ersten Weltkriegs - bis auf einen kurzen Einsatz an der Ostfront - an der Westfront. Dort wurde er u.a. vor Verdun (Frankreich) eingesetzt und erhielt als erster Offizier seines Regiments das Eiserne Kreuz für persönliche Tapferkeit. O. schloss in dieser Zeit persönliche Freundschaften mit den drei sächsischen Prinzen
Georg, Ernst Heinrich und Friedrich Christian. Für letzteren fertigte O. in seiner Funktion als Regimentsadjutant z.B. Berichte über die Schlacht von Verdun an. Prinz Friedrich Christian sollte für O. noch bis in die 1930er-Jahre hinein ein wichtiger Ratgeber bleiben. 1916 folgte der Beförderung zum Hauptmann im Generalstab die Versetzung in den Stab des XIX. (II. königlich sächsischen) Armeekorps und anschließend in den Stab der 3. Armee. Dort arbeitete O. mit großem organisatorischem Talent daran, die ab 1919 stattfindende Rückführung und Demobilisierung der 3. Armee, insbesondere deren untergliedertes XIX. Armeekorps nach Leipzig, zu ermöglichen. Die Bedeutung seiner erfolgreichen Arbeit ist v.a. vor dem Hintergrund der fehlenden Erfahrung der Generalstabsoffiziere bei der in dieser Größe bisher unbekannten Demobilisierung zu sehen. – Nach der Auflösung der zurückgekehrten sächsischen Truppen verblieb O. in Sachsen. Während der politischen Unruhen infolge der Revolution und der Abdankung König Friedrich Augusts III. vermittelte er zwischen den Soldaten- und Arbeiterräten und dem Freikorps des Generalmajors Georg Maercker, das nach der Ermordung des sächsischen Kriegsministers Gustav Neuring am 12.4.1919 von der neuen sächsischen Regierung als Hilfe angefordert worden war. Dabei gelang es O., die Besetzung Leipzigs durch das Freikorps ohne großes Blutvergießen zu ermöglichen. Aufgrund dieser Leistung wurde O. Anfang 1920 zeitweise als Verbindungsoffizier zum neuen Oberpräsidenten der preußischen Provinz Sachsen
Otto Hörsing abkommandiert. Wenig später erfolgte jedoch die Versetzung in den Stab der 4. Infanteriedivision nach Dresden. 1926 wurde er in die Abteilung „Fremde Heere“ des Truppenamts der Reichswehr T3 in Berlin versetzt. Nach mehrjähriger Tätigkeit dort, kehrte O. Ende 1931 mit der Beförderung zum Major als Kommandeur des I. (Jäger-) Bataillons in das Infanterieregiment 10 nach Dresden zurück. Bereits 1933 wurde er Chef des Stabs der dortigen 4. Infanteriedivision und ein Jahr später Chef des Generalstabs des Wehrkreiskommandos IV in Dresden. Sein erstes Kommando auf Divisionsebene erhielt O., nunmehr Generalmajor, am 9.11.1938 mit der 24. Infanteriedivision in Chemnitz. – Im Zuge der Besetzung der Tschechoslowakei rückte O.s Division am 15.3.1939 kampflos in Prag ein. Auch im folgenden Polenfeldzug ab dem 1.9.1939 führte O. die 24. Infanteriedivision. Dort zeichnete er sich in der Schlacht an der Bzura und bei der Einschließung Warschaus aus, wofür er das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes erhielt. – Nach dem Ende des Polenfeldzugs wurde O.s Division im Oktober 1939 in die neuen Bereitstellungsräume in die Eifel verlegt. Anfang 1940 erfolgte eine Umgliederung der Befehlsstruktur des Heers, bei der die Vereinigung des Chefs der Heeresrüstung und des Befehlshabers des Ersatzheers mit dem Stab des Allgemeinen Heeresamts aufgehoben wurde. Den zum Generalleutnant beförderten O. ernannte man daraufhin zum neuen Chef des Allgemeinen Heeresamts und versetzte ihn nach Berlin. 1943 wurde er zum General der Infanterie befördert und zugleich Chef des Wehrersatzamts des Oberkommandos der Wehrmacht. – O. hatte
Adolf Hitler und der NSDAP seit deren missglücktem Putschversuch von 1923 kritisch gegenübergestanden. Damit gehörte er im Bereich der Dresdner Garnison zu einem größeren militärischen Personenkreis, der den Nationalsozialismus ablehnte. Zu diesem Kreis gehörten auch Generaloberst
Ludwig Beck, Feldmarschall
Erwin von Witzleben sowie Hans Oster. In seiner Funktion als Chef des Stabs des ab 1934 gebildeten Generalkommandos des Wehrkreises IV in Dresden war O. für alle in Sachsen stationierten Truppen der Wehrmacht verantwortlich. In dieser Funktion nahm er auch zu zivilen Gegnern des Nationalsozialismus, wie dem Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler, Kontakt auf. Während des
Röhm-Putschs vom 30.6.1934 verhinderten Alarmeinheiten der 4. Infanteriedivision auf O.s Befehl hin die Ermordung von Systemgegnern und befreiten zahlreiche Todeskandidaten mit der Begründung, dass sie unabkömmliche militärpolitische Aufgaben hätten. Unter ihnen befand sich auch Ernst Heinrich von Sachsen. Im Gefolge der Blomberg-Fritsch-Krise im Februar 1938 beteiligte sich O. an der Intervention der Generalität gegen die Entlassungen des Oberbefehlshabers des Heers
Werner von Fritsch und des Reichskriegsministers
Werner von Blomberg. Diese scheiterte jedoch am Einspruch des Oberbefehlshabers der 3. Armee
Walter von Reichenau, der die Aktion als Meuterei bezeichnete. O. setzte sich jedoch weiterhin mit Nachdruck für eine Rehabilitation des zu Unrecht beschuldigten Fritsch ein. Als 1938 auch der Chef des Generalstabs Ludwig Beck resignierend seinen Rücktritt einreichte, befand sich weder an der Spitze noch im Heer der Wehrmacht eine Opposition zur Politik der Nationalsozialisten. – Am 15.2.1940 wurde O. zum Amtschef des Allgemeinen Heeresamts im Oberkommando des Heers befördert und besetzte damit eine Schlüsselposition in der Wehrmacht. Hier gewann er Einblicke in die politische und militärische Lage und erkannte die Aussichtslosigkeit, in der sich das Deutsche Reich befand. Mit Erreichen dieser Spitzenposition konnte O. Pläne für eine Zusammenfassung der verschiedenen Oppositionsgruppen innerhalb und außerhalb der Wehrmacht in Angriff nehmen. O. knüpfte dabei enge Kontakte zu Persönlichkeiten verschiedenster oppositioneller Gruppierungen, wie Repräsentanten der inzwischen verbotenen Parteien und Gewerkschaften, sowie zu Vertretern der Wirtschaft, der Justiz und der Beamtenschaft. Da ein erfolgreicher Staatsstreich nur von der Wehrmacht unternommen werden konnte, konzentrierte sich seine Arbeit auf das Finden und Zusammenführen von oppositionellen Militärs in der Wehrmacht. Zu diesen gehörten neben der ehemaligen Gruppierung um Generaloberst Beck, Mitglieder der Abwehr, deren Leiter Admiral
Wilhelm Canaris und Oberst Hans Oster, als auch Angehörige der Potsdamer Garnison, wie Oberst
Henning von Tresckow. O.s herausragende Leistung wird dadurch deutlich, dass er neben seiner Verantwortung als Chef des allgemeinen Heeresamts während des Kriegs noch gleichzeitig als einer der Hauptorganisatoren des Staatsstreichs in völliger Geheimhaltung arbeitete. So versuchte O. auch den Befehlshaber des Ersatzheers, Generaloberst
Friedrich Fromm, für die Planung des Staatsstreichs zu gewinnen. Dieser verhielt sich trotz grundsätzlicher Zustimmung jedoch abwartend. O. befasste sich in der Folge, später zusammen mit dem von ihm für die Sache des militärischen Widerstands angeworbenen Chef des Stabs, Oberstleutnant
Claus Schenck Graf von Stauffenberg, mit den Vorbereitungen zur Übernahme der Macht durch die Wehrmacht im Falle eines geglückten Attentats auf Hitler. Zur Erreichung dieses Ziels diente ihnen der 1942 vom Allgemeinen Heeresamt unter dem Stichwort „Walküre“ ausgearbeitete Plan. – Bis Mitte 1944 waren zahlreiche Attentate auf Hitler aus dem Umkreis des Mitverschworenen Henning von Tresckow gescheitert. Mit der Einstellung Stauffenbergs als neuen Stabschef des Befehlshabers des Ersatzheers Generaloberst Fromm eröffnete sich dem militärischen Widerstand eine neue Möglichkeit zur Ausschaltung Hitlers. – Durch die geplante Verhaftung Goerdelers in Zugzwang gebracht, war das Attentat auch ohne die Anwesenheit
Heinrich Himmlers und
Hermann Görings in Rastenburg (poln. Kętrzyn) für den 15.7.1944 geplant. Im Vertrauen auf das Gelingen des Attentats mittels einer Bombe hatte O. in Berlin im Wehrkreis III bereits das Stichwort „Walküre“ ausgegeben. Als Stauffenberg aus Rastenburg meldete, dass das Attentat nicht stattgefunden hatte, stellte O. den Alarm als Übungsalarm dar und besichtigte die einsatzbereiten Einheiten. Da er überhaupt nicht zur Ausgabe des Stichworts berechtigt gewesen war, kam es zwischen ihm und Generaloberst Fromm zu einer schweren Auseinandersetzung. – Als am 20.7.1944 das Attentat auf Hitler durchgeführt worden war, war es O. durch den bereits ausgelösten Fehlalarm nicht möglich, ohne genaue Kenntnis des Ausgangs des Attentats das Stichwort auszugeben, da ein weiterer Fehlalarm die Verschwörer zwangsläufig aufgedeckt hätte. Erst nach einem erneuten Anruf aus dem Hauptquartier gab O. das Stichwort „Walküre“ aus, da sich Generaloberst Fromm weigerte, dies zu tun. Obwohl O. Bedenken hatte, dass das Attentat wirklich geglückt war, entschied er sich, den Versuch zu wagen. Als gegen Abend das Scheitern des Staatsstreichs offensichtlich und die Situation immer klarer wurde, wurden O. und seine Mitverschwörer von Wehrmachtsangehörigen festgesetzt. Sie wurden ohne Standgericht im Hof des Bendlerblocks auf Befehl Fromms vor ein Erschießungskommando geführt. Dort wurde O. zusammen mit Stauffenberg,
Mertz von Quirnheim und
Werner von Haeften kurz nach Mitternacht exekutiert. Ihre Leichen wurden zunächst auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg begraben, jedoch einige Tage später exhumiert und im Krematorium Wedding verbrannt. Ihre Asche wurde auf Befehl Hitlers auf Berliner Rieselfeldern verstreut. – Wegen seiner Verdienste im Widerstand gegen das NS-Regime wurden u.a. in Bautzen, Leipzig und Freiberg Straßen sowie in Dresden ein Platz nach O. benannt. In der Nähe der Hinrichtungsstätte Plötzensee in Berlin-Charlottenburg-Nord gibt es darüber hinaus einen Friedrich-Olbricht-Damm. Schließlich trägt auch die Leipziger Bundeswehrkaserne seinen Namen.
Literatur F. Georgi, Soldat im Widerstand. General der Infanterie Friedrich O., Berlin 1989 (P); H. P. Page, General Friedrich O., Bonn 1992; H. Schultze/A. Kurschat (Hg.), „Ihr Ende schaut an ...“. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2006, S. 402. – DBA II, III; DBE 7, S. 484; NDB 19, S. 501f.; W. Kosch/K. Eugen, Biographisches Staatshandbuch, Bd. 1, Bern 1963, S. 245; E. Stockhorst, Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, Velbert/Kettwig 1967, S. 397; K. Bosl/G. Franz/H. H. Hofmann (Bearb.), Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, Bd. 2, München 21974, S. 246-248; P. Steinbach/J. Tuchel (Hg.), Lexikon des Widerstandes 1933-1945, München 1994, S. 254f.; A. Frey (Bearb.), Biographisches Archiv des Christentums, München 2009, S. 414-416.
Porträt Friedrich O., 1939/40, Fotografie, Bundesarchiv Berlin, Bild 146-1981-072-61 [CC BY-SA 3.0, This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany License] (Bildquelle).
Georg Hanzsch
1.8.2012
Empfohlene Zitierweise:
Georg Hanzsch, Artikel: Friedrich Olbricht,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3059 [Zugriff 21.12.2024].
Friedrich Olbricht
Literatur F. Georgi, Soldat im Widerstand. General der Infanterie Friedrich O., Berlin 1989 (P); H. P. Page, General Friedrich O., Bonn 1992; H. Schultze/A. Kurschat (Hg.), „Ihr Ende schaut an ...“. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2006, S. 402. – DBA II, III; DBE 7, S. 484; NDB 19, S. 501f.; W. Kosch/K. Eugen, Biographisches Staatshandbuch, Bd. 1, Bern 1963, S. 245; E. Stockhorst, Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, Velbert/Kettwig 1967, S. 397; K. Bosl/G. Franz/H. H. Hofmann (Bearb.), Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, Bd. 2, München 21974, S. 246-248; P. Steinbach/J. Tuchel (Hg.), Lexikon des Widerstandes 1933-1945, München 1994, S. 254f.; A. Frey (Bearb.), Biographisches Archiv des Christentums, München 2009, S. 414-416.
Porträt Friedrich O., 1939/40, Fotografie, Bundesarchiv Berlin, Bild 146-1981-072-61 [CC BY-SA 3.0, This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany License] (Bildquelle).
Georg Hanzsch
1.8.2012
Empfohlene Zitierweise:
Georg Hanzsch, Artikel: Friedrich Olbricht,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3059 [Zugriff 21.12.2024].