Erwin Hartsch
H. erlebte mit seinen acht Geschwistern eine von äußerster Armut geprägte Kindheit. Nach dem obligatorischen Schulbesuch wollte er, dem Vorbild seines Vaters folgend, Volksschullehrer werden. Er besuchte daher bis 1910 das 1872 errichtete Lehrerseminar in Schneeberg. Sodann wurde er bis 1913 zunächst Hilfslehrer in Mylau, anschließend unterrichtete er als ständiger Lehrer in den Städten Falkenstein und Sebnitz. 1919 kehrte er geprägt durch seine Kriegserlebnisse in seine vogtländische Heimat zurück und nahm seine Lehrtätigkeit in Mylau wieder auf. Dort fand er zugleich sein politisches Zuhause in der Arbeiterbewegung. Nach nur einjähriger Mitgliedschaft in der SPD war er 1920 bis 1933 bereits Stadtverordneter und zeitweilig stellvertretender Bürgermeister sowie Stadtverordnetenvorsteher. Ende 1923 leitete H. eine „Proletarische Hundertschaft“ gegen die Reichswehr, die gegen die seit dem 10.10.1923 existierende sozialdemokratisch-kommunistische Landesregierung Sachsens unter dem Ministerpräsidenten Erich Zeigner aufmarschiert war, um die rot-rote Regierung de facto auszuschalten und so die befürchtete Errichtung einer deutschen Sowjetrepublik zu verhindern. 1926 wurde H. als engagierter Sozialdemokrat zum Abgeordneten in den Sächsischen Landtag und 1932 zum Reichstagsabgeordneten gewählt. Als Mitglied des Sächsischen Lehrervereins fühlte er sich während der Weimarer Republik v.a. für die Schaffung neuer Lehrbücher verantwortlich. H. setzte sich während dieser Zeit konsequent für Völkerfreundschaft und gegen faschistische Propaganda ein, sodass er die ersten Jahre der NS-Herrschaft in fünf Konzentrationslagern inhaftiert war. Von den Folgen der darin erlittenen Misshandlungen konnte er sich zeitlebens nicht mehr erholen. Trotz der beständigen Gefahr hatte er sich für eine illegale Arbeit gegen das NS-Regime entschieden. So beteiligte er sich z.B. ab 1942 an der Wiedererrichtung von sozialdemokratischen Strukturen in Leipzig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs machte sich H. zunächst um die Wiedergründung der SPD verdient, bevor er sich um den Aufbau einer demokratischen Schullandschaft zunächst als Schulleiter und anschließend als Schulrat in Mylau bemühte. Im Oktober 1946 wurde H. in den Sächsischen Landtag gewählt und bereits im Dezember 1946 zum Volksbildungsminister in das Kabinett des Ministerpräsidenten Rudolf Friedrichs berufen. Nach der erfolgten Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED geriet er in die Auseinandersetzungen zwischen den Ministern, die ehemals Sozialdemokraten bzw. Kommunisten waren. Auf der einen Seite standen er und seine ehemaligen SPD-Weggefährten
Walter Gäbler (Arbeitsminister) und auf der anderen Seite die ehemaligen KPD-Mitglieder Fritz Selbmann (Wirtschaftsminister) und Kurt Fischer (Innenminister). Nach dem ungeklärten Tod des Ministerpräsidenten Friedrichs am 13.6.1947 äußerte H. den Verdacht, dass sein enger Freund Friedrichs ermordet worden sei. Er befürchtete zudem, selbst Opfer kommunistischer Personalpolitik bzw. von „Säuberungen“ zu werden. – Mutig setzte sich H. für eine demokratisch orientierte Reformpädagogik ein, die er gemeinsam mit seinem langjährigen Freund und Wegbegleiter Kurt Schumann v.a. durch die Wiedergründung der Dresdner Dürerversuchsschule fördern wollte. Dieser Modellschule hatte H. in der Weimarer Republik bereits seinen gleichnamigen Sohn anvertraut. Beharrlich setzte er sich stets für fachliche und pädagogische Kompetenz ein. Ideologische Propaganda, zumal in parteipolitischer Verengung, war ihm dafür niemals Ersatz. Aus gesundheitlichen Gründen musste er sich schließlich doch im April 1948 von seinem Amt als Volksbildungsminister beurlauben lassen. Im darauffolgenden Monat übernahm er die Leitung der Mitte August 1947 wiedereröffneten Sächsischen Landesbibliothek. Die ihm im Juli 1948 von der Technischen Hochschule Dresden angetragene Professur für Sozialpädagogik konnte er nicht mehr antreten, da er bereits anderthalb Wochen später an einem Krebsleiden verstarb. Die Trauerfeier für H. fand unter großer öffentlicher Anteilnahme am 6.8.1948 im Dresdner Hygiene-Museum statt.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, Ministerpräsident, Korrespondenz Friedrichs & H., Ministerium für Volksbildung; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, Kreistag & Kreisrat Chemnitz 1945-1952.
Werke Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, Ministerpräsident, Korrespondenz Friedrichs & H., Ministerium für Volksbildung; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, Kreistag & Kreisrat Chemnitz 1945-1952.
Literatur A. Hammer, Leben und Werk des sächsischen Pädagogen Erwin H., in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Zwickau, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 7/1971, H. 1/2, S. 279-284; B. Geier/E. Petermann, Erwin H. 1890 bis 1948, in: G. Hohendorf/H. König/E. Meumann (Hg.), Wegbereiter der neuen Schule, Berlin 1989, S. 115-120 (P); M. Schmeitzner/M. Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie im Sächsischen Landtag, Dresden 1997; M. Richter/M. Schmeitzner, „Einer von beiden muss so bald wie möglich entfernt werden!“, Leipzig 1998; A. Pehnke, „Ich gehöre auf die Zonengrenze!“, Beucha 2004. – DBA II, III; T. Bürger/K. Hermann (Hg.), Das ABC der SLUB, Dresden 2006, S. 105.
Porträt Reichstags-Handbuch 1932, VI. Wahlperiode hrsg. vom Büro des Reichstags, Verlag der Reichsdruckerei, Berlin 1932, S. 319 (Bildquelle).
Andreas Pehnke
1.2.2010
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Erwin Hartsch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/8960 [Zugriff 2.11.2024].
Erwin Hartsch
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, Ministerpräsident, Korrespondenz Friedrichs & H., Ministerium für Volksbildung; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, Kreistag & Kreisrat Chemnitz 1945-1952.
Werke Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, Ministerpräsident, Korrespondenz Friedrichs & H., Ministerium für Volksbildung; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, Kreistag & Kreisrat Chemnitz 1945-1952.
Literatur A. Hammer, Leben und Werk des sächsischen Pädagogen Erwin H., in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Zwickau, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 7/1971, H. 1/2, S. 279-284; B. Geier/E. Petermann, Erwin H. 1890 bis 1948, in: G. Hohendorf/H. König/E. Meumann (Hg.), Wegbereiter der neuen Schule, Berlin 1989, S. 115-120 (P); M. Schmeitzner/M. Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie im Sächsischen Landtag, Dresden 1997; M. Richter/M. Schmeitzner, „Einer von beiden muss so bald wie möglich entfernt werden!“, Leipzig 1998; A. Pehnke, „Ich gehöre auf die Zonengrenze!“, Beucha 2004. – DBA II, III; T. Bürger/K. Hermann (Hg.), Das ABC der SLUB, Dresden 2006, S. 105.
Porträt Reichstags-Handbuch 1932, VI. Wahlperiode hrsg. vom Büro des Reichstags, Verlag der Reichsdruckerei, Berlin 1932, S. 319 (Bildquelle).
Andreas Pehnke
1.2.2010
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Erwin Hartsch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/8960 [Zugriff 2.11.2024].