Fritz Selbmann

S. gehörte zu den bedeutendsten Wirtschaftsfunktionären der KPD/SED in der Gründungszeit und ersten Entwicklungsphase der DDR. Als Wirtschaftsressortchef in Sachsen vom September 1945 bis März 1948 zeichnete er im industriellen Kernland der Sowjetischen Besatzungszone verantwortlich für die ersten massiven Eingriffe in die Eigentumsstruktur und den Aufbau planwirtschaftlicher Strukturen. S. sorgte dafür, dass Sachsen zum wirtschaftspolitischen „Modellfall“ der KPD/SED wurde. – Der aus Hessen stammende S. wurde nach Besuch der Volksschule und einer Ausbildung als Bergmann 1917 zum Militärdienst einberufen. 1918 war er Mitglied eines Arbeiter- und Soldatenrats, 1920 trat er in die USPD ein. Mit dem Übertritt zur KPD 1922 begann S.s Karriere als Berufspolitiker. Zunächst übte er im Ruhrgebiet verschiedene Parteifunktionen aus. Als er 1930 die Leitung des Parteibezirks Oberschlesien übernahm und Mitglied des Preußischen Landtags wurde, rangierte S. bereits unter den kommunistischen Spitzenfunktionären. Sein enger Anschluss an Parteichef Ernst Thälmann dürfte dazu beigetragen haben, dass er 1931 mit der Führung des wichtigen Parteibezirks Sachsen beauftragt wurde. Seit 1932 gehörte S. auch der KPD-Reichstagsfraktion an (Wahlkreis 29 Leipzig). Unter dem NS-Regime versuchte S. seine Arbeit in Leipzig illegal fortzusetzen, wurde jedoch bereits im April 1933 verhaftet. Damit begann sein Weg durch verschiedene Gefängnisse und Konzentrationslager, der erst mit seiner Flucht aus dem KZ Dachau in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs endete. – S. kehrte unverzüglich nach Leipzig zurück und beteiligte sich am Wiederaufbau der Partei. Im Sommer 1945 wurde der aus Moskau zurückgekehrte Hermann Matern auf S. aufmerksam und sorgte für dessen Berufung in die Landesverwaltung Sachsen. S. übernahm die Leitung des Wirtschaftsressorts, ohne dafür - nach eigener Einschätzung - fachlich hinreichend qualifiziert zu sein. Gleichwohl begann er mit großer Energie, den Umbau der sächsischen Wirtschaft in Richtung auf eine staatlich gelenkte Planwirtschaft in die Wege zu leiten. Er war insbesondere zuständig für die Vorbereitung und Durchführung des Volksentscheids vom 30.6.1946, in dessen Folge die sächsische Industrie von der ersten großen Enteignungswelle erfasst wurde. S. baute daraufhin nicht nur die Leitungsorganisation der später sog. Volkseigenen Betriebe auf, sondern schuf in seinem Ressort auch die entsprechenden planwirtschaftlichen Instanzen. Ihm fehlte dabei keineswegs der klare Blick für institutionell und fachlich bedingte Funktionsdefizite sowie für die weithin kontraproduktiven Folgen der rigorosen Reparationspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht. Mit bemerkenswerter Offenheit und Risikobereitschaft setzte sich S. sowohl innerparteilich wie auch gegenüber sowjetischen Instanzen für die Wiederaufbauinteressen der sächsischen Wirtschaft ein, freilich ohne nachhaltigen Erfolg zu erzielen. – Mit der Zentralisierung der wirtschaftlichen Lenkungskompetenzen im Frühjahr 1948 wechselte S. in das Amt des für Industrie zuständigen Vizepräsidenten der Deutschen Wirtschaftskommission nach Berlin. Nach der Gründung der DDR bekleidete er verschiedene Ministerämter im industriellen Bereich. 1954 bis 1958 war er Mitglied des Zentralkomitees der SED; im Frühjahr 1958 wurde S. infolge seiner Verbindungen zur im innerparteilichen Machtkampf unterlegenen Anti-Ulbricht-Fronde um Karl Schirdewan, den S. aus gemeinsamer KZ-Haft kannte, weitgehend entmachtet. Seit 1964 lebte S. als freier Schriftsteller; 1969 bis zu seinem Tod war er Vizepräsident des Schriftstellerverbands der DDR. – S. blieb zeit seiner politischen Existenz ein linientreuer Kommunist. Sein Denken war von den typischen ideologischen Schranken befangen. Gleichwohl muss man ihm attestieren, dass er bei der Verfolgung der von ihm für richtig gehaltenen Ziele sowohl innerhalb seiner Partei wie auch gegenüber Vertretern der Sowjetunion ein ungewöhnliches Maß an Konfliktbereitschaft an den Tag legte. Den dazu erforderlichen Mut stellte S. auch unter Beweis, als er es am 17.6.1953 als einer der ganz wenigen SED-Spitzenfunktionäre in Berlin wagte, sich öffentlich den Demonstranten zu stellen.

Quellen Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Nachlass S., NY 4113; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, Ministerium für Wirtschaft.

Werke Die Heimkehr des Joachim Ott, Halle/Saale 1962; Die Söhne der Wölfe, Halle/Saale 1965; Alternative, Bilanz, Credo. Versuch einer Selbstdarstellung, Halle/Saale 1969; Das Schreiben und das Lesen. Ein Sammelband, Halle/Saale 1974 (WV); Acht Jahre und ein Tag. Bilder aus den Gründerjahren der DDR, Berlin 1999 (P).

Literatur R. Karlsch, Das „Selbmann-Memorandum“ vom Mai 1947, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 35/1993, S. 88-125; W. Halder, „Modell für Deutschland“. Wirtschaftspolitik in Sachsen 1945-1948, Paderborn/München/Wien/Zürich 2001; ders., Eine bedeutsame Quelle zur sächsischen Nachkriegsgeschichte?, in: NASG 73/2002, S. 215-240. – DBA II, III; DBE 9, S. 276; H. Weber/A. Herbst, Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918-1945, Berlin 2004, S. 729f.

Porträt Reproduktionsnegativ, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Winfrid Halder
23.8.2006


Empfohlene Zitierweise:
Winfrid Halder, Artikel: Fritz Selbmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3677 [Zugriff 21.11.2024].

Fritz Selbmann



Quellen Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Nachlass S., NY 4113; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, Ministerium für Wirtschaft.

Werke Die Heimkehr des Joachim Ott, Halle/Saale 1962; Die Söhne der Wölfe, Halle/Saale 1965; Alternative, Bilanz, Credo. Versuch einer Selbstdarstellung, Halle/Saale 1969; Das Schreiben und das Lesen. Ein Sammelband, Halle/Saale 1974 (WV); Acht Jahre und ein Tag. Bilder aus den Gründerjahren der DDR, Berlin 1999 (P).

Literatur R. Karlsch, Das „Selbmann-Memorandum“ vom Mai 1947, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 35/1993, S. 88-125; W. Halder, „Modell für Deutschland“. Wirtschaftspolitik in Sachsen 1945-1948, Paderborn/München/Wien/Zürich 2001; ders., Eine bedeutsame Quelle zur sächsischen Nachkriegsgeschichte?, in: NASG 73/2002, S. 215-240. – DBA II, III; DBE 9, S. 276; H. Weber/A. Herbst, Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918-1945, Berlin 2004, S. 729f.

Porträt Reproduktionsnegativ, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Winfrid Halder
23.8.2006


Empfohlene Zitierweise:
Winfrid Halder, Artikel: Fritz Selbmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3677 [Zugriff 21.11.2024].