David Hirsch

David Hirsch verkörpert beispielhaft die Frühphase einer Organisation jüdischen Lebens in Leipzig, als die offizielle Gemeindegründung noch in weiter Ferne lag. Er zählt zu den wenigen Juden, die sich während des 18. Jahrhunderts permanent in der Messestadt aufhielten. Aus dem Status eines Dieners heraus gelang ihm der Aufstieg zu einer eigenständigen Existenz, die für ihn allerdings alles andere als bruchlos und einfach verlief. – In Schleusingen geboren und erzogen, hielt sich Hirsch bereits als junger Mann - möglicherweise schon ab 1766 - dauerhaft in Leipzig auf. In der Profession des Buchhalters arbeitete er zunächst über viele Jahre hinweg für den sog. Münzjuden Baruch Aaron Levy, einem Enkel des Hamburgers Gerd Levi. Mit dessen kurfürstlich konzessionierter Niederlassung in Leipzig sowie dem Recht zum Aufkauf von Silber für die Dresdner Münze hatte 1710 die Phase der neuzeitlichen Wiederansiedlung von Juden in Leipzig eingesetzt. Hirsch gehörte neben einer Köchin, die er später heiratete, sowie einem Schächter nach eigener Angabe über 14 Jahre hinweg zum verlässlichen Stammpersonal seines Dienstherrn Levy, der für ihn eine entsprechende Sondersteuer zu entrichten hatte. Nach Levys Tod im November 1784 sah Hirsch mit etwa 40 Jahren womöglich seine Gelegenheit gekommen, sich eine eigenständige Existenz aufzubauen. Einer kurzen Fortsetzung der Buchhalterarbeit für die Witwe des Verstorbenen folgend, stellte Hirsch am 27.1.1785 ein Gesuch an Kurfürst Friedrich August III. mit der Bitte, sich mit Ehefrau und Kind sowie einem jüdischen Bedienten und einer Magd in Leipzig niederlassen zu dürfen und Waren zu vertreiben. Hirsch verwies auf seine Ehrlichkeit sowie die Loyalität, mit der er Levy über viele Jahre gedient hatte, auch führte er seine Bekanntschaft besonders zu polnischen Juden an. Er betrachtete es als seine Pflicht, die Herstellung und den Verkauf lokaler Erzeugnisse nach Kräften zu fördern. Mehrere Seiden- und Baumwollfabrikanten attestierten Hirsch dazu eine erfolgreiche Vermittlertätigkeit, durch die während der Messezeiten eine beachtliche Zahl ihrer Produkte Absatz fanden. Auch das Stadtgericht stellte Hirsch ein tadelloses Zeugnis aus. Dagegen sprach sich eine Vielzahl von Leipziger Kaufleuten gegen Hirschs Niederlassungspläne aus. In einer scharfen Stellungnahme zogen sie seine Angaben in Zweifel und warfen dessen verstorbenem Dienstherrn Bevorteilung und Wuchertum vor. Obendrein führten sie eine ganze Reihe antijüdischer Klischees an. Trotz allen Widerstands gestattete der Kurfürst am 30.9.1785 Hirsch, zusammen mit seiner Familie und einer jüdischen Magd, gegen Sonderabgaben in Leipzig ansässig zu werden und ein Gewerbe zu betreiben. Ab etwa Ende des Jahrs war Hirsch, offenbar ohne besonders starken Rückhalt, als Händler tätig, schien mit seiner Existenz aber kein besonderes Glück zu haben: Verzweifelt bat er den sächsischen Landesherrn in diversen Schreiben zwischen 1786 und 1793 mehrfach um eine Ermäßigung seines Steuersatzes von 80 Talern im Jahr, zu dessen Aufbringung er kaum in der Lage war, da er außerhalb der Messen nur wenig Geld verdiente, um sich, seine Frau und das Kind zu ernähren. Zur Angst vor Abstieg und Armut kamen gesundheitliche Komplikationen wie Wechselfieber und Krämpfe, was einen kostspieligen Kuraufenthalt Hirschs nötig machte und neuerlichen Verdienstausfall nach sich zog. Vermutlich erklärt dies auch die „häußlichen Bedrückungen“, von denen Hirsch in Bezug auf sein familiäres Leben sprach. Als ihm schließlich im August 1796 eine Reduzierung der Steuer auf jährlich 60 Taler gewährt wurde, lasteten auf Hirsch seit 1789 bereits 600 Taler an Rückständen. Er wisse nicht, wie er seinen Verbindlichkeiten nachkommen, seine Vertrauensstellung gegenüber Dritten halten, die Seinigen ernähren und zugleich seinem Streben folgen könne, ein ehrlicher Mann zu bleiben, formulierte Hirsch in einem Schriftsatz. – Aller Widrigkeiten zum Trotz gehörte Hirsch nachweislich zu den jüdischen Vertretern Leipzigs, die sich für die Interessen ansässiger sowie fremder Glaubensgenossen einsetzten. Am 26.9.1798 tauchte sein Signum in einer Reihe der „Vorsteher der fremden und allhiesigen Juden“ auf, Hirsch wurde neben Herz Löb Levy als „Schutzjude allhier“ ausgewiesen. In dem Schriftsatz an den Leipziger Rat baten Hirsch und Levy gemeinsam mit Juden aus Frankfurt/Oder, Prag, Hamburg und Brody (Ukraine) angesichts vieler Probleme bei der Überführung verstorbener Glaubensgenossen um die Anlegung eines Begräbnisplatzes in Leipzig. Das Gesuch wurde kurz darauf wegen innerjüdischer Meinungsverschiedenheiten zunächst revidiert. Am 13.11.1811 setzte sich Hirsch neben Herz Löb Levy, Philipp Loeser und Elkan Herz beim Leipziger Stadtrat für einen Erlass der Stolgebühren ein: Eindrücklich wurde geschildert, wie schwer es den wenigen Leipziger Juden fiel, gerade während des Zustroms in der Messezeit den vielen Krankheits- und Sterbefällen gerecht zu werden, zumal die Kostenlast etwa für Transport, Sterbekleider, Leichenschreiberei und Gericht überwiegend bei der kleinen Gemeinde verblieb. Zumindest für arme Juden wurde der städtische Kostensatz daraufhin ermäßigt. Gesichert ist neben dem Einsatz Hirschs für die frühe Gemeinde der Juden in Leipzig auch sein Kontakt zum Rabbiner und späteren Leipziger Kantor Wolff Seeligman Ulmann, den Hirsch 1810, eventuell im Bewusstsein um sein bald mögliches Ableben, zur Erziehung der eigenen Kinder aus Ballenstedt nach Leipzig berief. 1812 verstarb Hirsch mit etwa 67 Jahren und wurde zur Beisetzung nach Dessau überführt.

Quellen Stadtarchiv Leipzig, 0006 Leichenschreiberei, Ratsleichenbücher Reg.-Nr. 436 (1812), 0008 Ratsstube, Tit. XLVI Nr. 13a, Tit. LI Nr. 8, 14, 16, 87.

Literatur Arno Kapp, Elkan Herz, der Freund und Verwandte Moses Mendelssohns, der Vater der ersten Leipziger liberalen Judengemeinde, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 4/1932, Nr. 4, S. 198-202; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Leipzig. Vernichtung, Aufstieg und Neuanfang, Chemnitz/Leipzig 1993; Josef Reinhold, Jüdischer Messebesuch und Wiederansiedlung von Juden in Leipzig im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. von der Ephraim Carlebach Stiftung, Leipzig 1994, S. 12-27; Daniel Ristau, Jüdisches Leben in Sachsen vom 17. Jahrhundert bis 1840, in: Gunda Ulbricht/Olaf Glöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013, S. 38-65; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
18.8.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: David Hirsch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29391 [Zugriff 3.9.2025].

David Hirsch



Quellen Stadtarchiv Leipzig, 0006 Leichenschreiberei, Ratsleichenbücher Reg.-Nr. 436 (1812), 0008 Ratsstube, Tit. XLVI Nr. 13a, Tit. LI Nr. 8, 14, 16, 87.

Literatur Arno Kapp, Elkan Herz, der Freund und Verwandte Moses Mendelssohns, der Vater der ersten Leipziger liberalen Judengemeinde, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 4/1932, Nr. 4, S. 198-202; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Leipzig. Vernichtung, Aufstieg und Neuanfang, Chemnitz/Leipzig 1993; Josef Reinhold, Jüdischer Messebesuch und Wiederansiedlung von Juden in Leipzig im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. von der Ephraim Carlebach Stiftung, Leipzig 1994, S. 12-27; Daniel Ristau, Jüdisches Leben in Sachsen vom 17. Jahrhundert bis 1840, in: Gunda Ulbricht/Olaf Glöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013, S. 38-65; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
18.8.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: David Hirsch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29391 [Zugriff 3.9.2025].