Angelo Neumann
Seine ursprüngliche Karriere als Tenor musste N. 1876 nach Verpflichtungen an den Theatern in Krakau (poln. Kraków), Ödenburg (ungar. Sopron), Pressburg (slowak. Bratislava), Danzig (poln. Gdańsk) und ab 1862 an der Wiener Hofoper wegen eines Herzleidens aufgeben. In Wien hatte er 1875 Richard Wagners eigene Inszenierungen von „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ erlebt und auch selbst eine erste Opernregie übernommen. Ab 1.7.1876 leitete N. zusammen mit August Förster das Stadttheater in Leipzig. Dort gab es mit dem 1868 eingeweihten Neuen Theater ein zweites Haus für die große Oper. In der Konsequenz teilten Förster und N. die Leitung auf einen Theater- und einen Operndirektor auf, eine fortan beibehaltene Regelung. In den folgenden sechs Jahren führte N. Zyklen mit Opern
Christoph Willibald Ritter von Glucks und
Wolfgang Amadeus Mozarts auf. Dazu kamen Inszenierungen aller Opern Richard Wagners, darunter 1878 der erste „Ring des Nibelungen“ außerhalb von Bayreuth. N. gastierte mit dem „Ring“ im Mai 1881 in Berlin und ein Jahr später in London als englische Erstaufführung. Am 30.6.1882 verließ N. die Oper in Leipzig und gründete das Wandernde Richard Wagner-Theater, mit dem er im September zu einer Europatournee aufbrach. Zu dieser Truppe gehörten zahlreiche Leipziger Künstler,
Anton Seidl als Dirigent und führende Wagnerinterpreten. Bis zum Juni 1883 wurde der „Ring“ in zahlreichen Städten aufgeführt, darunter Breslau (poln. Wrocław), Hamburg, Amsterdam, Brüssel, Basel, Venedig und Budapest. Infolge des Gastspiels in Bremen übernahm N. 1883 die Leitung des dortigen Stadttheaters, wechselte aber schon 1885 an das Deutsche Landestheater in Prag, dem er bis zu seinem Tod vorstand. Eine zweite Tournee, diesmal mit dem „Ring“ und
Ludwig van Beethovens „Fidelio“, führte das dazu wiederbelebte Wandertheater 1889 nach St. Petersburg, Moskau und Kiew. – Die nachhaltige Bedeutung N.s liegt vielleicht nicht so sehr auf künstlerischem, als auf organisatorischem Gebiet, v.a. aber in seinem geradezu prophetischen Eintreten für die Opern Wagners und seinen zukunftsweisenden Konzepten für den Theaterbetrieb insgesamt. Schon in Leipzig schuf N. mit der klaren Kompetenzverteilung in der Theaterleitung den nötigen Freiraum für die künstlerische Entfaltung der Sparten. Die Einführung von Zyklen brachte nicht nur Kontinuität in den Spielplan, sondern lässt sich auch als pädagogische Absicht verstehen. In Prag dehnte N. die Zyklen auf das Schauspiel aus, begründete die Maifestspiele und führte philharmonische Konzerte durch. Sein Einfluss auf die gesamteuropäische Wagner-Rezeption ist kaum zu überschätzen. Nicht nur die organisatorische Leistung der finanziell Gewinn bringenden Europatourneen beeindruckt, sondern an sich schon die Durchsetzung von „Ring“-Aufführungen außerhalb des eigens dafür errichteten Bayreuther Festspielhauses. Bereits nach der zweiten Vorstellung im August 1876 erbat sich N. die Aufführungsrechte für Leipzig, doch Wagners Widerstand beugte sich dem finanziellen Vorteil erst 1878. Um Wagners Intentionen gerecht zu werden, hielten sich N.s Inszenierungen eng an das Original, laut Briefwechsel von Wagner selbst überwacht. Das Verhältnis beider Männer blieb jedoch auf glühende Verehrung auf der einen und finanzielles Interesse auf der anderen Seite beschränkt. Darüber hinaus war N. stets bemüht um die Förderung junger Talente, wie Anton Seidl, Arthur Nikisch,
Gustav Mahler und
Otto Klemperer, denen er durch seine eigene Zurückhaltung Entfaltungs- und Bewährungsmöglichkeiten bot.
Werke Erinnerungen an Richard Wagner, Leipzig 1907.
Literatur G. H. Müller, Das Stadttheater in Leipzig vom 1. Januar 1862 bis 1. September 1887, Leipzig 1887; R. Rosenheim, Die Geschichte der Deutschen Bühnen in Prag 1883-1918, Prag 1938; H. Tardel (Hg.), Studien zur bremischen Theatergeschichte, Oldenburg 1945; G. Mahler, Briefe, hrsg. von M. Hansen, Leipzig 1981; E. Brody, The Jewish Wagnerites, in: The Opera Quarterly 1,3/1983/84, S. 66-80; J. Ludová, Osobnosti Nového Nemeckého Divadla: Angelo N., in: Hudebni-rozhledy 45/1992, H. 4, S. 181-183; M. Rubow/S. Rump, Das wandelnde Bayreuth. Das Richard Wagner-Theater Angelo N.s, in: K. Hortschansky/B. Warnecke (Hg.), Der Ring des Nibelungen in Münster, Münster 2001, S. 191-205. – DBA I, II, III; DBE 7, S. 380; Kutsch/Riemens, S. 2513; MGG2P, Bd. 12, Sp. 1015f.; NDB 19, S. 139 f.; NGroveD (2/2001), Bd. 17, S. 788; RiemannL, Bd. 2, S. 308.
Tobias Haase
18.5.2009
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Haase, Artikel: Angelo Neumann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23814 [Zugriff 2.11.2024].
Angelo Neumann
Werke Erinnerungen an Richard Wagner, Leipzig 1907.
Literatur G. H. Müller, Das Stadttheater in Leipzig vom 1. Januar 1862 bis 1. September 1887, Leipzig 1887; R. Rosenheim, Die Geschichte der Deutschen Bühnen in Prag 1883-1918, Prag 1938; H. Tardel (Hg.), Studien zur bremischen Theatergeschichte, Oldenburg 1945; G. Mahler, Briefe, hrsg. von M. Hansen, Leipzig 1981; E. Brody, The Jewish Wagnerites, in: The Opera Quarterly 1,3/1983/84, S. 66-80; J. Ludová, Osobnosti Nového Nemeckého Divadla: Angelo N., in: Hudebni-rozhledy 45/1992, H. 4, S. 181-183; M. Rubow/S. Rump, Das wandelnde Bayreuth. Das Richard Wagner-Theater Angelo N.s, in: K. Hortschansky/B. Warnecke (Hg.), Der Ring des Nibelungen in Münster, Münster 2001, S. 191-205. – DBA I, II, III; DBE 7, S. 380; Kutsch/Riemens, S. 2513; MGG2P, Bd. 12, Sp. 1015f.; NDB 19, S. 139 f.; NGroveD (2/2001), Bd. 17, S. 788; RiemannL, Bd. 2, S. 308.
Tobias Haase
18.5.2009
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Haase, Artikel: Angelo Neumann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23814 [Zugriff 2.11.2024].