Andreas Gottlob Rudelbach

Sowohl in Dänemark als auch im deutschsprachigen Raum zählt R. zu den bedeutendsten Vertretern der lutherischen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts. Sein langjähriges Wirken in Sachsen galt der Überwindung des theologischen Rationalismus und Supranaturalismus sowie der Rückbesinnung der sächsischen Landeskirche auf die reformatorischen Zentralgedanken. – R., dessen Vater aus Nauwalde bei Gröditz 1787 oder 1788 nach Kopenhagen ausgewandert war und sich dort mit der Tochter eines Küsters aus Harlör (Dänemark) vermählt hatte, erhielt eine an den Maßstäben praktischer Frömmigkeit ausgerichtete Erziehung. Erste tiefe religiöse Eindrücke vermittelten ihm die regelmäßigen Hausandachten und die Lektüre von Benjamin Schmolcks Kommunion- und Gebetsbuch. 1800 bis 1805 besuchte R. die Elementarschule und 1805 bis 1810 die Lateinschule „Unserer lieben Frauen“ in Kopenhagen. An der Universität seiner Heimatstadt betrieb R. seit 1810 philosophische, philologische und theologische Studien. Hier erlangte er auch die philosophische Doktorwürde und habilitierte sich zum Privatdozenten, ohne die früh begonnene Predigertätigkeit aufzugeben. 1823 erhielt R. ein Reisestipendium nach Deutschland. Sein Wunsch, an einer deutschen Universität zu lehren, ging jedoch erst 1841 mit seiner Ernennung zum Dr. h.c. an der Universität Erlangen in Erfüllung. Wissenschaftliche Anerkennung in Dänemark erfuhr R. schon wesentlich früher. Beachtung fanden seine dänische Übersetzung der Confessio Augustana (1825) und die mit seinem langjährigen Freund Nikolaj Frederik Severin Grundtvig seit 1825 in 13 Bänden herausgegebene „Theologisk Maanedsskrift“ (Theologische Monatsschrift). – Einen neuen Wirkungskreis fand R. in Sachsen in dem pietistisch geprägten Umfeld der Familie von Schönburg. 1828 wurde er von Graf Gottlob Carl Ludwig von Schönburg-Hinterglauchau in das Superintendentenamt in Glauchau berufen, nachdem der ursprünglich dafür vorgesehene Ernst Wilhelm Hengstenberg auf eine Anstellung verzichtet und dafür statt seiner den orthodoxen Lutheraner R. vorgeschlagen hatte. Ungeachtet seiner mangelnden Erfahrung in der Gemeindepraxis und trotz seines abfälligen Urteils über das religiöse Leben in Sachsen folgte R. dieser Berufung, mit der eine Beisitzerstelle im Glauchauer Gesamtkonsistorium, der obersten Kirchenbehörde der Schönburgischen Herrschaften, verbunden war. Allerdings wurden seine Vorbehalte gegen die sächsische Landeskirche bereits bei seiner Probepredigt vor dem Dresdner Kirchenrat am 4.5.1829 bestätigt. Die Verschiedenheit der theologischen Standpunkte R.s und der Examinatoren um den Oberhofprediger Christoph Friedrich von Ammon verhinderten zwar nicht die Ordination R.s, sorgten aber für eine erhebliche Unruhe unter den Zuhörern. Auch in Glauchau, wo er am 31.5.1829 seine Probepredigt hielt, hatte es R. zunächst schwer, Fuß zu fassen. Seine anfangs als fremdartig empfundene Predigtweise und sein auf soziale Privilegien keinerlei Rücksicht nehmendes Dienstverständnis fanden jedoch bald Anhänger. Von Glauchau aus betrieb R. 1829 bis 1845 aktiv den Kampf gegen den in Sachsen vorherrschenden theologischen Rationalismus und rationalen Supranaturalismus. Förderer einer kirchlichen Erneuerung sammelte R. in der von ihm zusammen mit dem Waldenburger Superintendenten Conrad Benjamin Meißner am 17.5.1831 gegründeten „Muldenthaler Pastoralkonferenz“, aus der 1843 die „Allgemeine evangelisch-lutherische Konferenz“ hervorging. – Auch publizistisch erwies sich R. als eifriger Verfechter einer lutherischen Erweckungsbewegung. Zusammen mit Heinrich Ernst Ferdinand Guericke begründete er 1839 die „Zeitschrift für die gesamte lutherische Theologie und Kirche“. Dieses Periodikum, das bis 1878 bestand, enthält viele eigene Aufsätze R.s, u.a. seine autobiografischen „Konfessionen“ (1861/62) und nach seinem Tod auch seinen Briefwechsel mit Guericke (1863). Zwischen 1839 und 1844 erschienen zudem mehrere dogmatische Arbeiten R.s, darunter sein Hauptwerk „Reformation, Luthertum und Union“ (1839). Unter dem Einfluss R.s redigierte sein Schüler Moritz Meurer von Callenberg bei Waldenburg aus seit 1835 den „Pilger aus Sachsen“, das Organ der sächsischen Erweckungsbewegung. – Mit zunehmender Verbitterung musste R. jedoch das Erstarken sektiererischer Gruppen innerhalb und außerhalb der von ihm unterstützten Erweckungsbewegung wahrnehmen. Gegen die Stephanianer, deren Begünstigung R. vorgeworfen wurde, bezog der streitbare Theologe mehrfach öffentlich Stellung und schloss ihre Mitglieder aus der „Muldenthaler Pastoralkonferenz“ aus. R.s schließlicher Rückzug aus Sachsen wird mit dem Vordringen der Lichtfreunde und der deutschkatholischen Bewegung in Zusammenhang gebracht. Tatsächlich legte er am 20.11.1845 sein Superintendentenamt nieder, nachdem den Deutschkatholiken gegen seinen Willen von den Grafen von Schönburg die Nutzung der Glauchauer Stadtkirche erlaubt worden war. Unter dem Eindruck, das lutherische Bekenntnis in Sachsen sei ernsthaft gefährdet, ging R. noch im selben Jahr zurück nach Dänemark. Seine Bemühungen um eine Neubelebung der sächsischen Landeskirche wurden von dem Leipziger Universitätsprofessor Adolf von Harleß weitergeführt. – In seiner Heimatstadt Kopenhagen hielt R. 1846 bis 1848 theologische Vorlesungen. Hoffnungen auf eine ordentliche Professur zerschlugen sich jedoch mit dem Tod seines Förderers König Christian VIII. (1847). Stattdessen sah sich R. beständigen Angriffen einer fanatischen Theologengruppe um seinen ehemaligen Weggefährten Grundtvig ausgesetzt, die ihn als Deutschen und Landesverräter verunglimpfte. Als Pfarrer in Slagelse hat R. die letzten 17 Jahre seines Lebens in aller Stille gewirkt.

Quellen Zeitschrift für die gesamte lutherische Theologie und Kirche 1/1839-25/1863.

Werke Confessio Augustana (Übersetzung ins Dänische), 1825; mit N. F. S. Grundtvig (Hg.), Theologisk Maanedsskrift [Theologische Monatsschrift], 1825-1828; Die Sakraments-Worte oder die wesentlichen Stücke der Taufe und des Abendmahls, Leipzig 1837; Reformation, Luthertum und Union, Leipzig 1839; mit H. E. F. Guericke (Hg.), Zeitschrift für die gesamte lutherische Theologie und Kirche, 1839-1862; Historisch-kritische Einleitung in die Augsburgische Konfession, Dresden 1841 (ND 1853); Über die Bedeutung des apostolischen Symbolums und das Verhältnis desselben zur Konfirmation, Leipzig 1844.

Literatur J. R. Stockholm, R., in: Kirkelig Kalender for Nørge 3/1877, S. 36-230; E. Eckardt, Chronik von Glauchau, Glauchau 1882, S. 136, 333; J. P. Kaiser, Andreas Gottlob R., ein Zeuge der lutherischen Kirche im 19. Jahrhundert, Leipzig 1892 (P); F. Kittel, Dr. R., Consistorialrath, Sup. und Pastor prim[arius] in Glauchau, in: Schönburgische Geschichtsblätter 1/1894/95, S. 121-134; F. Blanckmeister, Sächsische Kirchengeschichte, Dresden 1906, S. 414f.; K. Hennig, Die sächsische Erweckungsbewegung im Anfange des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1929; M. Schmidt, Wort Gottes und Fremdlingschaft: die Kirche vor dem Auswanderungsproblem des 19. Jahrhunderts, Erlangen/Rothenburg o.d.T. 1953, S. 31-36. – DBA II, III; DBE 8, S. 434; RGG4, Bd. 5, Sp. 1208; A. Hauck (Hg.), Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 17, Leipzig 31906, S. 150-153.

Porträt Andreas Gottlob R., Kupferstich, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv, Digitaler Portraitindex der druckgraphischen Bildnisse der Frühen Neuzeit (Bildquelle).

Michael Wetzel
26.2.2014


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Andreas Gottlob Rudelbach,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10864 [Zugriff 22.12.2024].

Andreas Gottlob Rudelbach



Quellen Zeitschrift für die gesamte lutherische Theologie und Kirche 1/1839-25/1863.

Werke Confessio Augustana (Übersetzung ins Dänische), 1825; mit N. F. S. Grundtvig (Hg.), Theologisk Maanedsskrift [Theologische Monatsschrift], 1825-1828; Die Sakraments-Worte oder die wesentlichen Stücke der Taufe und des Abendmahls, Leipzig 1837; Reformation, Luthertum und Union, Leipzig 1839; mit H. E. F. Guericke (Hg.), Zeitschrift für die gesamte lutherische Theologie und Kirche, 1839-1862; Historisch-kritische Einleitung in die Augsburgische Konfession, Dresden 1841 (ND 1853); Über die Bedeutung des apostolischen Symbolums und das Verhältnis desselben zur Konfirmation, Leipzig 1844.

Literatur J. R. Stockholm, R., in: Kirkelig Kalender for Nørge 3/1877, S. 36-230; E. Eckardt, Chronik von Glauchau, Glauchau 1882, S. 136, 333; J. P. Kaiser, Andreas Gottlob R., ein Zeuge der lutherischen Kirche im 19. Jahrhundert, Leipzig 1892 (P); F. Kittel, Dr. R., Consistorialrath, Sup. und Pastor prim[arius] in Glauchau, in: Schönburgische Geschichtsblätter 1/1894/95, S. 121-134; F. Blanckmeister, Sächsische Kirchengeschichte, Dresden 1906, S. 414f.; K. Hennig, Die sächsische Erweckungsbewegung im Anfange des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1929; M. Schmidt, Wort Gottes und Fremdlingschaft: die Kirche vor dem Auswanderungsproblem des 19. Jahrhunderts, Erlangen/Rothenburg o.d.T. 1953, S. 31-36. – DBA II, III; DBE 8, S. 434; RGG4, Bd. 5, Sp. 1208; A. Hauck (Hg.), Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 17, Leipzig 31906, S. 150-153.

Porträt Andreas Gottlob R., Kupferstich, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv, Digitaler Portraitindex der druckgraphischen Bildnisse der Frühen Neuzeit (Bildquelle).

Michael Wetzel
26.2.2014


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Andreas Gottlob Rudelbach,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10864 [Zugriff 22.12.2024].