Alfred Hennig
H. hat mit seiner 1912 veröffentlichten Dissertationsschrift „Boden und Siedelungen im Königreich Sachsen“ eine der ersten „siedlungsarchäologischen“ Studien überhaupt vorgelegt, die ihm den Weg zu einer Anstellung an einem Museum oder in der Denkmalpflege, vielleicht sogar zu einer Professur geebnet hätte, wäre er nicht 1916 in Frankreich gefallen. – H. kam 1886 als ältester von vier Söhnen des Landwirts
Robert Julius Hennig in Mutzschwitz, einem Dorf in der südlichen Lommatzscher Pflege zur Welt. Er besuchte 1893 bis 1897 die Volksschule im benachbarten Höfgen, um am Gymnasium Albertinum in Freiberg 1906 das Abitur abzulegen. Er studierte - unterbrochen vom einjährigen Militärdienst beim königlich sächsischen Infanterieregiment Prinz Johann Georg Nr. 107 in Leipzig - zunächst in
Heidelberg, dann an der Universität Leipzig Geografie, Geologie, Geschichte, Volkskunde und Germanistik. Zu seinen Lehrern gehörten prominente Professoren wie der Kulturhistoriker Karl Lamprecht, die Geografen Alfred Hettner und Joseph Partsch, der Ethnologe Karl Weule sowie der Landeshistoriker Rudolf Kötzschke. 1911 wurde H. mit der Arbeit „Die Abhängigkeit des Alters, der Verteilung und des Charakters der Siedlungen im Königreich Sachsen von der Natur des Bodens“ promoviert. Diese Dissertation, die 1912 unter dem verkürzten Titel „Boden und Siedelungen im Königreich Sachsen“ im Druck erschien, darf als eine der ersten „siedlungsarchäologischen“ Studien gelten, weil der Zusammenhang von Besiedlungsgeschichte und Bodenverhältnissen nicht nur im mittelsächsischen Lösshügelland, sondern auch in anderen Naturräumen des damaligen Königreichs detailliert herausgearbeitet wurde. – In der Lommatzscher Pflege, wo H. aufwuchs, konnte er seine ersten Erfahrungen als Ausgräber sammeln. Nach einer Hospitanz bei Ausgrabungen in einem Gräberfeld auf dem Tanzberg bei Piskowitz übertrug ihm der Leiter des Archivs urgeschichtlicher Funde in Sachsen, Johannes Deichmüller, Notbergungen in einem angepflügten spätbronzezeitlichen Friedhof bei Eulitz. Es folgten 1913 im Auftrag des Leipziger Grassi-Museums Untersuchungen auf der Pleißeterrasse bei Geschwitz im Bereich einer Kiesgrube unweit des Ritterguts von Rötha. Besondere Verdienste hat sich H. durch Begehungen und die Aufsammlung von Oberflächenfunden in seiner Heimatregion erworben, die der Landesarchäologie manche Neuentdeckung, dem Doktoranden zusätzlichen Stoff für seine Dissertation einbrachten und zu einer erheblichen Verdichtung der Fundstellen führten. – Ein Teil von H.s Sammlung gelangte in das Grassi-Museum, der andere bildete den Grundstock des Lommatzscher Heimatmuseums, das 1911 u.a. auf Initiative H.s gegründet wurde. Mehr aus familiär-finanziellen Gründen, denn aus Neigung erwarb der Erstgeborene und potenzielle Hoferbe auch die Befähigung für das Lehramt an höheren Schulen in den Fächern Deutsch, Geschichte und Erdkunde. Dennoch war die episodische Unterrichtstätigkeit an Gymnasien in Bautzen, Meißen und Pirna sicherlich nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zum „Berufsarchäologen“, der im August 1914 ein jähes Ende nahm. Wäre nicht der Erste Weltkrieg ausgebrochen, hätte H. zum 1.9.1914 eine Stelle als Direktorialassistent und Leiter der Vorgeschichtsabteilung am Grassi-Museum antreten können. Mit seinem Regiment kämpfte H. an der Westfront an Marne, Aisne und Somme, wohin der junge Leutnant auch nach mehreren Verwundungen immer wieder zurückkehrte. Lazarettaufenthalte und Fronturlaube nutzte er für Literaturstudien, Sammlungsaufenthalte und Museumsbesuche. Am 30.7.1916 wurde der mit dem Militär-Sankt-Heinrichs-Orden und Eisernen Kreuz I. Klasse dekorierte Hauptmann von Granatsplittern am Kopf tödlich verwundet und auf einem Soldatenfriedhof bei Étricourt-Manancourt im Département Somme begraben. Der vielversprechende junge Wissenschaftler hatte alle Aussichten auf eine Nachfolge Deichmüllers oder gar eine akademische Laufbahn, wäre er nicht an der Westfront gefallen.
Werke Boden und Siedelungen im Königreich Sachsen, Leipzig 1912.
Literatur Michael Strobel, Alfred H. (1886-1916). Ein fast vergessener Pionier siedlungsarchäologischer Forschung in Sachsen, in: Archaeo. Archäologie in Sachsen 6/2009, S. 41-47 (P); Petra Schweizer-Strobel/Michael Strobel, Kulturgeschichte und die Anfänge siedlungsarchäologischer Forschung an der Universität Leipzig vor dem Ersten Weltkrieg, in: Irenäus Marian Matuschik/Christian Strahm (Hg.), Vernetzungen. Aspekte siedlungsarchäologischer Forschung. Festschrift für Helmut Schlichtherle, Freiburg/Breisgau 2010, S. 31-39.
Michael Strobel
4.1.2023
Empfohlene Zitierweise:
Michael Strobel, Artikel: Alfred Hennig,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29268 [Zugriff 21.11.2024].
Alfred Hennig
Werke Boden und Siedelungen im Königreich Sachsen, Leipzig 1912.
Literatur Michael Strobel, Alfred H. (1886-1916). Ein fast vergessener Pionier siedlungsarchäologischer Forschung in Sachsen, in: Archaeo. Archäologie in Sachsen 6/2009, S. 41-47 (P); Petra Schweizer-Strobel/Michael Strobel, Kulturgeschichte und die Anfänge siedlungsarchäologischer Forschung an der Universität Leipzig vor dem Ersten Weltkrieg, in: Irenäus Marian Matuschik/Christian Strahm (Hg.), Vernetzungen. Aspekte siedlungsarchäologischer Forschung. Festschrift für Helmut Schlichtherle, Freiburg/Breisgau 2010, S. 31-39.
Michael Strobel
4.1.2023
Empfohlene Zitierweise:
Michael Strobel, Artikel: Alfred Hennig,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29268 [Zugriff 21.11.2024].