Alexander Tille
T. wurde bis zum 13. Lebensjahr von seinem Vater unterrichtet. Danach besuchte er ein Jahr lang das Progymnasium und 1880 bis 1886 die Fürstenschule in Grimma. 1886 bis 1890 studierte T. an der Universität Leipzig germanische Philologie und Philosophie, wobei er im ersten Studienjahr zugleich als Einjährig-Freiwilliger seiner Wehrpflicht nachkam. Im Sommer 1888 nahm er als Abgeordneter der Leipziger Studentenschaft an der 800-Jahrfeier der Universität Bologna teil. Zwei Jahre später promovierte er an der Universität Leipzig über „Die deutschen Volkslieder vom Doktor Faust“. T. war 1890 bis 1900 Dozent für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Glasgow. In dieser Zeit wandte er sich auch verstärkt volkskundlichen Problemen zu. Ein Konflikt mit seinen Studenten anlässlich des Zweiten Burenkriegs veranlasste ihn 1900, sein Lehramt niederzulegen. Danach lebte T. kurze Zeit in Bonn, wo er seinen Unterhalt mit Vortragstätigkeiten verdiente. 1901 bis 1903 war er in Berlin vornehmlich im sozialpolitischen Bereich tätig, u.a. als stellvertretender Generalsekretär des Zentralverbands Deutscher Industrieller. In der Folgezeit beschäftigte T. sich fast ausschließlich mit volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Fragen. 1903 ging er nach Saarbrücken, wo er u.a. Syndikus der Handelskammer Saarbrücken, Geschäftsführer des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Saarindustrie, Generalsekretär der Südwestlichen Gruppe des Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller sowie Archivdirektor des Südwestdeutschen Wirtschaftsarchivs wurde. – T. lehnte jegliche Religion - v.a. die „Mitleidsmoral“ des Christentums - vehement ab, ebenso demokratisches und sozialistisches Gedankengut („Sozialmoralismus“). Er vertrat eine elitäre „Entwicklungsethik“ und war radikaler Sozialdarwinist. Als letzterer trat T. nicht nur für eine physiologisch begründete Fortpflanzungsbeschränkung, sondern auch für eine „Sozial-Euthanasie“ ein, sodass er als ein Wegbereiter des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms gelten kann. Andererseits befürwortete und unterstützte T. die geistige und ökonomische Emanzipation der Frau. Die später in die USA emigrierte Frauenrechtlerin
Helene Stöcker war eine Zeit lang seine Lebensgefährtin. Im volkskundlichen Bereich hat T. nicht nur solide philologisch-folkloristische Studien vorgelegt, sondern auch historisch-kulturgeschichtliche Kernfragen, wie die Historizität der Volksdichtung und die Rolle der „Massen“ und der Persönlichkeit, angesprochen. Von Bedeutung sind zudem seine Erörterungen zum Alter und zur Entwicklung von Bräuchen. Seine (Kultur-)Geschichte der deutschen Weihnacht ist die bislang umfassendste Darstellung zur Thematik. Bemerkenswert sind zudem die zahlreichen Aktivitäten T.s in weiteren literarischen Gebieten. So war er u.a. seit 1896 Herausgeber der englisch-amerikanischen Edition von
Friedrich Nietzsches Werken und Begründer der Schriftenreihe „Sozialwissenschaftliche Zeitfragen“. Darüber hinaus verfasste T. zahlreiche Zeitschriftenartikel, Übersetzungen und eigene Dichtungen.
Quellen Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Promotionsakte Alexander T.
Werke Aus den Ehrentagen der Universität Bologna im Juni 1888, Leipzig 1888; (Hg.), Doktor Johann Faust. Volksschauspiel vom Plagewitzer Sommertheater, Oldenburg/Leipzig [1890]; Die deutschen Volkslieder vom Doktor Faust, Diss. Halle/Saale 1890; The Artistic Treatment of the Faust Legend, London 1893; Die Geschichte der Deutschen Weihnacht, Leipzig [1893]; (Hg.), Volksdienst, Berlin/Leipzig 1893; Von Darwin bis Nietzsche, Leipzig 1895; Die deutsche Lyrik von Heute und Morgen, Leipzig 1896; Modern German Lyrics, London 1896; Das englische Hausiergewerbe, 1898; (Hg.), Die Faustsplitter in der Literatur des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts nach den ältesten Quellen, Weimar 1898; (Hg.), Faustbücherei, Weimar 1898; (Hg.), Goethes Satyros and Prometheus, Glasgow 1898; Aus dem britischen Hausiergewerbe, Leipzig 1899; Yule and Christmas, London 1899; Bilderverzeichnis der Bode-Tilleschen Faust-Galerie, Köln 1899; Aus Englands Flegeljahren, Dresden 1900; Das katholische Fauststück, die Faustkomödienballade und das Zillerthaler Doktor Faustusspiel, 1904; Der Wettbewerb weißer und gelber Arbeit in der industriellen Produktion, Berlin 1904; Die Großkanalisierung der Saar, Saarbücken 1904; Der Soziale Ultramontanismus und seine Katholischen Arbeitervereine, Berlin 1905; mit Armin Tille (Hg.), Die Reden des Freiherrn Carl Ferdinand von Stumm-Halberg, 12 Bde., Berlin 1906-1915; Geschichte von Großbritannien und Irland, Leipzig 1906; Der Rückgang der südwestlichen Eisenwerke in der Eisenindustrie des deutschen Zollgebietes 1902-1907, Saarbrücken 1908; Die Arbeitgeberpartei und die politische Vertretung der deutschen Industrie, Saarbrücken 1908; Der Bundesratsentwurf einer Reichsversicherungsordnung, Saarbrücken 1909; Die politische Arbeitgeberbewegung, Saarbücken 1909; Die Berufsstandspolitik des Gewerbe- und Handelsstandes, 4 Bde., Berlin 1910; Die zukünftige Schutzzollpolitik und Handelsvertragspolitik des Deutschen Reiches, Saarbrücken 1912; Lujo Brentano und der akademische Klassenmoralismus, Berlin 1912; Die Stellung des Haus- und Grundbesitzers in der deutschen Volkswirtschaft, Chemnitz 1914.
Literatur Reichard, Dem Gedächtnis Dr. Alexander T.’s, Saarbrücken 1912; Armin Tille, Ein Kämpferleben. Alexander T. 1866-1912, Gotha 1916 (Bildquelle); W. Schungel, Alexander T. (1866-1912), Husum 1980; G. Kolditz, Rolle und Wirksamkeit des Alldeutschen Verbandes in Dresden zwischen 1805 und 1918, 2 Bde., Diss. Dresden 1994. – DBA II, III; DBE 10, S. 43; H. A. L. Degener (Hg.), Wer ist’s?, Leipzig 41909, S. 339; Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog 18/1913; Kürschners Deutscher Literaturkalender. Nekrolog 1901-1935, Berlin/Leipzig 1936, S. 496.
Brigitte Emmrich †
21.3.2011
Empfohlene Zitierweise:
Brigitte Emmrich †, Artikel: Alexander Tille,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23491 [Zugriff 24.11.2024].
Alexander Tille
Quellen Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Promotionsakte Alexander T.
Werke Aus den Ehrentagen der Universität Bologna im Juni 1888, Leipzig 1888; (Hg.), Doktor Johann Faust. Volksschauspiel vom Plagewitzer Sommertheater, Oldenburg/Leipzig [1890]; Die deutschen Volkslieder vom Doktor Faust, Diss. Halle/Saale 1890; The Artistic Treatment of the Faust Legend, London 1893; Die Geschichte der Deutschen Weihnacht, Leipzig [1893]; (Hg.), Volksdienst, Berlin/Leipzig 1893; Von Darwin bis Nietzsche, Leipzig 1895; Die deutsche Lyrik von Heute und Morgen, Leipzig 1896; Modern German Lyrics, London 1896; Das englische Hausiergewerbe, 1898; (Hg.), Die Faustsplitter in der Literatur des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts nach den ältesten Quellen, Weimar 1898; (Hg.), Faustbücherei, Weimar 1898; (Hg.), Goethes Satyros and Prometheus, Glasgow 1898; Aus dem britischen Hausiergewerbe, Leipzig 1899; Yule and Christmas, London 1899; Bilderverzeichnis der Bode-Tilleschen Faust-Galerie, Köln 1899; Aus Englands Flegeljahren, Dresden 1900; Das katholische Fauststück, die Faustkomödienballade und das Zillerthaler Doktor Faustusspiel, 1904; Der Wettbewerb weißer und gelber Arbeit in der industriellen Produktion, Berlin 1904; Die Großkanalisierung der Saar, Saarbücken 1904; Der Soziale Ultramontanismus und seine Katholischen Arbeitervereine, Berlin 1905; mit Armin Tille (Hg.), Die Reden des Freiherrn Carl Ferdinand von Stumm-Halberg, 12 Bde., Berlin 1906-1915; Geschichte von Großbritannien und Irland, Leipzig 1906; Der Rückgang der südwestlichen Eisenwerke in der Eisenindustrie des deutschen Zollgebietes 1902-1907, Saarbrücken 1908; Die Arbeitgeberpartei und die politische Vertretung der deutschen Industrie, Saarbrücken 1908; Der Bundesratsentwurf einer Reichsversicherungsordnung, Saarbrücken 1909; Die politische Arbeitgeberbewegung, Saarbücken 1909; Die Berufsstandspolitik des Gewerbe- und Handelsstandes, 4 Bde., Berlin 1910; Die zukünftige Schutzzollpolitik und Handelsvertragspolitik des Deutschen Reiches, Saarbrücken 1912; Lujo Brentano und der akademische Klassenmoralismus, Berlin 1912; Die Stellung des Haus- und Grundbesitzers in der deutschen Volkswirtschaft, Chemnitz 1914.
Literatur Reichard, Dem Gedächtnis Dr. Alexander T.’s, Saarbrücken 1912; Armin Tille, Ein Kämpferleben. Alexander T. 1866-1912, Gotha 1916 (Bildquelle); W. Schungel, Alexander T. (1866-1912), Husum 1980; G. Kolditz, Rolle und Wirksamkeit des Alldeutschen Verbandes in Dresden zwischen 1805 und 1918, 2 Bde., Diss. Dresden 1994. – DBA II, III; DBE 10, S. 43; H. A. L. Degener (Hg.), Wer ist’s?, Leipzig 41909, S. 339; Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog 18/1913; Kürschners Deutscher Literaturkalender. Nekrolog 1901-1935, Berlin/Leipzig 1936, S. 496.
Brigitte Emmrich †
21.3.2011
Empfohlene Zitierweise:
Brigitte Emmrich †, Artikel: Alexander Tille,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23491 [Zugriff 24.11.2024].