Adolf Roßmäßler

Bereits während seines 1825 in Leipzig begonnenen Theologiestudiums interessierte sich R. eher für naturwissenschaftliche, insbesondere botanische Untersuchungen. Diese setzte er auch nach Verlassen der Universität 1827 im thüringischen Weida, wo er als Leiter einer Privatschule seinen Lebensunterhalt verdiente, mit großem Eifer fort. In jener Zeit entstanden die ersten naturwissenschaftlichen Schriften kleineren Zuschnitts, darunter der 1830 veröffentlichte Beitrag zum Sammelband „Flora Deutschlands in getrockneten Exemplaren“. Die Zusammenarbeit mit dem Herausgeber Heinrich G. L. Reichenbach, Professor für Botanik und Gründer des Botanischen Gartens in Dresden, führte zu langjähriger gegenseitiger Verbundenheit. Obwohl sich R. Kenntnisse auf dem Gebiet der Naturforschung als Autodidakt aneignete und dabei der heimischen Fauna weniger Beachtung schenkte, empfahl Reichenbach den aufstrebenden Wissenschaftler als Kandidaten für die Zoologieprofessur an der königlich sächsischen Forstakademie in Tharandt. R. erhielt den Ruf tatsächlich und trat 1830 dieses Amt an. In den folgenden Jahren unternahm er mehrere Forschungsreisen, u.a. nach Österreich und Spanien, um seine noch lückenhaften Fachkenntnisse zu erweitern. Dabei gelang es ihm, binnen weniger Jahre ein dichtes Netz wissenschaftlicher Kontakte zu knüpfen. Über seinen Gedankenaustausch mit dem Universalgelehrten Alexander von Humboldt beispielsweise, den er 1837 in Berlin kennen gelernt hatte, legt die überlieferte Korrespondenz beredtes Zeugnis ab. Seit 1840 hielt R. zusätzlich zu seinem bisherigen Lehrgebiet auch die Pflichtveranstaltungen in den Fächern Mineralogie und Pflanzenkunde ab. Trotz dieser großen Unterrichtsbelastung und seiner vergleichsweise geringen akademischen Vorbildung vermochte R. in jenen Jahren auch wissenschaftliche Forschungsarbeiten vorzulegen. Sein Hauptwerk, die Beschäftigung mit den sog. Weichtieren (Muscheln, Schnecken etc.), publizierte er in der von ihm ins Leben gerufenen Zeitschrift „Iconographie der Land- und Süßwassermollusken mit vorzüglicher Berücksichtigung der europäischen, noch nicht abgebildeten Arten“. Zwischen 1835 und 1858 gab er 18 Hefte heraus, deren exzellente, mehrheitlich von ihm stammende Lithografien in Fachkreisen große Anerkennung fanden. – R. ist der Nachwelt jedoch weniger wegen wissenschaftlicher Verdienste im Gedächtnis geblieben, als vielmehr wegen seines politischen Engagements im Zuge der Revolution von 1848/49. Bildung und Wissenschaft waren für ihn stets mit den aufklärerischen Idealen sozialer Gerechtigkeit und politischer Demokratisierung verbunden. Getragen von dieser Überzeugung beteiligte er sich u.a. an der Gründung des Tharandter Bürgervereins, der sich seit Mitte der 1840er-Jahre die Entwicklung und Pflege der politischen Kultur auf lokaler Ebene zur Aufgabe gesetzt hatte. 1848 bewarb sich R. erfolgreich um ein Abgeordnetenmandat der Amtshauptmannschaft Pirna für die Frankfurter Nationalversammlung. Als Mitglied des „Deutschen Hofs“, einer gemäßigt linken Paulskirchenfraktion, trat er vornehmlich in Fragen der allgemeinen Schulbildung an die Öffentlichkeit. Vehement kritisierte R. den Einfluss der Kirchen auf das Bildungssystem in den deutschen Staaten, forderte eine staatliche Schulaufsicht und die Verbannung christlicher Lehrinhalte aus den Curricula. Diese politische Betätigung rief großen Unmut unter seinen konservativen, mehrheitlich monarchisch gesinnten Tharandter Kollegen hervor. Nachdem sich die königlich sächsische Landesregierung 1849 wieder gefestigt hatte, ging sie gezielt gegen revolutionäre Kräfte vor und suspendierte auch den missliebigen Zoologieprofessor vom Staatsdienst. R., der nach Leipzig übersiedelte, war nun gezwungen, seinen Lebensunterhalt mit naturwissenschaftlichen Schriften und Vorträgen zu bestreiten. Er gab u.a. zwei Zeitschriften heraus („Die Natur“, „Aus der Heimath“), regte die Gründung von Naturkundemuseen in einigen sächsischen Gemeinden (u.a. in Leipzig) an und informierte in zahlreichen Publikationen interessierte Laien über Themen wie „Der Mensch im Spiegel der Natur“ oder über die ökologischen Zusammenhänge des mitteleuropäischen Waldes. Auch wird ihm die Verbreitung der Aquarienkunde und -haltung im deutschsprachigen Raum als Verdienst zugerechnet. – Anfang der 1860er-Jahre machte der agile Naturwissenschaftler erneut gesellschaftspolitisch von sich reden. Als Mitbegründer des Ersten Arbeiterbildungsvereins in Leipzig (1860) förderte er die noch in den Kinderschuhen steckende Arbeiterbewegung. Drei Jahre später wurde sein Name mehrfach im Zusammenhang mit der Gründung des Verbands der deutschen Arbeitervereine genannt, wobei er mit Persönlichkeiten wie August Bebel, Ludwig Büchner und Eugen Richter zusammenarbeitete, ohne jedoch selbst entscheidende programmatische Akzente setzen zu können. – R. verkörperte den im 19. Jahrhundert häufig anzutreffenden Typus des „politischen Professors“; sein Wirken als Wissenschaftler, Politiker und Volksschriftsteller war von den Grundprinzipien der Aufklärung geprägt. In einem entwickelten Schulwesen, welches allen sozialen Schichten gleichermaßen gute Bildungschancen bot, erkannte R. die wichtigste Voraussetzung für eine zukunftsgewandte gesellschaftliche und politische Ordnung.

Quellen Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Briefwechsel mit Alexander von Humboldt.

Werke Iconographie der Land- und Süßwassermollusken mit vorzüglicher Berücksichtigung der europäischen, noch nicht abgebildeten Arten, 18 Hefte, Leipzig 1835-1859; Der naturgeschichtliche Unterricht, Leipzig 1860; Mein Leben und Streben im Verkehr mit der Natur und dem Volke, hrsg. von K. Ruß, Hannover 1874.

Literatur Ein Freund des Volkes, in: Die Gartenlaube 18/1867, Nr. 40, S. 628-631; B. Burgemeister, Emil Adolf R. - ein demokratischer Pädagoge 1806-1867, Diss. Berlin 1958 [MS]; K. Friedel/R. Gilsenbach, Das Roßmäßlerbüchlein, Berlin 1956; G. Trommer, Mit naturkundlicher Volksbildung zur Befreiung des Untertanen, in: Forschung Frankfurt 2/1998, S. 30-37. – ADB 29, S. 268-271; DBA I, II, III; DBE 8, S. 406.

Peter E. Fäßler
30.1.2006


Empfohlene Zitierweise:
Peter E. Fäßler, Artikel: Adolf Roßmäßler,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3385 [Zugriff 20.4.2024].

Adolf Roßmäßler



Quellen Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Briefwechsel mit Alexander von Humboldt.

Werke Iconographie der Land- und Süßwassermollusken mit vorzüglicher Berücksichtigung der europäischen, noch nicht abgebildeten Arten, 18 Hefte, Leipzig 1835-1859; Der naturgeschichtliche Unterricht, Leipzig 1860; Mein Leben und Streben im Verkehr mit der Natur und dem Volke, hrsg. von K. Ruß, Hannover 1874.

Literatur Ein Freund des Volkes, in: Die Gartenlaube 18/1867, Nr. 40, S. 628-631; B. Burgemeister, Emil Adolf R. - ein demokratischer Pädagoge 1806-1867, Diss. Berlin 1958 [MS]; K. Friedel/R. Gilsenbach, Das Roßmäßlerbüchlein, Berlin 1956; G. Trommer, Mit naturkundlicher Volksbildung zur Befreiung des Untertanen, in: Forschung Frankfurt 2/1998, S. 30-37. – ADB 29, S. 268-271; DBA I, II, III; DBE 8, S. 406.

Peter E. Fäßler
30.1.2006


Empfohlene Zitierweise:
Peter E. Fäßler, Artikel: Adolf Roßmäßler,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3385 [Zugriff 20.4.2024].