Johann Heinrich Zedler
Z. trat seit den 1730er-Jahren in Leipzig als dem Zentralort des deutschen Buchhandels mit verlegerischen Großprojekten hervor. Untrennbar verbunden ist sein Name bis heute mit dem „Universal-Lexicon“ als der bedeutendsten und umfangreichsten deutschsprachigen Enzyklopädie des 18. Jahrhunderts. – Wohl über keine höhere Schulbildung verfügend, begann Z. in
Breslau in der Brachvogelschen Buchhandlung eine Lehre, die er in
Hamburg bei Theodor Christoph Felginer fortsetzte. 1726 erwarb Z. das Bürgerrecht im Freiberg, wo er in eine angesehene Kaufmanns- und Ratsherrenfamilie einheiratete und sich als Buchhändler niederließ. Seine beruflichen Ambitionen führten ihn bereits 1727 nach Leipzig. Er eröffnete dort in der Grimmaischen Straße eine wohl relativ kleine Buchhandlung und trat noch im selben Jahr mit Johann Gotthard Beyers „Ursprüngliche Quellen des Indifferentismi, oder Ursachen der närrischen Meynung: Man kann in allen Religionen selig werden“ erstmals als Verleger hervor. Sein Hang zu verlegerischen Großprojekten deutete sich bereits 1728 mit der Ankündigung einer vermehrten und verbesserten Ausgabe sämtlicher deutscher bzw. ins Deutsche übersetzter Schriften Martin Luthers an. Mittels des Subskriptionssystems und unterstützt durch einen Kredit seines Schwagers, des Bautzener Buchhändlers und Verlegers David Richter, gelang es Z. tatsächlich, sich mit seiner zu günstigem Preis angebotenen Luther-Ausgabe (22 Teile in 11 Bänden), die er 1729 bis 1734 zügig auf den Markt brachte, einen Namen zu machen. Daraufhin fühlte sich Z. zu längerfristigen Unternehmungen ermutigt und entdeckte für sich die Lexikografie als ebenso attraktives wie zukunftsweisendes Marktsegment. Die Quantifizierung des Wissens und des gedruckten Worts in der Frühen Neuzeit auf der einen Seite, die Formierung eines an Bildungserwerb interessierten, Wissen und Bildung zugleich als Distinktionskriterium einsetzenden Bürgertums andererseits verlangten nach einer übersichtlichen und leicht zu rezipierenden Präsentation des Wissensbestands der Zeit. Damit schlug die Stunde des Lexikons und Fachwörterbuchs, das alphabetisch geordnet und in deutscher Sprache Wissen aufbereitete. Bereits 1704 war der Leipziger Verleger Johann Friedrich Gleditsch mit einem 1712 in fünfter Auflage erschienenen „Real-, Staats-, Zeitungs- und Conversations-Lexicon“ hervorgetreten, andere wie Thomas Fritsch waren diesem Beispiel gefolgt. Z. betrat mithin kein völliges Neuland, ungewöhnlich kühn und innovativ war allerdings sein Vorhaben, die bisherigen, vorzugsweise an einzelnen Wissenssparten orientierten Lexika der Leipziger Verleger in den Schatten zu stellen und ein „Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste“ vorzulegen. Wenngleich zunächst nur auf zwölf Bände konzipiert, überstieg ein solches Vorhaben die Arbeitskraft eines Einzelnen und war damit auch ein Endpunkt des barocken Polyhistorismus. Z. setzte vielmehr auf Teamarbeit: Für die redaktionelle Betreuung gewann er den Leipziger Rechtsprofessor Jakob August Franckenstein, der sich bereits nach dem Erscheinen der ersten beiden Bände 1732 zurückzog. Nachfolger wurde der Philologe Paul Daniel Longolius (Bde. 3-18), der 1735 das Rektorat am Gymnasium in
Hof übernahm, nachdem sich Hoffnungen auf eine Universitätskarriere in Leipzig nicht erfüllt hatten. Ihm folgte ab Band 19 der Leipziger Philosophieprofessor Carl Günther Ludovici, der u.a. durch Vermehrung der mit bibliografischen Angaben versehenen biografischen Artikel neue Akzente setzte; er berücksichtigte dabei auch noch lebende Persönlichkeiten, darunter Z., und forderte Privatpersonen zur Zuträgerschaft auf. Unterstützt wurden die Hauptredakteure von Mitarbeitern, den sog. Musen. Anfänglich soll sich deren Zahl auf neun belaufen haben, es wird allerdings vermutet, dass es sich um einen größeren Kreis handelte, dessen Mitglieder namentlich bislang nicht vollständig bekannt sind. So stammen etwa Beiträge zur Mathematik von Lorenz Christoph Mizler von Kolof, zur Medizin von dem Leipziger Arzt Heinrich Winckler, zur Theologie von Friedrich Wilhelm Kraft; Johann Christoph Gottsched soll zum Lexikon beigetragen haben, bestritt dies aber. Die Anonymität der Mitwirkenden folgte wohl dem verlegerischen Kalkül, diese nicht persönlich dem Vorwurf des Plagiats auszusetzen. Dieser stand von Anfang an im Raum, da die Autoren zum Teil auf bereits vorhandene Lexika, z.B. Johann Georg Walchs „Philosophisches Lexicon“ (1726), zurückgriffen, diese paraphrasierten bzw. ergänzten oder auch Lemmata weitgehend übernahmen, wie das für die Artikel zur Musik nachgewiesen wurde. Diese Kompilationstechnik brachte die etablierten Leipziger Verleger Gleditsch und Fritsch gegen die neue Konkurrenz auf. Sich auf ihre Druckprivilegien berufend, wollten sie v.a. verhindern, dass ihre eigenen Lexika von Z.s Autoren ausgeschrieben wurden. Um sich gegen Raubdrucke zu schützen, verweigerte die Leipziger Bücherkommission Z. deshalb im sog. Verlegerkrieg 1730 die Erteilung eines sächsischen Druckprivilegs. Z. bemühte sich daraufhin 1731 erfolgreich um ein kaiserliches und ein preußisches Privileg. Zugleich knüpfte er, nachdem er kurz im sächsischen Delitzsch bei Vogelsang hatte drucken lassen, Kontakte nach
Halle/Saale, wo er unter der Protektion des Universitätskanzlers Johann Peter von Ludewig die Waisenhaus-Druckerei für den Druck der Lexikonbände gewann. Ludewig war es auch, der in der Vorrede zum ersten Band den Mut des Verlegers rühmte, ein „Werck, daran noch kein anderer, weder in Teutschland, noch außerhalb in andern Reichen und Staaten“ sich gewagt habe, in Angriff zu nehmen. Ungeachtet dessen wurde die Auslieferung des Lexikons, dessen erster Band mit dem Erscheinungsjahr 1732 auf der Leipziger Michaelismesse 1731 präsentiert wurde, von der Konkurrenz erschwert, sodass es in Sachsen zunächst nur aus dem preußischen Halle bezogen werden konnte. Wohl auch deshalb blieb der Absatz hinter den Erwartungen zurück, so dass Z., der sich überdies mit dem Kauf der Verlagsbuchhandlung von Johann Herbord Kloß übernommen hatte, Mitte der 1730er-Jahre in ernsthafte finanzielle Bedrängnis geriet. In einem Bericht des Leipziger Rats vom Oktober 1738 ist jedenfalls vom Konkurs Z.s die Rede, der ihn zu einem Vergleich mit seinen Gläubigern und zur Aufgabe seiner Buchhandlung genötigt habe. Zum gleichen Zeitpunkt gab es Auseinandersetzungen mit dem in Hof ansässigen und wohl mit Longolius kooperierenden Verleger Johann Ernst Schultze wegen des unberechtigten Drucks der Bände 17 und 18, in denen sich die Leipziger Bücherkommission auf die Seite von Z. schlug. Nach dem wohl 1736 erfolgten Konkurs fand sich für die Weiterführung des Verlags und des „Universal-Lexicons“ mit dem Leipziger Kaufmann Johann Heinrich Wolf (Wolff) ein Finanzier. Z. fungierte zwar weiterhin nominell als Verleger, wurde aber faktisch zunehmend an den Rand gedrängt und nahm unter der Verlegeradresse von Johann Samuel Heinsius neue Vorhaben in Angriff, u.a. das Handelslexikon „Allgemeine Schatz-Kammer der Kaufmannschafft“ (5 Teile, 1741-1743) oder das 13 Teile umfassende Großprojekt „Historisch-politisch-geographischer Atlas der gantzen Welt“ (1744-1750). Zuletzt lebte Z., vom Tagesgeschäft zurückgezogen, „die meiste Zeit des Sommers auf seinem Land-Gute zu Wolfshayn“, wie es in dem ihm gewidmeten Lexikoneintrag 1749 heißt. – Ungeachtet aller anderen Projekte basiert die verlegerische Bedeutung Z.s auf dem „Universal-Lexicon“, dessen Abschluss er 1750 noch erlebte; die vier Supplementbände erschienen posthum. Mit seinen 64 bzw. 68 Folianten, 284.000 Artikeln und 276.000 Verweisungen wurde eine Thesaurierung des vormodernen Wissensbestands vorgelegt, wobei die gegenüber der ursprünglichen Konzeption ständig gewachsene Bandzahl zugleich indizierte, dass vor dem Hintergrund der Ausdifferenzierung der Wissenschaften und der permanenten Erweiterung des menschlichen Erfahrungshorizonts der enzyklopädische Gedanke an seine Grenzen stieß. Für die Wissensgeschichte und die kulturwissenschaftliche Forschung ist der „Zedler“ aufgrund seines universalen Ansatzes, seiner Informationsdichte und der zahlreichen, in modernen Lexika nicht mehr zu findenden Lemmata nach wie vor ein Referenzwerk. Dem wurde in den 1960er-Jahren durch eine Reprint-Ausgabe Rechnung getragen. 1999 bis 2007 folgte eine Internetversion mit inhaltlicher Erschließung. 2007 verlieh der Verein Wikimedia Deutschland erstmals die Johann-Heinrich-Zedler-Medaille für den besten Beitrag in den Kategorien Geistes- und Naturwissenschaften und 2012 bis 2014 den Zedler-Preis. Das „Universal-Lexicon“ wurde damit aufgrund seiner bei der Erarbeitung praktizierten Teamarbeit und seines Vollständigkeitsanspruchs im digitalen Zeitalter zum Impulsgeber für die Auszeichnung von Personen, Gruppen und Projekten, die sich für Freies Wissen engagieren.
Werke Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert wurden, 64 Bde., Halle/Saale/Leipzig 1732-1750, 4 Supplementbde., ebd. 1751-1754 (ND Graz 1961-1964, 1994-1999); Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Digitalisierungsprojekt der Bayerischen Staatsbibliothek, München 1999-2001/Erschließungsprojekt der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2004-2007.
Literatur Albrecht Kirchhoff, Die kaiserlichen Bücher-Privilegien in Sachsen, in: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels 15/1892, S. 73-102; Elger Blühm, Johann Heinrich Z. und sein Lexikon, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 7/1962, S. 184-200; Gerd Quedenbaum, Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Z. 1706-1751, Hildesheim/New York 1977; Dietrich Fuhrmann, Die Auffassung von Recht, Staat, Politik und Gesellschaft in Z.s Lexikon, Diss. Erlangen-Nürnberg 1978; Nicola Kaminski, Die Musen als Lexikographen. Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon im Schnittpunkt von poetischem, wissenschaftlichem, juristischem und ökonomischem Diskurs, in: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit 29/2000, H. 3-4, S. 649-693; Ulrich Johannes Schneider, Z.s Universal-Lexicon und die Gelehrtenkultur des 18. Jahrhunderts, in: Hanspeter Marti/Detlef Döring (Hg.), Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld, Basel 2004, S. 195-213; Ines Prodöhl, „Aus denen besten Scribenten“. Z.s „Universal-Lexicon“ im Spannungsfeld zeitgenössischer Lexikonproduktion, in: Das 18. Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 29/2005, S. 82-94; Ulrich Johannes Schneider, Das „Universal-Lexicon“ von Johann Heinrich Z. oder: Die „Wikipedia“ des 18. Jahrhunderts, in: Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen 11/2008, H. 19, S. 58-61; Kai Lohsträter/Flemming Schock (Hg.), Die gesammelte Welt. Studien zu Z.s „Universal-Lexicon“, Wiesbaden 2013; Andreas Müller, Vom Konversationslexikon zur Enzyklopädie. Das Zedlersche „Universal-Lexicon“ im Wandel seiner Druckgeschichte, in: Das 18. Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 43/2019, H. 1, S. 73-90; Jeff Loveland, Copying into Z.s „Universal-Lexicon“: The Lessons of 150 Articles from Walch’s „Philosophisches Lexicon“, in: ebd. 44/2020, H. 1, S. 66-89; Zedleriana. Materialien zu Zedlers Universal-Lexikon, hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek, München 2002. – ADB 44, S. 741f.; DBA I, III; DBE II 10, S. 807; Walther Killy (Hg.), Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 12, Gütersloh/München 1992, S. 470.
Winfried Müller
20.12.2022
Empfohlene Zitierweise:
Winfried Müller, Artikel: Johann Heinrich Zedler,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4245 [Zugriff 24.11.2024].
Johann Heinrich Zedler
Werke Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert wurden, 64 Bde., Halle/Saale/Leipzig 1732-1750, 4 Supplementbde., ebd. 1751-1754 (ND Graz 1961-1964, 1994-1999); Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Digitalisierungsprojekt der Bayerischen Staatsbibliothek, München 1999-2001/Erschließungsprojekt der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2004-2007.
Literatur Albrecht Kirchhoff, Die kaiserlichen Bücher-Privilegien in Sachsen, in: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels 15/1892, S. 73-102; Elger Blühm, Johann Heinrich Z. und sein Lexikon, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 7/1962, S. 184-200; Gerd Quedenbaum, Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Z. 1706-1751, Hildesheim/New York 1977; Dietrich Fuhrmann, Die Auffassung von Recht, Staat, Politik und Gesellschaft in Z.s Lexikon, Diss. Erlangen-Nürnberg 1978; Nicola Kaminski, Die Musen als Lexikographen. Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon im Schnittpunkt von poetischem, wissenschaftlichem, juristischem und ökonomischem Diskurs, in: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit 29/2000, H. 3-4, S. 649-693; Ulrich Johannes Schneider, Z.s Universal-Lexicon und die Gelehrtenkultur des 18. Jahrhunderts, in: Hanspeter Marti/Detlef Döring (Hg.), Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld, Basel 2004, S. 195-213; Ines Prodöhl, „Aus denen besten Scribenten“. Z.s „Universal-Lexicon“ im Spannungsfeld zeitgenössischer Lexikonproduktion, in: Das 18. Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 29/2005, S. 82-94; Ulrich Johannes Schneider, Das „Universal-Lexicon“ von Johann Heinrich Z. oder: Die „Wikipedia“ des 18. Jahrhunderts, in: Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen 11/2008, H. 19, S. 58-61; Kai Lohsträter/Flemming Schock (Hg.), Die gesammelte Welt. Studien zu Z.s „Universal-Lexicon“, Wiesbaden 2013; Andreas Müller, Vom Konversationslexikon zur Enzyklopädie. Das Zedlersche „Universal-Lexicon“ im Wandel seiner Druckgeschichte, in: Das 18. Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 43/2019, H. 1, S. 73-90; Jeff Loveland, Copying into Z.s „Universal-Lexicon“: The Lessons of 150 Articles from Walch’s „Philosophisches Lexicon“, in: ebd. 44/2020, H. 1, S. 66-89; Zedleriana. Materialien zu Zedlers Universal-Lexikon, hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek, München 2002. – ADB 44, S. 741f.; DBA I, III; DBE II 10, S. 807; Walther Killy (Hg.), Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Bd. 12, Gütersloh/München 1992, S. 470.
Winfried Müller
20.12.2022
Empfohlene Zitierweise:
Winfried Müller, Artikel: Johann Heinrich Zedler,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4245 [Zugriff 24.11.2024].