Joachim Lederer
Der in einer Prager jüdischen Familie in materiell beengten Verhältnissen aufgewachsene Joachim Lederer wurde in den 1840er-Jahren v.a. in Böhmen und Österreich als Autor von Lustspielen bekannt. Nach seiner Übersiedlung nach Dresden war er in seinem literarischen Sujet kaum mehr erfolgreich und wiederholt auf finanzielle Zuwendungen angewiesen, die ihm einflussreiche Fürsprecher aus dem literarischen und kulturellen Leben ermöglichten. – Lederer war, seiner 1862/1863 erschienenen Autobiografie zufolge, der Sohn eines Prager Kaufmanns, der sich aus geschäftlichen Gründen überwiegend in
Wien aufhielt. Die Mutter musste daher ihre Kinder weitgehend allein großziehen. Lederer hatte mindestens einen älteren Bruder und eine Schwester und erhielt häuslichen Unterricht. Während sich die finanziellen Verhältnisse der Familie verschlechterten, wurde Lederer, ungeachtet seines Interesses für Talmud-Studien sowie seiner musischen Neigungen, von seiner Familie zum Zweck des Broterwerbs auf die Aufnahme eines Medizinstudiums gelenkt. Dieses brach er schon nach einem Jahr ab und wechselte zum Fach Jura. Im Winter 1839 wurde er, seinen Angaben zufolge, in
Prag promoviert. Eine von ihm angestrebte Professur der Rechtsphilosophie oder Rechtsgeschichte sah er aufgrund seiner jüdischen Herkunft als aussichtslos an. Aber auch in einer Anwaltskanzlei blieb er beruflich erfolglos. Beeindruckt durch die Lektüre der jüdischen Vormärz-Dichter Ludwig Börne und Heinrich Heine, so Lederer, habe er sich vielmehr schriftstellerischer Tätigkeit zugewandt. Er spezialisierte sich auf Lustspiele für das Sprechtheater. Das offenbar ungedruckt gebliebene Erstlingswerk „Die Wortbrüchigen“ allerdings, noch unter dem Pseudonym Felix Wagner publiziert, stieß 1840 in Prag auf ein geteiltes Echo. 1844 wurde seine Bearbeitung von Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“ in Prag auf die Bühne gebracht, ab 1846/1847 wurde das Stück „Geistige Liebe“ in Prag, auf dem Wiener Burgtheater und in
Pest aufgeführt; noch Jahrzehnte später stand es auf Spielplänen deutschsprachiger Bühnen. Der im 19. Jahrhundert weithin bekannte Kritiker Heinrich Laube erklärte 1867 im Rückblick den Erfolg von Lederers Stücken in Wien damit, dass dieser ein österreichischer Jude sei: Sein Witz entspringe „dem splitterrichtenden Talmudwesen“, aber dies sei nur „die Veranlassung seines Witzes“, der Inhalt dagegen sei österreichisch und stimme den Österreicher zu einem behaglichen Lachen. – Neben den Lustspielen verfasste Lederer auch kleinere humoristische literarische Texte, die er 1845 gesammelt herausbrachte. In den 1840er-Jahren publizierte er zudem, meist unter Pseudonymen, regelmäßig ironisch zugespitzte Rezensionen von Theateraufführungen und andere Texte in dem Prager literarischen Unterhaltungsblatt „Bild und Leben“. – Nach 1848 verließ Lederer seine Heimatstadt Prag und zog nach Dresden. Auf die Gründe dafür und auf seine späteren Jahre in der sächsischen Residenzstadt ging Lederer in seiner Autobiografie nicht ein. In dieser halten sich Unzufriedenheit mit seiner Persönlichkeit und eine gewisse ironische Distanz gegenüber seinem Lebensweg mit unverkennbarem Stolz auf seine literarischen Erfolge die Waage. Gründe für den Weggang aus Prag könnten Veränderungen des kulturellen Lebens dort nach der Revolution von 1848/1849 gewesen sein. Zudem hatte Lederer mit dem Suizid von Wolfgang Adolf Gerle 1846 einen einflussreichen Schriftstellerkollegen und Freund in Prag verloren. Mit dem Stück „Zwei Kranke“, das in Wien unter dem Titel „Die kranken Doctoren“ über viele Spielzeiten bis mindestens in die 1860er-Jahre hinein zum Repertoire gehörte, hatten die beiden Autoren gemeinsam einen großen Erfolg erzielt. – Unklar ist, warum sich Lederer Dresden als neue Heimat wählte. Es gab hier zwar eine weitverzweigte jüdische Familie Lederer, aber ob es zu ihnen eine verwandtschaftliche Beziehung gab, konnte bisher nicht geklärt werden. In Dresden wohnte Lederer zunächst auf der Pfarrgasse 3 nahe der Kreuzkirche. Später zog er in die benachbarte Weiße Gasse 11. 1863 wurde Lederer in der Dresdner Theaterzeitung als einer der 28 dramatischen Dichter Dresdens aufgeführt - sein Name stand neben denen von Wilhelm Wolfsohn, Gustav Kühne, Otto Ludwig, Wolf Heinrich Friedrich Karl von Baudissin und der Prinzessin Amalie von Sachsen. Dies zeugt davon, dass er auch in Dresden als Schriftsteller wahrgenommen wurde. Womöglich bewog ihn zu seinem Umzug nach Dresden der große Erfolg, den sein Stück „Geistige Liebe“ ab Mai 1848 am dortigen Königlichen Hoftheater feierte, wo es in den folgenden Jahren 32 Aufführungen erlebte. Weniger erfolgreich waren die beiden in der Dresdner Zeit verfassten Stücke „Häusliche Wirren“ (vier Aufführungen ab September 1851) und „Die weiblichen Studenten“ (drei Aufführungen ab September 1858). Doch pflegte Lederer weiterhin auch überregionale Kontakte in die Literaten- und Theaterszene. Mit der Wiener Hofschauspielerin Luise Neumann , später verh. Gräfin von Schönfeld, unterhielt er eine Korrespondenz. Sie bemühte sich, ihn in dieser Zeit auch im französischen Sprachraum publik zu machen. Laube hielt in seinem Buch von 1867 fest, er besuche Lederer regelmäßig, wenn er nach Dresden komme. Noch immer wohne dieser gedanklich eigentlich im Burgtheater, er sei nur gewissermaßen seit Jahrzehnten auf Reisen, aber trage noch immer den dunkelgrünen Rock, den er früher im Burgtheater getragen habe. – Dass Lederers Situation spätestens in den 1860er- und 1870er-Jahren in Dresden schwierig war, dass er aber auch immer noch einflussreiche Unterstützer hatte, die sein literarisches Schaffen anerkannten, wird durch zwei Zuschüsse für seinen Lebensunterhalt seitens der 1859 in Dresden gegründeten Schillerstiftung bezeugt. Lederer erhielt von der Stiftung zur Förderung bedürftiger Schriftsteller und ihrer Angehörigen 1863 in zwei Raten je 100 Taler, 1876 wurden ihm nochmals 300 Mark zugesprochen. Ein Berichterstatter führte 1862 aus, Lederer lebe in großer Bedürftigkeit und könne nur mit Hilfe seiner Glaubensgenossen überleben. Den Antrag stellte der Dichter Karl Gutzkow, der damals Generalsekretär der Stiftung und eine zentrale Figur des deutschsprachigen literarischen Lebens war. Er führte aus, Lederer habe trotz Talent zuletzt keinen literarischen Erfolg mehr mit seinen Bühnenstücken gehabt, auch passe seine Schreibart wohl nur in eine Zeitschrift, die er selbst herausgebe, er sei eben ein stachliges Gewächs, das nur an einer ganz bestimmten Stelle gedeihen könne. Im Juni 1876 verwendete sich der einflussreiche Dresdner Theatersekretär, Schriftsteller und Dramaturg Julius Pabst für Lederer. Dieser war inzwischen schwer erkrankt und konnte Pabst zufolge die Kosten für die Unterbringung in der Dresdner Simonschen Heilanstalt nicht aufbringen. Pabst erinnerte daran, Lederers Stücke hätten früher stets ein großes Publikum gefunden; wenn das heute nicht mehr in dem Maß der Fall sei, so liege dies nicht an Lederers Stücken, sondern an dem Wandel im Geschmack des Publikums. Als die Summe für Lederer am 1.8.1876 ausgezahlt werden sollte, war dieser bereits einen Tag zuvor im Dresdner Stadtkrankenhaus verstorben. Die Zuwendung sollte nunmehr zur Begleichung von Schulden und für eine Gedächtnisschrift verwendet werden, von deren Zustandekommen allerdings nichts bekannt ist. – Laut dem Sterberegister war Lederer unverheiratet. Sein Grabstein auf dem Neuen Israelitischen Friedhof hat sinnigerweise die Form eines aufgeschlagenen Buchs. Die linke Buchseite nennt seine beiden Berufe: „Literat Dr. jur.“
Quellen Klassik Stiftung Weimar / Goethe- und Schiller-Archiv, Bestand Weimar / Deutsche Schillerstiftung, GSA 134/46,20; HATiKVA, Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e.V., Archiv, Gesamtdokumentation des Neuen Israelitischen Friedhofes in Dresden auf der Fiedlerstr. 3; Adressbuch Dresden, 1861; Dresdner Nachrichten 2.4.1863, S. 1.
Werke Mit Wolfgang Adolf Gerle, Zwei Kranke. Original-Lustspiel in 4 Akten, Stuttgart 1842; Geistige Liebe oder Gleich und Gleich gesellt sich gern. Lustspiel in 2 Akten, ca. 1842; Lebens‑Maschinerien. Humoristisches Scherzo, in: Bild und Leben. Eine Unterhaltungs-Lectüre 1/1844, S. 17-20; Olla Potrida oder: Dies Buch gehört dem Käufer. Sammlung von Aufsätzen heiteren Inhalts und Aphorismen, Prag 1845; Häusliche Wirren. Lustspiel in 3 Akten, 1851; Die weiblichen Studenten, oder: Ueberwundener Standpunkt. Lustspiel in 3 Akten, Berlin 1858; Dr. J. J. Lederer, in: Jahrbuch für Israeliten 9/1862/1863, S. 126-130.
Literatur Ferdinand Leopold Schirndinger von Schirnding, Österreich im Jahre 1840, Bd. 2, Leipzig, S. 316; Heinrich Laube, Das Burgtheater von 1848 bis 1867, Wien 1867, S. 38f.; Robert Prölss, Geschichte des Hoftheaters zu Dresden. Von seinen Anfängen bis zum Jahre 1862, Dresden 1878, S. 634, 636, 637; Gertraud Marinelli-König: Literatur und Schrifttum, in: dies. (Hg.), Die böhmischen Länder in den Wiener Zeitschriften und Almanachen des Vormärz (1805-1848). Tschechische nationale Wiedergeburt - Kultur- und Landeskunde von Böhmen, Mähren und Schlesien - Kulturelle Beziehungen zu Wien, Teil I, Wien 2011, S. 365-370; Maria Preyer, Zur Regenerationsperiode des Burgtheaters unter Heinrich Laube. Edition ausgewählter Akten 1850-1855, Diplomarbeit Wien 2012, S. 22, 27; Štěpán Zbytovský, Unterhaltungslektüre und Kritik. Zur Prager Zeitschrift Bild und Leben (1844-1850), in: brücken. Zeitschrift für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft 27/2020, H. 1, S. 63-87; Heike Liebsch, Schreiben für das Theater - Joachim Lederer, in: dies. (Hg.), Der Neue Israelitische Friedhof in Dresden, Berlin/Leipzig, 2021, S. 232f. – ADB 18, S. 116; DBA I, II, III; DBE II 6, S. 303; Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 5, Wien 1859, S. 156, Bd. 14, Wien 1865, S. 290-292; Wilhelm Kosch, Deutsches Theaterlexikon, Bd. 2, Klagenfurt 1960, S. 1190; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 5, Wien 1972, S. 83.
Heike Liebsch / Joachim Schneider
2.9.2025
Empfohlene Zitierweise:
Heike Liebsch / Joachim Schneider, Artikel: Joachim Lederer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29401 [Zugriff 6.9.2025].
Joachim Lederer
Quellen Klassik Stiftung Weimar / Goethe- und Schiller-Archiv, Bestand Weimar / Deutsche Schillerstiftung, GSA 134/46,20; HATiKVA, Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e.V., Archiv, Gesamtdokumentation des Neuen Israelitischen Friedhofes in Dresden auf der Fiedlerstr. 3; Adressbuch Dresden, 1861; Dresdner Nachrichten 2.4.1863, S. 1.
Werke Mit Wolfgang Adolf Gerle, Zwei Kranke. Original-Lustspiel in 4 Akten, Stuttgart 1842; Geistige Liebe oder Gleich und Gleich gesellt sich gern. Lustspiel in 2 Akten, ca. 1842; Lebens‑Maschinerien. Humoristisches Scherzo, in: Bild und Leben. Eine Unterhaltungs-Lectüre 1/1844, S. 17-20; Olla Potrida oder: Dies Buch gehört dem Käufer. Sammlung von Aufsätzen heiteren Inhalts und Aphorismen, Prag 1845; Häusliche Wirren. Lustspiel in 3 Akten, 1851; Die weiblichen Studenten, oder: Ueberwundener Standpunkt. Lustspiel in 3 Akten, Berlin 1858; Dr. J. J. Lederer, in: Jahrbuch für Israeliten 9/1862/1863, S. 126-130.
Literatur Ferdinand Leopold Schirndinger von Schirnding, Österreich im Jahre 1840, Bd. 2, Leipzig, S. 316; Heinrich Laube, Das Burgtheater von 1848 bis 1867, Wien 1867, S. 38f.; Robert Prölss, Geschichte des Hoftheaters zu Dresden. Von seinen Anfängen bis zum Jahre 1862, Dresden 1878, S. 634, 636, 637; Gertraud Marinelli-König: Literatur und Schrifttum, in: dies. (Hg.), Die böhmischen Länder in den Wiener Zeitschriften und Almanachen des Vormärz (1805-1848). Tschechische nationale Wiedergeburt - Kultur- und Landeskunde von Böhmen, Mähren und Schlesien - Kulturelle Beziehungen zu Wien, Teil I, Wien 2011, S. 365-370; Maria Preyer, Zur Regenerationsperiode des Burgtheaters unter Heinrich Laube. Edition ausgewählter Akten 1850-1855, Diplomarbeit Wien 2012, S. 22, 27; Štěpán Zbytovský, Unterhaltungslektüre und Kritik. Zur Prager Zeitschrift Bild und Leben (1844-1850), in: brücken. Zeitschrift für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft 27/2020, H. 1, S. 63-87; Heike Liebsch, Schreiben für das Theater - Joachim Lederer, in: dies. (Hg.), Der Neue Israelitische Friedhof in Dresden, Berlin/Leipzig, 2021, S. 232f. – ADB 18, S. 116; DBA I, II, III; DBE II 6, S. 303; Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 5, Wien 1859, S. 156, Bd. 14, Wien 1865, S. 290-292; Wilhelm Kosch, Deutsches Theaterlexikon, Bd. 2, Klagenfurt 1960, S. 1190; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 5, Wien 1972, S. 83.
Heike Liebsch / Joachim Schneider
2.9.2025
Empfohlene Zitierweise:
Heike Liebsch / Joachim Schneider, Artikel: Joachim Lederer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29401 [Zugriff 6.9.2025].