Karl Wilhelm Wolfsohn

W. wuchs in einer strenggläubigen jüdischen Familie deutscher Herkunft in Odessa auf. Sein Vater stammte aus Charkow, seine Mutter aus Brody in Galizien, damals Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie. Da sein Vater russischer Untertan war, erhielt auch der junge W. diese Staatsangehörigkeit, ohne selbst je den Untertaneneid geleistet zu haben. W. bekam eine umfassende Ausbildung am jüdischen Gymnasium in Odessa, der ersten israelitischen Schule in Russland überhaupt. Neben den üblichen Fächern wie Geografie, Physik, Weltgeschichte, Rhetorik u.a. wurde er v.a. in russischer, deutscher, hebräischer und französischer Sprache und Literatur unterrichtet. Hinzu kam über einen längeren Zeitraum Unterricht in Latein und Griechisch. Diese Ausbildung prägte seinen späteren Lebensweg entscheidend. Auf Wunsch des Vaters nahm W. im Dezember 1837 an der Universität Leipzig zunächst ein Medizinstudium auf. Bereits im Sommer 1838 besuchte er jedoch auch Vorlesungen über Philosophiegeschichte. Im Herbst 1839 brach er das Medizinstudium endgültig ab und wandte sich ganz den Geisteswissenschaften zu. In diese Zeit fallen W.s erste Publikationen, u.a. weniger bedeutende, heute vergessene Gedichte, aber auch erste Übersetzungen russischer Literatur, die ihn sein ganzes Leben beschäftigte. 1843 promovierte W. in Leipzig mit der Arbeit „Die schönwissenschaftliche Literatur der Russen“. Verschiedene Reisen führten ihn immer wieder nach Russland, so hielt er sich von Juli 1843 bis November 1845 u.a. in Odessa, Petersburg, Charkow und Moskau auf, wo er Material für eine geplante russische Literaturgeschichte sammelte. Außerdem hielt W. während seiner Reisen Vorträge über deutsche Literatur, so wie er in Deutschland über russische Literatur referierte. Weitere Reisen 1861, 1863 und 1864 dienten der Suche nach neuer russischer Literatur, aber auch dem Anliegen, zwischen Deutschland und Russland zu vermitteln und um Verständnis zu werben. W. übersetzte u.a. so bedeutende Autoren wie Fjodor Dostojewski, Nikolai Gogol, Alexander Puschkin und Leo Tolstoi. Er war mit einer Reihe bekannter Zeitgenossen befreundet, darunter Ferdinand Lassalle, Georg Herwegh, Otto Ludwig, Alexander Herzen, Theodor Fontane und Berthold Auerbach. Neben der Literatur spielte der Wunsch nach Gleichberechtigung und Gleichstellung der Juden in der Gesellschaft eine entscheidende Rolle in W.s Leben. Der Zweifel an der Notwendigkeit verschiedener Glaubensrichtungen, ebenso wie der Konflikt zwischen Glaube und Liebe, nahm in seinem Denken und Schaffen einen breiten Raum ein, auch weil er diese Konflikte im eigenen Leben verspürte. W. war seit 1840 mehr als elf Jahre mit Emilie Gey, einer Christin und Tochter seines Leipziger Vermieters, verlobt. Erst Ende 1851 konnte er seine Verlobte im Herzogtum Anhalt-Dessau heiraten, wo er trotz fehlenden Emigrationsscheins die langersehnte Staatsbürgerschaft erhielt. Nach vorläufigem Aufenthalt in Dessau siedelte das Paar im Frühjahr 1852 endgültig nach Dresden über. In Dresden hielt W. wieder verstärkt Vorträge und wandte sich, unter dem Einfluss der Freundschaft mit Otto Ludwig, dem dramatischen Schaffen zu. Es entstanden Dramen, die sich mit russischen Themen, z.B. der Leibeigenschaft, beschäftigten. Andere Stücke behandelten jüdische Themen, wie „Die Osternacht“, die das noch immer vorherrschende Vorurteil des Gebrauchs von Christenblut zum Pessachfest und das Judenprogrom 1859 in Galatz verarbeitete. – Als Vermittler zwischen zwei Kulturen blieb W. seiner Lebensphilosophie und Religion treu. Das Angebot einer Professur in Moskau lehnte er ab, da dies mit dem Übertritt zum russisch-orthodoxen Glauben verbunden gewesen wäre. Seine Kinder ließ er jedoch taufen, um ihnen die bittere Erfahrung gesellschaftlicher Zurücksetzung zu ersparen.

Werke Der Journalistenspiegel, Leipzig 1839; Rußlands Novellendichter, 3 Bde., Leipzig 1848-1851 (Übersetzung aus dem Russischen); Zar und Bürger, Dresden/Berlin 1857; Die Osternacht, Dresden 1859; Nur eine Seele, Dresden 1875; Russische Geschichten, Dresden/Leipzig 1880 (Übersetzung aus dem Russischen); Nikolaus Gogol, Kleine Welten, Dresden/Leipzig o.J. (Übersetzung aus dem Russischen).

Literatur W. Geiger, Wilhelm W., in: Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur 15/1912, S. 163-197; C. Lehmann-Schultze, Aus Wilhelm W.s Leben und Wirken als Vermittler russischer Literatur in Deutschland, Diss. Berlin 1965 (WV); C. Schultze (Hg.), Theodor Fontanes Briefwechsel mit Wilhelm W., Berlin/Weimar 1988; E. Hexelschneider, Wilhelm W. - ein jüdischer Kulturmittler zwischen Rußland und Deutschland, in: Dresdner Hefte 45/1996, S. 58-62; L.-M. Lange, Dr. Wilhelm W. - ein jüdischer Lebensweg zwischen Rußland und Deutschland, in: Der Alte Jüdische Friedhof in Dresden, hrsg. von HATiKVA e.V., Teetz 2002, S. 222-230 (P); H. Delf von Wolzogen/I. Shedletzky (Hg.), Theodor Fontante und Wilhelm W. - eine interkulturelle Beziehung, Tübingen 2006. – ADB 44, S. 132f.; DBA I, II, III; DBE 10, S. 582.

Porträt Dr. Wilhelm W., E. Elb, undatiert, Ölgemälde, Privatbesitz M. Dvorak, Eggenstein-Leopoldshafen.

Lenka-Maria Lange
16.1.2008


Empfohlene Zitierweise:
Lenka-Maria Lange, Artikel: Karl Wilhelm Wolfsohn,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4218 [Zugriff 16.4.2024].

Karl Wilhelm Wolfsohn



Werke Der Journalistenspiegel, Leipzig 1839; Rußlands Novellendichter, 3 Bde., Leipzig 1848-1851 (Übersetzung aus dem Russischen); Zar und Bürger, Dresden/Berlin 1857; Die Osternacht, Dresden 1859; Nur eine Seele, Dresden 1875; Russische Geschichten, Dresden/Leipzig 1880 (Übersetzung aus dem Russischen); Nikolaus Gogol, Kleine Welten, Dresden/Leipzig o.J. (Übersetzung aus dem Russischen).

Literatur W. Geiger, Wilhelm W., in: Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur 15/1912, S. 163-197; C. Lehmann-Schultze, Aus Wilhelm W.s Leben und Wirken als Vermittler russischer Literatur in Deutschland, Diss. Berlin 1965 (WV); C. Schultze (Hg.), Theodor Fontanes Briefwechsel mit Wilhelm W., Berlin/Weimar 1988; E. Hexelschneider, Wilhelm W. - ein jüdischer Kulturmittler zwischen Rußland und Deutschland, in: Dresdner Hefte 45/1996, S. 58-62; L.-M. Lange, Dr. Wilhelm W. - ein jüdischer Lebensweg zwischen Rußland und Deutschland, in: Der Alte Jüdische Friedhof in Dresden, hrsg. von HATiKVA e.V., Teetz 2002, S. 222-230 (P); H. Delf von Wolzogen/I. Shedletzky (Hg.), Theodor Fontante und Wilhelm W. - eine interkulturelle Beziehung, Tübingen 2006. – ADB 44, S. 132f.; DBA I, II, III; DBE 10, S. 582.

Porträt Dr. Wilhelm W., E. Elb, undatiert, Ölgemälde, Privatbesitz M. Dvorak, Eggenstein-Leopoldshafen.

Lenka-Maria Lange
16.1.2008


Empfohlene Zitierweise:
Lenka-Maria Lange, Artikel: Karl Wilhelm Wolfsohn,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4218 [Zugriff 16.4.2024].