Abraham Löwy
1819 bis zu seinem Tod 1835 steuerte Abraham Löwy als Lehrer, Rabbiner und Prediger die religiös-kulturellen Geschicke der in mehrere Gruppen mit eigenen Betstuben fragmentierten jüdischen Gemeinde in Dresden. Deren Mitglieder hielten mehrheitlich zwar noch an althergebrachten jüdischen Traditionen fest, doch v.a. unter den jüngeren strebten zunehmend mehr nach innerjüdischen Reformen und Verbürgerlichung. Löwy bemühte sich angesichts dieser Herausforderungen um Ausgleich zwischen den verschiedenen Akteuren. – Über Löwys Herkunft und Kindheit ist kaum etwas bekannt. Als Kind armer Eltern soll er zunächst den traditionellen jüdischen Unterricht, zu dem das Erlernen des Hebräischen und das Lesen in den heiligen Schriften zählte, erhalten haben. Nach eigenen Angaben sei er auch des Schreibens in Judendeutsch - also des Deutschen unter Verwendung des hebräischen Alphabets - wie auch des Schreibens auf Deutsch kundig gewesen. – Als Jugendlicher absolvierte Löwy ein Talmudstudium in einer Prager Jeschiwa. Danach ließ er sich in
Teplitz (tschech. Teplice) nieder, wo er als Lehrer an der jüdischen Normalschule unterrichtete, an der Deutsch Unterrichtssprache war. Zugleich wirkte er als Buchhalter für verschiedene Handelsfirmen. Seine beruflichen Tätigkeiten ermöglichten es ihm, einen eigenen Hausstand zu gründen. – Löwys Berufung und Übersiedlung nach Dresden erfolgte 1819. Nach dem Tod des Dresdner Oberrabbiners David Wolf Landau Ende 1818 hatte dort zunächst der 74-jährige Dresdner jüdische Gelehrte
Aron (Aaron) Levy die Stellvertretung des Rabbinats übernommen. In der kleinen jüdischen Gemeinde brachen gerade in dieser Phase massive Konflikte zwischen verschiedenen Akteursgruppen auf. Mehrere jüdische Familien drängten die Gemeindeältesten Samuel Kaim und Mendel Schie, Löwy als Kinderlehrer nach Dresden zu holen. Er wurde am 19.3.1819 in dieser Funktion eingestellt. V.a. der Händler
Ruben Herz Meyer, ehemals Vorsteher einer privaten Betstube, protestierte wiederholt erfolglos gegen die vermeintliche Willkür der Gemeindeältesten. Nach Aron Levys Tod Ende 1819 forcierten diese nun Löwys Wahl zum neuen Rabbiner, der mit einem Jahresgehalt von 400 Talern bei freier Wohnung und kostenlosem Brennholz eingestellt werden sollte. Meyer petitionierte dagegen und wies die Behörden darauf hin, dass Löwy ein naher Verwandter Kaims sei. Tatsächlich sprach sich der Dresdner Stadtrat zunächst gegen Löwys Ansiedlung aus, weil dadurch wieder ein ausländischer Jude mehr in Dresden sesshaft werde. Gegen seine Ausweisung appellierte Löwy jedoch erfolgreich und profitierte dabei davon, dass der Stadtrat den von Ruben Herz Meyer vorgeschlagenen Kandidaten für das Rabbinat ablehnte. Dagegen stimmte die Mehrheit der stimmberechtigten Gemeindemitglieder laut Wahlstimmenverzeichnis vom Dezember 1819 der Anstellung Löwys als Rabbiner zu. Die staatliche Konzession für den Aufenthalt in Dresden erhielt Löwy aber erst 1828. – Obwohl die Dresdner Adressbücher Löwy als Rabbiner der „Israelitischen Gemeine“ verzeichnen, fungierte dieser offiziell nur als Ritualgutachter (More zedek) und Religionslehrer. Erst nach seinem Tod verliehen ihm die Gemeindeältesten am 28.4.1835 das Prädikat „Oberrabbiner“, das ihm künftig in allen Gemeindeakten zugeschrieben werden sollte (B. Beer). Als Religionslehrer unterrichtete er spätere Führungspersönlichkeiten der jüdischen Gemeinde wie Wolf Landau und Bernhard Beer in den jüdischen Schriften. Er galt als „gewiegter Talmudist der alten Schule“ (Allgemeine Zeitung des Judenthums) und laut seinem Amtsnachfolger Zacharias Frankel als wahrhaft fromm und jedem Zelotismus abhold. Grundsätzlich beharrte er auf den althergebrachten jüdischen Traditionen - auch, um die in diesen Fragen schwelenden Konflikte innerhalb der jüdischen Gemeinde nicht zu verschärfen. Nach Beer habe Löwy eine schlichtende Rolle bei innerjüdischen Konflikten eingenommen, sich jedoch auch wiederholt Kritik ausgesetzt gesehen, weil er nicht ganz so gehandelt habe, wie es die aufklärerischen Tendenzen der Zeit erfordert hätten. Bernhard Hirschel berichtete, dass sich Löwy in einer seiner Predigten gegen seinen Besuch des christlichen Kreuzgymnasiums in Dresden ausgesprochen habe, weil er darin eine Gefahr für den Glauben sah. In einigen Punkten handelte Löwy aber auch pragmatisch: In der Debatte um die Frage, ob Blumen auf Gräbern gestattet seien, entschied er, dass nichts dagegenspräche. Zudem gestattete er Bernhard Beer ab 1826 die Abhaltung deutscher Predigten in einer der Dresdner Betstuben und ließ Anfang der 1830er-Jahre die Konfirmation jüdischer Kinder zu. Dass Löwy zumindest 1833 bis 1835 auch selbst während der Gottesdienste predigte, berichtet Louis Lesser in seinem Tagebuch. – Löwy war mit
Rebekka verheiratet, mit der er mehrere Kinder hatte, darunter der Antiquar
Isidor (Siegismund) Löwy, der
Rosalie Cohn, die Tochter des Kaufmanns
Isaak Cohn ehelichte, und die älteste Tochter
Rebekka Löwy, die den Gemeindeschreiber
Abraham Marcus Landau heiratete. Dass letztere lediglich 300 Taler als Mitgabe erhielt, zeigt, dass Löwy keineswegs zu den vermögenden Dresdner Juden gehörte. Zunächst wohnte er in der Lochgasse 449, ab 1823 dann in der Zahnsgasse 78 und ab Mitte der 1820er-Jahre auf Kosten der jüdischen Gemeinde An der Breiten Gasse 56 (An der Mauer 58). – Löwy starb mit 54 Jahren am 28.4.1835 an „Nervenfieber“, wie es in der Sterbeliste im Dresdner Anzeiger vermerkt ist. Im Trauerhaus und bei der Beisetzung auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Dresden hielten am 30.4.
Israel Herz, Mitglied des Religionsausschusses, und Jonas Abraham Bondi Trauerreden. Am 2.5. versammelten sich Gemeindemitglieder, darunter Louis Lesser und Bernhard Hirschel, zum Gebet im Haus des Verstorbenen. Die Trauerpredigt hielt am 7.5. auf Bitten der Gemeindeältesten Bernhard Beer. Da Löwy kein Vermögen hinterließ, kam der Druck der Predigt einer hinterlassenen Tochter zugute. Die Witwe lebte ab Mitte der 1850er-Jahre bei ihrem Sohn Isidor Löwy. – Löwys Tod markierte eine Zäsur in der Geschichte der jüdischen Gemeinde: Ab der zweiten Hälfte der 1830er-Jahre setzte sich die reformorientierte Gruppe um Bernhard Beer und den neuen Oberrabbiner Zacharias Frankel im innergemeindlichen Richtungsstreit durch. Hinter dem prominenten Wirken seines Amtsnachfolgers verblasste Löwys 16-jähriges Schaffen in Dresden. In den späteren Gemeindegeschichten wird er kaum erwähnt.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 2360/08, Loc. 2377/03, 10079 Landesregierung, Loc. 31019/01, Loc. 31019/03, Loc. 31018/04, 10088 Oberkonsistorium, Loc. 01907/13, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 826c, Nr. 826d, 10747 Kreishauptmannschaft Dresden, Nr. 344, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 11131, Nr. 11137; Stadtarchiv Dresden, Ratsarchiv 2.1.3-C.XLII.147; Jüdisches Museum Frankfurt/Main, PSR B 045. – Dresdner Anzeiger 2.5.1835, S. 3, 8.5.1835, S. 6; Allgemeine Zeitung des Judenthums 29.11.1858, S. 674; Adressbuch Dresden 1820, 1822f., 1826, 1831. Bernhard Beer, Der Tod des Frommen dient zur Verherrlichung Gottes! Gedächtniß-Predigt auf den am 28. April dieses Jahres verstorbenen Oberrabbiner der hiesigen israelitischen Gemeinde, Herrn Abraham Löwy, sel. And., Dresden 1835; Der Alte Jüdische Friedhof in Dresden, hrsg. von HATIKVA. Bildungs- und Begegnungsstätte für Jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e.V., Teetz 2002, S. 276, Grab-Nr. 31/01; A Jewish Youth in Dresden. The Diary of Louis Lesser, 1833-1837, hrsg. von Christopher R. Friedrichs, Bethesda 2011; Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte, S. 5 [Ms., Leo Baeck Institute Archive, LBI Memoir Collection, ME 316a].
Literatur Zacharias Frankel, Dr. Bernhard Beer. Ein Lebens- und Zeitbild, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 11/1862, Nr. 2, S. 41-56; Meyer Kayserling (Hg.), Bibliothek jüdischer Kanzelredner. Eine chronologische Sammlung der Predigten, Biographien und Charakteristiken der vorzüglichsten jüdischen Prediger, 2. Jg., Berlin 1872, S. 114f.; Emil Lehmann, Oberrabbiner, Vorsteher und Deputirte der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden nach urkundlichen Quellen. Dem verehrten Amtsgenossen, Herrn Gemeindevorsteher Joseph Bondi zum 25jährigen Vorstands-Jubiläum 7. August 1886 gewidmet, Dresden [1886]; ders., Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinde in Dresden. Erlebtes und Erlesenes, Dresden 1890, S. 14; Carsten Wilke, Den Talmud und Kant. Rabbinerausbildung an der Schwelle zur Moderne, Hildesheim 2003, S. 117. – Michael Brocke/Julius Carlebach (Hg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Teil 1: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781-1871, Bd. 2, München 2004, S. 633.
Daniel Ristau
3.9.2025
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Ristau, Artikel: Abraham Löwy,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27905 [Zugriff 5.11.2025].
Abraham Löwy
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 2360/08, Loc. 2377/03, 10079 Landesregierung, Loc. 31019/01, Loc. 31019/03, Loc. 31018/04, 10088 Oberkonsistorium, Loc. 01907/13, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 826c, Nr. 826d, 10747 Kreishauptmannschaft Dresden, Nr. 344, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 11131, Nr. 11137; Stadtarchiv Dresden, Ratsarchiv 2.1.3-C.XLII.147; Jüdisches Museum Frankfurt/Main, PSR B 045. – Dresdner Anzeiger 2.5.1835, S. 3, 8.5.1835, S. 6; Allgemeine Zeitung des Judenthums 29.11.1858, S. 674; Adressbuch Dresden 1820, 1822f., 1826, 1831. Bernhard Beer, Der Tod des Frommen dient zur Verherrlichung Gottes! Gedächtniß-Predigt auf den am 28. April dieses Jahres verstorbenen Oberrabbiner der hiesigen israelitischen Gemeinde, Herrn Abraham Löwy, sel. And., Dresden 1835; Der Alte Jüdische Friedhof in Dresden, hrsg. von HATIKVA. Bildungs- und Begegnungsstätte für Jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e.V., Teetz 2002, S. 276, Grab-Nr. 31/01; A Jewish Youth in Dresden. The Diary of Louis Lesser, 1833-1837, hrsg. von Christopher R. Friedrichs, Bethesda 2011; Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte, S. 5 [Ms., Leo Baeck Institute Archive, LBI Memoir Collection, ME 316a].
Literatur Zacharias Frankel, Dr. Bernhard Beer. Ein Lebens- und Zeitbild, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 11/1862, Nr. 2, S. 41-56; Meyer Kayserling (Hg.), Bibliothek jüdischer Kanzelredner. Eine chronologische Sammlung der Predigten, Biographien und Charakteristiken der vorzüglichsten jüdischen Prediger, 2. Jg., Berlin 1872, S. 114f.; Emil Lehmann, Oberrabbiner, Vorsteher und Deputirte der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden nach urkundlichen Quellen. Dem verehrten Amtsgenossen, Herrn Gemeindevorsteher Joseph Bondi zum 25jährigen Vorstands-Jubiläum 7. August 1886 gewidmet, Dresden [1886]; ders., Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinde in Dresden. Erlebtes und Erlesenes, Dresden 1890, S. 14; Carsten Wilke, Den Talmud und Kant. Rabbinerausbildung an der Schwelle zur Moderne, Hildesheim 2003, S. 117. – Michael Brocke/Julius Carlebach (Hg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Teil 1: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781-1871, Bd. 2, München 2004, S. 633.
Daniel Ristau
3.9.2025
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Ristau, Artikel: Abraham Löwy,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27905 [Zugriff 5.11.2025].