Robert Grötzsch
G. erlernte den Klempnerberuf, ging nach dem Abschluss seiner Ausbildung auf Wanderschaft und schloss sich der sozialistischen Jugendbewegung an. Seine geistigen Interessen galten der Literatur und dem Theater. Ihn faszinierte die Macht des Worts, was sich in seinem tiefen Vertrauen in die Ausdruckskraft der Sprache widerspiegelte. Er wollte den moralischen Überzeugungswert literarischer Formen erproben, wie er sie u.a. in Werken von
Jonathan Swift, Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich von Schiller oder
Heinrich Heine vorfand. Als sich G. 1905 in der Redaktion der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ (ab 1.5.1908 „Dresdner Volkszeitung“) vorstellte, um seine ersten literarischen Versuche zu veröffentlichen, lernte er den Lyriker und Redakteur Franz Diederich kennen. Diederich war einflussreicher Journalist und sozialdemokratischer Kulturpolitiker, der später neben G. auch dessen Freund Edgar Hahnewald förderte. 1906 war G. bereits Redakteur der „Sächsischen Arbeiterzeitung“. Er machte sich mit dem weitverzweigten Pressewesen vertraut und arbeitete an allen Sparten des Blatts mit. Neben Franz Mehring,
Hermann Wendel und
Edwin Hoernle war er 1908 bis 1913 als Rezensent der „Neuen Zeit“ tätig. Gemeinsam mit Hahnewald leitete G. 1918/19 das Presseamt des Dresdner Arbeiter- und Soldatenrats. 1919 übernahm er von Georg Gradnauer den Posten als Chefredakteur der „Dresdner Volkszeitung“, den er bis 1933 ausübte. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ wurde G. verfolgt und musste Deutschland im März 1933 verlassen. Er floh zunächst nach Prag und arbeitete beim dortigen Wochenblatt „Der Neue Vorwärts“ mit. Seine Artikel veröffentlichte er unter dem Pseudonym Bruno Brandy. Am 23.3.1938 wurde er gemeinsam mit seiner Ehefrau ausgebürgert und folgte im selben Jahr dem „Neuen Vorwärts“ nach Paris. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs kam G. in ein französisches Internierungslager. Nach der Freilassung floh er vor den vorrückenden deutschen Truppen nach Südfrankreich, wo er auch seine Frau wiederfand. Über die Pyrenäen, durch Spanien und Portugal erreichten sie schließlich Lissabon und gelangten von dort aus im Januar 1941 in die USA. In New York arbeitete G. zunächst eine Zeit lang wieder als Klempner, bevor er später als Mitarbeiter der deutschsprachigen „Neuen Volkszeitung“ publizierte. – Größere Bedeutung erlangte G. durch sein Wirken als Schriftsteller. Durch seine journalistische Arbeit in Dresden fand er schnell unmittelbaren Kontakt zum dortigen Kaden-Verlag, der um die Jahrhundertwende mit der Produktion von Kinderbüchern begann und 1908 G.s „Nauckes Luftreise und andere Wunderlichkeiten“, illustriert von
Robert Langbein, veröffentlichte. G.s phantastisch-realistische „Geschichten für Arbeiterkinder“ aus demselben Jahr sind eines der frühesten Zeugnisse proletarischer Kinderliteratur, deren profiliertester Wegbereiter er wurde. 1913 veröffentlichte G. sein zweites Kinderbuch im Kaden-Verlag: „Muz der Riese. Ein heiteres Abenteuermärchen“ mit Illustrationen von Georg Erler. Die zeitgenössische Literaturkritik verstand dieses Buch als „modernen Gulliver“ und nahm es durchweg freundlich auf. Zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg ist G.s Kinderbuchschaffen mit seinem Ansatz, „Geschichten für Arbeiterkinder“ zu schreiben, als einzigartig anzusehen. Mit seinem Œvre schuf er bewusst eine Alternative zu den bürgerlichen Jugendschriften dieser Zeit. Trotz märchenhafter Einkleidung entführten diese Geschichten ihre Leser nicht in lebensferne Welten, sondern handelten in Alltag und Gegenwart. Märchenphantasie wurde somit zur Gesellschaftskritik genutzt und die Literaturform des herkömmlichen Märchens zum sozialen Zeitdokument umfunktioniert. – Sein erfolgreiches Kinderbuchschaffen ermunterte G., auch für Erwachsene zu schreiben. Nach dem Erzählband „Verschrobenes Volk“ (1912) veröffentlichte er die Kleinbürgerkomödie „Dyckerpotts Erben“, die auf 150 deutschen Bühnen - im Staatsschauspielhaus Dresden sogar noch nach 1945 - aufgeführt und auch verfilmt wurde. In seiner Dresdner Zeit folgten „Die Kohlenzille“ (1917), eine Sammlung von Prosaerzählungen, die satirischen Geschichten „Sächsische Leute“ (1924) sowie das Spiel in drei Akten „Journalist über Bord“ (1930). In seinem Prager Exil schrieb er u.a. den Roman „Wir suchen ein Land“ (1936), der Emigrantenschicksale schildert, sowie das Drama „Gerechtigkeit. 14 Bilder aus einem Freiheitskampf“ (1936), das den Widerstand der österreichischen Arbeiter gegen den Staatsstreich von
Engelbert Dollfuß 1934 thematisiert.
Werke Nauckes Luftreise und andere Wunderlichkeiten. Geschichten für Arbeiterkinder, Dresden 1908 (ND Berlin 1986); Verschrobenes Volk und andere Geschichten, Berlin 1912; Muz der Riese, Dresden 1913, ³1927; Dyckerpotts Erben, Berlin 1917 (ND Norderstedt 1994 [niederdt.]); Die Kohlenzille und andere Erzählungen, Berlin 1917, ²1920; Volk und Verfassung, Dresden 1922; Der Zauberer Burufu, Berlin 1922, Dresden 1923 (ND Chicago 1997 [engl.]); Sächsische Leute, Berlin 1924; Journalist über Bord, Berlin 1930; Gerechtigkeit, Bratislava 1936; Wir suchen ein Land, Bratislava 1936; Tormann Bobby, Bratislava 1938.
Literatur K. Ullrich, Eine Stunde mit Robert G., [1947]; H. Bertlein, Das geschichtliche Buch für die Jugend, Frankfurt/Main 1974, S. 72-74; M. Beck u.a., Exil und Asyl, Berlin 1981, S. 335; R. Wild (Hg.), Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur, Stuttgart 2002, S. 215f., 257. – DBA II, III; F. Osterroth, Biographisches Lexikon des Sozialismus, Hannover 1960, S. 104f. (P); W. Sternfeld/E. Tiedemann, Deutsche Exil-Literatur 1933-1945, Heidelberg ²1970, S. 181; Kürschners Deutscher Literaturkalender, Nekrolog 1936-1970, Berlin 1973 (ND München 1998), S. 220; W. Röder/H. A. Strauss (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1, München 1980, S. 242; H. Drust, G., Robert, in: Lexikon Sozialistischer Literatur, Stuttgart/Weimar 1994, S. 180f.; N. Weiß/J. Wonneberger, Dichter, Denker, Literaten in Dresden, Dresden 1997, S. 65; F. Stimmel u.a., Stadtlexikon Dresden, Dresden ²1998, S. 167; M. Altner, Sächsische Lebensbilder, Radebeul 2001, S. 134f. (P).
Porträt Robert G., M. Fischer, um 1917, Fotografie, in: Salonblatt, 12. Jg., Nr. 15, 17.04.1917, S. 330, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Manfred Altner
14.5.2012
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Altner, Artikel: Robert Grötzsch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18051 [Zugriff 2.11.2024].
Robert Grötzsch
Werke Nauckes Luftreise und andere Wunderlichkeiten. Geschichten für Arbeiterkinder, Dresden 1908 (ND Berlin 1986); Verschrobenes Volk und andere Geschichten, Berlin 1912; Muz der Riese, Dresden 1913, ³1927; Dyckerpotts Erben, Berlin 1917 (ND Norderstedt 1994 [niederdt.]); Die Kohlenzille und andere Erzählungen, Berlin 1917, ²1920; Volk und Verfassung, Dresden 1922; Der Zauberer Burufu, Berlin 1922, Dresden 1923 (ND Chicago 1997 [engl.]); Sächsische Leute, Berlin 1924; Journalist über Bord, Berlin 1930; Gerechtigkeit, Bratislava 1936; Wir suchen ein Land, Bratislava 1936; Tormann Bobby, Bratislava 1938.
Literatur K. Ullrich, Eine Stunde mit Robert G., [1947]; H. Bertlein, Das geschichtliche Buch für die Jugend, Frankfurt/Main 1974, S. 72-74; M. Beck u.a., Exil und Asyl, Berlin 1981, S. 335; R. Wild (Hg.), Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur, Stuttgart 2002, S. 215f., 257. – DBA II, III; F. Osterroth, Biographisches Lexikon des Sozialismus, Hannover 1960, S. 104f. (P); W. Sternfeld/E. Tiedemann, Deutsche Exil-Literatur 1933-1945, Heidelberg ²1970, S. 181; Kürschners Deutscher Literaturkalender, Nekrolog 1936-1970, Berlin 1973 (ND München 1998), S. 220; W. Röder/H. A. Strauss (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1, München 1980, S. 242; H. Drust, G., Robert, in: Lexikon Sozialistischer Literatur, Stuttgart/Weimar 1994, S. 180f.; N. Weiß/J. Wonneberger, Dichter, Denker, Literaten in Dresden, Dresden 1997, S. 65; F. Stimmel u.a., Stadtlexikon Dresden, Dresden ²1998, S. 167; M. Altner, Sächsische Lebensbilder, Radebeul 2001, S. 134f. (P).
Porträt Robert G., M. Fischer, um 1917, Fotografie, in: Salonblatt, 12. Jg., Nr. 15, 17.04.1917, S. 330, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Manfred Altner
14.5.2012
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Altner, Artikel: Robert Grötzsch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18051 [Zugriff 2.11.2024].