Joseph Ferdinand Müller
Indem der als „Afterkomödiant“ und „Pöbelprinzipal“ bekannte M. sein Erbe auf das Haacksche Privileg einklagte und dadurch den Neubers die kursächsischen Konzessionen abrang, verhalf er dem Harlekin auf dem deutschen Theater zu einem seiner letzten großen Siege im Umfeld der aufklärerischen Theaterreformen. – Das erste Mal findet M. als kursächsischer und königlich polnischer Hofkomödiant in der Haackschen Schauspielergesellschaft namentlich Erwähnung, wo er an der Seite von Friedrich Kohlhardt,
Karl Ludwig Hoffmann, Sophie Julie und Johann Caspar Haack, dem Ehepaar Lorenz sowie von Friederike Caroline und Johann Neuber auftrat. Nach dem Tod des Prinzipals und erfolgreichen Harlekinspielers Haack 1722 wurde das kursächsische Patent per Kabinettsbefehl auf dessen Witwe Sophie Julie übertragen. Unter ihrer Direktion heiratete M.
Susanne Katherine Elenson, eine Tochter der Prinzipalin aus erster Ehe, und übernahm den frei gewordenen Part des Harlekins. Vom raschen Aufstieg und Erfolg des Müllerschen Harlekins zeugt ein spielkartengroßer Druck von 1723, der während eines Augsburger Gastspiels vom ortsansässigen Kupferstecher
Elias Baeck angefertigt wurde. 1725, nach dem Tod von Sophie Julie Haack, löste sich die Haacksche Bande unter der Leitung ihres letzten Ehemanns Karl Ludwig Hoffmann schnell auf. Hoffmann, der das Unternehmen binnen eines Jahrs in den Ruin getrieben hatte, setzte sich bei einem Auftrittsbesuch in Hamburg von der Gesellschaft ab. M. und seine Frau gingen als Hofschauspieler bei Herzog
August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel unter Vertrag. Auch die Neubers kehrten der zersplitterten Gesellschaft den Rücken, nutzten aber das Vakuum, um vom sächsischen Hof das ehemalige Haacksche Privileg zu erwirken. In den darauffolgenden Jahren gelangten die Neubers mit ihrer Bande und das Ehepaar Müller, das ab 1728 mit einem eigenen Unternehmen die oberdeutsche Theaterkultur belebte, nicht nur geografisch und aufführungstechnisch wiederholt in Konkurrenz zueinander. Die beiden Lager vertraten auch ideell völlig entgegengesetzte Positionen. Während M. auf die kraftvollen Zaubereien und derb-komischen Zoten des Harlekins setzte, sagte die Neuberin mit Johann Christoph Gottscheds geistigem Beistand der italienischen Figur ebenso den Kampf an wie seinem deutschen Spießgesellen Hanswurst. Doch das Publikum entschied zugunsten des Harlekins. Ihren Höhepunkt erreichten die Rivalitäten, nachdem die Müllers mit ansehen mussten, wie ihnen die Neubers sowohl in Braunschweig als auch in Hamburg den Marktplatz und die Vorrechte abrangen. In einer anderen Frage waren wiederum die Müllers erfolgreich. Da das Ehepaar Neuber nach dem Tod des Kurfürsten Friedrich August I. (August II., der Starke) im Februar 1733 die Erneuerung seines kursächsischen Privilegs vernachlässigte, kamen die Müllers auf das ihnen zustehende Haacksche Erbe zurück und ersuchten Kurfürst Friedrich August II. (August III.) in einem Schreiben vom 7.8.1733, stattdessen ihnen dieses Privileg auszustellen. Während die Neubers gerade den Norden Deutschlands bereisten und sich ganz offensichtlich der Erneuerung ihres sächsischen Dekrets sicher fühlten, wurde das Privileg für Kursachsen auf Verfügung der Landesregierung in Dresden am 8.9.1733 dem Ehepaar Müller zugesprochen. Dennoch musste das siegreiche Gespann erkennen, dass das strategisch wichtige Leipziger Fleischhaus den Rivalen bereits 1732 auf drei Jahre verpachtet worden war. Da sie zudem befürchten mussten, dass der Rat auch zwei privilegierte Banden zuließ, richteten sie am 26.9.1733 ein sechsseitiges Dossier an den Landesherrn und bezogen sich dabei auf Ereignisse aus dem Jahr 1726. Demnach hätten die Neubers nach Sophie Julie Haacks Tod nicht nur deren zwei jüngste Kinder entführt, sondern diese noch dazu statt römisch-katholisch nun evangelisch erzogen; v.a. hätten sie sich angemaßt, die Haacksche Truppe mitsamt dem kurfürstlichen Privileg zu übernehmen, obwohl doch M.s Frau als Sophie Julie Haacks Erbin dazu eher berechtigt gewesen wäre. Ob tatsächlich der Vorwurf der Kindesentführung zum Zwecke der Apostasie die Urteilsfindung des katholischen Herrscherpaars beeinflusste, ist nicht eindeutig geklärt. Sicher ist hingegen, dass M. am 9.7.1734, ungeachtet des laufenden Vertrags mit den Neubers, offiziell die Aufführungsrechte für das Fleischhaus übertragen wurden. Fortan spielte M. mit seiner Gesellschaft regelmäßig in Dresden und wird noch 1756 im Staatskalender als Hofkomödiant erwähnt.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 1424, Bl. 33r-34r, 42v-52v.
Werke Die Glückseligkeit Pohlens und Sachsens unter der glorwürdigen Regierung des … Augustus III. …, Leipzig 1737.
Literatur J. F. Schütze, Hamburgische Theater-Geschichte, Hamburg 1794 (ND Leipzig 1975); M. Fürstenau, Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden, Bd. 2, Dresden 1862 (ND Leipzig 1979); F. J. v. Reden-Esbeck, Caroline Neuber und ihre Zeitgenossen, Leipzig 1881 (ND Berlin 1985), S. 52, 143f.; G. Wustmann, Zur Geschichte des Theaters in Leipzig 1665-1800, in: ders. (Hg.), Quellen zur Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 1, Leipzig 1889, S. 457-493; G. Hansen, Formen der Commedia dell’Arte in Deutschland, Emsdetten 1984; B. Rudin, Venedig im Norden oder: Harlekin und die Buffonisten, Reichenbach/Vogtland 2000.
Katy Schlegel
25.4.2012
Empfohlene Zitierweise:
Katy Schlegel, Artikel: Joseph Ferdinand Müller,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22758 [Zugriff 2.11.2024].
Joseph Ferdinand Müller
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Geheimes Kabinett, Loc. 1424, Bl. 33r-34r, 42v-52v.
Werke Die Glückseligkeit Pohlens und Sachsens unter der glorwürdigen Regierung des … Augustus III. …, Leipzig 1737.
Literatur J. F. Schütze, Hamburgische Theater-Geschichte, Hamburg 1794 (ND Leipzig 1975); M. Fürstenau, Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden, Bd. 2, Dresden 1862 (ND Leipzig 1979); F. J. v. Reden-Esbeck, Caroline Neuber und ihre Zeitgenossen, Leipzig 1881 (ND Berlin 1985), S. 52, 143f.; G. Wustmann, Zur Geschichte des Theaters in Leipzig 1665-1800, in: ders. (Hg.), Quellen zur Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 1, Leipzig 1889, S. 457-493; G. Hansen, Formen der Commedia dell’Arte in Deutschland, Emsdetten 1984; B. Rudin, Venedig im Norden oder: Harlekin und die Buffonisten, Reichenbach/Vogtland 2000.
Katy Schlegel
25.4.2012
Empfohlene Zitierweise:
Katy Schlegel, Artikel: Joseph Ferdinand Müller,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22758 [Zugriff 2.11.2024].