Alfred Löckle

Nach dem Besuch der Evangelischen Seminare im ehemaligen Zisterzienserkloster Schöntal und in Bad Urach und dem Abitur 1896 leistete L. ein Jahr lang den Militärdienst ab. Danach studierte er als Stipendiat des Evangelischen Stifts an der Universität Tübingen Philosophie und Philologie mit dem Ziel, Theologe bzw. Pädagoge zu werden. 1900 wechselte er die Fachrichtung und nahm das Studium der deutschen Geschichte und Geografie in München auf. Zwei Jahre später promovierte er wiederum in Tübingen mit der Arbeit „Beiträge zur Geschichte Konrads von Weinsberg“. Seinen beruflichen Werdegang begann L. als Erzieher bei der Familie des Kaiserlichen Oberstallmeisters Ernst August Graf von Wedel in Berlin. Als weitere Stationen folgten 1903 eine Anstellung als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der staatlichen Kaiser-Wilhelm-Bibliothek in Posen (poln. Poznań), 1905 eine Tätigkeit als Zweiter Bibliothekar an der Universitätsbibliothek in Rostock sowie 1907 zunächst als Hilfsbibliothekar und ab 1908 als Leiter der Stadtbibliothek und des Stadtarchivs in Ulm. Während seiner Amtszeit führte er einen maschinengeschriebenen Zettelkatalog ein. In seiner Funktion als Direktor des Stadtarchivs begann er 1912 mit einer Wappensammlung und der Einrichtung einer Sondersammlung von Autografen. Letztere umfasste circa 350 Dokumente. Heute wird sie zusammen mit der älteren Sammlung „Georg Veesenmeyer“ als „Neue Ordnung“ fortgeführt. 1913 wurde er Direktor der Stadtbücherei in Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal) und ehrenamtlicher Leiter der dortigen Volkshochschule. Die Elberfelder Stadtbücherei zählte damals zu einer der modernsten Bibliotheken Deutschlands. Verdienste erwarb sich L. durch den systematischen Ausbau der wissenschaftlichen Bücherbestände, die Anlage eines exakten Katalogwerks und die Einrichtung einer vorbildlichen Handbücherei für den Lesesaal. Er sah in der Büchereiarbeit einen wichtigen Faktor des Volksbildungswesens. Als Verfechter der sog. Einheitsbücherei der „Essener“ bzw. „Stettiner Richtung“ lehnte er Walter Hofmanns sozialpädagogische Grundsätze und die zu ihrer Umsetzung entwickelten bibliothekstechnischen Methoden ab. Er gehörte zu den Unterzeichnern des offenen Briefs (1913) an Hofmann, der den jahrelangen „Richtungsstreit“ im deutschen öffentlichen Bibliothekswesen auslöste. Seit 1924 wirkte L. als Direktor der Städtischen Bücherei und Lesehalle in Dresden. In dieser Funktion führte er auch Verhandlungen mit der Zentralstelle für freies Volksbildungswesen im sächsischen Ministerium für Volksbildung über die Anerkennung der Städtischen Bücherei und Lesehalle als Ausbildungsstätte für Praktikanten mit staatlicher Prüfungsberechtigung. Hofmann betrachtete dies als Gefährdung seines Leipziger Bibliotheksmodells sowie Prüfungsmonopols und so entbrannte der „Dresdner Büchereikonflikt“ (1926), der zu einem erbitterten Streit bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen L. und Hofmann führte. 1928 erreichte L. die Anerkennung der Städtischen Bücherei als Fachschule für die Ausbildung von Bibliothekaren für den eigenen Dienstgebrauch unter Aufsicht des Schulamts. Unter seiner Ägide wurde im Oktober 1925 die Musikbibliothek eröffnet, 1926 die Errichtung einer Handbibliothek mit einem Bestand von 1.700 neu erworbenen Bänden im Allgemeinen Lesesaal vorangetrieben und durch wechselseitige Beratungen zum Bestandsaufbau sowie die Einrichtung eines Stadtkurierdiensts eine Zusammenarbeit mit der Sächsischen Landesbibliothek aufgenommen. 1927 initiierte er den Aufbau einer zentral verwalteten Fahrbibliothek mit einem systematisch aufgebauten Bücherbestand und ausgebildetem Personal. Diese wurde im September 1929 in Betrieb genommen und war die erste ihrer Art in Deutschland. Ferner wurden die hauptamtlich geführte Zweigstelle Städtische Bücherei und Lesehalle Nord-West im Arbeiterstadtteil Pieschen (Eröffnung am 1.9.1930) sowie die Zweigstellen West und Loschwitz (Eröffnung am 14.2. bzw. am 1.1.1931) eingerichtet. Im April 1933 wurde L. - unter Berufung auf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 - seiner Aufgaben entbunden und zunächst beurlaubt. Sein Versuch, im Sommer 1933 auf die von den Nationalsozialisten eingeleiteten Einsparungs- und Strukturveränderungen zu reagieren, scheiterte. So hatte er u.a. die Schließung der Freien öffentlichen Bibliothek Dresden-Plauen (seit Juli 1920 Zweigstelle Plauen, Ida-Bienert-Stiftung) und die Überführung der Bibliotheksleitung in kommissarische Hände vorgeschlagen. Am 1.10.1933 wurde er - wohl mit der Begründung fehlender „politischer Zuverlässigkeit“ - unter Gewährung des Ruhegehalts zwangspensioniert. Ab Oktober 1937 lebte er in München. – L.s Amtszeit in Dresden stand im Zeichen knapper Haushaltsmittel. Dennoch gelang es ihm, durch den Ausbau des Bibliotheksnetzes und den planmäßigen Aufbau des Sachbuchbestands den steigenden Ansprüchen und Bedürfnissen der wachsenden Leserschaft besser gerecht zu werden. Er leistete damit einen wichtigen Beitrag in der Entwicklung des städtischen Büchereiwesens.

Quellen Evangelisches Kirchenregister Böblingen; Kirchenregisteramt Marbach; Stadtarchiv Kirchheim/Teck; Archiv des Evangelischen Stifts Tübingen; Eberhard Karls Universität Tübingen, Universitätsarchiv; Friedhofsverwaltung Tübingen; Stadtarchiv München; Archiv der Stadtbibliothek Wuppertal (Bildquelle); Stadtarchiv Dresden, Schulamt Aktenverzeichnis III; Archiv der Stadtbibliothek Dresden.

Werke Beiträge zur Geschichte Konrads von Weinsberg, Diss. Tübingen 1902; Briefe Schellings und anderer Philosophen, in: Süddeutsche Monatshefte 10/1912, S. 577-591; (Hg.), Ernst Rietschel, Dresden 1935 (ND 1954, Berlin 21963).

Literatur Kleine Mitteilungen, in: Bücherei und Bildungspflege 3/1923, S. 61; [Alfred L.], in: Jahrbuch der deutschen Bibliotheken 23/24/1933, S. 229; Stadttore zur Medienwelt, hrsg. von den Städtischen Bibliotheken Dresden, Altenburg 2006 (P, WV). – DBA III; Handbuch der praktischen Genealogie, Bd. 1, Leipzig 21913 (ND Neustadt/Aisch 1971), S. 149; G. Lüdtke (Hg.), Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender, Berlin u.a. 41931, Sp. 1769; H. A. L. Degener (Hg.), Wer ist’s?, Berlin 101935, S. 987; A. Habermann/R. Klemmt/F. Siefkes, Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985, S. 198; F. Raberg, Biografisches Lexikon für Ulm und Neu-Ulm, [Ostfildern] 2010, S. 247.

Christiane Schastok
25.03.2014


Empfohlene Zitierweise:
Christiane Schastok, Artikel: Alfred Löckle,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25036 [Zugriff 16.5.2024].

Alfred Löckle



Quellen Evangelisches Kirchenregister Böblingen; Kirchenregisteramt Marbach; Stadtarchiv Kirchheim/Teck; Archiv des Evangelischen Stifts Tübingen; Eberhard Karls Universität Tübingen, Universitätsarchiv; Friedhofsverwaltung Tübingen; Stadtarchiv München; Archiv der Stadtbibliothek Wuppertal (Bildquelle); Stadtarchiv Dresden, Schulamt Aktenverzeichnis III; Archiv der Stadtbibliothek Dresden.

Werke Beiträge zur Geschichte Konrads von Weinsberg, Diss. Tübingen 1902; Briefe Schellings und anderer Philosophen, in: Süddeutsche Monatshefte 10/1912, S. 577-591; (Hg.), Ernst Rietschel, Dresden 1935 (ND 1954, Berlin 21963).

Literatur Kleine Mitteilungen, in: Bücherei und Bildungspflege 3/1923, S. 61; [Alfred L.], in: Jahrbuch der deutschen Bibliotheken 23/24/1933, S. 229; Stadttore zur Medienwelt, hrsg. von den Städtischen Bibliotheken Dresden, Altenburg 2006 (P, WV). – DBA III; Handbuch der praktischen Genealogie, Bd. 1, Leipzig 21913 (ND Neustadt/Aisch 1971), S. 149; G. Lüdtke (Hg.), Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender, Berlin u.a. 41931, Sp. 1769; H. A. L. Degener (Hg.), Wer ist’s?, Berlin 101935, S. 987; A. Habermann/R. Klemmt/F. Siefkes, Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985, S. 198; F. Raberg, Biografisches Lexikon für Ulm und Neu-Ulm, [Ostfildern] 2010, S. 247.

Christiane Schastok
25.03.2014


Empfohlene Zitierweise:
Christiane Schastok, Artikel: Alfred Löckle,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25036 [Zugriff 16.5.2024].