Wolfgang Balzer

B. war der erste Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nach dem Zweiten Weltkrieg. Zweimal - damals wie schon in der Weimarer Republik - war er Direktor des Kunstgewerbemuseums und wurde ebenso oft aus politischen Gründen entlassen, erst im Nationalsozialismus und dann noch einmal in der DDR. – Nach dem Besuch der Volksschule und des Realgymnasiums in Dresden-Neustadt, wo er 1903 die Reifeprüfung ablegte, studierte B. an den Universitäten in Tübingen, München und Leipzig Kunst- und Literaturwissenschaft, Neuere Sprachen und Philosophie. 1907 wurde er als Schüler von August Schmarsow in Leipzig mit einer Arbeit über „Gustave Planche. Eine Untersuchung zur Geschichte der französischen Kunstkritik im 19. Jahrhundert“ promoviert. Anschließend verbrachte er einen längeren Studienaufenthalt in Paris, bevor er seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger leistete. Ab 1910 arbeitete B. als Kunstreferent für die Leipziger Volkszeitung. Mehrere Studienreisen führten ihn damals nach Frankreich, Belgien und in die Schweiz. Nach dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg war er bis 1923 als Feuilleton-Redakteur der SPD-Tageszeitung „Freie Presse“ in Leipzig tätig und schrieb auch für andere Tageszeitungen. Darüber hinaus wirkte er als Literarischer Beirat an den Städtischen Bücherhallen Leipzig und arbeitete als Dozent an den Volkshochschulen in Leipzig und Dresden. Im Oktober 1923 wurde B. zum Direktor des Kunstgewerbemuseums in Dresden berufen, das damals der Kunstgewerbeakademie angegliedert war. So hielt er ab 1926 auch Vorträge an der Akademie. Im März 1933 wurde B. wegen seines Engagements für die SPD für einige Tage von den Nationalsozialisten verhaftet. Zum 1.12.1933 wurde er aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in den Ruhestand versetzt. Die ihm dabei belassenen Pensionsansprüche ermöglichten B. in den Folgejahren bis zum Kriegsbeginn 1939 regelmäßig mehrwöchige Aufenthalte in Zürich und Paris, wo er zur neueren Französischen Grafik, wie Honoré Daumier, und zur Europäischen Malerei forschte. Auch fertigte er Übersetzungen aus dem Französischen an. Vom Kulturleben und von öffentlichen Veranstaltungen in Dresden hielt er sich jedoch fern. Durch den Luftangriff auf Dresden am 13.2.1945 verlor B. sowohl seine private Kunstsammlung als auch sein wissenschaftliches Material. Kurz nach Kriegsende, noch im Mai 1945, wurde B. - nachdem sich sein von den Nationalsozialisten eingesetzter Nachfolger im Amt, Fritz Fichtner, nach Bayern abgesetzt hatte - mit der kommissarischen Leitung des Kunstgewerbemuseums beauftragt. B. arbeitete an der Rückführung der Objekte von den Auslagerungsorten mit und erlebte deren Abtransport durch die sowjetischen Trophäenbrigaden. Im November 1945 zum Direktor des Kunstgewerbemuseums ernannt, sorgte B. mit seinem vielfältigen Engagement dafür, dass die Dresdner Sammlungen weiter existierten. Bereits im Sommer 1945 engagierte er sich erneut politisch und trat in die KPD ein, nach der Vereinigung von SPD und KPD im April 1946 war er Mitglied der SED. Im September 1946 wurde B. zum Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen ernannt. Drei Monate später wurde er zusätzlich mit dem Aufbau der Grafischen Sammlung und einer Zentralen Kunstbibliothek beauftragt. Darüber hinaus baute er das Barockmuseum Schloss Moritzburg auf, dessen Gründungsdirektor er ab Mai 1947 war. Mit Vehemenz setzte sich B. für die Übernahme des früheren Personals ein, denn ihm war bewusst, dass für die Fortführung der Museumsarbeit in der angespannten Situation der Nachkriegszeit eine gute Bestandskenntnis dringend erforderlich war. Doch ab Mai 1950 geriet B. selbst zunehmend in Schwierigkeiten und es kam zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen B. und seiner vorgesetzten Dienststelle, insbesondere mit Gertrud Rudloff-Hille vom Referat für Bildende Kunst im Ministerium für Volksbildung. Ende Januar 1951 wurde B., abermals politisch motiviert, entlassen. Drei Monate später wurde er wegen Untreue im Amt verhaftet. Die Ermittlungen gegen ihn hatten bereits 1950 begonnen. Gegenstand desselben war der von ihm im September 1945 vorgenommene Abtransport der Grafiksammlung von Friedrich August II. aus Schloss Moritzburg und deren Sicherstellung im Kunstgewerbemuseum. Der Haftbefehl wurde nach zwei Wochen aufgehoben und B. entlassen. Bemühungen um seine Wiedereinsetzung als Museumsdirektor scheiterte 1955. In den Folgejahren hielt B. Vorträge und publizierte rege. Auf Französische Kunst des späten 19. Jahrhunderts spezialisiert, interessierte er sich ebenfalls für die Werke seiner sächsischen Zeitgenossen und trug eine umfangreiche private Kunstsammlung mit über 3.500 Objekten sowie eine kunsthistorische Bibliothek zusammen, die als Vermächtnis an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden übergingen. Bereits 1961 hatte er dem Museum Bautzen 125 Gemälde Dresdner Künstler gestiftet.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 19117 Personalunterlagen sächsischer Behörden, Gerichte und Betriebe ab 1945, Personalakten LRS, Sammelbestand, Karton 1784, PA Wolfgang B.; Stadtarchiv Dresden, 6.4.25 Standesamt/Urkundenstelle, 3.2.2-45 Standesamt III, Personenstandsbuch, Geburtenregister 1894, Nr. 1475, 3.4.2-22 Standesamt III, Personenstandsbuch, Sterberegister 1886, Nr. 1552, 3.4.2-63 Standesamt III, Personenstandsbuch, Sterberegister 1906, Nr. 694, 41.3.25 Standesamt Blasewitz, Personenstandsbuch, Eheregister 1882, Nr. 23; 9.1.24 Städtisches Friedhofs- und Bestattungswesen - Krematorium Tolkewitz + Urnenhain, Einäscherungsregister 1932 (ancestry.de); Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftenabteilung, Mscr.Dresd.App.1689, Mscr.Dresd.App.2550; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Archiv, 01/KGM 5, 02/VA 41, Bd. 1/2.

Werke Gustave Planche. Eine Untersuchung zur Geschichte der französischen Kunstkritik im 19. Jahrhundert, Leipzig 1908; Paul Wilhelm. Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen aus den Jahren 1908-1948, Dresden 1948; Ludwig Richter. Frühe Zeichnungen 1823 bis 1826, Dresden 1954, 21955; Dresdner Galerie. 120 Meisterwerke des 15. bis 18. Jahrhunderts, Leipzig 1956, 71966; Josef Hegenbarth. Zeichnungen zu fünf Shakespeare-Dramen, Berlin/Köln 1957/1958; Der französische Impressionismus. Die Hauptmeister in der Malerei, Dresden 1958; Der junge Daumier und seine Kampfgefährten. Politische Karikatur in Frankreich 1830 bis 1835, Dresden 1965.

Literatur Thomas Rudert, Betrug und Untreue im Amt oder ethisch-moralisch gebotene Sicherung gefährdeter Kunstwerke? Wolfgang B. und die Grafiksammlung des sächsischen Königs Friedrich August II., in: Dresdener Kunstblätter 54/2010, H. 2, S. 116-126 (P); Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2020, S. 262-264 (P). – DBA II.

Porträt Wolfgang Balzer, Fotografie, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Album Max Hahn, Inventar-Nr. Album Hahn 31r (Bildquelle).

Karin Müller-Kelwing
3.1.2022


Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Wolfgang Balzer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/324 [Zugriff 2.11.2024].

Wolfgang Balzer



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 19117 Personalunterlagen sächsischer Behörden, Gerichte und Betriebe ab 1945, Personalakten LRS, Sammelbestand, Karton 1784, PA Wolfgang B.; Stadtarchiv Dresden, 6.4.25 Standesamt/Urkundenstelle, 3.2.2-45 Standesamt III, Personenstandsbuch, Geburtenregister 1894, Nr. 1475, 3.4.2-22 Standesamt III, Personenstandsbuch, Sterberegister 1886, Nr. 1552, 3.4.2-63 Standesamt III, Personenstandsbuch, Sterberegister 1906, Nr. 694, 41.3.25 Standesamt Blasewitz, Personenstandsbuch, Eheregister 1882, Nr. 23; 9.1.24 Städtisches Friedhofs- und Bestattungswesen - Krematorium Tolkewitz + Urnenhain, Einäscherungsregister 1932 (ancestry.de); Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftenabteilung, Mscr.Dresd.App.1689, Mscr.Dresd.App.2550; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Archiv, 01/KGM 5, 02/VA 41, Bd. 1/2.

Werke Gustave Planche. Eine Untersuchung zur Geschichte der französischen Kunstkritik im 19. Jahrhundert, Leipzig 1908; Paul Wilhelm. Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen aus den Jahren 1908-1948, Dresden 1948; Ludwig Richter. Frühe Zeichnungen 1823 bis 1826, Dresden 1954, 21955; Dresdner Galerie. 120 Meisterwerke des 15. bis 18. Jahrhunderts, Leipzig 1956, 71966; Josef Hegenbarth. Zeichnungen zu fünf Shakespeare-Dramen, Berlin/Köln 1957/1958; Der französische Impressionismus. Die Hauptmeister in der Malerei, Dresden 1958; Der junge Daumier und seine Kampfgefährten. Politische Karikatur in Frankreich 1830 bis 1835, Dresden 1965.

Literatur Thomas Rudert, Betrug und Untreue im Amt oder ethisch-moralisch gebotene Sicherung gefährdeter Kunstwerke? Wolfgang B. und die Grafiksammlung des sächsischen Königs Friedrich August II., in: Dresdener Kunstblätter 54/2010, H. 2, S. 116-126 (P); Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2020, S. 262-264 (P). – DBA II.

Porträt Wolfgang Balzer, Fotografie, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Album Max Hahn, Inventar-Nr. Album Hahn 31r (Bildquelle).

Karin Müller-Kelwing
3.1.2022


Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Wolfgang Balzer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/324 [Zugriff 2.11.2024].