Wolf Dohrn
D. trat zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kontext der Gründung der Gartenstadt Hellerau bei Dresden und der musikalisch-rhythmischen Bildungsanstalt für eine Lebens-, Arbeits- und Kunstkultur ein, die weltweit Beachtung fand. – Als Sohn eines deutschen Naturwissenschaftlers und einer russischen Geheimratstochter wuchs D. am Golf von Neapel mehrsprachig auf. 1889 schickte ihn die Familie im Alter von elf Jahren nach Deutschland, wo er nach mehreren Schulwechseln im Juli 1897 am Königlichen Wilhelms-Gymnasium in München die Reifeprüfung ablegte. Sein Studium der Germanistik, Philosophie, Psychologie, Ästhetik und Staatswissenschaften absolvierte D. in Berlin, Leipzig und München. Während der sieben Semester an der Universität Leipzig besuchte D. vorrangig die Veranstaltungen in germanischer Philologie bei den renommierten Professoren Albert Köster, Eduard Sievers und Wilhelm Wundt. Nach dem Studienortwechsel nach München arbeitete D. als Verantwortlicher für Politik und Volkswirtschaft bei der nationalsozialen Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst „Freistatt“, die
Thomas Mann,
Frank Wedekind,
Otto Julius Bierbaum,
Richard Dehmel und
Max Halbe zu ihren Autoren zählte. Seine linkspolitische Gesinnung und sein zunehmendes Interesse an den Formen ästhetischer Kommunikation ließen ihn im November 1904 von seinem Posten zurücktreten. 1907 übernahm D. bei den Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst die Aufgaben eines Generalsekretärs und zählte zu den Mitbegründern des am 8.10.1907 ins Leben gerufenen Deutschen Werkbunds, dessen Aktionsradius von der „öffentlichen Propaganda für das neue Kunstgewerbe“ bis zur „Förderung der Interessen deutscher Qualitätsarbeit“ (K. Lorenz) reichte. Im Kontext der Gartenstadtbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts widmete sich D. darüber hinaus mit Leidenschaft dem Vorhaben Karl Schmidts und Richard Riemerschmids, einen Wohn-, Lebens- und Arbeitsraum für die Familien der Arbeiter und Angestellten der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst sowie für interessierte Geschäftsleute und Kunsthandwerker zu schaffen. Es sollte eine Gartenstadt entstehen, in der sich die Bereiche Kunst, Handel und Ethik sowohl ästhetisch als auch praktisch miteinander verbanden. Der Grundstein zu den Hellerauer Werkstätten und zur Gartenstadt Hellerau wurde am 22.4.1909 gelegt, und bereits im folgenden Jahr wurde der Betrieb in den neuen Fabrikräumen aufgenommen. Doch dem idealistischen Schöngeist D., der mit der Errichtung Helleraus eine „Werkstatt neuer Menschlichkeit“ (K. Lorenz) schaffen wollte, fehlte ein kultureller Mittelpunkt, ein zentraler Ort der Integration, der Besinnlichkeit und der Verständigung. Begeistert von den Methoden des Genfer Komponisten und Begründers einer neuen Richtung der Musikerziehung Emile Jaques-Dalcroze sah er in der Errichtung einer musikalisch-rhythmischen Bildungsanstalt die Lösung. Bereits im Mai 1910 veranlasste D. die konstituierende Sitzung des Gründungskomitees. Unter Leitung des Dresdner Bürgermeisters
Paul Hermann Kretschmar wählte die Versammlung einen Unterausschuss, der die Institutionalisierung weiter verfolgen sollte (Vorsitzender dieses Ausschusses wurde der Generaldirektor des Hoftheaters Nikolaus Graf von Seebach). Für die Aktivitäten, die der Wiedergewinnung des Rhythmus in der Erziehung, in der Bildung der Persönlichkeit, in der Kunst und im Leben dienen sollten, schwebte D. ein zentraler Bau als äußeres Symbol der Gartenstadt vor. Anfang Oktober 1910 konnte D. den Architekten Heinrich Tessenow für die Realisierung der geplanten Bildungsanstalt gewinnen, und im November 1911 wurden die Unterrichtsräume des noch im Bau befindlichen Gebäudes eingeweiht. D.s plötzlicher Tod nach einem Skiunfall hat verhindert, sein Lebenswerk weiterzuverfolgen.
Werke Die künstlerische Darstellung als Problem der Ästhetik, Hamburg/Leipzig 1907; Die Gartenstadt Hellerau, Jena 1908.
Literatur K. Lorenz, Wolf D. Jahre der Reife (1907-1914), in: Wolf D., Die Gartenstadt Hellerau, Dresden 1992, S. 93-109; H.-J. Sarfert, Wolf D. Das Werden des Mäzens (1878-1906), in: ebd., S. 77-92. – NDB 22, S. 444f.
Katy Schlegel
26.6.2006
Empfohlene Zitierweise:
Katy Schlegel, Artikel: Wolf Dohrn,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23415 [Zugriff 22.11.2024].
Wolf Dohrn
Werke Die künstlerische Darstellung als Problem der Ästhetik, Hamburg/Leipzig 1907; Die Gartenstadt Hellerau, Jena 1908.
Literatur K. Lorenz, Wolf D. Jahre der Reife (1907-1914), in: Wolf D., Die Gartenstadt Hellerau, Dresden 1992, S. 93-109; H.-J. Sarfert, Wolf D. Das Werden des Mäzens (1878-1906), in: ebd., S. 77-92. – NDB 22, S. 444f.
Katy Schlegel
26.6.2006
Empfohlene Zitierweise:
Katy Schlegel, Artikel: Wolf Dohrn,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23415 [Zugriff 22.11.2024].