Wilhelm André

Mit A. stand 1874 bis 1896 nahezu 22 Jahre lang eine Persönlichkeit mit hoher Sachkompetenz und großem Engagement an der Spitze von Chemnitz, das in jenen Jahren einen mächtigen Aufschwung erlebte und sich zur Großstadt entwickelte. Nach der Revidierung der Städteordnung in Sachsen 1873 war A. das erste Chemnitzer Stadtoberhaupt, das als Oberbürgermeister amtierte. Große Verdienste erwarb er sich auch durch seinen Beitrag zum Ausbau des Rechtswesens. – Nach dem Besuch der Lateinschule seines Heimatorts und anschließend des Gymnasiums in Lingen studierte A. 1845 bis 1848 Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg und Göttingen. Im Herbst 1852 ließ er sich als Obergerichtsanwalt in Osnabrück nieder und wurde gleichzeitig Stadtsekretär beim dortigen Magistrat, später besoldeter Stadtrat und Stadtsyndikus. Während er sich in der städtischen Verwaltung mit der Sparkasse, der Belegung der Stiftungskapitalien und mit dem städtischen Bergwerk zu befassen hatte, trat er auf juristischem Gebiet durch Veröffentlichungen zum Privat-, Zivil- und Patentrecht hervor. Mehrfach beteiligte er sich 1860 (Berlin) bis 1888 (Stettin, poln. Szczecin) an den deutschen Juristentagen, teils in Form von Gutachten, teils durch persönliche Teilnahme an den Verhandlungen. Als Vorstandsmitglied und 1864 bis 1874 als Vorsitzender des landwirtschaftlichen Hauptvereins für das Fürstentum Osnabrück war A. maßgeblich an der Erarbeitung und Einführung von Gesetzen auf dem Gebiet des Wasserrechts sowie des Erb- und Familienrechts beteiligt. – Auf Veranlassung des deutschen Ingenieurvereins und als Vorstandsmitglied des 1874 gegründeten Deutschen Patentschutzvereins hatte A. großen Anteil sowohl am Zustandekommen des deutschen Patentgesetzes von 1877 als auch an der späteren Neubearbeitung des Gesetzes von 1891. Das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit mit dem Berliner Unternehmer Werner von Siemens, der sich bereits ab den 1860er-Jahren mit Briefen und Denkschriften für dieses Ziel eingesetzt hatte, war zunächst der Entwurf eines deutschen Patentgesetzes, der 1873 dem Internationalen Patentkongress auf der Wiener Weltausstellung vorgelegt und als „Entwurf des deutschen Ingenieur-Vereins“ bekannt wurde. 1874 begründete A. auf der Hauptversammlung des Vereins Deutscher Ingenieure die Bedeutung des Gesetzes nicht nur mit einem angemessenen Schutz des geistigen Eigentums der Erfinder, sondern v.a. mit der Notwendigkeit einer raschen Verbreitung von Neuerungen und damit der Beförderung des Fortschritts der Industrie. In der Folgezeit wurden die Bestrebungen zur Herstellung eines deutschen Patentschutzgesetzes in der Hauptsache vom Deutschen Patentschutzverein unter von Siemens’ Vorsitz getragen. Neben A. fungierten weitere juristische Gutachter wie Rudolf Klostermann aus Bonn und Joseph Rosenthal aus Berlin, sie wurden auch zu den Beratungen des Gesetzes im Reichstag hinzugezogen. – Am 19.10.1874 trat A. das Amt des Oberbürgermeisters von Chemnitz an und am 30.9.1880 erfolgte seine Wahl auf Lebenszeit. In dieser Funktion war er gleichzeitig Mitglied der Ersten Kammer des Sächsischen Landtags. In jenen Jahren gewann Chemnitz als Zentrum der Textilindustrie und des Maschinenbaus zunehmend an Bedeutung. Das wirtschaftliche Wachstum hatte ein sprunghaftes Ansteigen der Einwohnerzahl zur Folge. Während 1874 ca. 78.000 Menschen in Chemnitz lebten, waren es 1896 bereits 168.000. Der Kommunalpolitiker A. leistete einen bedeutsamen Beitrag zur Förderung von Handel, Industrie und Verkehr, zur Konsolidierung der Finanzsituation sowie zur Verschönerung der Stadt Chemnitz. So wurden während seiner Amtszeit die Verwaltung und das städtische Kassenwesen reorganisiert, die Finanzverhältnisse geordnet und der Grundstein für eine moderne und weitreichende Infrastruktur gelegt, die wiederum Voraussetzung für das weitere Expandieren von Industrie und Handel war. In seine Amtszeit fallen auch mehrere Großprojekte, die im Zusammenhang mit der enormen Vergrößerung der Stadt abgeschlossen werden konnten. Im Jahre 1879 wurde die bis dahin von einer Gesellschaft betriebene Gasanstalt von der Stadt erworben und ausgebaut. Im Frühjahr 1880 erfolgte die Inbetriebnahme der Straßenbahn, die - zunächst noch von Pferden gezogen - 1893/94 in eine elektrische Bahn umgewandelt wurde. Ein städtisches Elektrizitätswerk lieferte seit 1894 den ersten Strom. Der 1882/83 errichtete kommunale Schlacht- und Viehhof sowie die 1891 eingeweihte Markthalle trugen der Versorgung der Bevölkerung Rechnung. 1874 erhielt die Stadt ihr erstes Wasserwerk in Altchemnitz. Ein System von Hauswasserleitungen sowie die 1880 begonnene Talsperre Einsiedel sicherten die Wasserversorgung. Ein modernes Schleusensystem, das von 1870 bis 1879 zunächst im Stadtkern beginnend, in den folgenden Jahren über die Vorstädte hin ausgedehnt wurde, regelte die Abwässerbeseitigung. Es entstanden zwölf neue Schulgebäude und vier Kirchenbauten. – Als A. am 30.6.1896 im 69. Lebensjahr in den Ruhestand trat, wurde ihm in Würdigung seiner großen Verdienste das Ehrenbürgerrecht der Stadt Chemnitz verliehen. Auf dem Kaßberg tragen seit 1900 eine Straße und ein Platz seinen Namen. Auch die 1908 ihrer Bestimmung übergebene 19. Bezirksschule (heute Wilhelm-André-Gymnasium) wurde nach ihm benannt. Darüber hinaus ehrte ihn König Albert von Sachsen mit dem Titel Geheimer Regierungsrat. Zudem war er auch Komtur des Königlich-Sächsischen Verdienst- und des Albrechtsordens sowie Ritter anderer Orden. Für seine Verdienste um die Landwirtschaft seiner Heimat wurde A. zum korrespondierenden Mitglied des Vereins für Land- und Forstwirtschaft im Herzogtum Braunschweig, zum ordentlichen Mitglied der königlichen Landwirtschafts-Gesellschaft zu Celle und zum Ehrenmitglied der Oldenburgischen Landwirtschafts-Gesellschaft ernannt.

Quellen Stadtarchiv Chemnitz, Personalakten, Polizeimeldewesen, Rat der Stadt Chemnitz, Stadtverfassungssachen.

Werke Lebenserinnerungen: für meine Kinder geschrieben, Marburg 1901 (P).

Literatur P. Uhle (Hg.), Festschrift zum 750jährigen Jubiläum der Stadt Chemnitz, Chemnitz 1893, S. XXf. (P); Trauerfeier zu Ehren des Geheimen Regierungsrates Oberbürgermeister a. D. Dr. A., in: Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger (Morgenausgabe) 16.6.1903, S. 13; G. Dudek, A., Dr. jur. Wilhelm, in: Von André bis Zöllner, hrsg. vom Stadtarchiv Chemnitz, Radebeul 1998, S. 9 (P); J. Matzerath, Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Präsidenten und Abgeordnete von 1833 bis 1952, Dresden 2001, S. 37; M. Seckelmann, Industrialisierung, Internationalisierung und Patentrecht im Deutschen Reich 1871-1914, Frankfurt/Main 2006, S. 150f. – DBA II.

Porträt Wilhelm A., Öl auf Leinwand, Stadt Chemnitz, Galerie der Bürgermeister und Oberbürgermeister in der Wandelhalle des Neuen Rathauses (Bildquelle).

Gudrun Dudek
16.4.2012


Empfohlene Zitierweise:
Gudrun Dudek, Artikel: Wilhelm André,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/178 [Zugriff 2.11.2024].

Wilhelm André



Quellen Stadtarchiv Chemnitz, Personalakten, Polizeimeldewesen, Rat der Stadt Chemnitz, Stadtverfassungssachen.

Werke Lebenserinnerungen: für meine Kinder geschrieben, Marburg 1901 (P).

Literatur P. Uhle (Hg.), Festschrift zum 750jährigen Jubiläum der Stadt Chemnitz, Chemnitz 1893, S. XXf. (P); Trauerfeier zu Ehren des Geheimen Regierungsrates Oberbürgermeister a. D. Dr. A., in: Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger (Morgenausgabe) 16.6.1903, S. 13; G. Dudek, A., Dr. jur. Wilhelm, in: Von André bis Zöllner, hrsg. vom Stadtarchiv Chemnitz, Radebeul 1998, S. 9 (P); J. Matzerath, Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte. Präsidenten und Abgeordnete von 1833 bis 1952, Dresden 2001, S. 37; M. Seckelmann, Industrialisierung, Internationalisierung und Patentrecht im Deutschen Reich 1871-1914, Frankfurt/Main 2006, S. 150f. – DBA II.

Porträt Wilhelm A., Öl auf Leinwand, Stadt Chemnitz, Galerie der Bürgermeister und Oberbürgermeister in der Wandelhalle des Neuen Rathauses (Bildquelle).

Gudrun Dudek
16.4.2012


Empfohlene Zitierweise:
Gudrun Dudek, Artikel: Wilhelm André,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/178 [Zugriff 2.11.2024].