Valentin Weigel

W. wurde als mystisch-theosophischer Schriftsteller bekannt. Sein unspektakuläres Leben steht in deutlichem Kontrast zu den beträchtlichen Wirkungen, die seine posthum erschienenen Werke im Rahmen der deutschen Philosophie- und Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts entfalteten. – Aus einfachsten Verhältnissen stammend, erhielt W. nach dem ersten Unterricht in seinem Heimatort 1549 auf Vermittlung Georg von Komerstadts eine Freistelle an der Fürstenschule St. Afra in Meißen. Seinen dortigen Lehrern Georg Fabricius und Hiob Magdeburg brachte er zeitlebens eine hohe Wertschätzung entgegen. Im Sommersemester 1554 nahm W. ein Theologiestudium in Leipzig auf, wo er 1558 das Bakkalaureat und 1559 den Magistergrad erwarb. Zum Kurator des Paulinums gewählt, leitete W. seit 1559 jüngere Studenten an. 1564 bis 1567 setzte er seine Studien in Wittenberg fort. Beide Universitätsaufenthalte wurden ebenfalls durch kurfürstliche Stipendien ermöglicht. – Am 16.11.1567 erfolgte die Ordination W.s durch den Wittenberger Generalsuperintendenten Paul Eber und der Dienstantritt als Pfarrer in Zschopau. Dieses pastorale Amt bekleidete der von seiner Gemeinde hochgeschätzte Geistliche bis zu seinem Tod. Zeitweise nahm er zusätzlich zur Entlastung des ihm vorgesetzten Superintendenten Aufsichts- und Visitationsaufgaben über den südöstlichen Teil der ausgedehnten Ephorie Chemnitz wahr. Als Prediger und Seelsorger zeichnete sich W. durch große Volksnähe und eine engagierte Armenpflege aus. Seine vom orthodoxen Luthertum stark abweichenden Ansichten hat W. offenbar geschickt verborgen. Ansonsten wäre er sicher der unduldsamen Konfessionspolitik des sächsischen Kurfürsten August zum Opfer gefallen. Vorwürfe der Ketzerei konnte W. 1572 durch eine Verteidigungsschrift entkräften. Fünf Jahre später unterschrieb er die Konkordienformel. Neuen Verdachtsmomenten ging man 1581 wegen einer Erkrankung W.s nicht weiter nach. So blieb auch W.s umfangreiches schriftstellerisches Schaffen den Zeitgenossen unbekannt, zumal er selbst nur ein einziges Werk, eine Leichenpredigt auf Martha Katharina von Breitenbach, Ehefrau des kursächsischen Oberjägers Cornelius von Rüxleben, publizierte. – Der explosive Charakter von W.s heterodoxen Schriften, die philosophischer, theologischer und homiletischer Natur waren und oft pädagogisch-didaktische Züge trugen, zeigte sich erst zwischen 1609 und 1619, als W.s Amtsnachfolger Benedikt Biedermann in Verbindung mit dem Zschopauer Kantor Christoph Weickhart und W.s Söhnen mehrere der inzwischen handschriftlich zirkulierenden Texte zum Druck brachte. W. wurde daraufhin, zuerst 1621 von dem Hamburger Theologen Johannes Schellhammer, als der „himmelblaue Prophet von Zschopau“, als neuer Thomas Müntzer und als Verräter an der Reformation verunglimpft. Am 18.8.1624 initiierte Kurfürst Johann Georg I. eine formale Untersuchung der Weigelschen Schriften, in deren Ergebnis diese in Chemnitz öffentlich verbrannt wurden. Biedermann verlor seine Anstellung und gegen die Konventikel der Weigelianer im Erzgebirge ging man energisch vor. – Außerhalb Sachsens blieben W.s Bücher populär und wurden - teils unter Pseudonym - weiter verbreitet, erlebten bei pietistisch eingestellten Verlegern zwischen 1693 und 1705 sogar eine nochmalige Konjunktur. Dies hing v.a. damit zusammen, dass W.s Werk eine Vielzahl von Verknüpfungen zwischen Neuplatonismus, Mystik, Renaissancehumanismus, Spiritualismus und Luthertum herstellte, was spätere geistige Strömungen, wie das Rosenkreuzertum und den Pietismus, stark beeinflusste. Zwar blieben Martin Luthers Schriften ein wichtiger Referenzrahmen in W.s Denken, doch zählen ebenso Johannes Tauler, Sebastian Franck und Paracelsus zu den von ihm maßgeblich rezipierten Autoren. Zeitlich gesehen basieren W.s Frühschriften vornehmlich auf mystischem Überlieferungsgut. Mit der 1571 verfassten Abhandlung „Gnothi seauton“ liegt die erste wirklich eigenständige literarische Leistung W.s vor. Breiten Raum nahm dann seit 1572 eine erbauliche Predigt-Literatur ein, die viele nicht gehaltene Kanzelreden W.s einschließt. In den Werken nach 1578 überwiegt der Bezug zur Naturphilosophie des Paracelsus. Als wiederkehrende Grundzüge in W.s Arbeiten begegnen u.a. ein spiritistisches Verständnis der Sakramente sowie die Ablehnung eines konfessionellen Kirchentums und jeglicher Form religiöser Intoleranz, durchsetzt mit obrigkeits- und sozialkritischen Tönen. Zentral für den deutschen Idealismus wurde W.s theologische Erkenntnistheorie, die er in seiner Schrift „Der Güldene Griff“ (1578) exemplarisch darlegte und die dem erkennenden Subjekt eine Schlüsselstellung zuweist. – Eine anhaltende Herausforderung für die Forschung bleibt die Abgrenzung der Weigelschen Originalschriften von einer umfangreichen Pseudo-Weigel-Literatur. In der Zschopauer Martinskirche hält eine Gusstafel das kollektive Gedächtnis an W. wach.

Quellen J. Schellhammer, Widerlegung der vermeynten Postill Valentini Weigelij, Hamburg 1621; G. Buchwald (Hg.), Wittenberger Ordiniertenbuch, Bd. 2, Leipzig 1895, Nr. 765, S. 87f.

Werke Libellus de vita beata, 1570, Druck: Halle/Saale 1609; Ein schön Gebetbüchlein, Halle/Saale 1612; Ein nützliches Tractätlein Vom Ort der Welt, Halle/Saale 1613; Der Gueldene Griff Das ist Alle Dinge ohne Irrthum zu erkennen, 1578, Druck: Halle/Saale 1613 (ND Frankfurt/Main 1697); Dialogus de Christianismo, 1584, Druck: Halle/Saale 1614 (ND Neustadt 1618); Gnothi seauton, 1571, Druck: Neustadt 1615; Kirchen Oder Hauspostill, 1578/79, Druck: Neustadt 1617; Vom himmlischen Jerusalem in uns, Frankfurt/Main 1618; Scholasterium Christianum, 1571, Druck: Frankfurt/Main 1618; Kurzer Bericht und Anleitung zur Teutschen Theology, 1571, Druck: Frankfurt/Main 1618; Valentin W. Sämtliche Schriften, hrsg. von W.-E. Peuckert/W. Zeller u.a., 7 Bde., Stuttgart-Bad Cannstadt 1962-1978; Valentin W. Sämtliche Schriften. Neue Edition, hrsg. von H. Pfefferl, 14 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt 1996-2015 (3 Supplementbde. in Vorbereitung).

Literatur J. Z. Hiliger/J. G. Reichel, Vitam fata et scripta M. Valentini Weigelii, Wittenberg 1721; J. O. Opel, Valentin W. Ein Beitrag zur Literatur- und Culturgeschichte Deutschlands im 17. Jahrhundert, Leipzig 1864; A. Israel, M. Valentin W.s Leben und Schriften, Zschopau 1888 (P); H. Maier, Der Mystische Spiritualismus Valentin W.s, Gütersloh 1926; W. Zeller, Die Schriften Valentin W.s. Eine literarkritische Untersuchung, Berlin 1940; F. Lieb, Valentin W.s Kommentar zur Schöpfungsgeschichte und das Schrifttum seines Schülers Benedikt Biedermann, Zürich 1962; S. Wollgast, Valentin W. (1533-1588) und seine Stellung in der deutschen Philosophie- und Geistesgeschichte, in: Sächsische Heimatblätter 23/1977, H. 6, S. 266-276 (P, WV); ders., Valentin W. Ausgewählte Werke, Stuttgart u.a. 1978; Geschichte der Stadt Zschopau, hrsg. vom Rat der Stadt Zschopau, Leipzig 1989, S. 25-27 (P); H. Pfefferl, Die Überlieferung der Schriften Valentin W.s, Marburg 1991 (WV); ders., Das neue Bild Valentin W.s, in: Herbergen der Christenheit 18/1993/1994, S. 67-79; ders., Die Rezeption des paracelsischen Schrifttums bei Valentin W., in: P. Dilg/H. Rudolph (Hg.), Neue Beiträge zur Paracelsus-Forschung, Stuttgart 1995, S. 151-168; G. Bosch, Reformatorisches Denken und frühneuzeitliches Philosophieren. Eine vergleichende Studie zu Martin Luther und Valentin W., Marburg 2000; A. Weeks, Valentin W. (1533-1588). German Religious Dissenter, Speculative Theorist and Advocate of Tolerance, New York 2000; ders. (Hg.), Valentin W. Selected Spiritual Writings, New York 2003; F. Odermatt, Der Himmel in uns. Das Selbstverständnis des Seelsorgers Valentin W. (1533-1588), Bern u.a. 2008 (WV); K. Hannak, Geist-reiche Critik. Hermetik, Mystik und das Werden der Aufklärung in spiritualistischer Literatur der Frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2013. – ADB 41, S. 472-476; DBA I, II, III; DBE 10, S. 387; LThK3 10, Sp. 1003; RGG4 8, Sp. 1331; TRE 35, S. 447-453.

Porträt Valentin W., A. Luppius, 1601-1650, Radierung, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung; Der Gueldene Griff Das ist Alle Dinge ohne Irrthum zu erkennen, Frankfurt/Main 1697, Titelblatt, Kupferstich, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz].

Michael Wetzel
20.09.2019


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Valentin Weigel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4089 [Zugriff 19.11.2024].

Valentin Weigel



Quellen J. Schellhammer, Widerlegung der vermeynten Postill Valentini Weigelij, Hamburg 1621; G. Buchwald (Hg.), Wittenberger Ordiniertenbuch, Bd. 2, Leipzig 1895, Nr. 765, S. 87f.

Werke Libellus de vita beata, 1570, Druck: Halle/Saale 1609; Ein schön Gebetbüchlein, Halle/Saale 1612; Ein nützliches Tractätlein Vom Ort der Welt, Halle/Saale 1613; Der Gueldene Griff Das ist Alle Dinge ohne Irrthum zu erkennen, 1578, Druck: Halle/Saale 1613 (ND Frankfurt/Main 1697); Dialogus de Christianismo, 1584, Druck: Halle/Saale 1614 (ND Neustadt 1618); Gnothi seauton, 1571, Druck: Neustadt 1615; Kirchen Oder Hauspostill, 1578/79, Druck: Neustadt 1617; Vom himmlischen Jerusalem in uns, Frankfurt/Main 1618; Scholasterium Christianum, 1571, Druck: Frankfurt/Main 1618; Kurzer Bericht und Anleitung zur Teutschen Theology, 1571, Druck: Frankfurt/Main 1618; Valentin W. Sämtliche Schriften, hrsg. von W.-E. Peuckert/W. Zeller u.a., 7 Bde., Stuttgart-Bad Cannstadt 1962-1978; Valentin W. Sämtliche Schriften. Neue Edition, hrsg. von H. Pfefferl, 14 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt 1996-2015 (3 Supplementbde. in Vorbereitung).

Literatur J. Z. Hiliger/J. G. Reichel, Vitam fata et scripta M. Valentini Weigelii, Wittenberg 1721; J. O. Opel, Valentin W. Ein Beitrag zur Literatur- und Culturgeschichte Deutschlands im 17. Jahrhundert, Leipzig 1864; A. Israel, M. Valentin W.s Leben und Schriften, Zschopau 1888 (P); H. Maier, Der Mystische Spiritualismus Valentin W.s, Gütersloh 1926; W. Zeller, Die Schriften Valentin W.s. Eine literarkritische Untersuchung, Berlin 1940; F. Lieb, Valentin W.s Kommentar zur Schöpfungsgeschichte und das Schrifttum seines Schülers Benedikt Biedermann, Zürich 1962; S. Wollgast, Valentin W. (1533-1588) und seine Stellung in der deutschen Philosophie- und Geistesgeschichte, in: Sächsische Heimatblätter 23/1977, H. 6, S. 266-276 (P, WV); ders., Valentin W. Ausgewählte Werke, Stuttgart u.a. 1978; Geschichte der Stadt Zschopau, hrsg. vom Rat der Stadt Zschopau, Leipzig 1989, S. 25-27 (P); H. Pfefferl, Die Überlieferung der Schriften Valentin W.s, Marburg 1991 (WV); ders., Das neue Bild Valentin W.s, in: Herbergen der Christenheit 18/1993/1994, S. 67-79; ders., Die Rezeption des paracelsischen Schrifttums bei Valentin W., in: P. Dilg/H. Rudolph (Hg.), Neue Beiträge zur Paracelsus-Forschung, Stuttgart 1995, S. 151-168; G. Bosch, Reformatorisches Denken und frühneuzeitliches Philosophieren. Eine vergleichende Studie zu Martin Luther und Valentin W., Marburg 2000; A. Weeks, Valentin W. (1533-1588). German Religious Dissenter, Speculative Theorist and Advocate of Tolerance, New York 2000; ders. (Hg.), Valentin W. Selected Spiritual Writings, New York 2003; F. Odermatt, Der Himmel in uns. Das Selbstverständnis des Seelsorgers Valentin W. (1533-1588), Bern u.a. 2008 (WV); K. Hannak, Geist-reiche Critik. Hermetik, Mystik und das Werden der Aufklärung in spiritualistischer Literatur der Frühen Neuzeit, Berlin/Boston 2013. – ADB 41, S. 472-476; DBA I, II, III; DBE 10, S. 387; LThK3 10, Sp. 1003; RGG4 8, Sp. 1331; TRE 35, S. 447-453.

Porträt Valentin W., A. Luppius, 1601-1650, Radierung, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung; Der Gueldene Griff Das ist Alle Dinge ohne Irrthum zu erkennen, Frankfurt/Main 1697, Titelblatt, Kupferstich, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz].

Michael Wetzel
20.09.2019


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Valentin Weigel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4089 [Zugriff 19.11.2024].