Ursula von Münsterberg
M. zählt aufgrund ihrer aufsehenerregenden Flucht aus dem Freiberger Magdalenerinnen-Kloster und ihrer in diesem Zusammenhang entstandenen Rechtfertigungsschrift zu den markanten Frauengestalten der lutherischen Reformation. – M., deren Geburtsjahr zwischen 1491 und 1495 vermutet wird, stammte aus dem böhmischen Hochadel und war eine Enkelin des Königs Georg von Podiebrad. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern wurde sie von ihrer Tante Sidonia von Böhmen, der Mutter Herzog Georgs (der Bärtige) am albertinischen Hof in Dresden erzogen. Wie ihre Schwestern bereits als Kind für den geistlichen Stand bestimmt, trat M. um 1508 in das Magdalenerinnen-Kloster in Freiberg ein. Auf Anweisung ihrer Tante wurde auf einen standesgemäßen Unterhalt im Kloster verzichtet, doch dürfte ihr Rang als Herzogin ihr dennoch ein besonderes Ansehen im Konvent verschafft haben. M. entwickelte sich zu einer Exponentin des lutherischen Glaubens im Kloster und erfuhr dabei Rückhalt und Unterstützung durch Teile des Konvents. Ihre Bekanntschaft mit dem Gedankengut Martin Luthers verdankte sie reformatorischen Schriften, die offenbar die in Freiberg residierende Herzogin Katharina von Sachsen insgeheim ins Kloster gelangen ließ. Auch der als Lektor am Franziskanerkloster in Freiberg wirkende Lorenz Sörer (Soranus) und der am 29.9.1526 zum Prediger des Magdalenerinnen-Klosters bestellte Andreas Bodenschatz wirkten im Sinne der Reformation auf die Nonnen ein. Unter diesen Umständen ging ein tiefer Riss durch den über 70 Personen umfassenden Konvent, der dadurch verstärkt wurde, dass M. am 6.10.1528 zusammen mit zwei weiteren Nonnen,
Dorothea Thannsberg (Tanberg) und
Margarethe Volckmar, das Kloster verließ, während eine weitere Nonne,
Katharina Wildeck, dieses Vorhaben zunächst wieder aufgab. Über deren weiteres Schicksal korrespondierte M. später mit dem Zwickauer Stadtschreiber Stephan Roth. – M. wandte sich in das ernestinische Kurfürstentum Sachsen und fand zunächst bei dem Pfarrer Dominikus Beyer in Leisnig und ab dem 16.10.1528 bei Luther in
Wittenberg Aufnahme. Obwohl M. völlig mittellos aus dem Konvent austrat, handelte es sich doch keineswegs um einen übereilten Entschluss. Vielmehr ging sie wohlüberlegt vor. So verfasste sie ihre Rechtfertigungsschrift bereits am 28.4.1528, also etwa fünf Monate vor ihrer Flucht. Das aus 69 Artikeln bestehende Dokument wurde von Luther mit einem Nachwort versehen und noch 1528 unter dem Titel „Christliche vrsach des verlassen Klosters zu Freyberg“ bei Hans Lufftin Wittenberg gedruckt. Die sprachlich gewandte und mit großer Bibelkenntnis verfasste Schrift lässt eine Redaktion durch Luther vermuten. Dessen Thesen „Grund und ursach, das Closter leben unchristlich sey“, die in Abwandlung seines früheren Werkes „De votis monasticis“ (1521) ebenfalls 1528 erschienen, können als Reaktion auf M.s Klosterflucht interpretiert werden. – M.s Rechtfertigungsschrift wurde vielfach rezipiert, bereits 1529 in
Nürnberg nachgedruckt und später in verschiedene Luther-Ausgaben aufgenommen. Sie verschärfte zugleich die Spannungen zwischen dem albertinischen Herzog Georg und seinem ernestinischen Vetter Kurfürst Johann (der Beständige), der schon am 13.10.1528 ein Gesuch des Dresdner Hofs um Auslieferung M.s abgelehnt hatte. Die Forderung Herzog Georgs nach Aufklärung und Konsequenzen aus den Klosteraustritten zog auch ein Antwortschreiben des Freiberger Konvents auf M.s Rechtfertigungsschrift nach sich, das jedoch damals nicht zum Druck gelangte. – Parallel zu diesen Vorgängen versuchte M.s Tante Margarethe von Anhalt vergeblich, ihre Nichte zur Rückkehr in ihr Kloster zu bewegen. Stattdessen fand M.s Beispiel bald Nachahmung, indem etwa zu Pfingsten 1529 weitere Nonnen um
Katharina von Mergenthal aus dem Freiberger Kloster flohen. Dem konnte auch eine vom 27. bis 29.1.1529 erfolgte Klostervisitation nicht mehr wirksam begegnen. Insofern hatte M.s Handeln - ähnlich wie das der Katharina von Bora - weitreichende Signalwirkung für das Ende der Frauenklöster in Sachsen. – M.s weiterer Lebensweg verdeutlicht die Schwierigkeiten der materiellen Versorgung und sozialen Eingliederung ehemaliger Nonnen in die Gesellschaft. Bis zum 21.12.1528 ist M.s Aufenthalt in Wittenberg nachweisbar. Im Januar 1529 reiste sie zu ihrer mittlerweile mit Bischof Erhard von Queiß verheirateten Schwester Apollonia nach
Marienwerder (poln. Kwidzyn), die jedoch zwei Monate später im Kindbett starb. Ihr unstetes, durch mehrfache Krankheiten zusätzlich beeinträchtigtes Leben mit weiteren Stationen in
Königsberg (russ. Kaliningrad) und in
Liegnitz (poln. Legnica) bei ihrem Vetter Herzog Friedrich II. von Liegnitz und Brieg versuchte M. 1530 mit einer Bitte an die Äbtissin Elisabeth von Weida um Aufnahme in das Damenstift
Gernrode in abgesicherte Bahnen zu lenken. Allerdings hielt sie sich noch 1532 in Liegnitz auf. Ob ihr letztes Schriftzeugnis, ein Brief an Friedrich II. nach Liegnitz vom 2.2.1534, in Gernrode abgefasst wurde, bleibt aufgrund des Fehlens eines Absendeorts ungewiss. – Die Briefwechsel M.s, u.a. mit Herzogin Margarethe von Anhalt, Kurfürst Johann von Sachsen und Stephan Roth, sind in ihren wichtigsten Teilen erstmals ab 1882 von Hubert Ermisch ediert worden.
Quellen Codex diplomaticus Saxoniae regiae II., Hauptteil, Bd. 12: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, Bd. 1, hrsg. von Hubert Ermisch, Leipzig 1883, S. 477-496, Nr. 705-716; Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. 4: Briefwechsel, Bd. 4: 1526-1528, Weimar 1933, S. 586f.; ebd., Abt. 1: Schriften/Werke, Bd. 59: Nachträge, Weimar 1983, S. 100-103.
Werke Der Durchleuchtigen hochgebornen F. Ursulen, Hertzogin zu Mönsterberg … Grefin zu Glotz … Christliche vrsach des verlassen Klosters zu Freyberg, Wittenberg 1528 (ND Nürnberg 1529).
Literatur Johann Karl Seidemann, Die Herzogin Ursula von M. und ihre Flucht aus dem Kloster S. Mariae Magdalenae de poenitentia zu Freiberg, in: ders. (Hg.), Erläuterungen zur Reformationsgeschichte durch bisher bekannte Urkunden, Dresden 1844, S. 105-129; Hubert Ermisch, Herzogin Ursula von M. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation in Sachsen, in: NASG 3/1882, S. 290-333; Max Perlbach, Die preussischen Beziehungen der Herzogin Ursula von M., in: ebd. 4/1883, S. 346-348; Joseph Hilgers, Der Index der verbotenen Bücher. In seiner neuen Fassung dargelegt und rechtlich-historisch gewürdigt, Freiburg/Breisgau 1904, S. 148-150; Antje Rüttgardt, Klosteraustritte in der frühen Reformation: Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524, Gütersloh 2007; Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2010, S. 73-86; Martina Schattkowsky (Hg.), Frauen und Reformation. Handlungsfelder - Rollenmuster - Engagement, Leipzig 2016; Sabine Zinsmeyer, Frauenklöster in der Reformationszeit. Lebensformen von Nonnen in Sachsen zwischen Reform und landesherrlicher Aufhebung, Leipzig 2016. – Roland H. Bainton, Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 1996, S. 40-55; Werner Lauterbach, Berühmte Freiberger. Ausgewählte Biographien bekannter und verdienstvoller Persönlichkeiten, Teil 1, Freiberg 2000, S. 43f.
Michael Wetzel
19.10.2020
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Ursula von Münsterberg,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2963 [Zugriff 25.11.2024].
Ursula von Münsterberg
Quellen Codex diplomaticus Saxoniae regiae II., Hauptteil, Bd. 12: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, Bd. 1, hrsg. von Hubert Ermisch, Leipzig 1883, S. 477-496, Nr. 705-716; Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. 4: Briefwechsel, Bd. 4: 1526-1528, Weimar 1933, S. 586f.; ebd., Abt. 1: Schriften/Werke, Bd. 59: Nachträge, Weimar 1983, S. 100-103.
Werke Der Durchleuchtigen hochgebornen F. Ursulen, Hertzogin zu Mönsterberg … Grefin zu Glotz … Christliche vrsach des verlassen Klosters zu Freyberg, Wittenberg 1528 (ND Nürnberg 1529).
Literatur Johann Karl Seidemann, Die Herzogin Ursula von M. und ihre Flucht aus dem Kloster S. Mariae Magdalenae de poenitentia zu Freiberg, in: ders. (Hg.), Erläuterungen zur Reformationsgeschichte durch bisher bekannte Urkunden, Dresden 1844, S. 105-129; Hubert Ermisch, Herzogin Ursula von M. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation in Sachsen, in: NASG 3/1882, S. 290-333; Max Perlbach, Die preussischen Beziehungen der Herzogin Ursula von M., in: ebd. 4/1883, S. 346-348; Joseph Hilgers, Der Index der verbotenen Bücher. In seiner neuen Fassung dargelegt und rechtlich-historisch gewürdigt, Freiburg/Breisgau 1904, S. 148-150; Antje Rüttgardt, Klosteraustritte in der frühen Reformation: Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524, Gütersloh 2007; Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2010, S. 73-86; Martina Schattkowsky (Hg.), Frauen und Reformation. Handlungsfelder - Rollenmuster - Engagement, Leipzig 2016; Sabine Zinsmeyer, Frauenklöster in der Reformationszeit. Lebensformen von Nonnen in Sachsen zwischen Reform und landesherrlicher Aufhebung, Leipzig 2016. – Roland H. Bainton, Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 1996, S. 40-55; Werner Lauterbach, Berühmte Freiberger. Ausgewählte Biographien bekannter und verdienstvoller Persönlichkeiten, Teil 1, Freiberg 2000, S. 43f.
Michael Wetzel
19.10.2020
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Ursula von Münsterberg,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2963 [Zugriff 25.11.2024].