Ursula Cain

C. gehörte zu den versiertesten Bühnentänzerinnen der Nachkriegszeit. Dabei beherrschte sie den Ausdruckstanz ebenso wie das Repertoire des Klassischen Balletts. Aus der Tradition von Mary Wigman sowie Tatjana Gsovsky kommend, tanzte sie ihre Rollen mit perfektionistischer Genauigkeit und lyrischem Ausdruck. Dabei begründete C. die Tradition des dramatischen Balletts in Leipzig. Ihr Werk lebt nicht zuletzt in dem nach ihr benannten Sächsischen Tanzpreis weiter. – C. besuchte ab ihrem elften Lebensjahr die Vorbereitungsklassen an Wigmans Schule für modernen Tanz in Dresden und studierte 1942 bis 1944 Ausdruckstanz an der Tanz-Akademie des Dresdner Konservatoriums. Aufgrund einer Verletzung am Arm wurde C. nicht zum Kriegsdienst verpflichtet, sondern durfte die Kinderklassen der ehemaligen Wigman-Schule, der Tanz-Akademie Dresden, unterrichten. Nach Kriegsende setzte sie ihr Studium bei Dore Hoyer fort, die die Tanz-Akademie übernommen hatte. 1945 erhielt C. ein Diplom als Bühnentänzerin und Tanzpädagogin. 1945 bis 1948 war C. Mitglied der Dore-Hoyer-Gruppe und tanzte in dem Zyklus „Tänze für Käthe Kollwitz“ sowie den Choreografien „Lied der Zeit“ und „Schießbude“ mit. C. gehörte außerdem zum Dresdner Künstlerkreis um Hoyer, dem Persönlichkeiten wie Christel Goltz, Wilhelm Lachnit sowie Joseph Keilberth angehörten. Nach Auflösung der Tanz-Gruppe und dem Umzug Hoyers nach Hamburg ging C. 1948 einen Jahresvertrag mit der Intendanz des Volkstheaters Rostock ein. Im Jahr darauf wurde sie für vier Spielzeiten an das Anhaltische Theater Dessau verpflichtet und unterstand Ballettdirektor Veith Büchel. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Helmut Seydelmann kennen, mit dem sie nach Leipzig wechselte. Nach einem Aufbaustudium bei Gertrud Steinweg in Leipzig sowie bei Gsovsky und Gustav Blank in Berlin wurde C. 1952 als Solotänzerin an die Städtischen Theater Leipzig berufen und stieg 1953 zur Ersten Solotänzerin auf. Ihr Debüt gab sie in der Rolle der „Scheherazade“ (Musik: Nikolai A. Rimski-Korsakow). In den Folgejahren tanzte sie in Choreografien von Steinweg, Lilo Gruber, Werner Ulbrich, Tom Schilling und Emmy Köhler-Richter. Ihre Interpretationen der Scheherazade, Sergej Prokofjews Julia („Romeo und Julia“) sowie der Desdemona in Boris Blachers „Der Mohr von Venedig“, ihre Darbietungen als Laurencia in Reinhold M. Glières „Tochter Kastiliens“ oder als Spartakusʼ Gattin in Wolfgang Hohensees „Das Fanal“ brachten ihr hohe Anerkennung ein. Als 1960 das neue Opernhaus in Leipzig eingeweiht wurde, verkörperte sie in dem von Köhler-Richter choreografierten „Dornröschen“ die böse Fee. Höhepunkt ihrer Karriere als Solotänzerin bildete die Darstellung der Geliebten des Teufels „Archisposa“ in Werner Egks „Abraxas“ 1962. – C. tanzte seit 1960 mit gesundheitlichen Einschränkungen. Aufgrund eines Bühnenunfalls während der Probenarbeit an der Oper „Fürst Igor“ sah sie sich gezwungen, ihre tänzerische Tätigkeit zunehmend in den pädagogischen Bereich zu verlagern. Ab 1979 wirkte sie als Lehrerin für Modernen Tanz an der Staatlichen Ballettschule (später Ballettschule der Oper) Leipzig. 1988 vertraute man ihr die Kinderklassen an. In dieser Position choreografierte sie 1997 die jährliche Matinee der Ballettschule. Zudem oblag ihr ab 1989 die Leitung der Amateurgruppe „Tanzkaleidoskop“. – 2005 begann C. eine zweite Bühnenkarriere und studierte mit Christa Franze, Siegfried Prölß und Horst Dittmann unter der Leitung von Heike Hennig das autobiografische Tanztheater „Zeit - tanzen seit 1927“ ein. Dabei arbeitete Hennig mit einfachen Schrittfolgen und legte den Akzent der Darstellung auf einen starken Ausdruck von Mimik und Gestik. Diesem 2006 an der Oper Leipzig uraufgeführten Tanztheater folgte die Fortsetzung, „Zeit - Sprünge“. Mit diesen Choreografien gastierte die Truppe in Dresden, Berlin sowie Duisburg und trat auf zahlreichen Festivals auf, z. B. 2008 während der Händel-Festspiele in Halle/Saale und im April 2009 zur Abschlussgala der 17. Internationalen Tanzwoche in Dresden. Zudem verfilmte Trevor Peters das Tanzstück für das ZDF sowie für ARTE und brachte es unter dem Titel „Tanz mit der Zeit“ in die deutschen Kinos. 2008 erschien unter dem gleichnamigen Titel Marion Appelts Report über die Tänzerinnen und Tänzer. – „Tanz mit der Zeit“ war nicht die einzige biografische Arbeit von C. Sie rekonstruierte für das Bayreuther Forschungsinstitut für Musiktheater ein Hoyer-Profil mit deren Choreografie „Tänze für Käthe Kollwitz“. – C. erhielt zahlreiche Auszeichnungen. So wurde sie 1993 anlässlich des 300. Gründungsjubiläums zum Ehrenmitglied der Leipziger Oper ernannt. Im März 2008 bezeichnete die Fachzeitschrift „Balletttanz“ C. als „Grande Dame des Leipziger Tanzes“ und am 27.3.2008 empfing Bundespräsident Horst Köhler sie im Schloss Bellevue. Die Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Sabine von Schorlemer initiierte einen Tanzpreis, der ihren Namen trägt. 2015 wurde der Ursula-Cain-Preis erstmalig an die Produktion „Brel“ der Landesbühnen Sachsen vergeben.

Quellen Universitätsbibliothek Leipzig, NL 397 Nachlass Ilse Loesch, NL 403 Postkartensammlung des Tanzarchivs, NL 413 Sammlung Ingeborg Stiehler; Deutsches Tanzarchiv Köln, DTK-TIS-98 Teilnachlass Gertrud Steinweg.

Werke Tanz mit der Zeit, Dokumentarfilm von Trevor Peters, nach Heike Hennig, Koproduktion von ma.ja.demajade filmproduktion und ZDF in Zusammenarbeit mit ARTE.

Literatur Ingeborg Stiehler/Jürgen Tiede, Ballerina Ursula C. Von Barfuß bis Spitze, Leipzig 1997; Marion Appelt, Tanz mit der Zeit - vier außergewöhnliche Lebensgeschichten, Leipzig 2008; Ursula C. ist Grande Dame des Leipziger Tanzes, in: Balletttanz 7/2008, H. 3, S. 21; Oper Leipzig trauert um Ursula Cain-Kramer. „Traum-Ballerina“ der 50er und 60er Jahre, 2011; Rolf Richter, Ursula C., in: 1000 Jahre Leipzig - 100 Frauenporträts, 2014.

Porträt Ursula Cain, Johanna Hilse, undatierte Fotografie, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inventar-Nr.: Jost 25 (Bildquelle) [CC BY-NC-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International Unported License].

Uta Dorothea Sauer
5.8.2020


Empfohlene Zitierweise:
Uta Dorothea Sauer, Artikel: Ursula Cain,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26372 [Zugriff 19.3.2024].

Ursula Cain



Quellen Universitätsbibliothek Leipzig, NL 397 Nachlass Ilse Loesch, NL 403 Postkartensammlung des Tanzarchivs, NL 413 Sammlung Ingeborg Stiehler; Deutsches Tanzarchiv Köln, DTK-TIS-98 Teilnachlass Gertrud Steinweg.

Werke Tanz mit der Zeit, Dokumentarfilm von Trevor Peters, nach Heike Hennig, Koproduktion von ma.ja.demajade filmproduktion und ZDF in Zusammenarbeit mit ARTE.

Literatur Ingeborg Stiehler/Jürgen Tiede, Ballerina Ursula C. Von Barfuß bis Spitze, Leipzig 1997; Marion Appelt, Tanz mit der Zeit - vier außergewöhnliche Lebensgeschichten, Leipzig 2008; Ursula C. ist Grande Dame des Leipziger Tanzes, in: Balletttanz 7/2008, H. 3, S. 21; Oper Leipzig trauert um Ursula Cain-Kramer. „Traum-Ballerina“ der 50er und 60er Jahre, 2011; Rolf Richter, Ursula C., in: 1000 Jahre Leipzig - 100 Frauenporträts, 2014.

Porträt Ursula Cain, Johanna Hilse, undatierte Fotografie, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inventar-Nr.: Jost 25 (Bildquelle) [CC BY-NC-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International Unported License].

Uta Dorothea Sauer
5.8.2020


Empfohlene Zitierweise:
Uta Dorothea Sauer, Artikel: Ursula Cain,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26372 [Zugriff 19.3.2024].