Rudolf Nicolai

N. avancierte vom Gründer des Schullandheims im erzgebirgischen Jöhstadt zum ostdeutschen Wortführer der Schullandheimbewegung. – Der Pfarrerssohn N. absolvierte seine Schulzeit zunächst in Lauterbach, bevor er 1899 auf die Fürsten- und Landesschule zu Grimma wechselte. Nachdem er 1905 sein Reifezeugnis erworben hatte, schrieb er sich zum Theologiestudium an der Greifswalder Universität ein. Bereits nach drei Semestern wechselte N. an die Leipziger Universität, um den Lehrerberuf anzustreben. Noch während der Studienzeit legte er 1909 seine Dissertation vor, eine biografische Arbeit über den schlesischen Kirchenlieddichter Benjamin Schmolck. Im darauffolgenden Jahr absolvierte er sein Studium für das höhere Lehramt und erlangte damit die Lehrbefähigung für die Fächer Deutsch und Religion. Da um 1910 die Lehrerausbildung an den Universitäten stark frequentiert war, gelang es N. zunächst nicht, eine Anstellung zu finden. So konnte er erste pädagogische Praxiserfahrungen am Staatsgymnasium in Dresden-Neustadt nur deshalb sammeln, weil er sich für eine unentgeltliche Lehrtätigkeit bereit erklärt hatte. Bis zum Sommer 1911 erteilte N. des Weiteren Privat- und Nachhilfestunden, bis er in Zittau eine Vertretungsstelle antreten durfte. Noch im gleichen Jahr wurde er Lehrer am Realgymnasium Annaberg. Außerschulisch engagierte sich der junge N. in der Wandervogelbewegung. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich sogleich zum Militärdienst. Grausame Kriegsrealität ließ seine anfängliche militärische Begeisterung seit Herbst 1915 an der Front zu Frankreich allmählich schwinden. Nach schwerer Verletzung kehrte er 1917 wieder zurück in den Annaberger Schuldienst. Im Umfeld der schulreformerischen Aktivitäten zu Beginn der Weimarer Republik engagierte sich N. zunächst als Mitautor neuer Lehrmaterialien wie dem „Wägen und Wirken - Ein deutsches Lese- und Lebensbuch“, das 1923 in Leipzig erschien. N.s wichtigste reformpädagogische Leistung sollte sich in der Zwischenkriegszeit jedoch mit der Schullandheimbewegung im Allgemeinen sowie mit der Schaffung des Schullandheims Jöhstadt im Besonderen verbinden. Seit 1923 konnte dieses Schullandheim durch das Annaberger Realgymnasium genutzt werden. Darüber hinaus leitete N. die Fachgruppe Schullandheim im Sächsischen Philologenverein sowie die Arbeitsgemeinschaft sächsischer Schullandheime. Auf der Tagung zum Thema „Das Landheim“, organisiert im Oktober 1925 vom Berliner Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht, hielt N. das Hauptreferat zur Bilanz der Schullandheimbewegung in Deutschland. Zugleich wurden hier die Schullandheime im Reichsbund der deutschen Schullandheime e.V. zusammengeschlossen, zu dessen ersten Vorsitzenden N. gewählt wurde. – Während der Zeit des Nationalsozialismus glaubte N. zunächst noch, sein Lebenswerk retten zu können, aber die Schullandheimarbeit erlebte einen starken Rückschlag und wurde zudem vielerorts von den Nationalsozialisten missbraucht. N. trat im Mai 1933 der NSDAP bei. Während sich der Reichsbund der deutschen Schullandheime 1934 selbst aufgelöst hatte, konnte N. noch bis Oktober 1935 sein Ehrenamt als Sachbereichsleiter für die Schullandheime ausüben. – Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zu dessen Opfern auch N.s Sohn Rudi sowie sein Schwiegersohn zählten, wurde N. im Zuge des sog. Entnazifizierungsprozesses in der SBZ aus dem Schuldienst entlassen. Seit dieser Zeit reaktivierte N. gemeinsam mit den westdeutschen Wortführern der Schullandheimbewegung um Heinrich Sahrhage und Wilhelm Berger die Schullandheimarbeit, wobei Letztgenannte schließlich 1953 in Marburg den „Verband deutscher Schullandheime“ als neuen bundesweiten Zusammenschluss gründeten. Bis zu seinem Lebensende musste N., der sich zuletzt in der Kirchenarbeit engagierte und weiterhin enge Kontakte zu den bundesdeutschen Schullandheimvertretern pflegte, mit ansehen, wie die Schullandheimarbeit im Osten Deutschlands kaum noch eine Rolle spielte und das Jöhstädter Heim gar dem Verfall preisgegeben wurde.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 12743 Personennachlass Rudolf N., 11401 Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung, Nr. 430; Stadtarchiv Dresden, 2.3.20: Schulamt, Nr. 205.

Werke Benjamin Schmolck. Sein Leben, seine Werke, Diss. Leipzig 1909.

Literatur T. Breckling (Hg.), Der Reichsbund der deutschen Schullandheime. Illustriertes Handbuch, Kiel 1930; A. Pehnke, Schullandheime, in: A. Paetz/U. Pilarczyk (Hg.), 20 reformpädagogische Modelle im Überblick, Berlin 1990, S. 96-100; S. F. Hilbert, Lesebuch Umwelt. Der Reformpädagoge Rudolf N. Ein Leben für das Schullandheim, Norderstedt 2013 (P). – DBA II.

Porträt Rudolf N., Fotografie, Privatbesitz S. F. Hilbert (Bildquelle).

Andreas Pehnke
31.7.2017


Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Rudolf Nicolai,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24324 [Zugriff 22.12.2024].

Rudolf Nicolai



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 12743 Personennachlass Rudolf N., 11401 Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung, Nr. 430; Stadtarchiv Dresden, 2.3.20: Schulamt, Nr. 205.

Werke Benjamin Schmolck. Sein Leben, seine Werke, Diss. Leipzig 1909.

Literatur T. Breckling (Hg.), Der Reichsbund der deutschen Schullandheime. Illustriertes Handbuch, Kiel 1930; A. Pehnke, Schullandheime, in: A. Paetz/U. Pilarczyk (Hg.), 20 reformpädagogische Modelle im Überblick, Berlin 1990, S. 96-100; S. F. Hilbert, Lesebuch Umwelt. Der Reformpädagoge Rudolf N. Ein Leben für das Schullandheim, Norderstedt 2013 (P). – DBA II.

Porträt Rudolf N., Fotografie, Privatbesitz S. F. Hilbert (Bildquelle).

Andreas Pehnke
31.7.2017


Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Rudolf Nicolai,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24324 [Zugriff 22.12.2024].