Rudi Ogrissek

O. prägte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts über drei Jahrzehnte hinweg die praktische Verlagskartografie und die wissenschaftliche Kartografie in der DDR mit. Zu seinen Hauptverdiensten zählt die systematische theoretische Durchdringung der selbstständigen universitären Kartografieausbildung an der TU Dresden seit 1972. Ausdruck dafür waren das von ihm herausgegebene erste kartografische Lexikon der DDR (1983) und seine Monografie „Theoretische Kartographie“ (1987). Gleichzeitig berücksichtigte O. die Anforderungen der kartografischen Praxis. – O.s Familie übersiedelte 1933 von Schlesien nach Görlitz. 1943 wurde O. zur Wehrmacht eingezogen und nach Belgien verlegt, wo er in britische Gefangenschaft geriet. Nach der Rückkehr in die Oberlausitz ließ er sich zum Vermessungstechniker ausbilden und war in diesem Beruf vier Jahre tätig. Der Sonderreifeprüfung an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät in Leipzig folgte ab 1953 ein Studium der Geschichte und Geografie an der Universität Leipzig. Hier hatte vor allem Edgar Lehmann prägenden Einfluss auf ihn. 1957 trat O. in das Bibliographische Institut Leipzig, Abteilung Kartographie, als Kartenredakteur ein. Damit war sein weiterer beruflicher Lebensweg vorgezeichnet. 1959 wurde er Leiter der Abteilung und promovierte zum Dr. phil. mit dem Thema „Siedlungsformen und Siedlungsstruktur in der Ostoberlausitz seit dem 16. Jahrhundert“. Die intensive Auseinandersetzung mit siedlungsgeschichtlichen und geschichtskartografischen Problemen führte in den 1960er-Jahren zu seinem ersten akademischen Lehrauftrag an der Humboldt-Universität zu Berlin, den er auf Honorarbasis neben seiner Leipziger Tätigkeit ausübte. Nach der Übernahme der Abteilung Kartographie des Bibliographischen Instituts durch den Gothaer Kartographiebetrieb VEB Hermann Haack wurde O. stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Kartenredaktion. Hier war er maßgeblich beteiligt an der Neubearbeitung des „Weltatlas. Die Staaten der Erde und ihre Wirtschaft“ (1965) und später an dem zweibändigen Werk „Atlas zur Geschichte“ (1968-1972). – O. habilitierte 1969 an der Universität Leipzig mit einer Arbeit über die „Grundlagen optimaler Gestaltung von Wirtschaftsgeschichtskarten als Wissensspeicher für Geschichtswissenschaft und historische Geographie“ und wurde 1972 auf den Lehrstuhl für Kartographie an der TU Dresden berufen. Hier entfaltete er eine bemerkenswerte Lehr-, Forschungs- und Publikationstätigkeit. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit war weiterhin die konzeptionelle und gestalterische Betreuung von großen Atlasprojekten einschließlich des Entwurfs anspruchsvoller Einzelkarten. Nach den Endarbeiten am „Atlas zur Geschichte“ (1972-1975) folgte das Großprojekt des „Atlas Deutsche Demokratische Republik“ (Nationalatlas der DDR). 1983 erhielt O. für seine Verdienste um dieses Atlaswerk den Nationalpreis II. Klasse der DDR im Kollektiv. Von 1972 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand 1992 betreute er mehrere kartografische Dissertationen und Habilitationen. Darüber hinaus war er in verschiedenen nationalen und internationalen Gremien tätig. So war er u.a. Mitglied des Nationalkomitees für Geographie und Kartographie der Akademie der Wissenschaften der DDR, Mitglied der Kommission „Ausbildung“ und der Arbeitsgruppe „Theoretische Kartographie“ der Internationalen Kartographischen Vereinigung. Den Wissenschaftsbereich und die Fachrichtung Kartographie der TU Dresden leitete er 1972 bis 1988 und war 1977 bis 1980 gleichzeitig Direktor der Sektion Geodäsie und Kartographie dieser Universität. Erstmalig führte er im Rahmen des kartografischen Curriculums Vorlesungen zur Theoretischen Kartographie (Kartographische Kommunikations- und Wahrnehmungstheorie) durch und gab das von seinen Mitarbeitern und ihm selbst verfasste Lexikon „Brockhaus-ABC Kartenkunde“ heraus (1983). Auf seine Initiative hin wurde 1982 die wissenschaftliche Reihe „Kartographische Bausteine“ des damaligen Wissenschaftsbereichs (seit 1991 wieder Institut) für Kartographie der TU Dresden ins Leben gerufen, deren erste sechs Bände von ihm herausgegeben wurden. O.s Hauptwerk ist die 1987 erschienene, lehrbuchartige Monografie „Theoretische Kartographie“ (1987), in der das von ihm bereits 1980 vorgestellte und danach weiterentwickelte System der Theoretischen Kartographie, bestehend aus den Teilsystemen Theorie der Kartengestaltung und Theorie der Kartennutzung, den Mittelpunkt der weitgespannten Ausführungen bildet. – Im Verlauf von über 30 Jahren hat O. neben mehr als 120 Kartenentwürfen ca. 75 wissenschaftliche Aufsätze (auch in fremdsprachigen Zeitschriften) sowie ca. 100 Buch- und Atlasrezensionen vorgelegt. Vier selbstständige Buchveröffentlichungen stammen aus seiner Feder, weitere wurden von ihm konzipiert, redaktionell betreut oder herausgegeben. – O. hat die Entwicklung der Praktischen und Theoretischen Kartographie der DDR, insbesondere an den Standorten Leipzig und Dresden, wesentlich beeinflusst sowie die universitäre kartografische Hochschulausbildung an der TU Dresden profiliert und weiterentwickelt.

Werke Siedlungsformen und Siedlungsstruktur in der Ostoberlausitz seit dem 16. Jahrhundert, Diss. Leipzig 1959; Dorf und Flur in der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1961; Geographie für jedermann, Gotha 1964, Gotha/Leipzig ³1971; Die Karte als Hilfsmittel des Historikers, Gotha 1968; Grundlagen optimaler Gestaltung von Wirtschaftsgeschichtskarten als Wissensspeicher für Geschichtswissenschaft und historische Geographie, Habil. Leipzig 1969; (Hg.), Brockhaus-ABC Kartenkunde, Leipzig 1983; Theoretische Kartographie, Gotha 1987; Beiträge zur Theoretischen Kartographie aus der UdSSR und aus anderen sozialistischen Ländern Europas, Wien 1988.

Literatur F. Deumlich, Nationalpreisträger Prof. Dr. phil. habil. Rudi O. zum 60. Geburtstag, in: Vermessungstechnik 34/1986, H. 9, S. 317; W. Stams, Rudi O. 70 Jahre, in: Kartographische Nachrichten 46/1996, H. 5, S. 193f.; M. Buchroithner, Rudi O. 1926-1999, in: ebd. 50/2000, H. 1, S. 24; Schriften von ord. Prof. Dr. phil. habil. Rudi O., Technische Universität Dresden, Sektion Geodäsie und Kartographie, Manuskriptdruck o.J. (WV); M. F. Buchroithner/W. G. Koch/I. Wilfert (Hg.), Veröffentlichungen der Mitarbeiter und Lehrbeauftragten des Studiengangs Kartographie der TU Dresden 1982-1986, Dresden 1997 (WV). – J. Bollmann/W.G. Koch (Hg.), Lexikon der Kartographie und Geomatik in zwei Bänden, Bd. 2, Heidelberg/Berlin 2002, S. 194 (Bildquelle); D. Petschel (Bearb.), Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, Köln 2003, S. 694.

Wolf Günther Koch
18.1.2010


Empfohlene Zitierweise:
Wolf Günther Koch, Artikel: Rudi Ogrissek,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17671 [Zugriff 19.4.2024].

Rudi Ogrissek



Werke Siedlungsformen und Siedlungsstruktur in der Ostoberlausitz seit dem 16. Jahrhundert, Diss. Leipzig 1959; Dorf und Flur in der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1961; Geographie für jedermann, Gotha 1964, Gotha/Leipzig ³1971; Die Karte als Hilfsmittel des Historikers, Gotha 1968; Grundlagen optimaler Gestaltung von Wirtschaftsgeschichtskarten als Wissensspeicher für Geschichtswissenschaft und historische Geographie, Habil. Leipzig 1969; (Hg.), Brockhaus-ABC Kartenkunde, Leipzig 1983; Theoretische Kartographie, Gotha 1987; Beiträge zur Theoretischen Kartographie aus der UdSSR und aus anderen sozialistischen Ländern Europas, Wien 1988.

Literatur F. Deumlich, Nationalpreisträger Prof. Dr. phil. habil. Rudi O. zum 60. Geburtstag, in: Vermessungstechnik 34/1986, H. 9, S. 317; W. Stams, Rudi O. 70 Jahre, in: Kartographische Nachrichten 46/1996, H. 5, S. 193f.; M. Buchroithner, Rudi O. 1926-1999, in: ebd. 50/2000, H. 1, S. 24; Schriften von ord. Prof. Dr. phil. habil. Rudi O., Technische Universität Dresden, Sektion Geodäsie und Kartographie, Manuskriptdruck o.J. (WV); M. F. Buchroithner/W. G. Koch/I. Wilfert (Hg.), Veröffentlichungen der Mitarbeiter und Lehrbeauftragten des Studiengangs Kartographie der TU Dresden 1982-1986, Dresden 1997 (WV). – J. Bollmann/W.G. Koch (Hg.), Lexikon der Kartographie und Geomatik in zwei Bänden, Bd. 2, Heidelberg/Berlin 2002, S. 194 (Bildquelle); D. Petschel (Bearb.), Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, Köln 2003, S. 694.

Wolf Günther Koch
18.1.2010


Empfohlene Zitierweise:
Wolf Günther Koch, Artikel: Rudi Ogrissek,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17671 [Zugriff 19.4.2024].